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Venatrix

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Veröffentlicht am 27.07.2022

Einblick in eine längst vergangene Welt

Kuriositäten aus der Reisetasche
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Boris Sandler entführt seine Leser in eine längst versunkene Welt: in die jiddische Welt. Er ist vielen Lesern unbekannt, schreibt er doch auf jiddisch, quasi der Alltagssprache (alt)österreichischer Juden. ...

Boris Sandler entführt seine Leser in eine längst versunkene Welt: in die jiddische Welt. Er ist vielen Lesern unbekannt, schreibt er doch auf jiddisch, quasi der Alltagssprache (alt)österreichischer Juden. Die gelungene Übersetzung stammt von Andrea Fiedermutz.

Der Autor ist 1942 in Beltz, damals Bessarabien heute Moldawien, geboren und ist ein Meister der Erzählkunst. In 21 Essays blickt er in die Seele jüdischer Familien, die seit je her zum Spielball der Politik geworden sind. Dabei fördert er skurrile Geschichten, historische Fakten sowie die Traumata, die durch die Shoa entstanden sind zu Tage.

Mit der dem für das Jiddische so eigenem Humor eröffnet Boris Sandler einen interessanten, für manche Leser, neuen Blickwinkel auf die Reisen der Juden, die jene häufig nicht freiwillig unternommen haben. Selbst die Auswanderung ins Gelobte Land (Israel) oder in die USA hat sich oft zwangsläufig ergeben.

Der Schreibstil ist feinsinnig, humorvoll, mit der für das Jiddische so übliche Ironie. Ein Beispiel dafür ist jene Geschichte („Der schwarze Teller“) der Mutter des Ich-Erzählers, die sich für das „Konzert laut ihren Bestellungen“ von Radio Moskau ein jiddisches Lied wünscht. Tatsächlich wird dann das Lied „Itzig hat schon Hochzeit gehalten“ gespielt. Allerdings bleibt das nicht ohne Folge für die Bestellerin und in der Folge hat Radio Moskau nie wieder ein jiddisches Lied gespielt.

Für Leser, die sich bislang nur wenig oder gar nicht mit dem Jiddischen beschäftigt haben, finden sich Erläuterungen im Anhang.

Fazit:

Diesem Buch, das einen tiefen Einblick in eine verloren gegangene Welt eröffnet, gebe ich gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 27.07.2022

Wohnen & Arbeiten im gesunden Mix

Wie ein lebendiges Stadtviertel entsteht
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Gleich vorab: Dieses interessante Buch ist für Politiker, Stadtplaner und Architekten gedacht. Es holt 18 große Wiener Wohnsiedlungen vor den Vorhang, die nach dem Prinzip „Wohnen & Arbeiten“ in den 80er ...

Gleich vorab: Dieses interessante Buch ist für Politiker, Stadtplaner und Architekten gedacht. Es holt 18 große Wiener Wohnsiedlungen vor den Vorhang, die nach dem Prinzip „Wohnen & Arbeiten“ in den 80er und 90er Jahren errichtet worden sind.

Diese 18 Wohnsiedlungen sind:

Assanierungsgebiet Ottakring
Wohnpark Alt-Erlaa
Wohnpark Sandleiten
Wohnpark Rennweg
Wohnpark Kornäusl
Wohnpark Handelskai
Wohnpark Dresdner Straße
Wohnpark Erdberg
Meiselmarkt
Zentrum Muthgasse
Wohnpark und Hochhaus Neue Donau
Wohnpark Kreuzgasse
Trillerpark
Millenium City
Wohnpark Molkereistraße
Kabelwerk
Liesinger Brauerei
Schloss Liesing

Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie unter der Ära von Finanzstadtrat Hans Mayr initiiert und durchgeführt wurde, der Ansatz eine gute Mischung zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit anzustreben. In der Vergangenheit haben ja reine Wohnschlafstadtteile für mehr Verkehr und gettoähnliche Zustände gesorgt, die nicht mehr anzustreben waren.

