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Veröffentlicht am 04.08.2019

Hier wird Geschichte lebendig

Aus großer Zeit
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Immer, wenn ich Walter Kempowski lese, frage ich mich, warum er nicht auf den Lehrplänen steht, warum sein Werk ein solches Schattendasein führt und er in manchen Literaturüberblicken nicht einmal erwähnt ...

Immer, wenn ich Walter Kempowski lese, frage ich mich, warum er nicht auf den Lehrplänen steht, warum sein Werk ein solches Schattendasein führt und er in manchen Literaturüberblicken nicht einmal erwähnt wird. Walter Kempowski ist für mich der mit Abstand beste literarische Chronist der deutsche Geschichte zwischen Gründer- und Nachkriegszeit.

In "Aus großer Zeit" erzählt er uns die Geschichte seiner Großeltern und Eltern, läßt Rostock und Hamburg zwischen Gründerzeit und Erstem Weltkrieg wiederaufleben. Der erste Abschnitt widmet sich der Geschichte der Rostocker Familie Kempowski, der zweite Teil den Hamburger de Bonsacs. Walter Kempowski entwirft hier ein herrliches Gesellschaftsbild, stellt die unkonventionellen, exaltierten und gesellschaftlich etwas skeptisch betrachteten Kempowskis der durch und durch biederen Welt der tiefgläubigen, sparsamen und familienorientierten de Bonsacs gegenüber, die mit dem Nachbar keinen Umgang pflegen, weil er in einer abgelegenen Ecke seines Gartens der Freikörperkultur frönt.

Die Familienmitglieder erstehen durch Kempowskis farbige Erzählart lebendig von den Seiten auf, man sieht sie förmlich vor sich, lernt sie durch ihre kleinen Eigenheiten, typischen Sätze und den Umgang mit anderen ganz hervorragend kennen. Der unverwechselbare Kempowski-Schreibstil, den wir in "Tadellöser und Wolff" in höchster Vollendung erleben dürfen, ist hier noch nicht ganz vorhanden, aber schon sehr erfreulich spürbar.

Der Großteil des Buches besteht aus dem erzählenden Romantext, vor manchen Kapiteln steht eine Auswahl aus Zeitzeugenzitaten, die sehr gelungen dazu beitragen, uns Zeit und Gegebenheiten vor Augen zu bringen. Manche kürzere Kapitel sind Berichte von Menschen aus dem Umfeld der beiden Familien, darunter Hauspersonal, Schulfreunde, Armeekollegen, Nachbarn u.a.. Diese bereichern die Eindrücke sehr, bringen neue Aspekte und Sichtweisen herein.

Die humorvolle Leichtigkeit dieser beiden Teile weicht im dritten und letzten Teil der Düsternis des Ersten Weltkrieges. Hier gelingt es Kempowski ebenfalls hervorragend, diese Zeit auferstehen zu lassen, er stellt auf seine lakonische Art die Schrecken sehr eindringlich dar.

So ist "Aus großer Zeit" ein vielfältiges Sittengemälde jener Jahre, von einer Lebendigkeit und Originalität, die man nur in Ausnahmefällen findet.

Veröffentlicht am 04.08.2019

Traumhafte erste Hälfte, enttäuschende zweite Hälfte

Villa Europa
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Villa Europa hat mich angezogen, weil hier die Geschichte einer norwegischen Familie über mehrere Generationen ("von der Belle Époque bis zum Fall der Berliner Mauer") erzählt wird. Gerade der Blick auf ...

Villa Europa hat mich angezogen, weil hier die Geschichte einer norwegischen Familie über mehrere Generationen ("von der Belle Époque bis zum Fall der Berliner Mauer") erzählt wird. Gerade der Blick auf Norwegen hat mich gereizt, weil ich von der dortigen Geschichte sehr wenig weiß.

