Profilbild von VoKa

VoKa

Lesejury Profi
offline

VoKa ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit VoKa über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.02.2024

Das Jüngste Gericht

Seven Days
0

Wie üblich bei der Eddie Flynn-Reihe von Steve Cavanagh werden wir etwas über die Vita des New Yorker Strafverteidigers erfahren. Flynn hat nicht immer auf der Seite des Rechts gestanden. Als ehemaliger ...

Wie üblich bei der Eddie Flynn-Reihe von Steve Cavanagh werden wir etwas über die Vita des New Yorker Strafverteidigers erfahren. Flynn hat nicht immer auf der Seite des Rechts gestanden. Als ehemaliger Trickbetrüger kennt er alle Schliche aus dem Milieu, die er auch heute ab und zu anwendet, wenn es hart auf hart kommt (ist in diesem Thriller leider etwas zu kurz geraten).

In einem spannungsgeladenen Prolog erfahren wir, wie Bezirksstaatsanwalt Randal Korn in der Kleinstadt Buckstown in Sunville County im US-Bundesstaat Alabama den 25 Jahre alten Darius Robinson auf den elektrischen Stuhl schickt. Cavanagh beschreibt dabei im Detail, wie eine Hinrichtung vonstattengeht. Das hat mich sehr berührt.

Korn ist ein narzisstischer Sadist, der allein über Leben und Tod entscheidet. Man nennt ihn auch König der Todeszellen. Sowohl den Sheriff und dessen Deputys als auch den Richter hat er dabei zunächst auf seiner Seite. Er hat Gefallen an Hinrichtungen und schert sich dabei nicht um Schuld oder Unschuld eines Angeklagten. Wenn die Jury jemanden für schuldig befindet - und dafür sorgt Korn – kommt es zur Hinrichtung auf »Yellow Mama», dem elektrischen Stuhl.

Nach Buckstown führt Eddie Flynn sein neuer Fall. Dort wurde der neunzehnjährige Afroamerikaner Andy Dubois angeklagt, die zwanzigjährige Skylar Edwards ermordet zu haben. Dieser schwört aber, nichts mit dem Mord zu tun zu haben. Im Auftrag des Regierungsbeamten Berlin soll Flynn vor Gericht die Unschuld von Dubois beweisen. Für Korn gibt es nur einen möglichen Mörder – Andy Dubois. Und auch die aufgebrachte Bevölkerung möchte Dubois auf dem Stuhl »grillen» sehen.

Man lässt es Flynn und seinem neu zusammengestellten Team merken, dass man sie nicht haben möchte. Autoreifen werden zerstochen, man kann ihnen kein Zimmer vermieten, da beide Motels angeblich belegt sind und im Diner weigert man sich, ihnen eine Mahlzeit anzubieten.

Ganze sieben Tage verbleiben, um die Unschuld von Andy Dubois zu beweisen, andernfalls wird er zum Tode verurteilt. Das erweist sich schon im Vorfeld als fast aussichtsloses Unterfangen. Buckstown ist eine Kleinstadt, die von Rassismus und Korruption geprägt ist. Bevölkerungsschichten, die in der Minderheit sind, werden ausgegrenzt. Bloch entdeckt bei ihren Recherchen Ordner mit Deckelaufschriften »Juden«, »Schwarze«, »Latinos« und »Schwule«. In Sunville-County im US-Südstaat Alabama wird man den Eindruck nicht los, dass hier die Zeit stehen geblieben ist und die Einwohner voller Hass auf Minderheiten sind.

Über das Auswahlverfahren der Geschworenen hätte ich gerne mehr gelesen. Auch mehr Gerichtspräsenz hätte ich mir gewünscht. Generell ist es eine Stärke von Cavanagh, wie er im Kreuzverhör die Zeugenaussagen der Anklage entkräftet. Eine unstimmige Passage ist mir aufgefallen, die offensichtlich beim Schreiben oder beim Korrekturlesen übersehen wurde: Der Staatsanwalt benötigt 10 der 12 Geschworenen auf seiner Seite, um einen Schuldspruch zu erwirken – Flynn spricht davon, dass er zwei der Geschworenen auf seiner Seite benötigt, um einen Freispruch zu erwirken. Hier stimmt etwas nicht!