Meine Meinung:

Autor Manfred Wasner, selbst Architekt und in einige Projekt eingebunden, berichtet in insgesamt sieben Abschnitten über die Erkenntnisse dieser Wohnbauära. Leider sind die ersten Kapitel ziemlich trocken und voller Statistiken, was keine leichte Kost ist, aber für den Erkenntnisgewinn (Kapitel 5), wie ein gelungener Mix aus Wohnen & Arbeiten aussehen kann und soll, wichtig ist.
Interessant sind dann Kapitel 6 und 7, in der zahlreiche Anekdoten aus der Arbeitsweise der Wiener Stadtpolitik eingeflochten sind.

Als Wienerin, die mehrere Arten zu wohnen kennengelernt hat, hat mich dieses Buch sehr interessiert, vor allem deswegen, weil ich einige Zeit einem Architekten gearbeitet habe.

Man kann aus diesem Buch Erkenntnisse gewinnen, warum das eine Stadtviertel lebendiger als so manch anderes ist. Daher sei dieses Buch den Stadtplanern ans Herz gelegt.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Buch, dessen Zielgruppe sich eher aus Stadtplanern, Architekten und Politikern zusammensetzt als aus „normalen“ Lesern, 4 Sterne.

Veröffentlicht am 27.07.2022

Eine gelungene Fortsetzung

Salzburger Dirndlstich
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Mit diesem zweiten Fall für die Arzthelferin Rosemarie Dorn ist Autorin Katharina Eigner ein herrlicher Mix aus Krimi, Informationen zu Land und Leuten sowie das doch ein wenig schräge Gewese um eine Modenschau ...

Mit diesem zweiten Fall für die Arzthelferin Rosemarie Dorn ist Autorin Katharina Eigner ein herrlicher Mix aus Krimi, Informationen zu Land und Leuten sowie das doch ein wenig schräge Gewese um eine Modenschau gelungen.

Worum geht‘s?
Zu Beginn der Abschlussmodenschau der Modeschule Hallein hört das gesamte Auditorium den Streit zwischen Ella Krimbichler und Susi Dorn, Rosemaries Tochter, bei dem Susi ihrer Kontrahentin wünscht, auf der Bühne umzufallen. Man weiß ja aus der Literatur, dass man mit Wünschen vorsichtig umgehen sollte, denn blöderweise klappt Ella nur wenig später bei der Präsentation ihres Dirndls tot zusammen. Für den Dorfpolizisten Roderich ist Susi natürlich die Verdächtige der ersten Wahl.

Doch Ellas Tod ist nicht das einzige Verbrechen, das Roderich der Susi anhängen möchte: Denn nahezu zeitgleich verschwindet das „Urdirndl“ aus der alarmgesicherten Vitrine. Auch wenn das Kleidungsstück wie ein Bodenwischtuch (auf gut Österreichisch „Ausreibfetzn“) aussieht, ist das Exponat von unschätzbarem Wert.

Wer den ersten Krimi „Salzburger Rippenstich“ gelesen hat, wird wissen, dass Roderich nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte ist. Denn eigentlich haben ja Rosi und ihre beste Freundin Vroni die Verbrechen damals aufgeklärt.

Und so bleibt Rosemarie nichts anderes übrig, als gemeinsam mit Vroni selbst zu recherchieren, um ihre Tochter zu entlasten, zumal auch noch der Schulausschluss droht.

Meine Meinung:

Die Fortsetzung ist gut gelungen, weil auch der rote Faden, nämlich Rosis unbekannte Herkunft wieder aufgenommen wird. Gleichzeitig erhalten die Leserinnen zahlreiche Informationen zu Tracht und Dirndl. Unsere Frau Autorin hat dazu sogar bei der Doyenne der Dirndlschneiderinnen Gexi Tostmann recherchiert. Mit solchen Fakten können Autoren bei mir immer punkten.

