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Veröffentlicht am 01.11.2020

Viva la Mama!

Mama Superstar
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Dieses Buch ist voller Liebe: Mutterliebe, Tochterliebe, liebevollen Texten und Illustrationen. Schon beim ersten Blättern wird klar, dass man ein Herzensprojekt in der Hand hält, das Mütter feiern will ...

Dieses Buch ist voller Liebe: Mutterliebe, Tochterliebe, liebevollen Texten und Illustrationen. Schon beim ersten Blättern wird klar, dass man ein Herzensprojekt in der Hand hält, das Mütter feiern will – und zwar ganz konkrete Mütter, die (bis auf eine) aus den verschiedensten Ländern (und Gründen) nach Deutschland migriert sind und ihre Kinder fernab der eigenen Heimat und des eigenen Kulturkreises bekommen und aufgezogen haben.
Erzählt werden ihre Geschichten von ihren Töchtern, und sie lesen sich wie eine einzige große Liebeserklärung an die jeweiligen „Migrant Mamas“. Es wird die Migrationsgeschichte jeder Mama erzählt, hinzukommen dann noch vier weitere Anekdoten, die stets unter den jeweils eine Seite umfassenden Kategorien „Verblüfft“, „Glücklich“, „Nachdenklich“ und „Berührt“ zusammengefasst werden. Das Sprachniveau ist C1, damit das Buch nicht nur für Muttersprachler*innen und Lesende mit perfekten Deutschkenntnissen geeignet ist. Überschriften und Farbgebung sind in jedem Kapitel anders und auch die farbenfrohen Zeichnungen zeigen, dass sich die Illustratorin viele Gedanken gemacht hat, um jeder der porträtierten Frauen gerecht zu werden. Abgerundet wird die Vorstellung jeder Mutter mit einem ihrer Lieblingsrezepte.

Die Mütter kommen z.B. aus Äthiopien, Bolivien, Südkorea und Kasachstan – insgesamt sind es 11 Frauen aus 11 Ländern plus eine als Teaser für ein weiteres Buch, das die beiden engagierten Autorinnen planen. Melisa Manrique und Manik Chandler sind beide Töchter von „Migrant Mamas“, die in diesem Buch auch vorgestellt werden. Spannend fand ich, dass sogar eine Deutsche vorkommt, die „nur“ in die Niederlande migriert ist – auch das ist Migration, auch das kann einen Kulturschock auslösen, auch das bedeutet, sich mit dem Leben in einem neuen Land auseinandersetzen zu müssen.

„Mama Superstar“ feiert das Improvisationstalent, die Kraft und die Flexibilität von Müttern. Die erwachsenen Töchter, die ihre jeweiligen Mütter beschreiben, rufen dazu auf, kulturelle Vielfalt, Bonuswurzeln und Mehrsprachigkeit wertzuschätzen – und lassen dabei gleichzeitig durchblicken, dass das für das Kind einer Migrant Mama nicht immer einfach ist. Doch wer dieses Buch liest, dem wird auf wunderschöne Art und Weise vor Augen geführt, wie es das Leben bereichern kann, wenn man sich auf eine andere Kultur einlässt.

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Veröffentlicht am 29.10.2020

Themenbedingt etwas lahm

Die große Pause
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Comedian Bastian Bielendorfer hat mit „Die große Pause“ ein mit kleinen Kritzeleien originell gestaltetes „Corona-Tagebuch“ veröffentlicht. Es beginnt im März, Bielendorfer tritt noch in Dieter Nuhrs Kabarettsendung ...

Comedian Bastian Bielendorfer hat mit „Die große Pause“ ein mit kleinen Kritzeleien originell gestaltetes „Corona-Tagebuch“ veröffentlicht. Es beginnt im März, Bielendorfer tritt noch in Dieter Nuhrs Kabarettsendung auf, sagt sein wenige Tage später stattfindendes Gastspiel in der Hauptstadt dann allerdings aufgrund der unüberschaubaren Lage bereits ab. Die nächsten Wochen verbringt der Wahlkölner mit Frau, Schwiegermutter und Mops vor allem in den eigenen vier Wänden und schildert in seinem Buch Anekdoten aus dieser Zeit. Bielendorfer wirkt dabei sympathisch und warmherzig, die Episoden sind unterhaltsam. Allerdings auch etwas langweilig. Aber wen wundert das? Aufregend und abwechslungsreich war dieses Frühjahr für viele nicht. Und so schreibt Bielendorfer von Home Office, Video-Telefonaten, Einkäufen (mit leichten Hamster-Tendenzen) und Spaziergängen, gewürzt mit ein paar Geschichten aus dem familiären Nähkästchen und kleinen zwischenmenschlichen Reibereien. Nur das Treffen mit einer Unbekannten im Park, die dann noch auf die Lage in den Pflegeheimen zu sprechen kommt, wirkte auf mich überkonstruiert.