Ein spannungsgeladenes Finale mit vielen Wendungen erwartet uns und wir werden Dinge erfahren, die weit über den Mord an Skylar Edwards hinausgehen.

Fazit:

Cavanagh kennt sich als ehemaliger Bürgerrechtsanwalt mit der Materie aus. Er ist meines Erachtens eine Konkurrenz für den Schriftsteller John Grisham, der sich schon seit Jahren literarisch mit der amerikanischen Rechtsprechung befasst. Allerdings sollte Cavanagh noch mehr Augenmerk auf das eigentliche Verfahren im Gerichtssaal legen.
Cavanagh schreibt wie gewohnt sehr detailverliebt. Aber das wirkt keineswegs störend. Ganz im Gegenteil, man lernt so das amerikanische Rechtssystem besser kennen.
Das Setting hat mich überzeugt. Der Thriller liest sich flüssig und ist spannend. Einige Kritikpunkte haben mich dazu veranlasst, einen Stern abzuziehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.12.2023

Der Wolf im Schafspelz

Kaltherz
0

Nach seinem Debütroman »Ausweglos« aus dem Jahr 2021 präsentierte der österreichische Schriftsteller mit »Kaltherz« 2022 seinen zweiten Thriller.

Die fünfjährige Marie Lipmann ist seit viereinhalb Monaten ...

Nach seinem Debütroman »Ausweglos« aus dem Jahr 2021 präsentierte der österreichische Schriftsteller mit »Kaltherz« 2022 seinen zweiten Thriller.

Die fünfjährige Marie Lipmann ist seit viereinhalb Monaten verschwunden. Clara, die Mutter von Marie, lässt ihre Tochter kurz allein im Auto. Als sie von der Toilette wiederkommt, ist Marie nicht mehr da. Ein Alptraum beginnt für die Eltern.

Die Eltern Clara (28 Jahre) und Jakob Lipmann (37 Jahre) kommen aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Während Clara in verschiedenen Heimen aufgewachsen ist, wuchs Jakob in einem behüteten und gut betuchten Elternhaus auf. Clara ist depressiv und suizidgefährdet. Jakob klettert berufsmäßig auf der Karriereleiter ständig nach oben (da stellt sich mir die Frage: Unter welchen Umständen?) und lässt sich auch vom Verschwinden der kleinen Tochter und den Selbstmordgedanken seiner Frau nicht aus der Bahn werfen.

Längst ist der Charme der ehemaligen Liebesheirat verflogen. Lediglich Clara ist nach wie vor verliebt in ihren Mann. Jakob will nur eins – er will seine Tochter zurück, die er abgöttisch liebt.

Auf der anscheinend ausweglosen Suche wird Clara schlussendlich an ihren Selbstvorwürfen zerbrechen, da sie sich die alleinige Schuld am Verschwinden ihrer Tochter gibt. Da Jakob keine öffentliche Fahndung möchte Obwohl Jakob die Öffentlichkeit heraushalten möchte, kann er nicht verhindern, dass die Polizei ermittelt. Zumal Marie nicht das einzige Kind ist, dass in München entführt wurde.
konzentriert sich die Die Suche konzentriert sich zunächst auf das Kindermädchen, das aber auch spurlos verschwunden ist.

Die Kommissarin Kim Lansky übernimmt den Fall. Der bisherige leitende Ermittler Norbert Krüger in dem Vermisstenfall ist kürzlich verstorben. Es bietet sich daher an, jemand unbedarftes mit den Ermittlungen zu betrauen. In den Aufzeichnungen von Krüger wird Lansky später brauchbare Hinweise finden.

Lansky war bis vor kurzem vom Dienst suspendiert, da sie sich nicht an die Regeln des Polizeidienstes hält. Sie hat ihre eigenen Ermittlungsmethoden. Sie ist sehr impulsiv, reagiert emotional und hält sich nicht immer an das Gesetz. Das kommt bei den Vorgesetzten nicht gut an, und es sind Konfrontationen im Umgang mit möglichen Verdächtigen entstanden.

