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Veröffentlicht am 18.02.2020

Bildhaftes, sprachlich herrliches Eintauchen in die Belle Époque

Keyserlings Geheimnis
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Das Buch besticht von der ersten Seite an durch eine ausgesprochen schöne Sprache und die bildhafte Schilderung der Szenerie. Wenn wir mit Keyserling durch Schwabing schlendern, dann sieht man es alles ...

Das Buch besticht von der ersten Seite an durch eine ausgesprochen schöne Sprache und die bildhafte Schilderung der Szenerie. Wenn wir mit Keyserling durch Schwabing schlendern, dann sieht man es alles geradezu vor sich, ebenso wie die später vorkommenden Orte – das Haus am See in der Sommerfrische, die einfache Hinterhofwohnung in Wien, das kurländische Schloß. So wie Keyserling in seinen Werken eine damals schon am Rande des Unterganges entlangbalancierende Welt auferstehen läßt, gelingt es auch Modick, uns in diesem Buch in die Belle Époque mitzunehmen. Seine elegante Sprache paßt hier sowohl zur Zeit wie auch zum feinsinnigen Keyserling selbst. Die Handlung ist eher zweitrangig, besonders viel passiert auch gar nicht und doch war ich beim Lesen gebannt und konnte in die Atmosphäre ganz eintauchen.

Wir begleiten den schon an den Folgen seiner Syphiliskrankheit laborierenden Autor Keyserling im Sommer 1901, Aufhänger ist ein Sommeraufenthalt mit Künstlerkollegen am Starnberger See und das Gemälde, das Lovis Corinth in jenem Sommer von Keyserling malt. Das Gemälde ist vorne im Buch abgebildet, was ich sehr gelungen finde, ich habe auch immer wieder mal dahin zurückgeblättert. Auch der Sommeraufenthalt selbst, der Freundeskreis jener Männer, die alle aus dem Kurland (heute Lettland) stammen, ist interessant zu lesen. Schön, wie der Autor hier ab und an den Dialekt einflicht, den ich noch von einer Großtante kenne und der den Unterhaltungen eine gelungen lokale Note gibt. Im Rahmen dieses Sommeraufenthaltes denkt Keyserling immer wieder zurück an frühere Episoden in seinem Leben und so ist auch das Buch selbst episodisch.

Modick bringt uns hier den tatsächlichen Lebensweg Keyserlings gut nahe, auch die Kollegen – wie zB der unerträglich großspurige Wedekind – sind gut getroffen und es werden auch einige Zitate gekonnt eingeflochten. Ja, so könnte es absolut gewesen sein, hier merkt man, daß sorgfältig recherchiert und der historische Hintergrund mit Geschick literarisch verarbeitet wurde. Auch das ansprechende Titelbild passt dazu.

Während ich am Anfang von den sprachlich sehr schönen Naturbeschreibungen angetan war und auch manchen Satz mehrfach las, wurde dieser Kunstgriff der Beschreibungen rasch überbenutzt. Es werden doch gar zu viele Szenen mit solchen Beschreibungen eingeleitet, jede Tageszeitänderung, jedes Wetter, jede Jahreszeit wird so „verarbeitet“ und wenn die Beschreibungen zum Selbstzweck werden und bildhafte Vergleiche von Lichtmustern, säulenartigen Bäumen und dergleichen anfangen, sich ein wenig zu wiederholen, dann beeinträchtigt das leider die Wirkung. Hier wäre weniger mehr gewesen. Auch die Hingabe, mit der der Autor Aufzählungen benutzt, wirkte auf Dauer etwas anstrengend. Blumenarten, Farben, Eigenschaften – was irgendwie aufgezählt wird, wird auch aufgezählt. Die beiden Punkte waren für mich doch leichte Schwächen der ansonsten so wundervoll genutzten Sprache.

