Oliver Hilmes ist mit dieser penibel recherchierten Biografie ein völlig anderes Bild von Alma Mahler-Werfel gelungen, als das bislang bekannte „Muse bedeutender Männer“. Der Klappentext trifft es hier genau:
„Die Reihe ihrer Liebhaber liest sich wie ein „Who is who“ der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer war die Frau, die mit Gustav Mahler, mit Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet war, die eine wilde Liebesaffäre mit Oskar Kokoschka hatte und der Gerhart Hauptmann zu Füßen lag? Oliver Hilmes zeichnet in seiner umfassenden Biografie, die sich auf bisher noch nicht ausgewertete Briefe und Tagebücher stützt, das facettenreiche Bild einer Frau, die hysterisch, antisemitisch, herrschsüchtig war – aber auch inspirierend, klug und leidenschaftlich.“
Geboren wird Alma 1879 als Tochter des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler und seiner Frau, der Sängerin Anna Sophie Bergen in ärmlichen Verhältnissen in Wien. Als Emil Schindler einen Künstlerpreis und daraufhin entsprechend gut dotierte Aufträge erhält, entspannt sich die finanzielle Situation. Man zieht um. Schon während der Ehe hat die Mutter mehrere Verhältnisse, u.a. mit Carl Moll, der einige Zeit nach dem Tod Schindlers der Stiefvater von Alma und ihrer Schwester wird.
Alma wächst in einem Künstlerhaushalt mit eher lockeren Sitten auf, erhält nur rudimentäre Schulbildung aber Klavier- und Kompositionsunterricht. Schon mit ihrem Klavierlehrer hat sie ein Verhältnis und Musik wird in ihrem weiteren Leben eine Rolle spielen.
Eine Affäre mit dem weitaus älteren Gustav Klimt kann von Carl Moll gerade noch (?) verhindert werden. Doch dann tritt Gustav Mahler, eben Hofoperndirektor geworden, die Bühne der Alma Schindler. Auch er ist rund 20 Jahre älter, will eigentlich gar nicht heiraten, weil ihm die holde Weiblichkeit auch so zu Füßen liegt. Er schreibt Alma einen 20 seitigen Brief mit einem „Verhaltenscodex“ für ihre Ehe. Alma überlegt kurz und stimmt zu. Man muss sich ja nicht unbedingt daran halten, oder?
Das Leben mit dem Musiker gestaltet sich nicht so, wie es sich Alma erträumt hat. Seine Musik mag sie nicht besonders. Er hingegen hält nichts davon, dass seine Gemahlin komponiert. Recht bald langweilt sie sich und selbst die beiden Töchter (Maria Anna, gestorben 1907 und Anna Justine) interessieren sie wenig. Ihr Ziel, mit einem bedeutenden Mann verheiratet und gut versorgt zu sein, hat sie erreicht. Doch der kränkliche Mahler teilt ihre Leidenschaft für rauschende Feste nicht. Er geht auf Tournee, sie bleibt in Wien. Schon zu Mahlers Lebzeiten beginnt sie unter anderem sowohl mit dem Architekten Walter Gropius als auch mit dem Maler Oskar Kokoschka ein Verhältnis und verheimlicht das gar nicht.
Nach dem Tod Mahlers (1911) wird die nunmehr reiche Witwe von einigen Heiratskandidaten umschwärmt. Sie heiratet jedoch 1915 Walter Gropius. Sie stürzt sich in das Gesellschaftsleben, während Gropius und Kokoschka im Ersten Weltkrieg kämpfen. Sie manipuliert beide so, dass sie lieber ihren Tod an der Front in Kauf nehmen, als vor Alma als Feiglinge dazustehen. Kokoschka wird schwer verwundet und man zweifelt an seinem Aufkommen. Alma nimmt Briefe und Skizzen aus seinem Atelier. Kokoschka überlebt.
1917 lernt sie Franz Werfel kennen, über den sie sich gleich einmal despektierlich äußert: „Werfel ist ein O-beiniger, fetter Jude mit wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen! Aber er gewinnt, je mehr er sich gibt.“
Das hindert sie allerdings nicht daran, ein Verhältnis mit ihm zu beginnen.
Überhaupt sind ihre antisemitischen Äußerungen jenseits des guten Geschmacks. Hier zeigen sich schon Anzeichen einer psychopathischen Störung. Sie hasst Juden, verkehrt aber in deren Salons, nimmt ihr Geld als sie Devotionalien Mahlers verkauft und, nicht zu vergessen, Gustav Mahler war ebenfalls Jude.