Die Kommissarin hat schon in verschiedenen Dezernaten gearbeitet: Cybercrime, Glücksspiel, Urkundenfälschung. Kriminalhauptkommissar Theo Rizzi setzt sich für sie ein. Rizzi und Lansky kennen sich bereits aus Kindheitstagen. Er kann seine Vorgesetzten dazu bewegen, Lansky eine allerletzte Chance zu gewähren und sie als Ermittlerin im Vermisstendezernat einzusetzen. Als die Ermittlungen aus dem Ruder laufen, erinnert sich Lansky an Pater Helman, an den sie sich schon als Kind in schwierigen Situationen gewendet hat.
Die Hauptfiguren Clara und Robert Lipmann, deren Tochter Marie und die Kommissarin Lansky erzählen jeweils in sich abgeschlossenen Kapiteln in der Ich-Form. Deren jeweiliger Name wird der Beschriftung der Kapitel vorangesetzt. Das macht die Handlungsabläufe überschaubar – sehr gut!

Gefühlte 260 Seiten präsentiert der Autor einen solide geschriebenen Thriller, in dem es allem Anschein nach um einen Entführungsfall geht. Die Ermittlungen stocken und die Polizei stochert in den wenigen Hinweisen ohne klaren Ansatz. Danach wird endlich ein hoher Spannungsbogen aufgebaut. Ein Twist reiht sich an den nächsten, und man ist gar nicht mehr gewillt, das Buch aus den Händen zu legen. Der Autor legt immer wieder neue Fährten. Zum Ende hin stellt sich alles anders dar als vorab vermutet, und es folgt ein ebenso überraschendes wie furioses Ende.

Fazit:

Eine starke Charakterzeichnung der Figuren ist ein Pluspunkt für den Autor. Mit dem Setting hatte ich zu Beginn des Plots Probleme.
In den ersten 40-50 Seiten musste ich mich überwinden, um weiterzulesen. Der Funke wollte einfach nicht überspringen, und ich konnte auch keine klare Linie erkennen.
Danach setzte eine Wende ein. Endlich bekam ich ein Gespür dafür, um was es hier in Wahrheit geht.
Es entwickelte sich ein Thriller, erst mit mittlerem Spannungspotential, um dann förmlich zu »explodieren«. Der Schreibstil nimmt in gleichem Maße zu wie die Handlung, zuweilen mit lustigen Vergleichen (Bsp.: »So hänge ich an der Decke, kopfüber wie Spiderman, mit dem Unterschied, dass dessen Lunge nicht rasselt wie die Percussion-Sektion einer Rumba-Band«). Solche Vergleiche finde ich immer amüsant.
Unzählige Überraschungen erwarten den Leser/die Leserin. Da sich der Plot geraume Zeit für mich nicht als Pageturner erwiesen hat, gebe ich vier Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.11.2023

Einer der auszog, um das Recht selbst in die Hand zu nehmen

Wie alles begann und wer dabei umkam
0

Nachdem ich das Buch »Zwischen Welten« von Juli Zeh und Simon Urban gelesen hatte, wollte ich unbedingt wissen, wie dieser Autor in Eigenregie schreibt und habe mich für dieses Buch entschieden.

Fast ...

Nachdem ich das Buch »Zwischen Welten« von Juli Zeh und Simon Urban gelesen hatte, wollte ich unbedingt wissen, wie dieser Autor in Eigenregie schreibt und habe mich für dieses Buch entschieden.

Fast alles, was man hier liest, sollte man nicht ernst nehmen. Darauf sollte sich der Leser vor der Lektüre einstellen.

Erzählt wird in der Ich-Form aus der Sicht des Protagonisten J. Hartmann. Eine weitere Stärke von Urban neben seiner Erzählweise ist die Charakterisierung der einzelnen Figuren.

Das Buch kann man in zwei große Abschnitte einteilen. Rücksprünge in die Zeitspanne von Teil I werden dabei mehrmals eingeblendet.

