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Veröffentlicht am 13.07.2020

Eine wahre Begebenheit, die die Seele tief berührt und erschüttert

Wo du nicht bist
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Berlin in den 20er Jahren: Irma Weckmüller hatte es bisher alles andere als leicht in ihrem jungen Leben. Der Vater ist im ersten Weltkrieg verstorben, die Mutter hat diesen Verlust nie verkraftet und ...

Berlin in den 20er Jahren: Irma Weckmüller hatte es bisher alles andere als leicht in ihrem jungen Leben. Der Vater ist im ersten Weltkrieg verstorben, die Mutter hat diesen Verlust nie verkraftet und sich das Leben genommen. Irma kümmert sich aufopferungsvoll um ihre kleine Schwester Martha, erarbeitet sich einen attraktiven Job im KaDeWe und verdient nebenher noch etwas Geld mit Nähen. Eines Tages lernt sie den charmanten Gynäkologen Erich Bragenheim kennen, der ihr immer offensichtlichere Avancen macht. Zunächst hält sich Irma – auch zuliebe ihrer Schwester – zurück, doch die Anziehung überwiegt: Irma und Erich werden ein Paar, verleben eine unheimlich liebevolle glückliche Zeit miteinander und planen ihre Hochzeit. Doch Erich ist Jude und die NSDAP wird immer mächtiger in Deutschland, so dass bald auch Irma in Gefahr gerät. Eines Tages wird Erich ins Konzentrationslager verschleppt und kommt dort ums Leben. Dieser Schicksalsschlag droht Irma zu zerbrechen, bis sie einen Plan fasst, der ihr wieder den alten Lebensmut und Kampfeswillen zurückgibt: Trotz allem möchte sie an ihrem Versprechen festhalten und Erichs Frau werden!

Bereits das Cover zu „Wo du nicht bist“ strahlt für mich pure Nostalgie und etwas Schwermut aus. Die Farbgebung gefällt mir sehr gut, das Motiv ist mehr als passend. Ich mag es, dass man die Gesichter des Paares nicht sieht, da dies meine Phantasie nur eingeschränkt hätte und den wahren Personen sowieso nicht gerecht geworden wäre. Ich war bereits beim Betrachten des Covers sofort in der richtigen Stimmung für die Story und habe mich direkt in die damalige Zeit zurückversetzt gefühlt. Unterstrichen wird das noch durch die passende Haptik, der Papiereinband ist absolut stimmig zur Geschichte des Buches.

Dieses startet mit dem Text „Dein ist mein ganzes Herz“ von Fritz Löhner-Beda, welcher bereits eine schwermütige Atmosphäre verbreitet und im folgenden Geschehen noch eine große Rolle spielen wird. Absolut toll finde ich deshalb, dass auf diesen auch am Ende des Buches noch einmal näher eingegangen wird und seine historischen Hintergründe sowie die der zugehörigen Personen erläutert werden.

Bereits der Prolog vor dem eigentlichen Beginn des Buches weckt beklemmende Gefühle in mir und deutet darauf hin, dass es sich um eine Geschichte ohne Happy End handeln wird. Bereits hier musste ich schlucken, vor dem Hintergrund, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit basiert war dieser Einstieg bereits sehr berührend. So ein bisschen in der richtigen, melancholischen Stimmung muss man als Leser deshalb schon sein, es wird schnell klar dass das Schicksal der Protagonisten grausam werden wird. Dann jedoch zieht einen das Buch vollständig in seinen Bann und geht so tief unter die Haut, dass man es nicht so schnell vergessen kann.