Die erste Hälfte des Buches ist ganz wundervoll, hat mich durch die herrliche Sprache, den eigenen Stil gefesselt. Es gibt keine überflüssigen Passagen, der Erzählstil ist konzentriert, zeigt manchmal schön trockenen Humor ("Nicht viel später begann auch Onkel Eilif zu sterben. Er starb nicht so schnell und gekonnt wie Onkel Georg, aber er fing zumindest damit an."). Wir lernen einen angenehm überschaubaren Kreis an (teils skurrilen) Charakteren kennen, das Haus "Villa Europa" tritt fast als eigener Charakter dazu. Hier sind die einzelnen Zimmer nach europäischen Ländern benannt und entsprechend eingerichtet, was im Laufe der Geschichte zu gelungenen kleinen Anspielungen auf die politische Situation führt. Warum das Haus so eingerichtet ist, wird im ersten Kapitel erzählt, aber natürlich gibt es einen Hintergrund. Einige der Räume wurden mir irgendwann so vertraut, daß ich sie vor mir sah.

Gerade die ersten beiden Kapitel sind von Charakteren und Handlung her so ungewöhnlich, daß sie ihren ganz eigenen Zauber ausüben. Während ich manche Gedanken und Aktionen der Charaktere nicht nachempfinden konnte, waren sie doch so interessant, daß ich gerne weiterlas und mich daran erfreute, wie sich Haus, Hauseinwohner und Weltgeschichte ineinander verflochten. Die Weltgeschichte spielt zu Beginn eher eine Nebenrolle, fließt ab und an in Andeutungen ein. Erst ab den Jahren um den Zweiten Weltkrieg herum bestimmt sie Erzählung und Handlung stärker. Hier gibt es ausgesprochen interessante Informationen über Norwegen in dieser Zeit.

Gedankenwelt und Handlungen der Charaktere werden weiterhin gut dargelegt, differenziert geschildert, eine Fülle lesenswerter Themen gab es zu entdecken.

Leider fiel der Zauber des Buches mit der zweiten Hälfte abrupt und unwiderbringlich weg. Während die in der Weltgeschichte so interessanten 60 Jahre zwischen Belle Époque und Nachkriegszeit mit ihren Umwälzungen und Änderungen in der wunderbaren ersten Hälfte des Buches recht rasch behandelt werden (oft hätte ich mir hier mehr Ausführlichkeit gewünscht), ist die zweite Hälfte des Buches den etwa 25 Jahren zwischen Mitte der 60er und 1989 gewidmet. Und das wird leider ziemlich langweilig (wobei ich zugebe, daß mich diese Epoche per se nicht sonderlich interessiert). Die herrliche Sprache, die Konzentration aufs Wesentliche weicht quälend detailfreudigen Dialogen, bei denen man sich oft wie auf einer linken Studentenparty fühlt, so ausgiebig und klischeehaft wird doziert. Die Charaktere haben wenig mehr zu tun, als um sich selbst zu kreisen und sich selbst zu finden. Die psychologische Finesse der ersten Buchhälfte, die spannenden historischen Ereignisse weichen Beziehungsgezacker, politischen Vorträgen und sehr vielen Belanglosigkeiten. Ich hatte teilweise das Gefühl, zwei verschiedene Bücher in einem zu haben. Auch das vorher so präsente originelle Haus, die immerhin namensgebende Villa Europa, tritt in den Hintergrund und das ganze herrliche Geflecht des ersten Teils wird aufgeweicht, dazu noch durch viel zu viele neue, kaum eindrückliche, Charaktere zerfasert.

So sehr ich die erste Hälfte innerlich bejubelte, so sehr ärgerte ich mich über die zweite Hälfte.

Veröffentlicht am 01.08.2019

Geruhsamer Poirotfall mit amüsanten Charakteren

Das Böse unter der Sonne
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In "Das Böse unter der Sonne" fahren wir mit Hercule Poirot in den Urlaub auf eine winzige Insel mit Hotel. Was Hercule Poirot, der weder dem Meer noch dem sich-Sonnen etwas abgewinnen kann, dort möchte, ...

In "Das Böse unter der Sonne" fahren wir mit Hercule Poirot in den Urlaub auf eine winzige Insel mit Hotel. Was Hercule Poirot, der weder dem Meer noch dem sich-Sonnen etwas abgewinnen kann, dort möchte, erschließt sich nicht ganz, aber seine entsprechenden Äußerungen zum Seegang uä sind wieder einmal typisch Poirot und durchaus amüsant.

Die anderen Hotelgäste sind eine ebenfalls amüsante Mischung, wenn auch ziemlich stereotype Abziehbilder ihrer selbst. Das gehört bei Agatha Christie aber auch irgendwie dazu und man muß ihr zugestehen - sie beschreibt diese Stereotype einfach herrlich.