Die Ausschnitte aus Keyserlings Lebensweg sind gut gewählt, um seinen Hintergrund, seine Motivation und auch sein eigenes Werk besser zu verstehen. Sein „Geheimnis“ ist dann rein fiktiv. Es gab zwar tatsächlich zu Keyserlings Studentenzeit einen Skandal, über den aber nichts Näheres bekannt ist. Modick schildert uns hier eine fiktive Geschichte, die inhaltlich durchaus als mögliche Erklärung passen würde. Allerdings wird im Buch der „Skandal von Dorpat“ schon vorher so oft erwähnt, daß diese ständigen Andeutungen irgendwann richtiggehend enervierend wurden. Es wäre in dieser häufigen Wiederholung nicht notwendig gewesen, denn so hatte ich von dem „Skandal“ schon genug, bevor er zum Ende des Buches dann Thema wird. So gut diese von Modick geschilderte Episode zu den tatsächlichen Geschehnissen passen könnte – sie wirkte auf mich eher wie ein Antiklimax. Ob das nun an den vorherigen ständigen Andeutungen liegt, oder daran, daß es eine Geschichte ist, die man in dieser Art schon so oft gehört oder gelesen hat und die – abgesehen von einer wirklich originellen Wendung zum Schluß – nichts Originelles hat, weiß ich nicht. Der Zauber des Buches hat für mich aber leider in diesem letzten Fünftel abgenommen.

Trotzdem hat mich die gelungene Sprache, dieser Schreibstil, der mich in die Welt jener Zeit so völlig eintauchen ließ, in den Bann gezogen und das nächste Buch des Autors liegt hier schon bereit.

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Veröffentlicht am 15.02.2020

Gekonnt erzählte komplexe Geschichte

Der rote Judas
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Mit „Der rote Judas“ ist Thomas Ziebula ein hervorragender historischer Kriminalroman gelungen, der die vielschichtigen Nachwirkungen und Nachwehen des ersten Weltkriegs – die persönlichen Tragödien ebenso ...

Mit „Der rote Judas“ ist Thomas Ziebula ein hervorragender historischer Kriminalroman gelungen, der die vielschichtigen Nachwirkungen und Nachwehen des ersten Weltkriegs – die persönlichen Tragödien ebenso wie die politischen Folgen –eindringlich schildert. Das beginnt schon intensiv im ersten Kapitel, welches uns in die Welt jener mitnimmt, die mit massiven Traumata aus dem Krieg zurückkamen – damals etwas flapsig „Kriegszitterer“ genannt – und durch grausame Behandlungsmethoden letztlich noch mehr traumatisiert wurden. Im Laufe des Buches begegnen uns viele Männer, die alle auf irgendeine Art vom Krieg geschädigt wurden und auf jeweils andere Weise versuchen, damit fertigzuwerden. So entwirft der Autor ein Panorama, das diese Auswirkungen lebhaft zeigt, viele der Schilderungen waren für mich schwer zu lesen, weil sie so schonungslos geschildert wurden, und genau so sollten sie auch geschildert werden.

Überhaupt ist der Schreibstil eine Freude. Es finden sich viele herrliche Ausdrücke, die ich teilweise mehrfach las, weil ein solch gekonnter Umgang mit Sprache einfach Freude macht. Formulierungen, die mit wenigen gut ausgewählten Worten ein Bild entstehen ließen, keine langatmigen Passagen, sondern Konzentration auf das Wesentliche, ohne dabei die Atmosphäre zu vernachlässigen. Ganz vereinzelt gab es einige Wiederholungen, die ich ein wenig anstrengend fand, das waren aber wirklich nur Einzelfälle.

Auch äußerlich spricht das Buch an, ich finde, das Titelbild ist ausgezeichnet gelungen. Eine Mischung aus unaufdringlich und eindringlich, gut abgestimmte Farben, mit einem Hintergrundbild, das schon andeutet, daß wir es hier mit einem – durchaus düsteren – historischen Krimi zu tun bekommen. Dem Korrektorat hätte eine sorgfältigere Arbeitsweise dagegen nicht unbedingt geschadet.

