Der C. H. Beck-Verlag ist für seine sorgfältig recherchierten Sachbücher bekannt, die ich immer mit Genuss lese, enthalten sie doch eine Menge Wissenswertes.
Auch an diese Biografie des letzten Zaren bin ich mit gespannter Erwartung herangetreten. Leider bin ich diesmal enttäuscht worden.
Das Buch ist in elf Kapitel gegliedert, die jeweils eine signifikante Überschrift tragen, wenn man von Kap. 1 (= Einleitung) absieht. Hier hätte ich mir einen groben Überblick zur Dynastie erwartet.
Schon auf den ersten 20 Seiten musste ich feststellen, dass der Autor (oder die Übersetzerin) die Genealogie der Romanows nicht wirklich im Griff hat (S.19). So wird hier eine Abfolge von Herrschern angeführt, die so nicht stattgefunden hat.
„Nikolaj II. erklomm nun den Thron einer Dynastie, die im Zeitraum ihrer Herrschaft seit 1613 dem Russischen Reich die unterschiedlichsten Zaren beschert hatte: den westlich orientierten Reformer Peter I., die aufgeklärte, mit Voltaire korrespondierende Monarchin Katharina II., dann Alexander I., der Bezwinger Napoleons, der durch die Heilige Allianz die europäische Politik mitbestimmte. Schließlich folgten der Erzreaktionär Nikolaj I., sowie einige kurzlebige Übergangsherrscher, darunter Peter II., und Paul I., die von großfürstlichen Rivalen entmachtet bzw. ermordet wurden.“
In Wirklichkeit waren Peter II. und Paul I. Vorfahren von Nikolaus I. (Regierungszeit 1825-1855). Peter II, der Enkel von Peter I. und regierte von 1727-1730. Paul I. war der Sohn Katharinas II. (regierte von 1796-1801) – also keine direkte Nachfolge.
Eine Abbildung des Stammbaums, der im Buch fehlt, hätte hier Abhilfe schaffen können.
Genauso hätte die peinliche Verwechslung auf Seite 114 von Olga (geb. 1895) und Tatjana (geb. 1897) durch einen Blick auf die Ahnentafel vermieden werden können.
Auffällig ist auch, dass öfters genaue Quellenangaben fehlen.
Irritiert haben mich einige Querverweise in die jüngere Geschichte. Z.B. das angebliche Verhalten von Präsident Putin als er vom Untergang der „Kursk“ gehört hat. Soweit bekannt, hat Putin sofort nach Bekanntwerden der Katastrophe seinen Urlaub unterbrochen und ist an den Unglücksort gereist.
Auch dieser Hinweis „Alix, Anja und Grigorij ähnelten den assoziierten Mitgliedern einer GmbH, ohne deren Tätigkeit formal bestimmen zu können.“ (S. 163.) lässt mich die Stirne runzeln. Was will uns der Autor damit sagen?
Mitglieder des Englischen Königshauses nennen ihre Familie manchmal „Firma Windsor“. Wenn hier der Autor einen Scherz machen wollte, so ist der gründlich danebengegangen. Einem Außenstehenden steht eine solche Bezeichnung meiner Ansicht nach nicht zu.
Die Rolle Rasputins innerhalb der Romanows bleibt zum Großteil vage. Allerdings werden die üblichen Spekulationen über seine Ausschweifungen gerne übernommen, dabei ist bekannt, dass sie Teil einer üblen Verleumdungskampagne waren, die von unterschiedlichen Ecken gesteuert wurden.
Das letzte Kapitel trägt, in Anspielung auf Bürger Capet (= Louis XVI.) den Titel „Die Tragödie des Bürgers Romanow“.
Als Ungar hat der Autor natürlich einige Ressentiments Russland (einst und jetzt) gegenüber. Trotzdem haben sich die Mitglieder der Zarenfamilie eine solche abfällige Berichterstattung nicht verdient.
Ich habe mir eine strukturierte Biografie erwartet, die nicht nur Nikolaus II. in den Mittelpunkt stellt, sondern auch das politische Umfeld genauer erläutert. Die Missstände im Land, die Armut der Bevölkerung, die Entwicklung der politischen Strömungen usw. usw. wird nicht thematisiert. Doch all das führt zum Untergang der Romanows und zu dem Umstand, dass Nikolaus II. der letzte Zar Russlands war.
Wer mehr über den letzten russischen Zaren und seiner Familie lesen möchte, muss andere Autoren bemühen.
Fazit:
Dieses Buch wird weder Nikolaus II. noch seiner Gemahlin Alix gerecht, daher nur zwei Punkte.