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Veröffentlicht am 13.10.2017

15 tolle, gehaltvolle, unter die Haut gehende Beiträge zum Thema Familie.

Jüdischer Almanach Familie
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Den Band „Familie“, jüdischen Almanach der Leo Baeck Institute Jerusalem, herausgegeben von Gisela Dachs, habe ich gern gelesen und empfehle es auch gern weiter, sowohl an diejenigen, die sich an die Thematik ...

Den Band „Familie“, jüdischen Almanach der Leo Baeck Institute Jerusalem, herausgegeben von Gisela Dachs, habe ich gern gelesen und empfehle es auch gern weiter, sowohl an diejenigen, die sich an die Thematik erst heranwagen, als auch an die Leser/innen, die schon einiges darüber gelesen/gewusst haben. Der Band enthält 15 Beiträge verschiedener Autoren, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise dem Thema Familie nähern. Zwei Beiträge sind Auszüge aus den Romanen, die auf Hebräisch erschienen sind.

„Diesem lebensbestimmenden, vielseitigen und streitbaren Thema ist dieser Almanach gewidmet. Es handelt von lauter Familiengeschichten, die ihren Schwerpunkt immer wieder woanders haben. Es geht um Familienbande und Familienbiographien, um von Verfolgung und Verlust geprägte Kindheitserfahrungen, um Familientreffen und die nie aufhörende Suche nach Angehörigen. Beschrieben werden auch die Rolle von Frauen, von Nachwuchs und Vaterfiguren, ebenso wie gut gehütete Familiengeheimnisse, deren Aufdeckung Identitäten radikal veränderte. Wenn wir uns mit einem emotional, politisch und historisch so aufgeladenen Thema wie der jüdischen Familie befassen, dürfen wir keine einfachen Geschichten erwarten.“, so die Herausgeberin im Vorwort.

Und genauso habe ich das Buch auch erlebt. Diese (Lebens-)Geschichten sind manchmal nicht einfach, sie gehen unter die Haut, sie rütteln auf, sie lassen nicht los, auch nachdem die letzte Seite umgeblättert wurde. Diese Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit, diese Intensität zwingen die Leser zum Nachdenken: über die Vergangenheit, über Holocaust, über die damit verbundenen Schicksale, über die Familie, über die Identität, die sich daraus ergibt und was damals daraus geworden war und was man in der heutigen Zeit damit anfängt uvm.

Alle Geschichten unterscheiden sich von einander und trotzdem haben sie das Thema Familie auf eigene, unnachahmliche Weise zum Besten gebracht, z.B.: Hanno Loewy in „Die Hirschfelds oder: Was ist eine Familie?“ beeindruckt mit der Biografie seiner Familie. Man staunt nicht nur, wie weit sich seine Verwandtschaft in der Welt verstreut hat, sonder auch, dass er imstande war, all diese Informationen zu finden, zusammenzutragen und uns zu präsentieren. Jennifer Bligh in „Familiengeheimnisse. Die Geschichten meines Vaters“ überrascht mit einem Beitrag über ihren Vater, dem geborenen Geschichtenerzähler und wie diese Geschichten ihre, Jennifers, Identität in ihrer Kindheit prägten, bis sie nach dem Tod des Vaters die Wahrheit herausfand und sich neu definieren musste. Ellen Presser in „Die Hochzeit meines Bruders“ erzählt nicht nur über diese Hochzeit, die in der heutigen Zeit in Tel Aviv nach allen Regeln und traditionsgemäß stattfand, sie denkt auch über ihre Eltern nach, und wie für sie die Trauung in 1949 in München ausgefallen war, was es für sie bedeutete, eine Familie zu gründen, usw.

Diese Kontraste zwischen damals: während des Krieges, nach dem Krieg und heute, findet man auch in anderen Beiträgen, anders erzählt, jedoch immer die Vergleiche ziehend und viele Fragen aufwerfend, u.a. was man aus all dem gelernt hat, was man für sich, für die eigene Zukunft, für die Zukunft der eigenen Familie mitgenommen hat, uvm.