Das Düstere des Titelbildes findet sich im ganzen Buch wieder. Das ergibt sich schon aus der Thematik. Man spürt förmlich die Trostlosigkeit, die in diesem Jahr 1920 über dem Land hängt. Es gibt so gut wie keine unbeschwerten Momente, dafür viele dunkle Erinnerungen und wenig Hoffnung. Die historischen Informationen sind ausgezeichnet recherchiert und eingeflochten, nur an einigen sehr wenigen Stellen war die Information eher um ihrer selbst willen erwähnt, so z.B. wenn ein Polizeiinspektor plötzlich über die Funktionsweise von Pedalen bei einer Straßenbahn nachdenkt. Es gibt viele spannende Fakten und ich habe, obwohl ich über jene Zeitepoche nicht uninformiert bin, noch einiges gelernt und das auf unterhaltsame Weise. Auch mein geliebtes Leipzig wurde hier sehr schön erweckt, immer wieder fließen Details ein, werden Informationen gegeben und ergibt sich mit der Straßenbahnlinie 10 eine Art roter Faden, der uns durch das gesamte Buch begleitet. Ab und an war es mir ein wenig zu Straßennamen- und Wegbeschreibungslastig, aber insgesamt habe ich die Reise ins historische Leipzig genossen und mich ohnehin gefreut, daß diese Stadt der Schauplatz der Geschichte war.

Im ersten Teil geht es noch verhältnismäßig ruhig zur Sache, es wird die Handlung nach und nach aufgebaut, der historische Hintergrund erklärt, die Personen eingeführt. Es sind eine Vielzahl Personen, unser Protagonist Paul Stainer hat alleine schon mit acht Kollegen/Vorgesetzten zu tun, die teilweise noch Spitznamen haben und auch die Täter und Mordopfer sind zahlreich, die einzelnen Taten zuerst nicht augenscheinlich verknüpft. Da kam ich manchmal ein wenig durcheinander und brauchte doch eine Weile, mich in die komplexe Geschichte hineinzufinden. Die Komplexität ist aber auch gleichzeitig ein Pluspunkt – hier wurde eine wirklich ausgefeilte Geschichte sorgfältig entworfen, die viele Aspekte und Schicksale miteinander verknüpft und in eines der vielen dunklen Kapitel des Ersten Weltkrieges tief hineingeht. Der zweite Teil bringt uns Tempo und einige überraschende und tragische Wendungen. Auch einige Charaktere entwickeln sich unerwartet.

So bietet „Der rote Judas“ eine intelligent konzipierte und mit Können erzählte Geschichte, die wegen ihrer historischen Informationen ebenso empfehlenswert ist, wie wegen des gelungenen Schreibstils.

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Veröffentlicht am 07.02.2020

Unterhaltsame Reise in das Leben teils ungewöhnlicher Menschen

Montagsmenschen
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Obwohl ich mich nicht weniger für Yoga interessieren könnte, war ich auf dieses Buch neugierig, da es die Schicksale vier unterschiedlicher Menschen verbindet, die sich alle jeden Montag bei der Yogastunde ...

Obwohl ich mich nicht weniger für Yoga interessieren könnte, war ich auf dieses Buch neugierig, da es die Schicksale vier unterschiedlicher Menschen verbindet, die sich alle jeden Montag bei der Yogastunde treffen. Und auch ohne Interesse am Yoga ist dies ein lesenswertes, unterhaltsames Buch - die Detailpassagen zum Yoga habe ich einfach übersprungen, sie sind auch nicht überbordend.

Wir lernen also Nevada, Marie, Poppy und Ted kennen, sowie ihr jeweiliges Umfeld. Interessant ist, welch verschiedene Geschichten hier durch diese vier Menschen zusammenkommen und welch unterschiedliche Stimmungen hier kreiert werden. Die Yogalehrerin Nevada hat mich sehr berührt. Sie muss mit einer furchtbaren Krankheit zurechtkommen. Schon der steinige Weg zur Diagnose wird so hervorragend geschildert, daß man mit Nevada mitfühlt. Nicht genug damit, daß sie damit zurechtkommen muß, daß sie mit dieser Krankheit geschlagen wird, obwohl sie doch alles "richtig" gemacht hat: die eiskalte plötzliche Ablehnung ihrer Kollegen, verbrämt mit heuchlerisch vorgebrachten Yogaweisheiten, ist beim Lesen nahezu schmerzhaft. Dagegen stehen dann die zu Beginn teilweise amüsanten Einblicke in das Leben der unangepassten Poppy und des selbstverliebten Ehemannes der eigentlich patenten Marie. Aber auch hier tun sich dunklere Seiten auf. Nur Ted bleibt durchweg blaß, bekommt auch am wenigsten Raum.

