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Veröffentlicht am 10.04.2022

Viel Beschreibung, wenig Handlung

Every (deutsche Ausgabe)
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Dave Eggers Roman „Every“ knüpft an seinen Bestseller “Der Circle“ an, den ich bereits vor ein paar Jahren gelesen habe und gleichzeitig spannend und erschreckend fand. Inzwischen ist aus dem Circle „Every“ ...

Dave Eggers Roman „Every“ knüpft an seinen Bestseller “Der Circle“ an, den ich bereits vor ein paar Jahren gelesen habe und gleichzeitig spannend und erschreckend fand. Inzwischen ist aus dem Circle „Every“ geworden, nachdem die Firma den größten Online-Shop der Welt geschluckt hat, von dem alle nur als „dschungel“ sprechen. Everys Macht ist größer denn je – der Konzern bietet Apps für jede Lebenslage, die die Menschen beinahe lückenlos überwachen und ihnen das Leben dabei scheinbar so angenehm und vor allem berechenbar wie möglich machen. Natürlich gibt es auch Menschen, die das System ablehnen. Eine von ihnen ist Delaney, die schon seit Jahren einen Plan verfolgt: Sie will sich bei Every bewerben und den Konzern von innen vernichten. Und tatsächlich schafft sie es mit Hilfe ihres Freundes Wes, eingestellt zu werden. Ihre Strategie: sich so abstruse neue Überwachungs-Apps einfallen zu lassen, dass die Menschheit sich von Every abwendet. Allerdings ist das gar nicht so einfach …

Der Roman dreht sich vor allem um Delaneys Job-Rotation. Sie arbeitet in verschiedensten Every-Abteilungen und lernt die Firma so von innen kennen, inklusive ihrer unterschiedlichen Apps. Eggers dreht die Überwachungsschraube gekonnt immer weiter – alle von Every entwickelten Programme scheinen so viele hilfreiche Funktionen zu haben, dass die Kunden ihre totale Transparenz klaglos in Kauf nehmen. Ins Nachdenken kommt man beim Lesen schon, denn längst nicht alle geschilderten Entwicklungen wirken technisch und moralisch undenkbar.

Allerdings nutzen sich diese Schockmomente mit der Zeit doch etwas ab und dann fällt auf, dass die Handlung eher dürftig ist. Es passiert einfach nicht besonders viel in „Every“, abgesehen von den letzten 140 Seiten. Das ist schade, denn einige Charaktere sind so interessant angelegt, dass ihre Geschichten sicher erzählenswert gewesen wären. Doch sie bleiben alle Beiwerk von Delaney, und das ist schade. Ich hatte mir von „Every“ deutlich mehr versprochen.

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Veröffentlicht am 29.03.2022

Hinter der Fassade

Eine perfekte Familie
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„Eine perfekte Familie“ – gibt es das überhaupt? Die Delaneys wirken zumindest so: Joy und Stan haben sich bereits als junge Erwachsene und passionierte Tennisspieler kennen und lieben gelernt, gemeinsam ...

„Eine perfekte Familie“ – gibt es das überhaupt? Die Delaneys wirken zumindest so: Joy und Stan haben sich bereits als junge Erwachsene und passionierte Tennisspieler kennen und lieben gelernt, gemeinsam eine Tennisschule gegründet und vier Kinder bekommen. Inzwischen sind die beiden um die 70 Jahre alt, der Nachwuchs ist längst ausgezogen und die Tennisschule seit Kurzem verkauft. Zeit für den wohlverdienten Ruhestand – den aber beide nicht so richtig genießen können. Zumindest Joy weiß, wer ihr die Rente versüßen könnte: Enkelkinder! Doch weder ihre beiden Töchter noch die zwei Söhne machen Anstalten, sich fortzupflanzen. Und so richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf jemand anderes, der plötzlich abends vor ihrer Tür steht: Savannah, eine junge Frau, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist und auf gut Glück bei den Delaneys angeklopft hat.

Diese Ausgangssituation baut sich langsam und in Rückblenden auf, während bereits der Prolog des Romans mit der Tür ins Haus fällt: Wenige Monate nach den geschilderten Ereignissen ist Joy verschwunden. Zurück bleiben eine kryptische SMS, die sie an ihre Kinder geschickt hat, und Ehemann Stan, der sich nicht groß um sie zu sorgen scheint und auch anderweitig verdächtig wirkt. Doch wie konnte das passieren – und was ist überhaupt geschehen? Liane Moriarty wechselt zwischen zwei Zeitebenen und mehreren Erzählperspektiven: In den Rückblenden erzählt die später verschwundene Joy oft ihre Sicht der Dinge, doch es sind auch immer wieder Kapitel aus den Perspektiven ihrer vier Kinder geschrieben. Letztere sind außerdem meist die Erzähler der im Jetzt spielenden Abschnitte, doch auch die Ermittlerin, die Joys Verschwinden untersucht, kommt mehrfach zu Wort. Nach und nach wird klarer, was in der Vergangenheit passiert ist – wobei die Rückblenden durchaus kleine Längen haben. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass die Delaneys eine Tennisfamilie sind und der Sport eine große Rolle spielt.