Fazit: 15 tolle, gehaltvolle, unter die Haut gehende Beiträge zum Thema Familie, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Das Foto auf dem Cover ist nicht nur großartig, das passt auch wunderbar zu dem Inhalt. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 08.10.2017

Ein ganz toller Roman, ein wahrer Highlight in diesem Herbst.

Ein Gentleman in Moskau
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Klappentext beschreibt den Inhalt ganz gut, wobei ich sagen muss, dass es nicht so einfach ist, bei diesem Roman in aller Kürze zu sagen, worum es hier eigentlich geht. Der im KT gesetzter Rahmen stimmt: ...

Klappentext beschreibt den Inhalt ganz gut, wobei ich sagen muss, dass es nicht so einfach ist, bei diesem Roman in aller Kürze zu sagen, worum es hier eigentlich geht. Der im KT gesetzter Rahmen stimmt: Rostov, ein Gentleman durch und durch, wird in seinem geliebten Hotel Metropol von der neuen Macht im Jahr 1922 eingesperrt. Sein zarenregimekritisches Gedicht, das er vor paar Jahren veröffentlichte, soll ihn von der Erschießung gerettet haben. Nun macht Rostov das Beste aus seiner Lage und führt auch weiterhin ein gutes, lebenswertes Leben: Er speist fein in den Restaurants des Hotels, liest in den Klassikerwerken, die er aus seinem Anwesen mitgebracht hatte, und schaut, was er auch sonst tun kann, um der langen Weile zu entkommen und den Mitmenschen behilflich zu sein. An Geld mangelt es ihm nicht. Er kann immer etwas aus seiner Goldmünzensammlung veräußern.
Graf Rostov ist für mich zu einer Figur geworden, die ich nicht missen möchte. Seine feine Art, sein Geschick, mit Problemen größerer und kleinerer Größenordnung fertigzuwerden, ist die Verkörperung der Lebensweisheit, die man unbedingt kennenlernen sollte. Seine Freunde, die Menschen, die im Hotel arbeiten, z.B. der Chefkoch, der Maître d’hôtel oder auch die Näherin sind auch spannende Persönlichkeiten, mit ihren eigenen Lebensgeschichten ausgestattet, Meister ihres Fachs, die Graf Rostov nicht nur als Profis begleiten, sie sind auch für diese Zeit seine Familie. Ihr Miteinander ist von genseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt.
Diese Fähigkeit, trotz allem, was draußen in schwierigen Zeiten passiert, sich davon nicht in die Irre leiten zu lassen, sondern ein Mensch zu bleiben, der so lebt, wie es ihm richtig erscheint und schaut, wie er sich sinnvoll in das Leben der Gemeinschaft einbringen kann, das und noch vieles mehr führt Graf Rostov und seine Freunde einem bildhaft vor Augen.
Natürlich wird auch ein Stück der russischen Geschichte in diesem Roman erzählt, sehr charmant, mit viel Kenntnis und Respekt. Keine Effekthascherei, erhobenen Fingerzeig oder ähnliches. Das hat Graf Rostov nicht nötig. Sehr gut gewählt, griffig und gentlemanlike sind die Kernmomente der Jahre von 1922 bis 1954 beleuchtet worden. Der 2.te Weltkrieg ist dabei komplett ausgeblendet worden, was ich auch gut fand. Dafür aber gibt es interessante Ausführungen über Stalin, Malenkow, Chruschow uvm, ihren Kampf um die Führungspositionen an der Parteispitze. Hinzu kommen Lebensgeschichten anderer Figuren, die entweder Opfer dieser stürmischen Zeiten geworden sind, wie z.B. die Mutter und Vater des Mädchens, das Graf Rostov bei sich aufnehmen musste und großgezogen hat, oder der Parteifunktionäre, die das Sagen hatten.
Die Überraschung, oder gar mehrere, zum Schluss fehlt keineswegs. Die Auflösung ist stimmig und passt zum Grafen wunderbar. Sehr, sehr gut erzählt.
Die Geschichte ist insg. meisterhaft dargeboten worden. Sehr charmant und angenehm. In weiten Strecken ist es ein Wohlfühlbuch für mich gewesen, das ich nur Häppchenweise gehört habe, damit diese Köstlichkeit nicht so schnell zu Ende geht.
Die u. g. Pressestimmen kann ich nur bestätigen:
"Towles ist ein Meistererzähler" New York Times Book Review.
"Eine charmante Erinnerung an die Bedeutung von gutem Stil" Washington Post.
Der Erzähler Hans Jürgen Stockerl hat sehr gut gelesen, seine Art, die Geschichte vorzutragen, hat das Wesen des Grafen und anderen Figuren noch in seiner Wirkung verstärkt und sie lebendiger erscheinen lassen. Schade fand ich, dass die rus. Realien und Namen falsch, mit grundsätzlich verkehrten Betonung gesprochen wurden, was manchmal zu unwillkürlich lustigen Fehlinterpretationen führte. Es gibt z.B. eine Figur, ein hoher Parteifunktionär namens Ossip. Ein alter Männername. Normalerweise fällt die Betonung auf O. Gesprochen wurde aber mit der Betonung auf i, was, so gesagt, so viel bedeutet wie heiser geworden, aufgrund von Erkältung oder langem lauten Sprechen. Im Kontext hörte es sich schon manchmal irreführend an: Statt Ossip als Männername: heiser geworden. Aber gut, das habe ich schon bei anderen Sprechern erlebt. Scheint insg. eine Unsitte branchenweit zu sein, rus. Worte, Namen, etc. grundsätzlich falsch zu betonen, ohne sich vorher schlau gemacht zu haben. Hier also nur vier Sterne.
Fazit: Es ist ein ganz toller Roman, ein wahrer highlight in diesem Herbst, ein must read/ must hear. Nach einer Pause höre ich den mir nochmals an. Er ist einfach zu schön.
Hörbuch. Spieldauer: 18 Stunden und 14 Minuten. Gelesen von Hans Jürgen Stockerl.