Wir lernen die Charaktere nach und nach immer weiter kennen - manch amüsante Marotte stellt sich als Folge einer belasteten Vergangenheit heraus. Immer wieder baut Milena Moser Rückblicke ein; das hat mich zuerst verwirrt, weil diese so unmittelbar geschehen, die Zeiten ohne Ankündigung wechseln, aber ich habe mich an die Erzählweise schnell gewöhnt und es liest sich unterhaltsam, wie die Autoren die verschiedenen Zeitebenen gelungen verknüpft und und die Persönlichkeit ihrer Charaktere Stück für Stück aufdeckt. Sie nimmt ihre Leser mit auf eine interessante Reise mit vielen unerwarteten Wendungen.

Ab und an waren mir ein paar Dinge etwas zu abgedreht und es ging mir auch immer mehr auf die Nerven, wie widerspruchslos es gerade Ted, Nevada und Marie hinnehmen, von Menschen in ihrem Umfeld abscheulich behandelt zu werden. In dieser Häufung war mir das zu viel. Auch der dann etwas zu sehr auf Happy End getrimmte Schluß war mir etwas zu viel. Aber insgesamt habe ich es genossen, diese Menschen ein Stück ihres Weges zu begleiten und sie immer besser kennenzulernen. Der Schreibstil ist angenehm, liest sich leicht, ohne flach zu sein, widmet sich den Charakteren mit Hingabe.

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Veröffentlicht am 31.01.2020

Zwischen Holzhammer und Zuckerguß

Das Knistern der Sterne
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Das Buch beginnt, trotz etwas holpriger Sätze, recht vielversprechend. Stella wacht im Zimmer einer Jugendherberge auf und begegnet einem freundlich-geheimnisvollen älteren Mann, der sich Balthasar nennt ...

Das Buch beginnt, trotz etwas holpriger Sätze, recht vielversprechend. Stella wacht im Zimmer einer Jugendherberge auf und begegnet einem freundlich-geheimnisvollen älteren Mann, der sich Balthasar nennt und sie auf eine Kreuzfahrt einlädt. Das hat genug Ungewöhnliches, um neugierig zu machen. Wir erhalten einige Andeutungen, daß Stella in einer Lebenskrise ist und erfahren nach und nach etwas mehr über sie. Das ist unterhaltsam und natürlich möchte man auch wissen, was es mit Balthasar und der Kreuzfahrt auf sich hat. Dieser möchte die Kreuzfahrt nämlich komplett abgeschieden in seiner Kabine verbringen, während Stella die Reise praktisch stellvertretend für ihn erleben und ihm jeden Abend beim Essen Bericht erstatten soll. Das Erzähltempo ist recht flott und es werden mehrere Themen angeschnitten, so daß man sich beim Lesen gut unterhalten fühlt. Irritierend fand ich lediglich Stellas sogenannte "Gabe". Sie muss jemanden nur berühren, um dessen Befinden, Probleme, Gefühle, etc. zu spüren, und zwar erscheinen ihr diese Informationen in Farben, Formen und Klängen. Das ist mir zu abgedreht, störte aber an der Stelle noch nicht weiter. So vergeht das erste Viertel des Buches nicht spektakulär, aber angenehm und macht gespannt auf diese Kreuzfahrt. Bewertungsmäßig hätte ich hier 3, eventuell knappe 4 Sterne vergeben.