Sehr gelungen sind der Autorin die Einblicke in das scheinbar perfekte Familienleben. Charakterstudien sind Moriartys große Stärke und ihre Enthüllungen rund um die einzelnen Biografien lesen sich packend. Wie sich am Ende alle Puzzleteile zusammenfügen, ist grandios: unvorhersehbar, aber absolut stimmig. Und so macht „Eine perfekte Familie“ durchaus Spaß, auch wenn dem Roman ein paar Straffungen hier und da gutgetan hätten.

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Veröffentlicht am 25.03.2022

Fallstricke und Gewissenskonflikte

Vertrauen
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Avi Avraham, Oberinspektor im Ayalon-Polizeidistrikt in Tel Aviv, ist mit seinem Job nicht mehr zufrieden und plant eine berufliche Umorientierung, was seinen Chef aus allen Wolken fallen lässt. Bevor ...

Avi Avraham, Oberinspektor im Ayalon-Polizeidistrikt in Tel Aviv, ist mit seinem Job nicht mehr zufrieden und plant eine berufliche Umorientierung, was seinen Chef aus allen Wolken fallen lässt. Bevor es jedoch zu einer Versetzung kommt, stellt sich Avis neuer Fall als weniger trivial heraus, als er angenommen hatte: Der aus einem Hotel verschwundene europäische Gast, der angeblich bei israelischen Verwandten untergekommen ist, hat seiner Tochter erzählt, er würde für den Mossad arbeiten. Und auch sonst gibt es einige Ungereimtheiten, die Avi skeptisch werden lassen. Seine Kollegin ist dagegen relativ schnell einer Frau auf die Spur gekommen, die einen Säugling ausgesetzt hat. Allerdings ist sie weder die Mutter des Kindes noch auf irgendeine Art und Weise kooperativ. Oberinspektor Avi will zwar genau solchen Fällen den Rücken kehren, aber sie lesen sich durchaus spannend und vermitteln darüber hinaus auch noch einmal einen Eindruck vom Leben in Israel. Der Schreibstil des Tel Aviver Autors Dror Mishani macht außerdem Spaß: unaufgeregt, in die Tiefe gehend und seine komplexen Figuren mit ihren unterschiedlichen Perspektiven immer ernst nehmend. „Vertrauen“ ist ein literarischer Krimi mit wenig Blut und ohne wilde Verfolgungsjagden. Aber er stellt seine Leser*innen immer wieder vor die Frage, wie sie sich entscheiden oder vorgehen würden, er zeigt Fallstricke und Gewissenskonflikte und ist dadurch stellenweise interessanter und packender als ein klassischer „Whodunit“-Roman. Selbst wenn Oberinspektor Avi tatsächlich beruflich weiterziehen sollte – ich würde ihn gerne lesend begleiten.

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Veröffentlicht am 10.03.2022

Verständlich, lebendig, erstaunlich

Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest
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Der selbstbewusste Titel dieses Buches ließ mich erst skeptisch werden. Ratgeber, die schon auf dem Cover verkünden, was Leserinnen und Leser tun sollten, sind mir suspekt. Andererseits klang es natürlich ...

Der selbstbewusste Titel dieses Buches ließ mich erst skeptisch werden. Ratgeber, die schon auf dem Cover verkünden, was Leserinnen und Leser tun sollten, sind mir suspekt. Andererseits klang es natürlich verlockend, über das eher dröge Thema Finanzen nur ein einziges Buch lesen zu müssen – vor allem für jemanden wie mich, der bisher einen größeren Bogen um derartige Werke gemacht hat.