Es läßt sich gemütlich an und nachdem der unvermeidliche Mord geschieht, geht es auch ausgesprochen gemütlich weiter. Ich mag diese klassischen Whodunits, nur hier wurden Verhöre und Unterhaltungen recht detailliert geschildert, und wenn immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden, dann wird das auf Dauer etwas zäh. Das hätte man durchaus anders gestalten können, als den Leser mehrfach den gleichen Dialog mit wechselnden Gesprächspartnern lesen zu lassen.

Es gibt reichlich falsche Fährten und dann eine doch eher unerwartete und originelle Auflösung des Verbrechens. In bewährter Manier sammelt Poirot alle Anwesenden um sich und erläutert seine Überlegungen. Der Mordplan, den er hier aufdeckt ist, wie gesagt, originell, allerdings beruht er auf so vielen unsicheren Komponenten, daß man an der Plausibilität doch sehr zweifeln kann.

So ist "Das Böse unter der Sonne" ein gerade im Mittelteil ziemlich zähes Buch, dem es mE auch allgemein ein wenig an Spannung mangelte. Auf der erfreulichen Seite stehen dafür unterhaltsame Charaktere, herrlich britische Befindlichkeiten und eine originelle Auflösung.

Veröffentlicht am 31.07.2019

Berührendes, persönliches Buch

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist eine Symbolfigur für den deutschen Widerstand gegen die Hitlerdiktatur und man kann allenthalben minutiöse Darstellungen der Ereignisse des 20. Juli lesen, Analysen, ...

Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist eine Symbolfigur für den deutschen Widerstand gegen die Hitlerdiktatur und man kann allenthalben minutiöse Darstellungen der Ereignisse des 20. Juli lesen, Analysen, Lobpreisungen und Kritik. Es wird meistens eher im Vorbeigehen erwähnt, daß seine Familie im Rahmen der "Sippenhaft" ebenfalls in die Mühlen des menschenverachtenden Unrechtsstaates geriet, und die Ehefrau Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg taucht meistens nur kurz als Name in all diesen Schriften auf. In diesem Buch erzählt nun die Tochter der beiden, Konstanze von Schulthess, die längst überfällige Geschichte ihrer Mutter.

Sie tut dies in einem ausgesprochen angenehmen, hervorragend lesbaren Stil, gleitet nie ab ins Sentimentale oder Pathetische (obwohl das bei einem so engen Familienmitglied absolut verständlich gewesen wäre), während ihre Zuneigung und ihre Hochachtung für beide Eltern, insbesondere für die Mutter, stets spürbar ist. Das macht dieses Buch zu einem hochpersönlichen Bericht. Es beginnt mit den Ereignissen am und nach dem 20. Juli, berichtet von der Verhaftung Nina von Stauffenbergs, ihrer Odyssee durch Gefängnisse und das KZ Ravensbrück. Dann folgt ein Rückblick auf die Jugend, Verlobungszeit und die Ehe, dem Weg zum 20. Juli. Das darauffolgende Kapitel geht in die Familiengeschichte Nina von Stauffenbergs, bis hin ins Zarenreich des 18. Jahrhunderts, bevor dann in den folgenden Kapiteln chronologisch berichtet wird, was nach dem KZ folgte. Diese Kapitelanordnung paßte gut, man beginnt als Leser gleich mit dem Geschehen, das uns bekannt ist, erfährt dann Hintergründe und kann schließlich die Familie auf ihrem Weg durch die letzten Kriegstage bis zum Tode Nina von Stauffenbergs 2006 begleiten.

An mehreren Stellen greift die Autorin auf Aufzeichnungen ihrer Mutter zurück, die diese in den 1960gern in einer Familienchronik auf Bitten ihrer Kinder anfertigte. Diese Aufzeichnungen waren vorab unveröffentlicht und bringen neue und interessante Aspekte ein. Sie sind in einem leichten, amüsanten Stil verfaßt, zeigen Nina von Stauffenberg als eine scharfsinnige, gut beobachtende und unterhaltsame Dame, die sich den Verpflichtungen ihrer Herkunft sehr bewußt war und über eine beeindruckende Stärke verfügte. Sie sind ausgezeichnet in den Erzähltext eingeflochten, reichern diesen an, machen ihn noch lebendiger. Kleine Familienanekdoten wechseln mit berührenden Berichten über die dunkelsten Zeiten. Auch ein Text der Mutter Claus von Stauffenbergs ist enthalten. Konstanze von Schulthess reichert dies auch mit persönlichen Erinnerungen, Berichten aus Gesprächen mit ihrer Mutter an. So stehen uns die Familienmitglieder sehr lebhaft vor Augen, treten aus dem geschichtlichen Hintergrund heraus. Es ist eine Familie mit zahlreichen Persönlichkeiten, die in vielerlei Situation Mut bewiesen, sich nicht haben unterkriegen lassen. Die Grausamkeit der Hitlerdiktatur zeigt sich in vielerlei Details, lakonische Sätze wie "Neunjährig wurde er verhaftet" beleuchten die Absurdität jener Zeit.

