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Veröffentlicht am 05.08.2022

Eine Hommage an einen fast Vergessenen

Gareth Jones
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„Gareth Jones – Chronist der Hungersnot in der Ukraine 1932/33“


Dieses Buch des polnischen Autors Mirosław Wlekły ist die Biografie eines zu Unrecht längst Vergessenen: Gareth Jones.

Wer ist er nun, ...

„Gareth Jones – Chronist der Hungersnot in der Ukraine 1932/33“


Dieses Buch des polnischen Autors Mirosław Wlekły ist die Biografie eines zu Unrecht längst Vergessenen: Gareth Jones.

Wer ist er nun, dieser Gareth Jones?

Gareth Jones (1905-1935) war ein walisischer Journalist, der in den Jahren 1930, 1931 und 1933 mehrere Reisen in die Sowjetunion unternommen hat. Als Politberater des britischen Premierministers David Lloyd George war er der erste und einzige westliche Journalist, der sich zu jener Zeit in der Ukraine aufgehalten hat und über die dortige Hungersnot berichtet hat. Diese als Holodomor in der Geschichte bekannte Katastrophe ist kein Naturereignis, sondern ein von Josef Stalin bewusst herbeigeführter Tod an der ukrainischen Bevölkerung. Die Bauern wurden enteignet, des Viehs, des Saatgutes und der Ernte beraubt. Wer sich weigerte, dem Kolchos beizutreten wurde entweder gleich ermordet oder nach Sibirien verschleppt. Warum? Das Getreide wurde gegen harte Devisen exportiert, um Maschinen zur Industrialisierung der Landwirtschaft zu kaufen.

Gareth Jones hat dies alles dem Westen berichtet und wurde nicht ernst genommen. Im Gegenteil, man hat seine Recherchen hinuntergespielt und ihn mundtot gemacht. In der Sowjetunion wurde er Persona non grata.

Auf seiner letzten Reise nach Mandschuko, einem von den Japanern zwischen 1932 und 1945 errichteten Kaiserreich in der (eigentlich) chinesischen Mandschurei, wurde Garth Jones entführt und vermutlich vom sowjetischen Geheimdienst ermordet.

Meine Meinung:

Der Holodomor - Töten durch Hunger - war mir zwar bekannt, doch Gareth Jones war es nicht.
Dies Biografie vermittelt einen besonderen Eindruck dieser Jahre. Der Journalist hat Adolf Hitler und seine Gefolge kennengelernt und ist sogar mit ihm in einem Flugzeug geflogen. Dabei sollen die denkwürdigen Worte gefallen, dass wenn das Flugzeug abstürze, die Weltgeschichte eine andere sein würde. Weiter erhalten wir Einblick in die zaudernde Haltung des britischen Premierministers David Lloyd George und in den Wahnsinn Josef Stalins.

Vernichtung der Ukraine um jeden Preis? Kommt uns das bekannt vor? Dass das erste Todesopfers eines Krieges (und sei es ein Krieg gegen die eigenen Bürger) die Wahrheit ist, zeigt dieses Buch deutlich. Niemand im Westen wollte über die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine der dreißiger Jahre lesen. Journalistenkollegen und Politiker haben Gareth Jones mundtot gemacht.

Zahlreiche Ausschnitte aus Briefen und einige Fotos bringen uns die Person Gareth Jones näher. Interessant die These, dass George Orwell, nach einem Treffen mit Gareth Jones, zu seinem Buch „Animal Farm“ inspiriert worden ist.

Mirosław Wlekły, geboren 1978, Reporter, Autor von sechs Sachbüchern und Co-Autor von fünf auf Fakten beruhenden Theaterstücken lebt in Warschau.


Das Buch wurde für das Finale des Literaturpreises »Juliusz« 2020 nominiert, der für die beste polnische Biografie des Jahres vergeben wird. 2020 vom ukrainischen Verlag Choven verlegt, wurde das Buch vom PEN-Club der Ukraine als eines der besten Bücher des Jahres bewertet.