Spannung kommt leider keine auf. Angesichts der beschriebenen Situation kann man Bielendorfer das kaum zum Vorwurf machen, aber ein Pageturner ist „Die große Pause“ wirklich nicht. Dass der Künstler seine Bühnen-Zwangspause zum Schreiben genutzt hat, ist verständlich. Dass er ein Händchen für amüsante Beobachtungen hat, unbestritten. Zudem ist es sicher schwierig, ein Buch zu einem Thema zu schreiben, das noch nicht ausgestanden ist – noch dazu ein Tagebuch, das Einblicke in einen eingeschränkten Alltag zeigen, aber sicher auch nicht alles Persönliche enthüllen soll. Und so liest sich „Die große Pause“ alles in allem etwas lahm. Ich hätte mir zumindest noch ein paar Reflektionen zur pandemiegebeutelten Veranstaltungsbranche gewünscht, ein paar Ideen für die Zukunft, irgendein Thema mit Biss, bei dem Bielendorfer sich klar positioniert.
Und so vergebe ich nur drei Sterne für „Die große Pause“ plus – gedanklich – viele Sympathiepunkte an den Autor, den man nach seinem sehr persönlichen Epilog am liebsten in den Arm nehmen würde.

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Veröffentlicht am 19.10.2020

Gute Plotidee mäßig umgesetzt

Die Spur des Schweigens
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Dieser Roman hat es in sich: Es geht um MeToo in der Wissenschaft, eine Familientragödie und nicht zuletzt den Umgang mit Traumata und Krankheit. Große Themen, aus denen man einen echten Pageturner machen ...

Dieser Roman hat es in sich: Es geht um MeToo in der Wissenschaft, eine Familientragödie und nicht zuletzt den Umgang mit Traumata und Krankheit. Große Themen, aus denen man einen echten Pageturner machen könnte. Leider ist Amelie Frieds „Die Spur des Schweigens“ jedoch keiner.

Die 39-jährige Julia Feldmann arbeitet als freie Journalistin und schlägt sich damit mehr schlecht als recht durch. Sie ist Single und hat spätestens seit dem spurlosen Verschwinden ihres Bruders vor 12 Jahren einen ausgeprägten Hang zu selbstzerstörerischen Neigungen. Als sie den Auftrag für eine potentielle „MeToo“-Geschichte erhält, ist sie zunächst wenig begeistert, merkt jedoch schnell, dass sie einem Skandal auf der Spur ist. Doch ihre Recherchen gefallen nicht jedem und auch privat wird ihr Leben immer turbulenter.

Leider fand ich einige Entwicklungen in diesem Roman einfach unglaubwürdig. Da fällt z.B. dem ehemaligen Mitbewohner des verschollenen Bruders spontan ein, dass er ja noch zwei Kisten mit dessen Sachen im Keller hat – nach 12 Jahren. Während die Polizei nach dem Vermissten suchte, kam offensichtlich niemand auf die Idee, nachzuschauen, was der denn so hinterlassen hatte.
Es gibt einige solcher Passagen, die zu unvorhersehbaren Wendungen führen, dabei jedoch ziemlich an den Haaren herbeigezogen erscheinen. Im letzten Viertel der Geschichte hat die Autorin außerdem ein paar praktische Zeitsprünge eingebaut, die ihr erlauben, Entwicklungen nicht mehr schildern zu müssen, was die aufeinanderfolgenden Ereignisse allerdings nicht plausibler macht. Eine zweite Perspektive, die der allwissende Erzähler in unregelmäßigen Abständen teilt, war so naiv, dass ich es stellenweise schwer erträglich fand. Das melodramatische Ende tat sein Übriges.

Mein Fazit: Hier wurde eine an und für sich vielversprechende Plotidee äußerst mäßig umgesetzt. Ich hätte diesem Roman wesentlich mehr zugetraut.

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Veröffentlicht am 08.10.2020

Psychogramm einer Ehe

Unter uns das Meer
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Dieser Roman ist größtenteils aus zwei Perspektiven erzählt, die durch ein unterschiedliches Schriftbild geschickt voneinander abgegrenzt sind. Die beiden Protagonisten sind ein Ehepaar, das seinen mehrmonatigen ...

Dieser Roman ist größtenteils aus zwei Perspektiven erzählt, die durch ein unterschiedliches Schriftbild geschickt voneinander abgegrenzt sind. Die beiden Protagonisten sind ein Ehepaar, das seinen mehrmonatigen Segeltörn mit zwei kleinen Kindern schildert. Der Mann, Michael, ist die treibende Kraft dahinter, seine Frau Juliet hat irgendwann nachgegeben und so steuern sie ihre Familie schließlich in einem Boot über das Karibische Meer. Doch vor Problemen lässt sich nicht davonsegeln, und Probleme haben Michael und Juliet jede Menge – miteinander, mit anderen und mit sich selbst; beide schleppen unverarbeiteten, zum Teil nie ausgesprochenen Ballast mit sich herum. Immer wieder wird außerdem deutlich, dass es Juliet in der Romangegenwart absolut nicht gut geht. Sie sitzt in einem Schrank, während sie ihren Part der Geschichte erzählt. In Michaels Schrank. Michael dagegen schildert seine Gedanken im Logbuch des Schiffes. Die Diskrepanz zwischen den beiden Perspektiven erzeugt eine unterschwellige Spannung, die Sogwirkung entwickelt. Wie das Segelboot der beiden steuert die Geschichte auf etwas zu, aber Autorin Amity Gaige lässt die Lesenden lange im Unklaren darüber, wohin die Reise geht.

