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Veröffentlicht am 18.01.2024

Gesichtsregungen lügen nicht

Mimik
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In diesem Psychothriller geht es u.a. darum, um mit Hilfe der Mimik von einzelnen Personen deren Verhalten zu bewerten (z.B. ob Aussagen gelogen oder wahr sind). Was kann man aus den Gesichtsregungen einer ...

In diesem Psychothriller geht es u.a. darum, um mit Hilfe der Mimik von einzelnen Personen deren Verhalten zu bewerten (z.B. ob Aussagen gelogen oder wahr sind). Was kann man aus den Gesichtsregungen einer Person herauslesen? Dafür hat sich Sebastian Fitzek fachliche Beratung von Dirk Eilert geholt, dem führenden Mimik- und Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum. Im Anschluss an das Buch erfährt man mehr über die Arbeit von Dirk Eilert.

Für mein Empfinden ist die Mimik (das Erkennen und die Deutung von Gesichtszügen) nicht die Kernthematik in diesem Buch. Hier geht es vordergründig um etwas anderes. Nämlich darum, um bei einem bestimmten Personenkreis schon frühzeitig herauszufinden, ob diese Personen verhaltensauffällig sind. Krude Verschwörungstheorien und Handlungen prägen diesen Psychothriller.

Die Protagonistin heißt Hannah Herbst. Sie berät als Mimikresonanz-Expertin die Berliner Kriminalpolizei und arbeitet dort eng mit Kommissar Fadil Matar zusammen. Kommt die Polizei bei ihren Ermittlungen nicht voran, beobachtet sie bei Verhören genau die Mimik der Verdächtigen. Dies wird uns anhand von einigen Beispielen im Verlauf des Buches auch erläutert (Bsp.: Das Einpressen des linken Mundwinkels bedeutet Missachtung und emotionale Distanzierung).

Bereits auf den ersten Seiten brennt der Autor ein wahres Feuerwerk an Handlungen ab. Da ist im Prolog die Rede von einer Frau, die zusammen mit ihrem Kind auf einem Gleisbett liegt und sich das Leben nehmen will. Ein paar Seiten später hat sich ein Geiselnehmer Zutritt zu einer Kita verschafft und zwei Kleinkinder als Geiseln genommen.

Folgende Fragen stellen sich mir dabei: Gibt es Zusammenhänge zwischen den geschilderten Ereignissen? Handelt es sich bei einem Modus Operandi oder mehreren vielleicht um Deep Fakes? Schon hier setzt Sebastian Fitzek die Messlatte ziemlich hoch. Kann er diesen Spannungsbogen halten oder sogar noch steigern?

Hannah Herbst erwacht im Gefängniskrankenhaus nach einer OP. Sie wurde schwer verletzt. Da sie an einer hormonell bedingten Körperfunktionsstörung leidet, verliert sie nach operationsbedingten Narkosen ihr Gedächtnis.

Sie befindet sich in der Vollzugsanstalt, da die Polizei sie schwer belastet hat. Sie soll ihren Mann Richard und die Stieftochter Kyra im gemeinsamen Haus erstochen haben. Der zwölfjährige gemeinsame Sohn Paul ist verschwunden. Was ist mit ihm geschehen? Woher hat Hannah diese Stichverletzung?

Es kommt noch schlimmer. Es gibt ein Geständnisvideo von ihr, das Fadil Matar aufgenommen hat. Hier gibt sie zu, ihren Mann Richard und die Stieftochter Kyra umgebracht zu haben. Doch entspricht das der Wahrheit oder spielt ihr der Verlust ihres Kurzzeitgedächtnisses einen Streich?

Nachdem der Spannungsverlauf nach dem furiosen Beginn anschließend mehr mit einer waagerechten Linie zu vergleichen ist, wird die Spannung zum Ende hin doch noch einmal gesteigert. Zwischendrin geschehen Dinge, die eins ums andere Mal für Verwirrung sorgen. So viel sei verraten. Der Plot-Twist zum Ende hin bringt eine unfassbare Wahrheit ans Licht, mit der man nicht rechnen konnte.