Als die Kreuzfahrt beginnt, sinkt das Erzähltempo rapide ab. Wir entdecken mit Stella das Schiff, was zu Beginn noch Spaß macht, weil vieles ihr so ungewohnt ist und sie sich ein wenig fehl am Platz fühlt. Das Schiffsleben ist recht authentisch beschrieben. Stella beschließt nun, an jedem Tag der Reise einem Mitmenschen etwas Gutes zu tun. Das hätte das Potential einer interessanten Rahmenhandlung gehabt, uns unterschiedliche Schicksale nahegebracht und Stella bei ihrer eigenen Lebenskrise geholfen. Allerdings wird dieses Thema nicht wirklich durchgezogen. Stella setzt ihr Vorhaben auf der zweiwöchigen Reise insgesamt gerade mal viermal um und das auch eher nebenbei; man erfährt wenig über die Menschen und kann auch über Stellas Methoden manchmal nur den Kopf schütteln - in einem Fall besteht ihre "Hilfe" darin, den Gegenüber nach Kräften vor Kopf zu stoßen. So tröpfelt die "Gutes tun"-Geschichte ein wenig uninspiriert dahin und verliert sich in langatmigen Beschreibungen des Bordalltags. Stella geht frühstücken, steht an Deck, macht rum, liegt in der Sonne, geht zum Kochkurs, zum Yoga, zum Tanzkurs... dieser Mittelteil des Buches schleppt sich ziemlich und ich konnte hier nie mehr als 20 Seiten am Stück lesen, weil ich mich, ehrlich gesagt, einfach gelangweilt habe.

Auch der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig. Es gibt hier sehr viele richtig schöne Formulierungen, die herrlich bildhaft sind, manchmal gelungen humorvoll. Es gibt aber auch viele holprige Sätze und auch die ständige Verwendung des Namens "Stella" an Stellen, wo ein "sie" angenehmer gewesen wäre, wirkt unbeholfen. Beispielsatz: "Stella bekam den Zuschlag sofort, und obwohl sie sich trotz der (...) Klientel, die sie dort erwartete, freute, blieb Stella ganz ruhig."
Eine stilistische Schwachstelle waren für mich die täglichen Abendessen, die Stella mit Balthasar in dessen Kabine einnimmt. Diese sind geschrieben wie ein Tonbandprotokoll, also ausschließlich mit wörtlicher Rede. Das ist nicht mein Fall, kann aber angenehm lesbar sein, wenn es gut gemacht ist. Hier ist es für meinen Geschmack nicht gut gemacht. Die Dialoge beinhalten viel Nebensächliches und auf Dauer war es anstrengend, ständig den Austausch über das Essen zu lesen, der in der Art von "Was ist das? Oh Fisch. Den kenne ich nicht." - "Das ist xy-Fisch, der ...." - "Es schmeckt ungewöhnlich, aber gut." (Kein Zitat, sinngemäßes Beispiel). Dialoge in Büchern sollen entweder relevante Informationen vermitteln oder die Handlung voranbringen. Diese Dialoge tun das zum einem Großteil nicht und lesen sich auch nicht sehr flüssig, auch sonst sind die Dialoge insgesamt keine Stärke des Buches.

Ein Lichtblick war Stellas Freundschaft mit dem Jungen Luis. Diese ist eine Art roter Faden, wirkt nicht so sprunghaft wie viele andere Themen, und es gibt hier rührende Momente. Diese Freundschaft ist auch die einzige Beziehung des Buches, die mich überzeugen konnte.

Ich muß zugeben, daß ich ab der Mitte oft abbrechen wollte, insbesondere als Stella dann auch noch anfängt, sich selbst zu finden und die ersten gewollt philosophischen Kalendersprüche auftauchen, Stella eine tiefe Krise innerhalb von zwei Tagen bewältigt. Das zweite Drittel des Buches zog die Wertung auf 3 wackelige Sterne, aber ich hoffe noch auf einen interessanten letzten Teil und mehr Informationen über Balthasar.