Fazit:

Diese Biografie ist die Geschichte eines Journalisten, der den Mut hatte, die Wahrheit über die Situation in der Ukraine öffentlich auszusprechen und dafür mit seinem Leben bezahlt hat. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 03.08.2022

Eine gelungene Fortsetzung

Auge um Auge, Mord um Mord
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Nach einer größeren Pause lässt Autor Peter Wehle seinen Hofrat Magister Ludwig Halb wieder ermitteln. Eigentlich hat er gar keine Zeit dazu, denn er steckt mitten in den Vorbereitungen zur Hochzeit mit ...

Nach einer größeren Pause lässt Autor Peter Wehle seinen Hofrat Magister Ludwig Halb wieder ermitteln. Eigentlich hat er gar keine Zeit dazu, denn er steckt mitten in den Vorbereitungen zur Hochzeit mit seiner Delia.

Der fünfte Fall für Halb und sein Team beginnt recht eigenartig: Eine Gruppe Ritter überfällt zwei ältere Ehepaare und raubt ihre Wertsachen. Ein Mann kommt nach einem Herzinfarkt gerade noch mit dem Leben davon. Dieser Überfall wird nicht der einzige bleiben und letztlich gibt es auch Tote.

Nun fragt man sich, wer dahinter steckt bzw. wohin die Truppe verschwindet, denn Ausrüstung und Pferde lassen sich ja nicht ganz so leicht verstecken. Bei den Ermittlungen trifft Hofrat Halb auf einen alten Bekannten, der im neuen Gewand seine Verbrecherkarriere weiterführt. Und auch Delias Vergangenheit, die man tunlichst unter den Tisch kehren möchte, kommt wieder ins Spiel.

Meine Meinung:

Peter Wehle hat mit seinem Hofrat Halb einen sympathischen Ermittler geschaffen. Immer wieder macht sich der Autor über die Titelsucht in Österreich lustig. Überhaupt trägt Humor, manchmal schwarz und bitterböse, zum Erfolg dieser Reihe bei. Daneben wird den Tafelfreuden inklusive Mehlspeisorgien gefrönt.

Obwohl es zu Beginn ziemlich gemächlich zugeht, nimmt der Krimi schnell an Fahrt auf und entwickelt sich zu einer komplexen Geschichte, die in einem furiosen Showdown endet.

Die Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet. Immer wieder blitzen Wiener Charme sowie das für Österreich typische „ein bisserl was geht immer“ durch.

Mir ist Hofrat Ludwig Halb und sein Team ans Herz gewachsen. Ich freue mich schon auf einen nächsten Fall und hoffe, diesmal nicht so lange darauf warten zu müssen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem 5. Fall für Hofrat Magister Ludwig Halb, der mich bestens unterhalten hat, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 02.08.2022

Fesselnd bis zur letzten Seite

Flammen über der Marsch
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Mit diesem 8. Fall für Lyn Harms ist Autorin Heike Denzau ein wahres Meisterstück gelungen.

Eigentlich soll einem Brandstifter das Handwerk gelegt werden, der in der Marsch sein Unwesen treibt. Als die ...

Mit diesem 8. Fall für Lyn Harms ist Autorin Heike Denzau ein wahres Meisterstück gelungen.

Eigentlich soll einem Brandstifter das Handwerk gelegt werden, der in der Marsch sein Unwesen treibt. Als die Feuerwehr abermals zu einem Brand gerufen wird, werden zwei tote Frauen gefunden, wobei eine der beiden in einem nahen Bach ertränkt worden ist. Hat der Brandstifter seine „Arbeitsweise“ geändert? Denn bislang gab es nur Sachschaden.

Die Ermittlungen von Lyn Harms und ihren Kollegen führen sie nicht nur zur Familie der beiden Opfer, sondern auch zu einem Vermisstenfall, der bereits vier Jahre zurückliegt.