1918 bringt sie Sohn Martin zur Welt, von dem nur sicher ist, dass Alma die Mutter ist. Das Kind leidet an einem Wasserkopf und stirbt wenige Monate später einsam in einem Krankenhaus. Das Kapitel Alma und ihre Kinder ist ein ganz spezielles. Sie hat überhaupt keine herzliche Bindung zu ihrem Nachwuchs. Natürlich ist es zu dieser Zeit üblich, Kinder von Kindermädchen und Gouvernanten aufziehen zu lassen. Aber so ein Desinteresse? Anna, die zweite Tochter mit Gustav Mahler, wird ihr ganzes Leben unter den Ausschweifungen der Mutter leiden. Erst sehr spät und in ihrer fünften Ehe wird sie so etwas wie Glück und Beständigkeit erleben.
Manon Gropius wird von Alma als junges Mädchen nackt einer Altherrenrunde präsentiert. Wozu – lässt sich nicht ganz schlüssig beantworten. Manon stirbt 1935 an Kinderlähmung.
Doch zurück zu Franz Werfel: Sie heiratet ihn 1929 obwohl sie bereits 1924 in ihr Tagebuch schreibt:
„Ich liebe ihn nicht mehr. Mein Leben hängt innerlich nicht mehr mit dem seinen zusammen. Er ist wieder zusammengeschrumpft zu dem kleinen, hässlichen, verfetteten Juden des ersten Eindrucks.“ (S.208)
Was soll man dazu sagen?
Das einzig Positive für Franz Werfel ist, dass sie ihn dazu bringt, Romane zu schreiben. Zwar will zu Beginn kein Verlag seine Bücher herausbringen, aber mit Almas Gabe, Menschen zu überzeugen und zu manipulieren, gelingt es ihr Paul Zsolnay zu überreden einen Verlag zu gründen. Dreimal darf geraten werden – Paul ist natürlich Jude.
Während des Ständestaates und des Bürgerkriegs in Österreich in den frühen 1930er Jahren verstärkt sich Almas radikaler Antisemitismus. 1938 fliehen sie über Frankreich und die Pyrenäen nach Amerika. Natürlich hat sich Alma erkundigt, zu welchen, für sie günstigen, Bedingungen sie sich von Franz Werfel scheiden lassen könnte.
Die Emigration hält das Ehepaar nur kurzfristig zusammen. Ihre antisemitische Einstellung führt auch in Amerika zu einigen Eklats. Nach dem Tod von Franz Werfel geht Alma ganz in ihrer Rolle als „Grande Veuve“ auf. Sie schreibt ihre Memoiren, die keiner drucken will, weil Alma nur ihre eigene Wahrheit gelten lässt. Sie sieht sich selbst als „Muse“ vieler Künstler. Dieses Bild wird bis heute noch kultiviert.
Alma Mahler-Werfel stirbt am 11. Dezember 1964 in New York und wird im Februar 1965 in Wien am Grinzinger Friedhof beigesetzt.
Meine Meinung:
Oliver Hilmes hat sich durch bislang unveröffentlichte Briefe und Tagebücher sowohl aus dem Nachlass von Alma Mahler-Werfel als auch von ihren Zeitgenossen gegraben und eine Menge bislang unbekannter Dinge über die Femme Fatale zu Tage gefördert.
Der interessierte Leser wird häufig ob der Manipulationen oder der vielen antisemitischen Äußerungen Almas (die sie ernst meint), tief schlucken müssen.
Was war diese Frau für ein Charakter? Kann es sein, dass sie eine Psychopathin war? Die Anzeichen lassen darauf schließen: Es fehlt ihr an Empathie, sie manipuliert ihre Umgebung um ja den größten Nutzen aus diesen Menschen zu ziehen, ihr übersteuertes Selbstbewusstsein, ihre Theatralik und nicht zuletzt ihre beinahe schon pathologische Promiskuität. Sie spielt Freunde gegeneinander aus und ändert ihre Meinung ständig.
Interessant ist auch ihre hartnäckige Weigerung auf Begräbnisse zu gehen. So hat sie weder ihre verstorbenen Kinder verabschiedet noch hat sie an den Beisetzungen von Gustav Mahler oder Franz Werfel teilgenommen.
Oliver Hilmes räumt mit dem Mythos „Alma sei die Muse vieler Künstler gewesen“ auf. Er zeigt auch die vielen dunklen Facetten des einstmals „schönsten Mädchens von Wien“.
Selten trifft ein Buchtitel so den Kern des Inhalts.
Fazit:
Eine spannende, sehr gut gelungene Biographie von Alma Mahler-Werfel. Ich vergebe fünf Sterne und eine Leseempfehlung.