Den letzten Teil fand ich aber leider geradezu unangenehm. Dank Stellas "Gabe" hat sie es geschafft, das Leben aller Leute, denen sie geholfen hat, völlig umzukrempeln und alle danken ihr überschwänglich und halten ausführliche Selbstfindungsmonologe mit Stilblüten wie: "Ich fühle mich, als hätte ich längst überflüssigen Ballast abgeworfen. Und wäre jetzt in der Lage, endlich loszufliegen." Eine zuckersüße Begegnung folgt der andern und die Botschaft ist ebenso süßlich: innerhalb von wenigen Tagen kann man alles ändern, wenn man denn nur will und den richtigen Stups bekommt. Da reicht ein Maskenball von wenigen Stunden, um einen Betrüger dazu zu bringen, sein Leben künftig der Hilfe für Suchtkranke zu widmen. Und wer diese einfache Botschaft noch nicht verinnerlicht, seine Persönlichkeit durch Teilnahme an einem Kochkurs nicht innerhalb von zwei Tagen komplett umgekrempelt hat, bekommt von Stella den Rat mit: "Am Ende ihres Lebens bereuen die Menschen nur eins. Das, was sie alles nicht getan haben." Stella fühlt sich beim Verteilen solcher Allgemeinplätze, die manche Leute als Wandtattoo haben, übrigens tatsächlich "weise". Wir lernen dann noch "Es gibt auf Erden keine größere Macht als einen glücklichen Menschen," und ganz am Ende des Buches, als Stella sich aus Büchern "kluge" Sätze heraussucht, werden wir mit diesen Kalendersprüchen geradezu überschüttet. Das war mir alles viel zu gewollt tiefgründig und dabei so simpel. Das in mehreren Zuckergussschichten dick aufgetragene "Alles wird gut und zwar ganz schnell und beim kleinsten Gedankenanstoß" war viel zu viel, zu übertrieben, zu unecht. Nachdem dann auch das Ende hoffnungslos in heile-Welt-Kitsch versank, konnte ich nur noch den Kopf schütteln.

Am Anfang war noch eine erfrischend freche Note im Buch, dann wurde es belanglos, um dann leider in einer rosa Zuckerwattewolke zu enden. Wer Märchen für Erwachsene mag, wird sich hier vielleicht wohlfühlen, aber ich fühlte mich eher verulkt.

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Veröffentlicht am 30.01.2020

Agatha at her best

Dreizehn bei Tisch
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Mit "Dreizehn bei Tisch" hat Agatha Christie ein Meisterstück abgeliefert. Wir begleiten Poirot und Hastings auf eine verwickelte Mordermittlung. Die am Ort des Mordes gesehene Frau war anscheinend zur ...

Mit "Dreizehn bei Tisch" hat Agatha Christie ein Meisterstück abgeliefert. Wir begleiten Poirot und Hastings auf eine verwickelte Mordermittlung. Die am Ort des Mordes gesehene Frau war anscheinend zur gleichen Zeit bei einem Dinner und wurde dort von zwölf Personen gesehen. Wie kann das sein? Das ist nur der Anfang einer Geschichte, die mit immer neuen Wendungen daherkommt, uns immer neue potentielle Verdächtige präsentiert und uns gelungen zeigt, daß nichts so ist, wie es scheint. So gibt es einige, die ein Mordmotiv hätten, und immer wieder mal rückt jemand näher in den Fokus, doch ergeben sich immer wieder Punkte, die die jeweilige Theorie entkräften. Nach und nach deutet sich an, was geschehen sein könnte, doch fehlt für diesen Tathergang ein Motiv. Und so rätselt man sich voller Vergnügen durch dieses Buch und wird von Agatha Christie immer wieder überrascht und hinter's Licht geführt, jedenfalls ging es mir so. Zum Glück irrt sogar der brillante Poirot hier zwischendurch - wenn es ihm schon so geht, wie soll der normale Leser durchsteigen?

Diese ausgefeilte Geschichte ist zudem auch noch wundervoll erzählt. Viele Agatha-Christie-Bücher finde ich etwas zäh - sich ständig inhaltlich wiederholende Verhöre, erst nach der Hälfte des Buches geschehene Morde, arg behäbige Ermittlungen beeinträchtigen doch öfter mein Lesevergnügen. Hier geht alles flott daher. Kaum haben wir die interessanten Charaktere kennengelernt, wird auch schon eifrig gemordet. Die Ermittlungen sind abwechslungsreich und verlaufen in gutem Tempo. Durch die vielen Wendungen gibt es keine Wiederholungen, man wird in Atem gehalten. Hinzu kommt noch immer wieder durchblitzender Humor. Poirots liebenswerte Eitelkeit bietet dafür natürlich Raum, aber auch sonst gibt es viele witzige Einschübe. Und während ich über Poirot schmunzeln konnte, hat er mich oft durch seinen geschickten Umgang mit seinen Mitmenschen und seine psychologische Raffinesse beeindruckt. Auch die anderen Charaktere sind gut, lebendig gezeichnet.

Hier stimmt also wirklich alles - Erzählweise, Fall, Charaktere. Ein Rundum-Lesevergnügen!

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