Ausgesprochen interessant ist auch, wie Nina von Stauffenberg und andere Familienmitglieder die Kraft fanden, in monatelanger Einzelhaft, Unwissenheit über das Schicksal ihrer Kinder oder anderer Angehöriger, zahlreichen Verhören und anderen leidvollen Situationen zu überleben, bei Verstand zu bleiben, Stärke zu finden. Der Ärger Nina von Stauffenbergs über die Art und Weise, wie ihr Ehemann von Historikern über ihren Kopf hinweg, ohne ihre Einbindung, analysiert und historisch seziert wurde, ist verständlich. Gerade hier ist diese persönliche Sichtweise des Buches so wichtig und Konstanze von Schulthess betont auch, daß ihr der Vater, den sie leider nie kennenlernen durfte, nicht vorwiegend als der Held des Widerstandes vermittelt wurde, sondern als der Papa, der Mensch, so wie er von Nina von Stauffenberg nicht die in die Allgemeinheit übernommene Ikone (oder bei manchen unbelehrbaren Idioten der "Volksverräter") war, sondern ihr Ehemann, mit dem sie eine für jene Zeiten ungewöhnliche und partnerschaftliche Ehe fühlte.

Zahlreiche Fotografien runden dieses vielseitige, berührende Buch ab. Bei einem Bild steht als Unterschrift "'Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied', so Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, am 3. August 1944. Fast sechzig Jahre später begeht Nina von Stauffenberg mit 43 Nachkommen in Kirchlauter ihren neunzigsten Geburtstag." Eine sehr symbolische, wichtige Bildunterschrift und ebenso anrührend wie das Gedicht, das Nina von Stauffenberg im KZ Ravensbrück über ihren von der Diktatur ermordeten Ehemann schrieb, das Konstanze von Schulthess bei der Beerdigung der Mutter vorlas und welches das Buch abschließt.

Veröffentlicht am 31.07.2019

Vielfältige und interessante Geschichte mit ein paar Schwächen

Im Wald der Wölfe (Jan-Römer-Krimi 4)
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Der Prolog und das erste Kapitel des Buches setzen die Erwartungen hoch, sind spannend und enthalten schon viele aufregende Hinweise. Jan Römer ist diesmal auf Urlaub im Thüringer Wald, und das durchaus ...

Der Prolog und das erste Kapitel des Buches setzen die Erwartungen hoch, sind spannend und enthalten schon viele aufregende Hinweise. Jan Römer ist diesmal auf Urlaub im Thüringer Wald, und das durchaus wortwörtlich: in einem Ferienhäuschen mitten im Wald. Natürlich wird aus dem Urlaub nichts, denn gleich am Anfang erhält er Informationen über eine seltsame jahrzehntelange Mordserie in der Gegend. Ein im Prolog erwähnter Stasibunker weist uns ebenso wie die Jahre, in denen die ersten Morde begangen wurden, auf Verwicklungen in der ehemaligen DDR hin. Ein mysteriöses Wolfssymbol, das den Toten eingebrannt wird, ist ebenfalls ein vielversprechendes Zeichen auf tiefgehende Hintergründe. Ich muß vorweg sagen, daß diese hohen Erwartungen für mich dann nicht völlig erfüllt wurden.