Veröffentlicht am 07.10.2017

Eine wahre Wohltat für die lärmgeplagten Großstädter und nicht nur.

Stille
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„Stille. Ein Wegweiser“ von Erling Kagge ist eine wahre Wohltat für die lärmgeplagten Großstädter und die modernen Menschen insg., die heute, mittlerweile verzweifelt, nach Stille, Ruhe und Frieden suchen. ...

„Stille. Ein Wegweiser“ von Erling Kagge ist eine wahre Wohltat für die lärmgeplagten Großstädter und die modernen Menschen insg., die heute, mittlerweile verzweifelt, nach Stille, Ruhe und Frieden suchen.
Dieses Buch ist ein guter Wegweiser geworden, den man gerne langsam und genüsslich liest und auch später nochmals aufschlagen möchte.

Zum Autor: „Erling Kagge, geboren 1963 ist ein Verleger, Autor, Jurist, Kunstsammler, Bergsteiger, Vater von drei Töchtern, er lebt in Oslo. Der norwegische Abenteurer hat als erster in der Geschichte die »drei Pole« erreicht – den Süd- und Nordpol und den Mount Everest.“

Zum Übersetzer: „Ulrich Sonnenberg, 1955 geboren, arbeitete nach einer Buchhändlerlehre mehrere Jahre in Kopenhagen und gründete 1986 zusammen mit Klaus Schöffling die Frankfurter Verlagsanstalt. Von 1993 bis 2003 war er Verkaufsleiter der Verlage Suhrkamp und Insel. Seit 2004 arbeitet er als freier Übersetzer und Herausgeber.“

Es sind 33 Kurztexte als Antworten auf die Fragen: „Was ist Stille? Wo ist sie? Warum ist sie heute wichtiger denn je?“

Kagge nimmt seine Leser mit in die Erinnerungen an seine spannenden Reisen. Im Text 5 erzählt er, wie er, auf einem Törn im Pazifik in Richtung Kap Horn an der chilenischen Küste, einem Blauwal begegnet war, der, warum auch immer, eine Zeit lang neben dem Schiff schwamm. In anderen Texten ist man mit dem Abenteurer in der Schneewüste am Südpol unterwegs, mal am Mount Everest, mal klettert man mit ihm spätnachts auf die Türme der Williamsburg Bridge, die Manhattan, Queens und Brooklyn verbindet, usw.
Aber das, was einen am meisten beeindruckt, sind Kagges philosophisch angehauchten Überlegungen zum Thema Stille. In einer schönen, klaren Sprache zum Ausdruck gebracht, sind sie sehr zugänglich und verständlich für alle. Sie sind aber auch so gehaltvoll, dass man noch länger darüber nachdenkt, wenn man zwischendurch eine Pause anlegt:

„Die Idee, der Langeweile zu entgehen, indem wir ständig etwas Neues tun, immer erreichbar sind, Nachrichten versenden, weitertippen und etwas sehen wollen, was wir noch nicht gesehen haben, ist naiv. Je mehr du unternimmst, um dich nicht zu langweilen, desto mehr langweilst du dich.“ S.66.

„Eine andere Form von Luxus ist es, nicht erreichbar zu sein. Sich dem täglichen Lärm entziehen zu können, ist ein Privileg.“. S. 69.

„In unserem Eifer, die neue Technologie zu nutzen, geben wir unsere Freiheit auf, behauptete Heidegger. Von freien Menschen werden wir zu Ressourcen umgestaltet. Der Gedanke ist heute noch zutreffender als damals, als er ihn fasste. Aber leider werden wir nicht zu einer Ressource füreinander, sondern zu etwas weniger Angenehmem. Zu einer Ressource für Organisationen wie Apple, Facebook, Instagram, Google, Snapchat und den Staat, denen es dank unserer eigenen, freiwilligen Hilfe gelingt, sich ein genaues Bild von uns zu machen, das sie verkaufen oder selbst verwenden können. Es schmeckt nach Ausbeutung.“ S. 77.

„Stille ist Luxus für alle.“ S. 71.

Es gibt noch viel mehr von tiefgreifenden Gedanken und Einsichten, die nicht nur jedes Zitatenheft zieren, sondern auch zur Besserung eigener Lebensqualität führen können.

Einige Farbfotos der schönen Landschaften begleiten die Ausführungen.

Die Quellen sind auch liebevoll beschrieben. Zu jedem Zitat wurde nicht nur der Titel samt Autor genannt, es gibt dazu noch eine kurze Erklärung, wo es entnommen wurde und ggf. auf welchen Fragen diese basieren, etc.

Das Buch ist schön und sehr passend gestaltet. Auf dem Festeinband ist ein buntes Foto einer großen Kreuzung in einer dt. Großstadt zusehen, das gleich an entsprechende Geräuschkulisse denken lässt, der Umschlag ist dagegen weiß und schlicht, wie in Stille gehüllt.

Fazit: Eine Wohltat für die Lärmgeplagten und nach Ruhe Suchenden ist dieses Buch auf jeden Fall. Wenn man mal etwas Schönes am Abend lesen möchte, kann hier gut zugreifen. Es ist ein Wohlfühlbuch. Perfekt auch als nettes Mitbringsel, ein Geschenk für Freunde und Familie.



Veröffentlicht am 07.10.2017

Eine Wohltat für Paris-Begeisterte und diejenigen, die es werden wollen.

Paris, links der Seine
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Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „Seit Jahrhunderten haben die Straßen von Saint-Germain-des-Prés sowie die Terrains rund um das Quartier Latin Künstler, Musiker und Schriftsteller aus ...