Fazit:

Nachdem ich erst kürzlich »Die Einladung« vom gleichen Autor gelesen habe und mich dieses Buch nicht überzeugt hat, konnte bei diesem Psychothriller auch keine Begeisterung bei mir aufkommen.
Die Handlungen und Zusammenhänge finde ich bei Fitzek schwer nachvollziehbar.
Die Struktur ist verworren und nicht leicht lesbar.
Aber vielleicht ist es gerade das, was ihn von anderen Autoren abhebt. Bei Psychothrillern von z.B. Arno Strobel oder Linus Geschke finde ich mich jedenfalls besser aufgehoben.
Immerhin ist das Thema Mikroexpression (flüchtige Gesichtsausdrücke, die Sekundenbruchteile dauern) interessant und wird durch das fundierte Wissen von Dirk Eilert in den Plot eingebracht und auch anhand von einigen Beispielen erläutert.
Mehr als zwei Sterne sind aus meiner Sicht allerdings nicht angebracht.

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Veröffentlicht am 31.12.2023

Eine unvorstellbare Klimakatastrophe

White Zero
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Das ist der zweite Klimathriller des unter dem Pseudonym schreibenden Schriftstellers Thilo Falk. Nach seinem ersten Thriller »Dark Clouds«, in dem es um Überschwemmungen infolge von Starkregen und Sturmfluten ...

Das ist der zweite Klimathriller des unter dem Pseudonym schreibenden Schriftstellers Thilo Falk. Nach seinem ersten Thriller »Dark Clouds«, in dem es um Überschwemmungen infolge von Starkregen und Sturmfluten geht, widmet er sich in diesem Werk einer Eiszeit, die Deutschland und ganz Mitteleuropa in Atem hält. In Zeiten des Klimawandels drängen immer mehr Bücher auf den Markt, die sich mit diesem Thema befassen.

Eine Eiszeit ist keine Erfindung des Autors. Das hat es schon gegeben. Allerdings geht hier die letzte kleine Eiszeit zurück auf Anfang des 15. bis ins 19. Jahrhundert hinein. Ursachen dafür waren die zunehmende Schwäche der Sonne. Die Sommer blieben kühl und feucht. Klimatologen fürchten, dass solche Verhältnisse wiederkehren könnten. Zum jetzigen Zeitpunkt undenkbar, wo die Sommer immer heißer werden und die Trocken- bzw. Dürreperioden zunehmen. Das hat aber nichts mit dem hier geschilderten Szenario zu tun.

Die Protagonisten dieses Thrillers sind die Geophysikerin Dr. Jana Hollmer, ihr Partner Clemens Bach und der holländische Reeder Titus van Dijk. Dieses Trio macht sich quasi auf den »Weg«, um die Welt zu retten. Ein gehörloser Beagle spielt ebenfalls eine Rolle. Der Hund gehört Jana Hollmer. Ich habe mir die Frage gestellt, was will der Autor damit aussagen? Sollen hier persönliche Empfindungen mehr in den Vordergrund gestellt werden? Bei jeder Unternehmung ist das Tier mit dabei, auch wenn sie noch so gefährlich ist. Das ist unrealistisch.

Die Einleitung beginnt mit der Überschrift »Fünf Jahre später«. Die kleine Emily drängt ihre Mutter Jana zu erzählen, wie diese und ihr Papa die Welt gerettet haben. Dass lässt schon einen gewissen Schluss zu, wie die Geschichte ausgehen könnte.
Die Erde über Deutschland und Mitteleuropa ist mit einer dicken Eisschicht überzogen. Die einzelnen Kapitel berichten aus verschiedenen Regionen bzw. deren Landeshauptstädten, wo die Temperaturen im zweistelligen Minusbereich liegen.