Teil I: Die Jugendzeit in seiner Familie und das spätere Studium von Hartmann an der Universität Freiburg. Da er ein sehr begabter Jurastudent ist, soll er mit einem Exzellenz-Stipendium der Freiburger Studierendenstiftung gefördert werden, was er aber ausschlägt, weil er keine Karriere als Jurist anstrebt.

Teil II: Seine sogenannten Studienreisen in ferne Länder (Papua-Neuguinea, Indonesien, Bangkok, Singapur).

Bereits in seiner Jugendzeit befasst sich Hartmann mit der deutschen Rechtsprechung, die ihn als junger Erwachsener zum Jurastudium nach Freiburg führt. Er befasst sich mit dem Studium der Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit in Theorie und Praxis, wobei er das starre Regelwerk bemängelt. Er beschließt daher, dass Recht selbst in die Hand zu nehmen und es auch anzuwenden. Zusammen mit einer Kommilitonin arbeitet er an dem Entwurf eines inoffiziellen Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland.

Zweimal führt er ein fiktives Gerichtsverfahren durch. In Jugendtagen verurteilt er die verhasste Großmutter in deren Abwesenheit zum Tode. Die Vollstreckung erübrigt sich, da ihn während seiner Studienzeit in Freiburg die Nachricht erreicht, dass sie friedlich eingeschlafen ist. Zum zweiten führt er während seiner Studienreisen ein Gerichtsverfahren in Singapur durch, um einen gewissen Wong Lin Malevich zum Tode zu verurteilen, da dieser wissentlich insgesamt 57 Frauen mit dem HI-Virus infiziert hat. Malevich ist ein Frauenhasser und ein Narzisst. Dieses Mal liegt der Fall insofern anders, da er das Urteil selbst vollstrecken soll.

Es gibt allerdings auch Passagen, die der Wahrheit entsprechen. In Singapur wird z.B. Won Lin Malevich (s. vorheriger Absatz) vorgeworfen, dass er junge Frauen und Prostituierte vorsätzlich mit HIV infiziert habe, da er die Frauen ohne Kondom zum Geschlechtsverkehr überredet hat. Bei der offiziellen Gerichtsverhandlung konnte er glaubwürdig nachweisen, dass er nichts von seiner Infektion wusste. Er wurde freigesprochen. Später aufgetauchte Zeugenaussagen konnten nicht mehr zu einem Wiederaufnahmeverfahren führen, da lt. Rechtsprechung ein Freispruch nicht nachträglich in einen Schuldspruch umgewandelt werden kann (Anm.: Dazu gab es 2023 ein Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht).

Köstlich sind die Vergleiche und Wortspiele, die Urban immer wieder in die Handlung einfließen lässt. Beispielhaft sei ein Treffen mit seinen Eltern und seiner verhassten Großmutter erwähnt, die ihn in Freiburg besuchen kommen: »… sie trug ihr Sommerkleid, in dem sie aussah wie ein übellauniges Stück Dörrobst, das sein Verfallsdatum überschritten hat …« Oder den Besuch eines Heino-Konzerts mit seiner Großmutter in Pforzheim hat er witz- und wortreich beschrieben. Der Höhepunkt war der Versuch, Großmutter und Heino nach Konzertende in der Künstlerkabine zu verkuppeln, um die Frau loszuwerden. Dies endete jedoch mit dem Rausschmiss aus der Garderobe des Sängers. Beim Lesen dieses Buches musste ich mehrfach schmunzeln.