Je mehr sich die Polizei mit dieser Familie beschäftigt, desto klarer wird: Hier liegen zahlreiche Geheimnisse verborgen. Wie tief diese Abgründe sind, lest bitte selbst.

Meine Meinung:

Als Vielleserin bin ich schon zahlreichen KrimiautorInnen begegnet, doch kaum eine schafft es, mich so zu fesseln wie Heike Denzau.

Der Krimi beginnt beinahe ruhig und entwickelt sich immer mehr zu einer Abfolge von Verbrechen, um das Vorhergegangene zu vertuschen. Das Sprichwort der alten Römer „crimen criminem invocat“ übersetzt: „Ein Verbrechen zieht weitere nach sich“, passt hier perfekt.

Ihre Figuren sind durchdacht, scheinen Menschen wie du und ich zu sein, doch niemand weiß um die tiefen Abgründe dieser Personen. Dass sich einige der irdischen Gerichtsbarkeit entziehen, ist durchaus verständlich, wenn auch mehr als feige.

Sehr gut sind die Passagen, in denen die Leser quasi im Kopf des Täters sitzt, gelungen. Dieses Selbstmitleid, in dem sich der Täter suhlt, ist sowohl für die Ermittler als auch für die Leser schwer zu ertragen. Das beweist auch Reaktion der Polizisten.

So quasi als „Gegenmittel“ zur intensiven Polizeiarbeit dürfen wir aktiv am Familienleben von Lyn Harms teilnehmen. Hier sorgen die beiden Töchter und das Nesthäkchen Emil für heitere Momente. Die Autorin schafft hier eine ausgewogene Mischung, die mir sehr gut gefällt. Bin schon neugierig, ob die Figur der Doro in den nächsten Fällen eine Rolle spielen wird. So Spökenkieker sind eine Bereicherung in jedem Krimi.

Fazit:

Ein kriminalistisches Meisterstück, dem ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 17.07.2022

Wer hat Dora gesehen?

Die Passage nach Maskat
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Man schreibt das Jahr 1929. Es ist Spätsommer und Cay Rademacher entführt seine Leser auf einen Luxusliner, die Champollion, der in Marseille in See sticht und in den Orient fährt.

An Bord ist eine illustre ...

Man schreibt das Jahr 1929. Es ist Spätsommer und Cay Rademacher entführt seine Leser auf einen Luxusliner, die Champollion, der in Marseille in See sticht und in den Orient fährt.

An Bord ist eine illustre Gesellschaft: Anita Berger, Femme Fatale und Nackttänzerin aus Berlin, ein undurchsichtiger Anwalt aus Rom, eine englische Lady und ein Amerikaner, der vorgibt ein Ingenieur zu sein sowie das schwerreiche Kaufmannsehepaar Rosterg, das mit seinem Prokuristen Bertold Lüttgen, der Tochter Dora und deren Ehemann Theodor Jung Richtung Maskat unterwegs sind, um Gewürze einzukaufen.

Theodor, ein traumatisierter Kriegsveteran, ist den Rostergs nicht fein genug, fristet er doch seinen Lebensunterhalt als Reporter der Berliner Illustrierten. Während die Schwiegereltern in einer Suite logieren und mit ihrem Reichtum protzen, sind Theodor und Dora in einem anderen Teil des Schiffes untergebracht. Noch immer gediegen.

Kurz nach der Abreise verschwindet Dora plötzlich und nichts, aber auch wirklich nichts, erinnert daran, dass sie überhaupt an Bord war.
Kapitän, Zahlmeister sowie die Eltern und andere Gäste behaupten, Dora wäre in Hamburg geblieben, um sich ihren Geschäften zu widmen. Man zeigt Theodor Telegramme, die Dora gesendet haben soll.

Dann geht ausgerechnet jener Passagier, der Dora doch an Bord gesehen haben will über Bord und ein Schläger, eines der berüchtigten Ringvereine aus Berlin, der im Zwischendeck reist, wird ermordet.