Ständig wechseln die Schauplätze der Handlung, immer wieder neue Figuren kommen hinzu – auch nach ca. 60 Seiten fehlt mir ein roter Faden. Die Figurenzeichnung ist unübersichtlich und macht es nicht einfach, den Überblick zu behalten.

Es wird ein interdisziplinärer Krisenstab gebildet, der neben Dr. Jana Hollmer aus Wissenschaftlern, Politikern und Industriellen besteht. Von diesem Krisenstab gehen wenig bis keine Impulse aus, schon gar keine Ansätze für eine Ursachenforschung.

Handlungen, die zunächst nicht mit dem Geschehen direkt in Verbindung zu bringen sind (Bsp. Das Leben von Eric und Anton mit ihrer Tochter Lulu oder die kranke Ulrike mit ihrer Tochter Amelie) ergeben plötzlich Sinn. Sie können den Krisenstab bzw. Jana Hollmer mit wichtigen Informationen unterstützen. Das hat der Autor geschickt gemacht.

Andererseits kommen Dinge zur Sprache, deren Aufklärungen der Autor dem Leser/der Leserin schuldig bleibt (z.B. wird Jana auf dem Heimweg von einem Unbekannten angegriffen, der ihr die Tasche mit wichtigen Dokumenten entwendet – sie vermutet einen Maulwurf im Krisenstab). Während der Autor ansonsten ausführlicher die Dinge beschreibt, bleibt es hier vage.

Dass das Buch von einem Journalisten geschrieben wurde, ist unverkennbar. Immer wieder eingefügte Zeitungsberichte, Nachrichtenmeldungen und Interviews lassen die Spannungswelle abnehmen. Das lähmt die Handlung. Von einem Thriller erwarte ich mir mehr Spannung und nicht nur vereinzelte Spannungsmomente.

Erst auf den letzten ca. 50 Seiten kommt es zu einem unheimlichen »Showdown« – das ist mir bei einem Buch von über 440 Seiten zu wenig. Und was man im Laufe des Romans erfährt – erst als Vermutung, dann als Gewissheit – wie es zu dieser Eiszeit kommen konnte, ist mir einfach zu fiktiv. Offensichtlich ist es nicht einfach, eine Brücke zum Klimawandel und zur Realität zu schlagen. Die Fiktion sollte trotz allem nachvollziehbar sein.

Fazit:

Das Buch liest sich eher wie ein Sachbuch als ein Thriller. Man erfährt auch reale Dinge. Zum Beispiel kann der Eiffelturm an kalten Wintertagen bis zu 15 cm schrumpfen, was für das menschliche Auge natürlich nicht sichtbar ist. So etwas bewerte ich positiv in diesem Buch.
Trotzdem hat mich die Handlung nicht mitgenommen und ich bin mir nicht sicher, ob ich von diesem Autor ein weiteres Buch lesen möchte.
Für meinen Geschmack gibt es bessere Thriller, die sich mit dem Thema Klimawandel befassen (bspw. »42 Grad» von Wolf Harlander).
Letztlich stellen sich mir zwei Fragen: Kann man die Ursache für diese Eiszeit finden bzw. rückgängig machen und können die Menschen in der Zukunft wieder in ihre gewohnte Normalität zurückfinden?
Für dieses Buch kann ich leider nur 2 Sterne vergeben.

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Veröffentlicht am 21.12.2023

Eine junge Familie am Rande des Untergangs

Kleiner Mann – was nun?
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Dieser Roman ist eine hervorragende Milieustudie, die überwiegend im Berlin der 30er-Jahre spielt. Wer sich für deutsche Zeitgeschichte interessiert, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen. In ...

Dieser Roman ist eine hervorragende Milieustudie, die überwiegend im Berlin der 30er-Jahre spielt. Wer sich für deutsche Zeitgeschichte interessiert, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen. In lediglich vier Monaten hat Fallada dieses Buch geschrieben.