Während des Hauptteiles des Buches wechseln sich Szenen aus unterschiedlichen Jahren ab, der Großteil wird jedoch chronologisch erzählt. Da alle Kapitel aber mit Jahreszahlen überschrieben sind fällt die Einordnung nicht schwer, auch wenn die Sprünge zwischen 1932 zu 1945 recht groß sind und man als Leser teilweise gefordert ist, zwischen Irmas Erinnerung und ihrer Gegenwart zu unterscheiden. Der Kontrast zwischen ihren Erlebnissen wird dadurch aber noch deutlicher. Die einzelnen Kapitel sind sehr lang und in einem nüchtern-sachlichen Schreibstil verfasst. Trotz dieser eher unemotionalen und vielmehr berichtenden Erzählweise war ich gefühlsmäßig sehr involviert. Ich glaube, dieser Stil ist genau richtig, um das Unerträgliche erträglich zu halten und den Leser auf das damals Geschehene anstatt auf seine eigenen Emotionen zu fokussieren. Am Ende des Buches findet man noch interessante Informationen über die wahren Hintergründe der Geschichte und wie es zur Entstehung des Buches kam. Außerdem Abbildungen historischer Dokumente wie der offiziellen Heiratsurkunde des Paares und Fotos der beiden, die mir die Tränen in die Augen getrieben haben.

Die Geschichte der zwei unterschiedlichen Schwestern wird anschaulich beschrieben, der Leser lernt Irma und Martha in all ihren Facetten sowie ihre gemeinsame Vergangenheit kennen. Irma ist eine starke Persönlichkeit, der man im Leben bisher noch nichts geschenkt hat. Sie musste von klein auf Verantwortung übernehmen und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre jüngere Schwester Martha und später auch um deren Sohn Max. Im Gegensatz zu ihrer Schwester wirkt sie fast schon als „Heilige“, die fleißig, begabt und empathisch ist. Martha hingegen ist missgünstig und behandelt Irma oft ungerecht. Das erste Aufeinandertreffen mit Erich und die passend für die damalige Zeit langsame Annäherung werden sehr realitätsnah und gefühlvoll beschrieben. Gerne hätte ich aus Sympathie zu den beiden Protagonisten noch mehr Details aus der unbeschwerten Zeit gelesen, verstehe aber, dass bei diesem Buch der Fokus (leider) nicht auf den glücklichen Tagen liegt. Ich bin so traurig, dass die gemeinsame Zeit so kurz geschildert wurde, denn bereits in den Vorkriegsjahren wird der schleichende Judenhass in vielen kleinen Zwischentönen deutlich. Nach Erichs Tod zieht sich Irma in sich selbst zurück, bis sie für sich den Entschluss fasst, eine postmortale Eheschließung durchführen zu lassen. Die Veränderung, die ab diesem Punkt mit ihr einhergeht wird sehr deutlich, ihre Hartnäckigkeit und ihr ungebrochener Wille sind bewundernswert. Auf dem Weg dorthin erfährt sie zahlreiche Demütigungen, aber durch ihre unbändige Willenskraft setzt sie letztendlich ihr Ziel um – ein sehr ergreifendes, emotionales und stimmiges Ende.

Was besonders hervorzuheben ist, ist die damalige Atmosphäre, die Anke Gebert wie keine zweite heraufzubeschwören vermag. Durch ihren bildhaft-beschreibenden Stil wird der Alltag der Protagonisten plastisch, als Leser habe ich mich sofort in das Berlin der damaligen Zeit hineinversetzt gefühlt. Ich liebe dieses authentische Zeit- und Lokalkolorit! Anschaulich und ungeschönt beschrieben wird auch die Nachkriegszeit mit den Entbehrungen und dem täglichen Kampf ums Überleben nach 1945. Auch der Einblick in ein mit bis dato unbekanntes Kapitel der deutschen Justizgeschichte war sehr faszinierend, ich habe noch niemals von einer postmortalen Heirat gehört und konnte mir bisher auch noch nicht vorstellen, dass dies überhaupt möglich ist.

Bücher, die auf einer wahren Begebenheit beruhen, ergreifen mich immer besonders. „Wo du nicht bist“ hat mich allerdings noch nachhaltig berührt und beschäftigt. Zwar wird gleich am Anfang klar, dass das Buch kein "leichter" Stoff ist, aber dennoch fiebert man mit Irma und Erich mit und hofft bis zum Schluss auf ein anderes Ende. Ich bin sehr fasziniert von Irmas Lebens- und Liebesgeschichte und immer wieder aufs Neue darüber erschüttert, zu welch grausamen Handeln Menschen fähig sind. Das Buch ist ein Plädoyer für die Macht der Liebe und gegen die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus, das den Leser erschüttert, berührt und nachdenklich zurücklässt.