Hält „Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest“ denn nun, was es verspricht? Aus Mangel an vergleichbaren Lektüren kann ich das nicht unbedingt beantworten. Es stimmt allerdings, dass die Autoren Thomas Kehl und Mona Linke ihre Leserinnen gewissermaßen an die Hand nehmen, um sie durch den Dschungel möglicher Geldanlagen zu führen. Geduldig beginnen sie mit verbreiteten Denkfehlern, streifen das Thema Versicherungen und kommen schließlich zu Non-Profit-Bankanlagen, Immobilien, Aktien und Investmentfonds. Alles wird in kurzen Kapiteln erklärt und von verschiedenen Seiten betrachtet – und zwar so, und das fand ich wirklich bewundernswert, dass es weder langweilig noch unverständlich wird. Vergleiche, persönliche Erfahrungsberichte und Beispiele sorgen dafür, dass dieses Sachbuch lebendig bleibt und seine Leserinnen bei der Stange hält. Wer sich hier und da doch schon einmal mit seinen Finanzen beschäftigt hat, wird bereits einiges wissen – doch in einer so komprimierten, klar auf den Punkt gebrachten Form mit weiterführenden Erklärungen sind mir Finanzthemen noch nie begegnet. Ich habe beim Lesen tatsächlich viel gelernt und Berührungsängste abgebaut. Gleichzeitig schreiben Kehl und Linke weniger forsch, als der Titel ihres Werks vermuten lassen würde: Sie informieren und sprechen allgemeine Empfehlungen aus, aber sie verkaufen nichts – weder den einen todsicheren Geheimtipp noch ein weiterführendes Mentoring o.ä. Und so hat mich dieses Buch tatsächlich irgendwie begeistert, was ich weder vom Thema noch vom Titel her erwartet hätte.

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Veröffentlicht am 01.03.2022

Pointierter Rundumschlag

Es kann nur eine geben
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„Es kann nur eine geben“ – das klingt erstmal vertraut. Schließlich bläut Heidi Klum ihren „Meedchen“ seit Jahren ein, dass nur eine Germany’s Next Topmodel werden kann. Carolin Kebekus zeigt gleich auf ...

„Es kann nur eine geben“ – das klingt erstmal vertraut. Schließlich bläut Heidi Klum ihren „Meedchen“ seit Jahren ein, dass nur eine Germany’s Next Topmodel werden kann. Carolin Kebekus zeigt gleich auf den ersten Seiten ihres Buches auf, dass der Gedanke der einsamen Frau an der Spitze schon viel älter ist: Schneewittchen oder die Stiefmutter – nur eine kann die Schönste im ganzen Land sein. Aschenbrödel oder eine ihrer Stiefschwestern – nur eine wird den Prinzen heiraten. Und selbst beim weihnachtlichen Krippenspiel gibt es nur eine explizite Frauenrolle.

Scharfzüngig und pointiert macht Kebekus deutlich, dass Frauen die Konkurrenz zueinander fast schon in die Wiege gelegt wird – und nimmt sich selbst dabei nicht aus. Wenn man mit der Erkenntnis sozialisiert wird, dass nur eine die Schöne oder die Schlaue oder die Lustige sein kann, sind alle anderen Frauen eine Gefahr. Als Comedienne, der oft genug abgesagt wurde, weil man schon eine Frau in der Show hätte (und somit keine weitere bräuchte), wurde ihr bereits zu Beginn ihrer Karriere verdeutlich, dass es nur eine geben kann. Das Perfide: Wenn man mit dieser seltsamen Argumentation von Beginn an konfrontiert wird, neigt man auch noch dazu, sie hinzunehmen. Kebekus arbeitet diese Denkfalle in ihrem Buch auf und schildert, wie sie da wieder rausgekommen ist. Unterbrochen werden die Kapitel von Illustrationen, die ich nicht besonders lustig fand, und einer Liste mit allen deutschsprachigen Kolleginnen, die sich sehr beeindruckend liest. In der Comedyszene gibt es nicht nur eine Frau, es sind sehr, sehr viele, und Kebekus bereitet ihnen in ihrem Buch eine Bühne und plädiert dafür, andere Frauen zu würdigen, zu feiern und zu unterstützen. Nebenbei gewährt sie ihren Leser*innen einen Blick hinter die Kulissen des meist männlichen Unterhaltungsbetriebs – auch ganz spannend.

Doch es geht nicht nur um die eigenen Erfahrungen der Autorin. Carolin Kebekus setzt sich mit der katholischen Kirche auseinander, dem Abtreibungsparagrafen, dem Gender Pay Gap und noch vielen anderen Themen. „Es kann nur eine geben“ ist ein feministischer Rundumschlag voller treffsicherer Beobachtungen und beißendem Sarkasmus. Manchmal war mir die Schlagzahl etwas zu hoch – Kebekus steigt immer gleich voll ins jeweilige Thema ein und feuert pausenlos Pointen und Appelle ab. Wenn man ihre Sendungen kennt, kann man ihre Plädoyers beim Lesen fast hören. In Buchform sind es sehr viele auf einmal, das hat mich stellenweise etwas erschlagen. Aber ich habe aus dem Buch auch viele Denkanstöße mitgenommen. „Es kann nur eine geben“ ist definitiv lesenswert und steigert die Vorfreude auf die nächste Staffel der Carolin Kebekus Show.

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