Die ganze Tragweite dieser Epoche kommt zum Ausdruck. Die Weltwirtschaftskrise steuert auf ihren Höhepunkt zu und die Weimarer Republik neigt sich dem Ende entgegen. Die Nationalsozialisten erstarken immer mehr und stehen kurz vor der Machtergreifung. Die Arbeitslosigkeit nimmt rasant zu. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wird immer deutlicher. Vor diesem Hintergrund wird das Schicksal der kleinen Familie Pinneberg stellvertretend für eine ganze arme Bevölkerungsschicht in Deutschland erzählt.

Johannes Pinneberg (23 Jahre, gelernter Buchhalter) und Emma Mörschel (22 Jahre, ohne Beruf) leben beide in Ducherow, einem kleinen Dorf im heutigen Landkreis Vorpommern-Greifswald. Sie begegnen sich zufällig bei einem Spaziergang in den Dünen und schnell kommen sie sich näher. Emma wird schwanger und die beiden heiraten. Im weiteren Verlauf wird Emma Johannes nur »Junge« nennen und er sagt »Lämmchen« zu ihr. Sowohl während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt wird der kleine Sohn »Murkel« genannt. Ein einziges Mal wird sein richtiger Name Horst erwähnt.

In Ducherow wohnen sie gemeinsam in einer Dachwohnung zur Untermiete. Pinneberg hat Arbeit bei einem Getreidehändler, die er aber aufgrund schwacher Auftragslage verliert. Sie ziehen in die Großstadt nach Berlin, wo sie zunächst in einem Zimmer bei Pinnebergs Mutter wohnen.

Er findet Arbeit als Verkäufer in der Konfektionsabteilung des jüdischen Kaufhauses Mandel. Dort läuft es zunächst gut für Pinneberg und sie finden eine Mansardenwohnung, die gerade ausreichend zum Wohnen ist.

Aber auch bei Mandel ändern sich die Zeiten. Die Verkaufslage stagniert und die Geschäftsleitung führt eine tägliche Verkaufsquote ein. Als Pinneberg bei einem Kunden übergriffig wird, da er ihm unbedingt etwas verkaufen will, um seine Quote zu erreichen, beschwert sich der Kunde und Pinneberg wird fristlos entlassen.

Sie ziehen in eine Gartenlaube eines ehemaligen Arbeitskollegen und Freund von Pinneberg. Dort leben sie fortan von Pinnebergs Arbeitslosengeld und kleinen Handarbeiten, die Lämmchen bei fremden Leuten verrichtet.

Es hat mich beeindruckt, wie Fallada die beiden Hauptpersonen aber auch andere Figuren in deren Umfeld charakterisiert hat. Pinneberg ist oft wütend und aufbrausend – er ist mental schwach und lebt in ständiger Angst, dass er arbeitslos wird und die kleine Familie nicht mehr genügend Geld zum Leben hat. Ganz anders Lämmchen, denn sie ist die Starke in dieser Ehe. Sie gibt ihrem Jungen immer wieder Halt, tröstet und beruhigt ihn. Auch in Zeiten ihrer Schwangerschaft, als sie mehr Unterstützung nötig gehabt hätte.

Im Gegensatz zu den meisten Büchern überschreibt Fallada die einzelnen Kapitel nicht mit einer Zahl oder einer Person, sondern er beschreibt in kurzen Stichworten, was den Leser als nächstes erwartet. Zudem hat Fallada eine Gliederung im Stil eines Theaterstücks seinen Kapiteln übergeordnet (Vorspiel – Die Sorglosen; Erster Teil – die kleine Stadt; Zweiter Teil – Berlin; Nachspiel – Alles geht weiter).

Vieles, was Fallada schrieb, war zeitkritisch. Er widmete sich in seinen Büchern gesellschaftskritischen Themen. Sein vierter Roman »Kleiner Mann – was nun?« wurde 1932 erstmals in einer gekürzten Fassung veröffentlicht und verschaffte ihm den Durchbruch als Schriftsteller. Das Buch wurde ein Welterfolg.