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Veröffentlicht am 13.07.2020

Spiel mit dem Schicksal

Die Rückkehr des Würfelmörders (Ein Fabian-Risk-Krimi 5)
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Wer steckt hinter den scheinbaren Zufallsmorden ohne System, die seit einiger Zeit die schwedische Stadt Helsingborg in Angst und Schrecken versetzen? Der Würfelmörder tötet weiterhin nach seiner nur für ...

Wer steckt hinter den scheinbaren Zufallsmorden ohne System, die seit einiger Zeit die schwedische Stadt Helsingborg in Angst und Schrecken versetzen? Der Würfelmörder tötet weiterhin nach seiner nur für ihn verständlichen Methodik und macht sich deshalb völlig unberechenbar für das Ermittlerteam rund um Fabian Risk. Doch dann findet dieser an einem Tatort einen Würfel und erkennt den Zusammenhang. Der Mörder wird greifbarer, doch auch für Fabian beginnt somit ein „Spiel“ um Leben und Tod – wie wird der Würfel für ihn fallen?

„Die Rückkehr des Würfelmörders“ ist der zweite Teil der Dilogie des schwedischen Bestsellerautors Stefan Anhem. Streng genommen ist der Titel jedoch falsch, denn es geht nicht um die Rückkehr des im ersten Band eingeführten Würfelmörders, der in Helsingborg sein Unwesen treibt – Nein, vielmehr war dieser nie weg! Der zweite Band knüpft direkt an den ersten an, weshalb er auch ohne diesen überhaupt nicht verständlich wäre. Da in der Vorgeschichte nichts aufgeklärt wurde und sie komplett offen und somit unbefriedigend endete, bedarf es sogar des zweiten Teiles, um als Leser die Geschehnisse zu begreifen. Insofern hätte es eigentlich keine Dilogie sein sollen, sondern ein großes Gesamtwerk, da keines der Bücher für sich alleine stehen kann.

Wie auch im ersten Teil haben mir der dauerhaft hohe Spannungsbogen und der treibende, aufregende Schreibstil des Autors sehr gut gefallen. Aber auch hier muss ich die vulgäre Sprache voller Schimpfworte und die übertrieben brutale, blutig-grausame Beschreibungen kritisieren, die mir persönlich einfach zu viel waren. Die Kapitel sind aus unterschiedlichen Perspektiven geschrieben, so dass der Leser neben den Protagnisten aus dem Ermittlungsteam auch die Sichtweise anderer Personen und insbesondere des Mörders kennenlernt. Diese letztgenannte Perspektive war insbesondere faszinierend, da man nach und nach begriffen hat, wie das kranke Hirn des Würfelmörders arbeitet, an was er glaubt und wie er den Zufall über seine Handlungen bestimmen lässt. Leider werden mir auch im zweiten Band die Figuren nicht sympathischer, sie handeln oftmals egoistisch und wenig nachvollziehbar. Lediglich Fabian Risk konnte durch seine Rückbesinnung auf familiäre Werte etwas bei mir punkten.

Im Gegensatz zum ersten Teil liegt bei der „Rückkehr des Würfelmörders“ endlich Fokus auf der Person der Titelfigur und der Jagd nach ihr. Die Anzahl der Handlungsstränge ist nicht mehr ganz so groß und verwirrend wie im ersten Teil, auch weil sich diese aneinander nun annähern. Die Nebengeschichte rund um Risks interne Ermittlungen wird aufgedeckt, aber nicht weiter verfolgt. Dies hat mich sehr enttäuscht, da sie sehr raffiniert und letztendlich auch erfolgreich waren, es über sie am Ende aber kaum mehr berichtet wurde. Das war mir ein zu abruptes und unspektakuläres Ende eines derart umfangreichen Handlungsstranges, der durchaus noch mehr Potenzial beinhaltet hatte. Des Weiteren lässt Anhem einige offene Handlungsstränge für einen möglichen Folgeband, die ich nach fast 1000 Seiten Lesestoff dann doch gerne aufgeklärt gehabt hätte.