Fazit:

Man kann dieses Buch als Schelmenroman, Posse oder rabenschwarze Satire sehen. Das meiste der Erzählungen entspringt dabei der Fantasie von Hartmann.
Auch wenn Simon Urban für dieses Buch mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet wurde, sagt mir der Schreibstil nicht unbedingt zu. Wenn Urban lustige Episoden beschreibt, kommt er schnell auf den Punkt, dann macht das Lesen Spaß. Aber dann folgen Schreibszenen, die sich fast schon quälend in die Länge ziehen und die das Weiterlesen anstrengend machen.
Die einzelnen Kapitel sind mir zu lang. Bei einem Szenenwechsel haben mir zumindest Absatzmarken gefehlt.
Aber da dieses Buch mit viel positiver Ironie und guten Denkanstößen zu den Rechtsgrundlagen verfasst wurde und die von mir negativ angemerkten Punkte meiner subjektiven Wahrnehmung entsprechen, gebe ich vier Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.11.2023

Lügen, Stehlen und Betrügen

Die kleinen Lügen der Ivy Lin
0

Der Debütroman von Susie Yang erschien 2020 in der amerikanischen Originalausgabe. Seit September 2023 liegt jetzt die deutschsprachige Ausgabe vor. Die Newcomerin wurde mit viel Lob überhäuft. Das Buch ...

Der Debütroman von Susie Yang erschien 2020 in der amerikanischen Originalausgabe. Seit September 2023 liegt jetzt die deutschsprachige Ausgabe vor. Die Newcomerin wurde mit viel Lob überhäuft. Das Buch schaffte es u.a. auf die New York Times-Bestsellerliste.

Zwei Familien unterschiedlicher Herkunft treffen in dieser Familiensaga aufeinander. Zum einen die chinesische Familie Lin, bestehend aus den Eltern Shen und Nan, sowie deren Kindern Ivy und Austin. Aber auch Großmutter Meifeng, die Mutter von Nan, gehört zur Familie und alle wohnen zusammen. Auf der anderen Seite die amerikanische Familie Ted und Poppy Speyer sowie deren Kinder Sylvia und Gideon.

Ivy Lin ist zwei Jahre alt, als die Eltern ihr Heimatland verlassen und in die Vereinigten Staaten auswandern. Ivy bleibt zunächst zurück bei ihrer Großmutter Meifeng. Als Ivy fünf Jahre alt ist, holen die Eltern sie nach. Später kann auch Meifeng mit einer Greencard in die USA einreisen.

Ivy erfährt bei ihrer Familie wenig Liebe und Geborgenheit. Die Erziehung geht einher mit körperlichen Strafen. Ihre Mutter Nan ist zuweilen brutal zu ihrer Tochter (Bsp.: einmal wirft sie Ivy vor Wut eine Orange so fest auf die Stirn, dass die Orange platzt). Auch in der Schule bleibt Ivy isoliert und eine Außenseiterin.

Nach der 5. Klasse besucht Ivy eine weiterführende Privatschule. Dort sieht sie zum ersten Mal Gideon Speyer, für den sie sofort schwärmt. Ihre Eltern wollen nicht, dass sie sich mit Gideon anfreundet und ziehen sogar in eine andere Stadt, was aber auch finanzielle Gründe hat. Ganze zehn Jahre dauert es, bis Ivy und Gideon sich nach dem Schulabschluss wiedersehen. Danach baut sich langsam eine Beziehung zwischen den Beiden auf.

Es gibt einen Zeitsprung und Ivy ist jetzt 27 Jahre alt. Sie wohnt längst nicht mehr zu Hause. Ihr Wunsch ist es, ein sorgloses Leben mit einem weißen Mann zusammen zu führen. Auch als junge erwachsene Frau sehnt sie sich nach Liebe, Geborgenheit und Reichtum. All diese Dinge hat Ivy bei ihrer Familie nie erfahren und das sucht sie auch nicht bei einem Chinesen. Sie ist kleinlich, eifersüchtig und rachsüchtig, aber sie hat auch die Gabe, diese Eigenschaften hinter Sanftmut und Bescheidenheit zu verstecken. Sie lügt, stiehlt und betrügt.