Wem kann Theodor noch trauen? Ist er durch den langjährigen Gebrauch seiner Medikamente verwirrt?

Meine Meinung:

Cay Rademacher versteht es ausgezeichnet, die zunächst ausgelassene Stimmung an Bord des Ozeanriesen darzustellen: Es wird getafelt, Champagner fließt in Strömen und der Kokainverbrauch steigt mit jedem Tag. Inmitten dieses Tanzes auf dem Vulkan verschwindet Dora.

Die verzweifelte Suche nach seiner Ehefrau bringt Theodor an den Rand des Wahnsinns. Lange ist nicht klar, wer für das Verschwinden von Dora verantwortlich ist. Die Auflösung ist so fesselnd wie ungewöhnlich. Nein, ich verrate nichts - selbst lesen ist angesagt!

Wie wir es von Cay Rademacher gewöhnt sind, sind seine Charaktere bis ins kleinste Detail ausgearbeitet - die Guten wie die Bösen. Und zwielichtige Gestalten gibt es an Bord der Champollion jede Menge. Kaum jemand zeigt sein wahres Gesicht. Auf der Suche nach Dora enthüllt Theodor einige Geheimnisse und gerät mehrmals in akute Lebensgefahr.

Fazit:

Eine komplexe und teilweise verstörende Geschichte, die sowohl Krimi als auch historischer Roman ist. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 17.07.2022

Eine literarisch psychologische Aufarbeitung

Endlich Nora!
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Jens Dahmen ist 55 Jahre alt, als er sich 2018 nach einer tiefen Krise entschließt, endlich seinen „Schamkäfig“, wie er es nennt zu verlassen und sich als ein im falschen Körper Geborener zu outen. Er ...

Jens Dahmen ist 55 Jahre alt, als er sich 2018 nach einer tiefen Krise entschließt, endlich seinen „Schamkäfig“, wie er es nennt zu verlassen und sich als ein im falschen Körper Geborener zu outen. Er hat sich seit seiner Kindheit als Mädchen bzw. als Frau gefühlt, lange an sich gezweifelt, später geheiratet und zwei Kinder bekommen. Erst die schwere Krise zeigt dem bislang erfolgreichen Geschäftsmann, dass er sein Leben ändern muss.

In diesem Buch, das gleichsam eine literarisch-therapeutische Aufarbeitung der Transition vom Mann zur Frau darstellt, zeichnet Nora ihren oft schwierigen und langen Weg auf.

Meine Meinung:

Schon das Cover lädt ein, die Geschichte von Nora zu lesen: der offene Blick und das strahlende Lächeln.

Sehr gut gefällt mir der sachliche und dennoch humorvolle Schreibstil. Sie erzählt von seinen Besuchen in einer Boutique in Hamburg und der professionelle Beratung inkl. Schminkkurs, ihr Herantasten an einen weiblichen Gang mit Stöckelschuhen.

Auch die Zweifel werden beschrieben. Besonders Noras Eltern haben zu Beginn einige Hemmungen und sprechen sie noch lange als Jens an.

Nora Dahmer spricht mit diesem Buch allen jenen, die das Gefühl haben, im falschen Körper zu stecken, Mut zu, sich nicht mehr zu verstellen. Das Buch bricht einige Tabus, die nach wie vor in den Köpfen der Menschen vorhanden sind.

Ich habe dieses Buch mit großem Interesse gelesen, weil der Sohn meiner Freundin gerade die Transition zur Tochter durchmacht und sich die Familie in einer Art Ausnahmezustand befindet. Die amtliche Änderung des Geschlechtes ist bereits durch. Jetzt steht die Hormontherapie an. Hier ist die Verunsicherung bei den Brüdern und deren Ehefrauen deutlich spürbar, denn statt ihre Entscheidung wenigstens zu akzeptieren, wird sie leider scheel angesehen.

Fazit:

Ein gelungenes Buch zu einem sensiblen Thema, dem ich gerne 5 Sterne gebe.