Auch fand ich einige Stellen teilweise sehr unglaubwürdig und maßlos überzogen, v.a. die gegen Ende übertriebene Heldendarstellung von Fabian Risk, der – ACHTUNG SPOILER – gleich mehrere Fälle auf einmal innerhalb kürzester Zeit löst, von allen missverstanden wird und dann quasi im Alleingang mit zahlreichen schweren Verwundungen einen der gefährlichsten Verbrecher Skandinaviens festnimmt, angeschossen wird und trotzdem noch die Performance seiner Frau besuchen kann. Leider etwas zu unglaubwürdig.

Fazit: Besser als Teil 1, durchaus spannend, aber alles in allem dann doch zu verwirrend, unnötig brutal und unglaubwürdig. #mytestahnhem

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Veröffentlicht am 10.07.2020

Trau dich! – Ein Wohlfühlroman mit der Aufforderung zum Mutig-sein

Die Liebe kommt auf Zehenspitzen
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Eigentlich wollte die junge Autorin Lucy nur Weihnachten bei ihren Eltern verbringen – doch dann strandet sie gemeinsam mit Mitfahrgelegenheit Ben in einem kleinen Dorf im Nirgendwo auf dem Hof der betagten ...

Eigentlich wollte die junge Autorin Lucy nur Weihnachten bei ihren Eltern verbringen – doch dann strandet sie gemeinsam mit Mitfahrgelegenheit Ben in einem kleinen Dorf im Nirgendwo auf dem Hof der betagten Dorle Dormann und verbringt dort die Feiertage. Die drei haben eine schöne Zeit zusammen und hinterlassen Eindruck beieinander – so groß, dass Lucy und Ben einige Monate später das Dormann´sche Anwesen inklusive Hund Helmut von der inzwischen verstorbenen Dorle erben. Unsicher, was sie mit sich, ihrem Leben und der Erbschaft anfangen soll, willigt Lucy kurzentschlossen ein und wagt mit Ben den Schritt ins Dorfleben. Dort findet sich nicht nur einen wunderschönen Platz zum Schreiben und eine herzliche Dorfgemeinschaft vor, sondern lernt auch den attraktiven Arzt Ben besser kennen. Dieser trägt seine ganz eigenen Probleme mit sich herum, welche er nicht länger vor Lucy verbergen kann, als diese ihm während einer Panikattacke beisteht. Es entwickelt sich eine immer größere Vertrautheit zwischen den beiden und langsam kann Lucy nicht mehr abstreiten, dass die Gefühle für Ben nicht nur rein freundschaftlicher Art sind…

„Die Liebe kommt auf Zehenspitzen“ von Kristina Günak war eine wunderbare Überraschung für mich! Vom etwas sperrigen Titel und dem verspielten Cover her habe ich eine seichte Liebeskomödie erwartet, gefunden habe ich ein Wohlfühlbuch mit Tiefgang, Humor und wichtiger Message. Der Schreibstil der Autorin hat mich von Beginn an begeistert, ich musste an vielen Stellen nicht nur Schmunzeln, sondern habe laut losgelacht. Durch diesen ironischen und trockenen Humor sowie jede Menge Situationskomik liest sich das Buch wunderbar leicht und flüssig, die Zeilen sind nur so dahingeflogen. Des Weiteren schafft sie durch eindrucksvolle Beschreibungen lebendige Bilder im Kopf des Lesers und lässt diesen durch liebevoll gestaltete Szenen und Metaphern träumen.