Sie geht zwei Beziehungen ein. Gideon Speyer stammt aus einer wohlhabenden Familie und ist selbst ein erfolgreicher Geschäftsmann. Sein Vater war ehemals Senator. Roux Roman ist ein rumänischer Einwanderer und sie kennt ihn schon aus Jugendzeiten, als sie gemeinsam auf Diebestouren gegangen sind. Mit ihm hatte sie auch erste sexuelle Kontakte in der Jugend. Von dessen Familie weiß man eigentlich nichts, und Roux hat seinen plötzlichen Reichtum unsauberen Geschäften zu verdanken. Somit treffen zwei grundverschiedene Gesellschaftsschichten aufeinander.
Roux kennt Ivys Beziehung zu Gideon, den sie heiraten will. Er möchte, dass Ivy Gideon von ihrer Beziehung zu Roux erzählt. Er setzt ihr ein Ultimatum von vierzehn Tagen, andernfalls will er es Gideon sagen. Ivy fühlt sich in die Enge getrieben und je näher der Tag »X« naht, umso panischer wird Ivy. Die Situation droht zu eskalieren.

Gideons Verhalten bleibt undurchschaubar. Er verhält sich immer sehr loyal gegenüber Ivy, ist um deren Wohlergehen bemüht und gesteht ihr auch des Öfteren seine Liebe. Obwohl er ihr einen Heiratsantrag macht, fordert er sie auf, alles gründlich zu überdenken, ob sie zu einer Heirat mit ihm auch wirklich bereit ist.

Man wird den Verdacht nicht los, dass er von der Beziehung zwischen Ivy und Roux weiß oder zumindest etwas ahnt. Aber da scheint noch eine andere Sache zu sein, die nur vage beschrieben wird und aus der man seinen eigenen Schluss ziehen muss.

Zum Ende hin bleiben leider ein paar offene Fragen. Was hat es mit dem Päckchen und den Hundert-Dollar-Noten auf sich, die ein Geschäftspartner von Roux Ivy übergibt. Und ist Gideon wirklich der integre Partner für Ivy, für den er sich ausgibt? Vielleicht sind diese offenen Fragen aber auch von der Autorin beabsichtigt, um den Leser bzw. die Leserin zum Nachdenken anzuregen.

Ganz zum Ende hin wird der Leser bzw. die Leserin erfahren, ob es zur Hochzeit zwischen Ivy und Gideon kommt.

Fazit:

Susie Yang hat sehr detailliert geschrieben. Besonders gut hat mir gefallen, wie sie die einzelnen Personen charakterisiert. Die Stärken und Schwächen der Figuren hat sie präzise herausgearbeitet. Das gilt sowohl für die Haupt- als auch für die Nebenfiguren. Der Plot ist eine hervorragende Charakterstudie mit häufigen Twists.
Die Kapitel sind nicht übermäßig lang und in Abschnitte unterteilt. Das hat mir gut gefallen. Andererseits kam es zu unvorhersehbaren Themenwechseln (wohlgemerkt keine Twists) ohne eine Leerzeile bzw. einen neuen Abschnitt einzufügen (bspw. auf den S. 282/83: Ivy und Roux unterhalten sich über eine mögliche gemeinsame Zukunft, direkt ohne Übergang wechselt die Handlung zur Familie von Gideon in der Kirche). Das hätte man besser lösen können.
Den Titel des Buches finde ich nicht ganz passend. Ein Titel soll den Leser auf ein Buch aufmerksam machen und sollte kurz und bündig sein. Außerdem sind die Lügen von Ivy Lin m.E. nicht das zentrale Thema des Inhaltes.
Ich kann mir durchaus vorstellen, ein weiteres Buch dieser Autorin zu lesen, sofern es eins geben wird. Ich gebe trotz kleiner Beanstandungen eine Leseempfehlung mit vier Sternen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.10.2023

Wenn man Gleiches mit Gleichem vergelten will

Rachefrühling
0

Der vierte Fall für den Dresdner Kriminalhauptkommissar Walter Pulaski und der Wiener Strafverteidigerin Evelyn (Spitzname Lynnie) Meyers. Mit diesem vierten Band aus der Walter Pulaski-Reihe endet die ...

Der vierte Fall für den Dresdner Kriminalhauptkommissar Walter Pulaski und der Wiener Strafverteidigerin Evelyn (Spitzname Lynnie) Meyers. Mit diesem vierten Band aus der Walter Pulaski-Reihe endet die „Rache“-Tetralogie.