Herrlich sind auch wieder die Charaktere ausgearbeitet. Typisch für den Arztberuf ist, dass die Patienten nach ihrer Krankheit tituliert werden. Diesmal finden wir ein Furunkel, eine Hämorrhoide oder einen eingewachsenen Zehennagel unter den Menschen, die in der Praxis nach Hilfe (und Unterhaltung) suchen.

Dem Gebot der Zeit nach, spielt auch das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle. Wobei, eine echte Tracht, eine Lederhose oder ein echtes Dirndl sind von Natur aus nachhaltig. In vielen Gegend Österreichs (und Deutschlands) werden die kostbaren, oft mit Goldfäden bestickten Trachten samt Zubehör wie eine Goldhaube, innerhalb der Familie weitergegeben. Die Schicki-Micki-Dirndl, die beim Oktoberfest oder ähnlichen Gelegenheiten getragen werden, zähle ich jetzt nicht dazu.

Während Roderich nach wie vor an Susi als Täterin für beide Verbrecher festhält, können die Leser an der Seite von Rosi und Vroni andere Spuren erahnen. Die Auflösung ist überraschend und dennoch stimmig.


Fazit:

Alles in allem ein gelungener Regionalkrimi, der jetzt nicht extremer Spannung daherkommt, sondern durch ein Humor und zahlreichen schrägen Typen - wie die Postlerin und Rosemaries Schwiegermutter Hermi - besticht. Gerne gebe ich diesem Salzburger Krimi 4 Sterne.

Veröffentlicht am 25.07.2022

Wien, Tod und Musik

Wiener Lied
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Der Klappentext verspricht einen interessanten Krimi:

Am Sankt Marxer Friedhof wird die Leiche eines jungen Mannes aufgefunden. Was zunächst wie ein Selbstmord aussieht, stellt sich bald als Verbrechen ...

Der Klappentext verspricht einen interessanten Krimi:

Am Sankt Marxer Friedhof wird die Leiche eines jungen Mannes aufgefunden. Was zunächst wie ein Selbstmord aussieht, stellt sich bald als Verbrechen heraus, bei dem musikalisches Talent, verstörende psychische Devianzen und eine Wette auf Leben und Tod die Hauptrolle spielen. Kommissar Harald Selikovskys neuer Fall führt durch ein Wien aus gefährlichen Begegnungen, höchster musikalischer Ausdruckskraft und der Zerrissenheit eines jungen Mannes, der nur ein Ziel kennt: eine Totenmesse fertigzustellen. Gegen alle Umstände. Auf Leben und Tod.

Meine Meinung:

Dies ist der zweite Krimi des in Villach geborenen Autors Gert Weihsmann. Nachdem Ermittler Harald Selikovsky in seinem ersten Fall („Ischgler Schnee“) in Tirol herumgestolpert ist, liest sich dieser Krimi, der in Wien spielt ein wenig „runder“. Die Charaktere sind nicht ganz so kaputt, doch scheint der Autor eine Vorliebe für schräge Typen zu haben.

Diesmal ist Alexander, der junge Tote, ein hochbegabter Autist, der unbedingt ein Requiem wie Wolfgang Amadeus Mozart komponieren will und es wie sein historisches Vorbild nicht beenden kann.

Selikovsky trifft auf Weggefährten des jungen Toten, die ebenso seltsam zu sein scheinen, wie das Mordopfer, muss sich mit selbstgefälligen Profilern herumschlagen und wird mit der höchst lebendigen Vergangenheit seiner verstorbenen Mutter konfrontiert. Lange tappt Selikovsky im Dunklen, muss sich ins Darknet begeben bis sich der Fall dann plötzlich wie von alleine löst.

Ein bisschen zu dick ist mir Selikovskys Homosexualiät, die er, während seiner Ehe und Vaterschaft heimlich auslebt, aufgetragen. Dass ausgerechnet seine Ex-Frau die Mutter von Alexander heiratet und das gleich als Doppelhochzeit von Harald und seinem viel jüngeren Partner ist mir persönlich zu viel.