Das Buch ist aus Ich-Perspektive von Lucy geschrieben, welche mir auf Anhieb sympathisch ist. Sie weiß nicht wirklich etwas mit ihrem Leben anzufangen, fühlt sich oftmals einsam und ist sich ihrer Fähigkeiten unsicher. Dabei ist sie aber auch ein absolut herzlicher Mensch und durch ihre leicht chaotische „Verpeiltheit“ einfach nur liebenswert. Bei Ben hingegen dauert es etwas, bis man ihn einschätzen lernt. Zunächst wird viel über sein attraktives Äußeres und seine Profession als Arzt berichtet, erst nach und nach erhält der Leser Einblick in seine Psyche und deren Zerbrechlichkeit. Seine Gefühle Lucy gegenüber drückt er oftmals über zärtliche kleine Gesten aus, was zu wunderschönen Momenten im Buch geführt hat. Ich fand es sehr angenehm zu lesen, dass auch ein scheinbar perfekter Mann wie Ben seine Schwächen hat und diese auch zugeben kann. Die Nebenfiguren wie die junggebliebene Dorle, die resolute mütterliche Nachbarin Millie, der brummige Fredo, der lethargische Schäferhund Helmut und Esat, der Flüchtling, der „als einziger im Ort das Plusquamperfekt beherrscht“ habe ich sofort ins Herz geschlossen. Diese wurden nicht nur individuell und facettenreich gestaltet, sondern vor allem sehr liebevoll ausgearbeitet.

Das Buch beginnt mit der Vorgeschichte des Kennenlernens von Lucy, Ben und Dorle. Im Nachhinein betrachtet kann dieser als ein langer Prolog bezeichnet werden, den der Leser als Hintergrundinformation benötigt. Insofern war dieser wichtig, der Übergang von den Erlebnissen an Weihnachten zu Lucys aktueller Gegenwart kam aber sehr plötzlich und überraschend, so dass ich erst einmal etwas verwirrt war und zurückblättern musste, ob ich etwas überlesen hätte. Dieser Schnitt kam dann doch sehr abrupt. Des Weiteren fand ich es nicht ganz realistisch, dass Dorle zwei beinahe fremden Menschen einfach so ihren Hof vererbt – aber im Roman ist ja alles möglich und somit verziehen. Im Hauptteil des Buches werden die Entwicklungen der beiden Protagonisten gut ausgearbeitet, man spürt förmlich, wie gut ihnen das entschleunigende Leben auf dem Land tut und wie sie sich langsam einander öffnen. Passend dazu verströmt das Buch eine heimelig-gemütliche Atmosphäre und so ist es auch nur stimmig, dass Lucys und Bens Liebesgeschichte nur langsam Fahrt aufnimmt. Im Gegensatz zu vielen anderen Büchern wird sich hier angemessen Zeit gelassen, bis sich tiefere Gefühle entwickeln und zugelassen werden können. Das hat mir sehr gut gefallen, es wirkt authentisch und spiegelt den Buchtitel toll wider.

Doch auch ernste Themen finden ihren Platz: Die Einsamkeit in der Anonymität einer Stadt, die Dorfflucht junger Menschen, beruflicher Misserfolg, psychische Probleme wie Angstzustände und Panikattacken, die Herausforderungen von Flüchtlingen in Deutschland und die Angst um geliebte Menschen fließen ebenfalls in diesen Roman mit ein. Es wird deutlich, dass Menschen als soziale Wesen Andere um sich herum brauchen und wie gut es tut, in eine (Dorf-)Gemeinschaft aufgenommen zu werden, in der man sich umeinander kümmert und in der Zusammenhalt herrscht. Das große Thema aber, das Dorle Dormann ihren Protagonisten, aber auch den Lesern vermitteln möchte ist der Aufruf dazu, etwas Neues zu wagen und einfach mal mutig zu sein: „Zu oft lassen wir Gelegenheiten verstreichen, weil wir uns nicht trauen, etwas zu riskieren.“ Deshalb hat sie auch eine Liste mit Dingen angefertigt, die man im Leben gemacht haben sollte. Auf dieser geht es unter anderem darum, einen Schatz zu finden – was ich in diesem Buch habe.