Gleich zu Beginn im Prolog wird Spannung aufgebaut. So möchte ich in einen spannenden Thriller einsteigen.

Live-Podcasts werden vom Tonstudio eines Radiosenders ausgestrahlt und der True Crime-Podcaster (Anm.: Es handelt sich nicht wirklich um True Crime, die Berichterstattung ist fiktiv) Martin Kilian berichtet darin über unaufgeklärte Verbrechen. Diese Podcasts werden im Verlauf des Buches detailliert beschrieben. Bei späteren Recherchen von Pulaski und Meyers fällt auf, dass alle Verbrechen in einem Frühjahr in verschiedenen Jahren begangen worden sind.

Kilian wird mit einem Mord in Verbindung gebracht und da die Indizien gegen ihn sprechen, wird er von der Polizei verhaftet und gelangt in U-Haft.

Ein Araber namens Kamal Qasem reist mit seinen Bodygards nach Österreich, weil er den Mord an seiner Tochter Dr. Aleyna Al-Rashid rächen will. Auf dessen Wunsch hin übernimmt die Wiener Strafverteidigerin Evelyn Meyers die Mandantschaft von Kilian, weil Qasem nicht daran glaubt, dass Kilian der Mörder ist.

Mit einem Theaterstück namens „Rachefrühling“ ist die Lösung des Falles indirekt verbunden und Rache ist der ausschlaggebende Faktor.

Starke Figurenzeichnung mit unterschiedlichen Charakteren zeichnet diesen Thriller aus. Beispielsweise haben mir die immer wieder auftauchenden Dialoge zwischen Staatsanwalt Ostrovsky und der Strafverteidigerin Meyers gefallen. Beides Koryphäen in ihrem Fach mit gegenseitiger Wertschätzung und vor Gericht erbitterte Gegner.

In diesem Buch erfährt man einiges über das österreichische Justizwesen, das sich doch wesentlich von deutschen Gerichtsverfahren unterscheidet. Leider gab es in diesem Buch keinen Bezug zu einer Verhandlung.

Zwei Punkte haben mir in dem Plot nicht gefallen. Zum einen ebbte die Spannung nach dem verheißungsvollen Auftakt im Prolog wieder ab, bevor ab dem zweiten Drittel des Buches sich ein Spannungsbogen aufbaut, der letztlich mit einem Finale Furioso endet. Zum zweiten ist das Verhalten von Qasem für mich nicht nachvollziehbar, da es keinen Hinweis darauf gibt, warum für Qasem die Freilassung von Kilian aus der Untersuchungshaft wichtig ist.

Mit der Beendigung der Pulaski-Reihe hat Andreas Gruber eine neue Action Thriller Serie angekündigt: Am 01. März 2024 erscheint Last Line Of Defense – Der Angriff.


Fazit:

Andreas Gruber hat eine klare Vorstellung darüber, wie er seine Thriller-Serien aufbaut. Dazu gehören neben dem einleitenden Prolog und dem abschließenden Epilog einzelne Abschnitte mit relativ kurzen Kapiteln. Das macht Sinn, wenn die Handlungsstränge wechseln, und der Autor hat es sehr gut umgesetzt. Das ist mir wichtig und steigert meinen Anreiz, zügig weiterzulesen.
Er hat ein Faible für skurrile Ermittler oder solche mit Handicap. Egal, ob es sich dabei um den hinkenden Wiener Privatdetektiv Peter Hogart handelt, den narzisstischen und Marihuana rauchenden BKA-Profiler Maarten S. (Somerset) Sneijder oder wie in diesem Buch um den Leipziger Kommissar Walter Pulaski, ein meist übel gelaunter und asthmakranker Zyniker, der zu viel raucht und literweise schwarzen Kaffee trinkt.
Ich habe schon einige Bücher aus den Thriller-Reihen des Autors gelesen. Für meinen Geschmack waren die Bücher aus der Peter-Hogart-Reihe die Besten, sowohl bezogen auf den Handlungsablauf als auch auf den Spannungsbogen.
Für meine zuvor angesprochenen Kritikpunkte muss ich leider einen Stern abziehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere