Harry Glück (1925-2016) war einer der produktivsten und umstrittensten Architekten Österreichs. Sein Wohnpark Alt-Erlaa in Wien, einst als "hässliche Betonburg" beschimpft, gilt heute vielen als vorbildhaft.
Publizist Reinhard Seiß ehrt ihn nun mit einer umfassenden Monografie, nein, mit einem Bildband, in dem andere über Harry Glücks Art, Wohnungen zu bauen, philosophieren dürfen. Die 18.000 Wohnungen bleiben als würdiges Denkmal seines Wissens und Wirkens.
Ich selbst habe Harry Glück persönlich kennengelernt, als ich in den frühen 1980er-Jahre bei seinem Architektenkollegen, Industriedesigner und früherem Arbeitgeber Carl Auböck, mit dem Harry Glück die Reihenhausanlage Am Wolfersberg geplant und gebaut hat, gearbeitet habe.
Harry Glück ist quasi ein Quereinsteiger unter den Architekten, denn er kommt von der Bühnentechnik und hat, anders als die meisten Architekten seiner Generation, statt auf der Hochschule für Angewandte Kunst, auf der Technischen Universität studiert. Was ihm zusätzlich Kritik und Anfeindungen einbringt, ist seine größte Auftraggeberin: Die Gesiba, eine Wohnbaugenossenschaft, die der Stadt Wien sehr nahe steht.
In diesem wunderbaren Buch über Harry Glücks Werk und Wirken nimmt natürlich seine bekannteste Wohnhauslage, der Wohnpark Alt-Erlaa, der in den Jahren 1973-1985 errichtet worden ist, den größten Raum ein. Der Wohnpark ist mit rund 9.000 Bewohner eine Stadt in der Stadt. Neben den Wohnungen enthält sie die nötige Infrastruktur wir Kindergärten, Nahversorger, Ärzte und zahlreiche Gemeinschaftsräume in denen nach Herzenslust genäht, Theater gespielt, geturnt oder an Modelleisenbahnen gebaut werden kann. Nicht zu vergessen sind die großzügigen Grünanlagen, die Kinder zum Spielen und ältere Bewohner zum Verweilen einladen. Auch das Konzept der autofreien Anlage hat Harry Glück vorweggenommen.
Kritisiert wurde der Wohnpark vor allem wegen seiner Schwimmbäder am Dach und der Balkone/Terrassen für jede Wohnung. Doch genau das schätzen seine Bewohner, wie die Interviews mit einigen Bewohnern zeigen. Er wurde, so erzählt er im Interview mit Reinhard Seiß, von rechten und linken Gruppen angefeindet, weil er Steuergeld für die Proleten ausgibt und denen Schwimmbäder auf’s Dach baut. Ja, kommen wir dahin, wenn der Klassenunterschied verschwimmt?
Harry Glücks Werk kann als Nachfolge des „Roten Wiens“, dem Wohnbauprogramm der Stadt Wien in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bis ca. 1934, gesehen werden. Damals hat man Wohnhausanlagen wie den Karl-Marx-Hof, den Lassalle-Hof oder den Metzleinsdorfer Hof errichtet, um die Wohnungsnot zu lindern. Zweckmäßige Grundrisse und kleine Geschäfte für den täglichen Einkauf, Kindergarten und Gemeinschaftsräume waren damals das Konzept, das Harry Glück für seine Bauten wiederentdeckt hat.
Das Wohnen in der Stadt mit den Vorzügen der Natur zu kombinieren war eines der zentralen Anliegen Harry Glücks. Sein Credo: Wer eine grüne Terrasse hat, braucht am Wochenende nicht aufs Land zu fahren (und reduziert damit den Verkehr). Die Pools auf dem Dach, die er bei zahlreichen seiner Wohnanlagen errichtete, sah er als bewussten Transfer einer Luxusausstattung hin zum "gemeinen Volk". Da er durch seine effiziente Konstruktionsweise bei der vieles vorgefertigt ist, Einsparungen erzielt hat, kann er das Geld in die besondere Ausstattung investieren. Ein Investment, das sich für die Bewohner bis heute lohnt.
Neben seinen in die Höhe gezogenen Wohnbauten hat Harry Glück, vor am Stadtrand von Wien Häuser und Wohnungen im „verdichteten Flachbau“ errichtet. Eine dieser Siedlungen ist gleich bei mir ums Eck in der Auernheimergasse, in Wien-Essling.
Ach, ich könnte noch viel über Harry Glück und sein Werk schreiben. Wer sich für Architektur interessiert, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen. Nur noch ein Satz, nein zwei Sätze: „ein intelligenter Grundriss kostet nicht mehr als ein gewöhnlicher“ (S. 136) und hätten wir nur mehr solcher Architekten, die FÜR die Bewohner bauen als sich selbst ein Denkmal setzen zu wollen.
Das Buch ist in gediegener Ausstattung als Hardcover mit Lesebändchen im Verlag Anton Pustet erschienen. Es ist ein Überblick über Harry Glücks Werk und enthält zahlreiche grandiose Fotos.
Fazit:
Gerne gebe ich dieser Hommage an den 2016 mit 91 Jahren verstorbenen Architekten 5 Sterne.