Mein Fazit: „Die Liebe kommt auf Zehenspitzen“ ist ein Buch zum rundum wohlfühlen, das seinem Titel alle Ehre macht. Der Roman war herzerfrischend, unterhaltsam und liebevoll; ich kann ihn nur weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 01.07.2020

Nordfriesische Spannungslektüre

Halligmord (Ein Minke-van-Hoorn-Krimi 1)
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Gerade eben ist die junge Minke van Hoorn in die Fußstapfen ihres verstorbenen Vaters getreten und hat das Amt der Kommissarin im kleinen Küstenort Jüstering angetreten, da passiert schier unglaubliches: ...

Gerade eben ist die junge Minke van Hoorn in die Fußstapfen ihres verstorbenen Vaters getreten und hat das Amt der Kommissarin im kleinen Küstenort Jüstering angetreten, da passiert schier unglaubliches: Die Nordsee spült während eines Herbststurmes ein Skelett auf der kleinen Hallig Nekpen frei. Dort leben traditionell nur zwei Familien und beide scheinen das Geheimnis um den Toten wahren zu wollen. Minke steht einer Mauer aus Schweigen gegenüber und tritt auf der Stelle. Plötzlich wird der David, der Sohn des auf Nekpen wohnhaften Deichgrafen entführt. Nun drängt die Zeit, denn eine schwere Sturmflut kündigt sich an – Wird Minke das Geheimnis um den Toten lösen und David rechtzeitig vor dem Herbststurm finden?

„Halligmord“ von Greta Hennig entführt den Leser in einen ganz besonderen Teil Deutschlands: In das Leben eines fiktiven nordfriesischen Küstenortes und noch kleinerer Halligen. Ich fand es sehr interessant und bereichernd, mehr über diese, von mir bisher kaum beachtete Region Deutschlands und insbesondere die kleinen Küsteninseln zu erfahren. Das Nordseeflair kam sehr rüber, was insbesondere den lebhaften Beschreibungen der Autorin zu verdanken ist. Vor allem das Leben am unberechenbaren Meer und die damit verbundene Einstellung der Menschen wurde gut beschrieben, der Leser bekommt einen anschaulichen Einblick, wie das Leben auf einer Hallig bzw. einem kleinen Nordfriesischen Küstenstädtchen verläuft.

Die einzelnen Kapitel sind jeweils passend überschrieben, durch Beschreibungen wie „Noch zwei Tage bis zum Sturm“ wird die Spannung kontinuierlich gesteigert. Toll fand ich die eingeschobenen Erzählungen aus der Vergangenheit, was in jener verhängnisvollen Nacht geschehen ist. Verwirrung kam hierbei an keiner Stelle auf, da sich diese Kapitel durch Angabe des Jahres „1987“ sowie Kursivschrift deutlich von den Geschehnissen der Gegenwart abgehoben habe. Auch wurde der jeweilige Name der berichtenden Person genannt, so dass der Leser die Perspektiven verschiedener Beteiligter einnehmen konnte und diese somit kennen und verstehen gelernt hat. Ein tolles Stilmittel, absolut passend eingesetzt! Sowieso zeichnet sich das Buch durch oftmalige Perspektivwechsel aus, wobei der Großteil der Geschichte aus Minkes Sicht erzählt wird.

Diese wird als taffe Frau dargestellt, die sich nichts sagen lässt und selbstbewusst ihren Weg geht. Zwar hat sie auch eine sensible und unsichere Seite, aber durch ihre Hartnäckigkeit und ihre clevere Kombinationsgabe gelangt sie letztendlich an ihr Ziel. Minke war mir das ganze Buch hinweg sehr sympathisch, ich hätte mir lediglich an einigen Stellen etwas mehr Einblick in ihre Gedanken gewünscht, um mehr mit ihr gemeinsam am Fall knobeln zu können, als am Ende die fertige Lösung präsentiert zu bekommen. Auch sämtliche Nebencharaktere wurden von der Autorin facettenreich und glaubwürdig gezeichnet und haben für mich verschiedene Konstellationen des typischen, nordfriesischen Menschentyps verkörpert.

Der sich permanent steigernde Spannungsbogen endet mich einem fulminanten Showdown auf der Hallig Nekpen inmitten eines Sturmes. Die Auflösung des Falles war stimmig und interessant, für mich zwar wenig überraschend, aber doch anders als gedacht, da letztendlich jeder der damals auf der Hallig weilenden Personen ein Motiv hatte.