Der Schreibstil ist angenehm, gute Sprache, leicht zu lesen. Ich war gleich in der Geschichte drin und Jan Römer ist weiterhin ein sympathischer Protagonist - angenehm unperfekt, scharfsinnig, aber nicht frei von Irrtümern. Es ist plausibel, daß er auch im Urlaub von einer ungeklärten Verbrechensserie so gebannt ist, dass er einfach nachforschen muß. Am Anfang wechseln Kapitel über seine spannenden Nachforschungen in Thüringen mit in Köln spielenden Kapiteln, wo seine Kollegin "Mütze" ihn mit Hintergrundrecherchen unterstützt. Diese Kölner Kapitel ließen den Spannungsbogen für mich jedes Mal abrupt abfallen. Das lag weniger an den Recherchen als an dem gefühlsmäßigen Hin und Her und den recht zähen Grübeleien Mützes. Es war schon im ersten Band der Serie absehbar, daß Mütze und Jan - wie es ja leider auch das Gesetz der Romanwelt ist, wenn ein Mann und eine Frau irgendwie miteinander zu tun haben - gefühlsmäßig ein wenig ineinander verstrickt sind. Hier zeigt es sich bei beiden in dem ebenfalls völlig überbenutzten "Nein, ich fühle nichts für ihn/sie, aber ich denke bei jeder Gelegenheit an ihn/sie und erkläre mir dann lang und breit, daß ich nichts für ihn/sie fühle". Das habe ich so schon so oft in Büchern gelesen und es wird dadurch nicht weniger enervierend. Auch sonst war Mütze leider für mich eher wieder eine Schwachstelle des Buches. Ich finde sie als Charakter zu blaß. Dann wird ihr im Laufe des Buches plötzlich eine extrem traumatische Vergangenheit verpaßt, die für den Rahmen der Serie mE viel zu übertrieben, zu überfrachtet ist, und auch nicht mit ihrem bisherigen Wesen stimmig ist. Warum so etwas gewissermaßen nebenbei in die Geschichte reingeworfen werden muß, hat sich mir nicht erschlossen.

Der Fall an sich entwickelt sich durchaus interessant, mit vielen Fährten, mehreren Themen. Die Sicht des Täters und die Hintergründe der Morde erfahren wir in Kapiteln, die in die Vergangenheit zurückgehen. Diese fand ich gelungen ungewöhnlich. Geschichtliche Hintergründe werden gut eingebunden und die Einzelthemen werden am Ende gut und für mich unerwartet zusammengefügt. Einige markante Orte, die eine Rolle spielen, existieren tatsächlich und ein informatives Nachwort weist darauf hin, was mir gefallen hat. Es werden einige lokale Skurrilitäten aufgedeckt, die zwar für die Lösung des Falles nicht relevant sind, aber sich unterhaltsam lesen und die Gesamtatmosphäre des Thüringer Waldes, die Gedankenwelt und Befindlichkeiten schön illustrieren.

Zwischendurch gibt es ein paar Längen, ein paar arg theoretische Ausführungen (und daß eine eher zufällig involvierte Psychologiestudentin ausgerechnet ausführliches Profilerwissen über Serienmörder gedanklich abrufen kann, war schon etwas viel des Zufalles - sie war ohnehin kein überzeugender Charakter für mich). Jan trifft kurz vor dem Ende eine Entscheidung, die ich etwas überflüssig für die Handlung fand. (Unglaubwürdig fand ich es auch, dass Menschen, die sich verfolgt und gefährdet fühlen, einfach in einer einsamen Hütte im Wald bleiben und nicht einmal daran denken, in ein Hotel, einen belebeteren Ort auszuweichen). Insgesamt aber liest sich das Wechselspiel aus Nachforschungen und Rückblicken in die Vergangenheit unterhaltsam, Puzzlestücke finden an ihren Platz, Überraschungen gibt es auch. Da Jan in Thüringen schon recht bald von seinen Kölner Freunden besucht wird, die ihm bei den Nachforschungen helfen möchten, gibt es auch mehrere amüsante Szenen, die sich aus den Gegensätzen der Freunde ergeben. Es ist eine gute Mischung aus Spannung, interessanten Hintergrundinformationen und Humor. Deshalb hat mir das Ende, das zu übertrieben, zu unpassend für die Atmosphäre von Buch und Serie ist (genau wie Mützes Vergangenheit) leider nicht gefallen.

Insofern war "Im Wald der Wölfe" schon ein Lesevergnügen, intelligent ausgedacht und gut geschrieben, aber dieses Vergnügen würde an mehreren Stellen überschattet. Die vier Sterne sind hier ganz knapp erreicht.