Aus heutiger Sicht handelte es sich bei den damaligen Streichungen im Originalmanuskript um das Lokalkolorit der auslaufenden zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre. Vor dem Hintergrund politischer Ereignisse und der wirtschaftlichen Lage sollten mögliche Irritationen vermieden werden.

Fazit:

Der Titel des Buches könnte nicht besser gewählt sein, obwohl das Ursprungsmanuskript noch mit »Der Pumm« überschrieben war.
Sowohl die Schreibweise als auch der Schreibstil sind für heutige Verhältnisse gewöhnungsbedürftig, man muss sich darauf einlassen, um Spaß am Lesen dieser Lektüre zu haben. Es werden Begriffe verwendet, die man so heute nicht mehr benutzt oder nicht kennt (bspw. »Er hat gesohlt« anstelle von »Er hat gelogen«).
Orthografie und Interpunktion folgen bei dieser Neufassung der neuen deutschen Rechtschreibung.
Auch sogenannte Cliffhanger kommen vor, wobei es zu dieser Zeit diesen Begriff nicht gab (Bsp.: Pinnebergs Freund Heilbutt verschwindet plötzlich von der Bildfläche; einige Episoden später wird wieder von ihm die Rede sein, da er den Pinnebergs seine Laube vermietet).
Für mich eindeutig eine Fünf-Sterne-Bewertung.

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Veröffentlicht am 04.12.2023

Der Wolf im Schafspelz

Kaltherz
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Nach seinem Debütroman »Ausweglos« aus dem Jahr 2021 präsentierte der österreichische Schriftsteller mit »Kaltherz« 2022 seinen zweiten Thriller.

Die fünfjährige Marie Lipmann ist seit viereinhalb Monaten ...

Nach seinem Debütroman »Ausweglos« aus dem Jahr 2021 präsentierte der österreichische Schriftsteller mit »Kaltherz« 2022 seinen zweiten Thriller.

Die fünfjährige Marie Lipmann ist seit viereinhalb Monaten verschwunden. Clara, die Mutter von Marie, lässt ihre Tochter kurz allein im Auto. Als sie von der Toilette wiederkommt, ist Marie nicht mehr da. Ein Alptraum beginnt für die Eltern.

Die Eltern Clara (28 Jahre) und Jakob Lipmann (37 Jahre) kommen aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Während Clara in verschiedenen Heimen aufgewachsen ist, wuchs Jakob in einem behüteten und gut betuchten Elternhaus auf. Clara ist depressiv und suizidgefährdet. Jakob klettert berufsmäßig auf der Karriereleiter ständig nach oben (da stellt sich mir die Frage: Unter welchen Umständen?) und lässt sich auch vom Verschwinden der kleinen Tochter und den Selbstmordgedanken seiner Frau nicht aus der Bahn werfen.

Längst ist der Charme der ehemaligen Liebesheirat verflogen. Lediglich Clara ist nach wie vor verliebt in ihren Mann. Jakob will nur eins – er will seine Tochter zurück, die er abgöttisch liebt.

Auf der anscheinend ausweglosen Suche wird Clara schlussendlich an ihren Selbstvorwürfen zerbrechen, da sie sich die alleinige Schuld am Verschwinden ihrer Tochter gibt. Da Jakob keine öffentliche Fahndung möchte Obwohl Jakob die Öffentlichkeit heraushalten möchte, kann er nicht verhindern, dass die Polizei ermittelt. Zumal Marie nicht das einzige Kind ist, dass in München entführt wurde.
konzentriert sich die Die Suche konzentriert sich zunächst auf das Kindermädchen, das aber auch spurlos verschwunden ist.

Die Kommissarin Kim Lansky übernimmt den Fall. Der bisherige leitende Ermittler Norbert Krüger in dem Vermisstenfall ist kürzlich verstorben. Es bietet sich daher an, jemand unbedarftes mit den Ermittlungen zu betrauen. In den Aufzeichnungen von Krüger wird Lansky später brauchbare Hinweise finden.

Lansky war bis vor kurzem vom Dienst suspendiert, da sie sich nicht an die Regeln des Polizeidienstes hält. Sie hat ihre eigenen Ermittlungsmethoden. Sie ist sehr impulsiv, reagiert emotional und hält sich nicht immer an das Gesetz. Das kommt bei den Vorgesetzten nicht gut an, und es sind Konfrontationen im Umgang mit möglichen Verdächtigen entstanden.

Die Kommissarin hat schon in verschiedenen Dezernaten gearbeitet: Cybercrime, Glücksspiel, Urkundenfälschung. Kriminalhauptkommissar Theo Rizzi setzt sich für sie ein. Rizzi und Lansky kennen sich bereits aus Kindheitstagen. Er kann seine Vorgesetzten dazu bewegen, Lansky eine allerletzte Chance zu gewähren und sie als Ermittlerin im Vermisstendezernat einzusetzen. Als die Ermittlungen aus dem Ruder laufen, erinnert sich Lansky an Pater Helman, an den sie sich schon als Kind in schwierigen Situationen gewendet hat.
Die Hauptfiguren Clara und Robert Lipmann, deren Tochter Marie und die Kommissarin Lansky erzählen jeweils in sich abgeschlossenen Kapiteln in der Ich-Form. Deren jeweiliger Name wird der Beschriftung der Kapitel vorangesetzt. Das macht die Handlungsabläufe überschaubar – sehr gut!

Gefühlte 260 Seiten präsentiert der Autor einen solide geschriebenen Thriller, in dem es allem Anschein nach um einen Entführungsfall geht. Die Ermittlungen stocken und die Polizei stochert in den wenigen Hinweisen ohne klaren Ansatz. Danach wird endlich ein hoher Spannungsbogen aufgebaut. Ein Twist reiht sich an den nächsten, und man ist gar nicht mehr gewillt, das Buch aus den Händen zu legen. Der Autor legt immer wieder neue Fährten. Zum Ende hin stellt sich alles anders dar als vorab vermutet, und es folgt ein ebenso überraschendes wie furioses Ende.

Fazit:

Eine starke Charakterzeichnung der Figuren ist ein Pluspunkt für den Autor. Mit dem Setting hatte ich zu Beginn des Plots Probleme.
In den ersten 40-50 Seiten musste ich mich überwinden, um weiterzulesen. Der Funke wollte einfach nicht überspringen, und ich konnte auch keine klare Linie erkennen.
Danach setzte eine Wende ein. Endlich bekam ich ein Gespür dafür, um was es hier in Wahrheit geht.
Es entwickelte sich ein Thriller, erst mit mittlerem Spannungspotential, um dann förmlich zu »explodieren«. Der Schreibstil nimmt in gleichem Maße zu wie die Handlung, zuweilen mit lustigen Vergleichen (Bsp.: »So hänge ich an der Decke, kopfüber wie Spiderman, mit dem Unterschied, dass dessen Lunge nicht rasselt wie die Percussion-Sektion einer Rumba-Band«). Solche Vergleiche finde ich immer amüsant.
Unzählige Überraschungen erwarten den Leser/die Leserin. Da sich der Plot geraume Zeit für mich nicht als Pageturner erwiesen hat, gebe ich vier Sterne.

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Veröffentlicht am 26.11.2023

»Was ich sage, muss geschehen!«

SCHWEIG!
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Judith Merchant ist eine ausgezeichnete Erzählerin, die großen Wert auf einen psychologischen Tiefgang legt.

Der Inhalt des Buches würde eine hervorragende Grundlage für ein Kammerspiel geben. Wenige ...

Judith Merchant ist eine ausgezeichnete Erzählerin, die großen Wert auf einen psychologischen Tiefgang legt.