Ebenfalls gut gefällt mir das Cover: Die vielen Grüntöne, das typische Gras, die Nordsee auf der ein Sturm aufzieht sowie das typische Norddeutsche Häuschen mit Reetdach haben mich sofort in die richtige Stimmung versetzt. Ein sehr gelungenes und ansprechendes Cover. Eine schöne Überraschung war zudem das Rezept für regionaltypische „Knerken“ im Klappenumschlag!

Alles in allem ein wunderbar spannender und gut erzählter Kriminalroman mit dem typischen Nordseeflair und charakteristischen Personen, den ich sehr gerne weiterempfehle!

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Veröffentlicht am 13.06.2020

Verwirrend, verstörend und von allem zu viel

Der Würfelmörder (Ein Fabian-Risk-Krimi 4)
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Die schwedische Stadt Helsingborg wird von einer grausamen Mordserie heimgesucht: Zunächst wird ein kleiner syrischer Junge brutal in einer Waschmaschine zu Tode geschleudert, es folgt die Vergiftung einer ...

Die schwedische Stadt Helsingborg wird von einer grausamen Mordserie heimgesucht: Zunächst wird ein kleiner syrischer Junge brutal in einer Waschmaschine zu Tode geschleudert, es folgt die Vergiftung einer jungen Frau und der plötzliche Überfall auf einen Metzgereiverkäufer. Alle Fälle weisen weder Motiv noch Hinweise auf den Täter auf, noch dazu stehen sie scheinbar keinem Zusammenhang zueinander – oder ist genau DAS der Zusammenhang? Das Team um Fabian Risk ermittelt in alle Richtungen und steht vor mehr Fragen als Antworten. Er selbst wird durch düstere Geschehnisse in seiner Vergangenheit noch zusätzlich abgelenkt, seine Familie droht zu zerbrechen und er führt heimlich noch eine interne Untersuchung gegen einen Kollegen durch.

„Der Würfelmörder“ ist der vierte Band der Thriller Reihe um den Ermittler Fabian Risk, der bereits 2019 unter dem Titel „10 Stunden tot“ erschienen ist. Autor ist Schwedens erfolgreicher Bestseller-Export Stefan Anhem, von dem ich mir viel versprochen habe und leider auf ganzer Linie enttäuscht wurde. Auch die Aufmachung des Buches war sehr vielversprechend, die beiden Bücher der „Würfelmörder“-Dilogie sind durch die auffällige schwarz-gelbe Färbung mit jeweils unterschiedlicher Hintergrundfarbe sofort als zusammengehöriges Duo zu erkennen. Besonders schön finde ich, dass man die beiden Bücher "zusammensetzen" kann, so dass die jeweils abgeschnittenen Würfel ein Ganzes ergeben. Eine absolut ansprechende äußere Aufmachung. Leider kann der Inhalt nicht mit den Erwartungen, die Autor und Cover erwecken, mithalten.

Zunächst ist „Der Würfelmörder“ niemandem zu empfehlen, der als Quereinsteiger mit der Fabian-Risk-Reihe beginnen möchte. Ich hatte permanent das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben, konnte gerade am Anfang vieles nicht nachvollziehen und habe mich insbesondere rund um Risks Familiengeschichte absolut verloren gefühlt. Dadurch, dass die Vorgeschichte nicht erläutert wird, sondern sich der Leser direkt mitten drinnen befindet, war dieser Teil des Buches sehr frustrierend.