Gut gefallen hat mir, dass die Kapitelüberschriften des Krimis wie ein Requiem benannt sind: Von „Introitus“ bis „Lux Aeterna“ und der Epilog, passend zur Musik „Coda“ heißt.

Eine Steigerung im Schreibstil ist deutlich zu merken, was vermutlich der Unterstützung durch u.a. Andrea Nagele zu verdanken ist. Ob es noch einen dritten Fall für Harald Selikovsky geben wird?


Fazit:

Besser als der erste Fall, aber trotzdem kann ich nur 3 Sterne vergeben.

Veröffentlicht am 17.07.2022

Wer hat Dora gesehen?

Die Passage nach Maskat
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Man schreibt das Jahr 1929. Es ist Spätsommer und Cay Rademacher entführt seine Leser auf einen Luxusliner, die Champollion, der in Marseille in See sticht und in den Orient fährt.

An Bord ist eine illustre ...

Man schreibt das Jahr 1929. Es ist Spätsommer und Cay Rademacher entführt seine Leser auf einen Luxusliner, die Champollion, der in Marseille in See sticht und in den Orient fährt.

An Bord ist eine illustre Gesellschaft: Anita Berger, Femme Fatale und Nackttänzerin aus Berlin, ein undurchsichtiger Anwalt aus Rom, eine englische Lady und ein Amerikaner, der vorgibt ein Ingenieur zu sein sowie das schwerreiche Kaufmannsehepaar Rosterg, das mit seinem Prokuristen Bertold Lüttgen, der Tochter Dora und deren Ehemann Theodor Jung Richtung Maskat unterwegs sind, um Gewürze einzukaufen.

Theodor, ein traumatisierter Kriegsveteran, ist den Rostergs nicht fein genug, fristet er doch seinen Lebensunterhalt als Reporter der Berliner Illustrierten. Während die Schwiegereltern in einer Suite logieren und mit ihrem Reichtum protzen, sind Theodor und Dora in einem anderen Teil des Schiffes untergebracht. Noch immer gediegen.

Kurz nach der Abreise verschwindet Dora plötzlich und nichts, aber auch wirklich nichts, erinnert daran, dass sie überhaupt an Bord war.
Kapitän, Zahlmeister sowie die Eltern und andere Gäste behaupten, Dora wäre in Hamburg geblieben, um sich ihren Geschäften zu widmen. Man zeigt Theodor Telegramme, die Dora gesendet haben soll.

Dann geht ausgerechnet jener Passagier, der Dora doch an Bord gesehen haben will über Bord und ein Schläger, eines der berüchtigten Ringvereine aus Berlin, der im Zwischendeck reist, wird ermordet.

Wem kann Theodor noch trauen? Ist er durch den langjährigen Gebrauch seiner Medikamente verwirrt?

Meine Meinung:

Cay Rademacher versteht es ausgezeichnet, die zunächst ausgelassene Stimmung an Bord des Ozeanriesen darzustellen: Es wird getafelt, Champagner fließt in Strömen und der Kokainverbrauch steigt mit jedem Tag. Inmitten dieses Tanzes auf dem Vulkan verschwindet Dora.

Die verzweifelte Suche nach seiner Ehefrau bringt Theodor an den Rand des Wahnsinns. Lange ist nicht klar, wer für das Verschwinden von Dora verantwortlich ist. Die Auflösung ist so fesselnd wie ungewöhnlich. Nein, ich verrate nichts - selbst lesen ist angesagt!

Wie wir es von Cay Rademacher gewöhnt sind, sind seine Charaktere bis ins kleinste Detail ausgearbeitet - die Guten wie die Bösen. Und zwielichtige Gestalten gibt es an Bord der Champollion jede Menge. Kaum jemand zeigt sein wahres Gesicht. Auf der Suche nach Dora enthüllt Theodor einige Geheimnisse und gerät mehrmals in akute Lebensgefahr.

Fazit:

Eine komplexe und teilweise verstörende Geschichte, die sowohl Krimi als auch historischer Roman ist. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.