Der Inhalt des Buches würde eine hervorragende Grundlage für ein Kammerspiel geben. Wenige Figuren machen den Inhalt überschaubar. Der Schwerpunkt liegt auf den psychologisch ausgerichteten Gesprächen zwischen den Figuren.

Esther und deren jüngere Schwester Sue könnten nicht unterschiedlicher sein und haben sich schon als Kinder nicht gut verstanden. In Rückblenden gewährt die Autorin Einblicke in die Kindheit der beiden Schwestern.

Aus Esthers Sicht hat sich eine gewisse Hassliebe gegenüber ihrer Schwester entwickelt. Sue möchte einfach von ihrer Schwester in Ruhe gelassen werden und am besten nichts von ihr hören und sehen.

Esther ist verheiratet und hat sowohl einen Sohn als auch eine Tochter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt. Sue hat sich von ihrem Mann Robert getrennt, ist kinderlos und lebt einsam im Wald in einem viel zu großen Haus. Von Robert wird man im weiteren Verlauf nichts mehr lesen, geschweige denn hören. Er ist nicht Gegenstand der Handlung.

Esther und Sue erzählen in der Ich-Form, später im Buch wird auch Esthers Mann Martin die Geschehnisse aus seiner Sicht erzählen. Ein sehr interessanter Schreibaspekt und was mir besonders gut gefallen hat: Die Autorin schreibt einzelne Begebenheiten und Handlungen jeweils aus der Sicht der beiden Schwestern – die Schilderungen laufen dabei völlig auseinander.

Esther ist sehr dominant, selbstsüchtig und hat narzisstische Züge. Sie will ihre jüngere Schwester Sue beherrschen, weil sie denkt, dass Sue sonst untergehen wird. Später wird man erfahren, dass Esther ihren Mann Martin demütigt und auch oft drangsaliert (Bsp.: weil Martin nachts schnarcht, näht sie ihm Tennisbälle in das Rückenteil des Schlafanzuges, damit er im Bett nicht mehr auf dem Rücken liegen kann – und den Schlafanzug darf er auch nicht wechseln). Keiner beherrscht diese Klaviatur besser als Esther. Martin wehrt sich nicht dagegen und ertränkt seinen Kummer lieber im Alkohol.

Einen Tag vor Heiligabend macht Esther sich auf den Weg zu Ihrer Schwester. Sie möchte ihr wie jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk und eine Flasche Wein bringen. Aber sie möchte ihre Schwester auch überreden, mitzukommen in die Stadt in ihre Wohnung, um gemeinsam Weihnachten zu feiern.

Und dies, obwohl die drei an das vergangene Weihnachtsfest keine guten Erinnerungen haben. Martin ist von der Idee nicht angetan und auch Sue möchte partout verhindern, gemeinsam mit Esthers Familie Weihnachten zu feiern. Eigentlich müsste auch Esther schlechte Erinnerungen an das gemeinsame Weihnachtsfest im vergangenen Jahr haben, an dem Sue psychisch so instabil war, dass man sogar einen Notarzt rufen musste. Aus den ganzen Schilderungen heraus wird man den Verdacht nicht los, dass da noch etwas anderes war.

Das nahende Ende des Buches ist hervorragend konstruiert. Wieder wird alles nach dem Willen von Esther ablaufen und ein Ereignis sorgt dafür, dass Sue auf das Wohlwollen ihrer Schwester angewiesen sein wird.

Fazit:

Das Buch ist übersichtlich in nicht zu lange Kapitel aufgeteilt. Die Kapitelüberschriften nehmen Bezug auf die jeweils betreffende Person. Der Schreibstil ist angenehm und flüssig zu lesen.
Da sich das Setting auf lediglich drei Personen bezieht (Esther, Sue und Martin) und sich die Handlung entweder zuhause bei Esther und deren Familie oder im Haus von Sue abspielt, ist das Buch sehr übersichtlich. Man könnte es ohne weiteres in einem durchlesen. Ich habe mich jedenfalls gut unterhalten gefühlt und gebe fünf Sterne.

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