Die Story selbst ist einfach nur verwirrend, da sie mit viel zu vielen Handlungssträngen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, vollkommen überlastet ist. An sich ist dies ein schönes Stilmittel, um die Spannung zu erhöhen, aber irgendwann müssen diese auch zusammenlaufen. Als nach über 300 Seiten stattdessen nur immer neue Nebenstränge dazu kamen blickte ich bald nicht mehr durch, auch die Einführung zahlreicher Personen, die immer mal wieder ganz plötzlich auftauchten hat für Verwirrung gesorgt. Es war einfach alles zu viel des Guten, die Konzentration auf wenige wirklich relevante Handlungsstränge hätte vollkommen ausgereicht. Außerdem ist so die Geschichte rund um den Würfelmörder, um den es laut Titel und Klappentext ja eigentlich gehen soll, völlig in den Hintergrund und beinahe in Vergessenheit geraten, er hat vergleichsweise nur wenig Raum bekommen. Nach 500 Seiten bleiben noch sehr viele lose Enden, da das Buch in einem offenen Schluss mit Cliffhanger endet, in dem kein einziger der Handlungsstränge aufgelöst wird. Dieser würde mich absolut unzufrieden zurück lassen, wenn es nicht noch einen zweiten Band gäbe, von dem ich mir nun eine Auflösung zumindest einiger Handlungsstränge erhoffe.

Auch mit seinen Figuren konnte Anhem bei mir nicht punkten: Sie wirken größtenteils formlos, unsympathisch und vermitteln den Eindruck, völlig inkompetente Ermittler zu sein. Am Schlimmsten fand ich dabei Irene Lilja, die sich komplett von ihren politischen Überzeugungen und Emotionen leiten lässt, sich dadurch unprofessionell verhält und immer wieder in Gefahr begibt. So eine Polizistin wäre in der Realität untragbar! Auch die mitunter etwas seltsam anmutenden Ermittlungsmethoden, die (v.a. im Fall der nervigen Irene Lilja) sicherlich auch so nicht legal sind wirken für mich wenig realitätsnah. Jeder der Ermittler scheint mindestens ein persönliches Problem zu haben, mit dem er/sie permanent kämpft und mehr beschäftigt ist als mit den eigentlichen Mordfällen. Lediglich Fabian Risk hat ganz zu Ende ein paar Sympathiepunkte bei mir gut gemacht, als er sich wieder verstärkt in die Ermittlung rund um Columbus eingeschalten hat.

Was mir auch überhaupt nicht gefallen hat ist die sehr tendenziöse Gut-Böse-Darstellung, in der mehr als deutlich die Gesinnung des Autors deutlich wird. Ich mag es insgesamt nicht, wenn ein Autor seine politische und gesellschaftliche Überzeugung so augenscheinlich darlegt und all seine Figuren danach handeln lässt. Selbst wenn diese berechtigt und im Sinne des Lesers ist, fühle ich mich dadurch doch bevormundet und manipuliert. Des Weiteren wurden zahlreiche wichtige Themen angesprochen, aber so durcheinander vermischt, dass ich als Leser irgendwann nicht mehr wusste, ob sich das Buch nun um Rassismus, die Neonazi-Szene, brutale Obdachlosenmorde, Jugendkriminalität, die Swinger- & BDSM-milieu, Pädophilie, Okkultismus oder was auch immer bedient. Ich hatte das Gefühl es werden sämtliche aufmerksamkeitserregende Themen „abgearbeitet“. Schade auch, dass dabei so viele Klischees bedient wurden, so dass viele dieser wichtigen Themen konstruiert wirkten.

Was jedoch positiv hervorzuheben ist, ist der flüssige und lebendige Schreibstil Stefan Anhems. Jeder Handlungsstrang für sich ist sowohl toll geschrieben, als auch interessant konstruiert und erzählt. Ab der ersten Zeile ist die Spannung hoch und lässt auch bis zum Ende nicht nach. Einige Darstellungen sind dabei sehr brutal und blutrünstig, mehr gestört hat mich aber die zuweilen doch recht vulgäre Fäkalsprache, bei der auch mit Schimpfworten und Beleidigungen nicht gespart wurde.

Zusammenfassend bin ich von Band 1 des „Würfelmörders“ leider nicht überzeugt. Stefan Ahnhem presst einfach viel zu viele Themen und Handlungsstränge in das Buch. Meine Erwartungen an Band 2 sind groß, da ich hoffe, dass beide Bände zusammen zu einer Einheit finden, die mich mit Band 1 versöhnen kann. Dieser kann definitiv nicht für sich alleine stehen und enttäuscht somit.

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