Und so navigiert sie mit sicherer Hand zwischen Drama, Abenteuerroman, Familiengeschichte und Psychogramm einer Ehe hin und her. Es geht um den Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch um den Umgang mit Ängsten und Traumata. Verschiedenste zwischenmenschliche Untiefen werden nach und nach gnadenlos ausgeleuchtet. Und immer wieder fordert das Meer volle Aufmerksamkeit und nimmt dabei keinerlei Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Protagonisten. Ein ungewöhnlicher Roman, bei dem mir sehr lange nicht klar war, worauf er hinausläuft, der mich aber trotzdem (oder gerade deswegen?) gefesselt hat. Intelligent geschrieben und packend erzählt.

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Veröffentlicht am 01.10.2020

Starkes Debüt, aufrüttelnd erzählt

Die Sommer
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Die titelgebenden Sommer in Ronya Othmanns Romandebüt sind die Ferien, die Leyla Jahr für Jahr bei ihren Großeltern verbringt. So weit, so normal; allerdings wohnen die Großeltern nicht an Nord- oder Bodensee, ...

Die titelgebenden Sommer in Ronya Othmanns Romandebüt sind die Ferien, die Leyla Jahr für Jahr bei ihren Großeltern verbringt. So weit, so normal; allerdings wohnen die Großeltern nicht an Nord- oder Bodensee, sondern in Kurdistan – einem Land, das es offiziell gar nicht gibt und dessen Namen Leyla auf keinen Fall vor Dritten erwähnen soll. Das jedenfalls schärft ihr kurdischer Vater seiner Tochter von Kindesbeinen an ein. Und so lebt Leyla von klein auf mit einer Schere im Kopf: Hier ihr deutsches Leben in der Nähe von München, da ihre kurdischen Sommer bei den Großeltern in Nordsyrien. Hier Wohlstand, da einfachste Verhältnisse. Hier nur die Eltern, da eine Großfamilie. Hier das Leben eines Durchschnittsteenagers, da Angehörige einer stets bedrohten Minderheit als Jesidin.

Leyla liebt ihre Sommer und Ronya Othmann gelingt es, sie für die Lesenden erfahrbar zu machen – immer wieder geht es um Licht, Gerüche, Haptik. Im Buch scheitert die Protagonistin dagegen daran, ihren deutschen Klassenkameraden und Freundinnen dieses andere Leben nahezubringen. Es rührt an, wie Leyla, die Außenseiterin mit der deutschen Mutter, im Laufe eines Sommers mehr und mehr im nordsyrischen Dorf ankommt, um dann durch ihre Abreise wieder in eine andere Welt katapultiert zu werden und im Jahr darauf erneut von vorne anzufangen.

„Die Sommer“ ist ein wichtiges Buch – über Verfolgung, Flucht und Heimatlosigkeit, ein Leben als Außenseiterin und Fremdheit im eigenen Land. Gleichzeitig ist die Grundstimmung von einer unbestimmten Sehnsucht nach Menschlichkeit, Zugehörigkeit und Frieden geprägt. Wie nebenbei erzählt Ronya Othmann die Geschichte der Jesiden; von Vertreibung, Flucht, Schikane, staatlicher Willkür und ständiger Benachteiligung. Sie erzählt sie durch Leylas Vater, der seine gesamte Freizeit vor dem Fernseher verbringt und sämtliche arabische Nachrichtensendungen verfolgt, die er finden kann. Der davon träumt, dass verschiedene Ethnien und Religionen gleichberechtigt in einer Demokratie zusammenleben – und dessen Hoffnungen mit Ausbruch des Krieges in Syrien wieder einmal zerstört werden. Ab da verbringt Leyla, inzwischen fast erwachsen, ihre Sommer in Deutschland und entfremdet sich trotzdem mehr und mehr von ihrer Umgebung. Ihre Zerrissen- und Verlorenheit sowie ihre Ohnmacht werden dabei immer erdrückender. Blass bleibt dagegen Leylas Mutter, die allerdings auch nur eine Nebenfigur ist: eine pragmatische Krankenschwester, die ihren Ehemann und dessen kurdische Verwandtschaft bedingungslos unterstützt und offensichtlich keinerlei Verwandte oder Freunde hat, mit denen sie ihre Tochter auch in Deutschland etwas verwurzeln könnte. Das fand ich etwas unstimmig, aber es war auch das einzige.

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