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „Seit Jahrhunderten haben die Straßen von Saint-Germain-des-Prés sowie die Terrains rund um das Quartier Latin Künstler, Musiker und Schriftsteller aus aller Welt in ihren Bann gezogen. Auf kleinem Raum entstand eine einzigartige, lebendige Atmosphäre, die vom intellektuellen Milieu der Pariser Universität ebenso lebte wie von den Salons, Ateliers, Studios und Cafés der künstlerischen Moderne. Sie ließ jenes für Paris typische Lebensgefühl eines melancholisch durchtränkten Glücks entstehen, das in den Pariser Chansons besungen wurde und das Ernest Hemingway in seinen Skizzen Paris – ein Fest fürs Leben beschrieben hat.
Hanns-Josef Ortheil durchstreift diese Zonen mit dem Blick eines Flaneurs von heute, der die verführerischen Winkel des alten "Paris, links der Seine" abseits von den touristischen Ecken auf intensive Weise neu erlebt.“
Es ist ein sehr schöner, wohltuender Spaziergang durch die Gassen von Paris, links der Seine. Man schreitet zusammen mit dem Autor von einer Sehenswürdigkeit zu nächsten, sei es ein malerisches Café mit einladenden Außenplätzen zum Verweilen, oder Häuser, in denen mal bekannte Künstler wie Pablo Picasso u.a. wohnten uvm.
Mal kehrt man ein und kostet Austern aus Bretagne zum Chablis oder auch süße kleine Köstlichkeiten in einem anderen Lokal.
Das Ganze entpuppt sich auch als ein Spaziergang durch Geschichte und Kultur, durch die Vergangenheit, die in diesen Straßen noch tw. gut zu erkennen ist. Arlette, die charmante, belesene Begleiterin des Autors bei manchen seiner Spaziergänge, lockert und bereichert mit ihren klugen Bemerkungen die Ausführungen auf.
Es gibt viele Zitate aus den Werken der Künstler, z.B. Simone de Beauvoir, Guillaume Apollinaire, Ernest Hemingway etc., die in diesen Straßen wohnten und das Leben dort beschrieben. Als Kontrast bekommt man die Schilderungen, wie diese Straße heute ausschaut, was man dort erleben kann.
Auch für die sehr gut gelungenen Farbfotos, die das Geschehen auf den Straßen, in den Cafés so toll einfangen, es lebendig werden und es so unmittelbar miterleben lassen, konnte ich mich begeistern. Sie bereichern das Lesevergnügen ungemein. Man fühlt sich gleich eingeladen, in diesen Cafés zu verweilen, sich die Passanten anzuschauen, ggf. den Gesprächen zu lauschen, dann aufzustehen und die Straßen abzulaufen, so wie es hier geschildert ist.
Die Sprache ist so wunderbar, eine wahre Wohltat, dass sie allein schon Grund genug ist, „Paris links der Seine“ in die Hand zu nehmen und sich darin zu vertiefen.
Das Buch ist sehr gut strukturiert. Inhaltsverzeichnis gibt den Überblick der besuchten Straßen, auch eine Karte, in Farbe, hilft der besseren Orientierung. Literatur- und Quellennachweise fehlen keineswegs und laden zur Lektüre der erwähnten Werke ein.
Das Buch ist schön, des Inhalts würdig gestaltet: Umschlagblatt, Festeinband in Graublau. Prima als Geschenk.

Fazit: Es ist ein Wohlfühlbuch. Für Kunst-, Geschichte-, Literaturgourmets im direkten und übertragenen Sinne, für alle Paris-Begeisterte und diejenigen, die es noch werden wollen, ist es eine sehr gute Adresse.

Veröffentlicht am 07.10.2017

Ein sehr schönes, lesenswertes und informatives Werk!

Brot
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Diesem Buch wohnt ein Zauber inne, der sowohl dem Thema an sich als auch der Art, wie es ausgearbeitet und dem Leser präsentiert wurde, zu verdanken ist.
Zum Autor: „Walter Mayer, geboren 1959 in Salzburg, ...

Diesem Buch wohnt ein Zauber inne, der sowohl dem Thema an sich als auch der Art, wie es ausgearbeitet und dem Leser präsentiert wurde, zu verdanken ist.
Zum Autor: „Walter Mayer, geboren 1959 in Salzburg, war nach Stationen bei Tempo, Bunte und Prinz viele Jahre Chefredakteur von BZ und Bild am Sonntag. Er ist gelernter Buchhändler und stammt aus einer Bäckerfamilie. Der Autor lebt in Berlin.“
Illustratorin: „Alexandra Klobouk, geboren 1983 in Regensburg, ist Kulturillustratorin und Autorin. Ihr letztes Buch Lissabon – im Land am Rand wurde von der Stiftung Bachkunst als eines der „Schönsten deutschen Bücher“ 2016 ausgezeichnet.
Es ist ein bunter Mix aus wissenswerten Fakten zum Thema Brot, Berichten über Reisen, die als Ziel, neue Brotsorten zu verkosten, anpeilten, Schilderungen der Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen, die sich dem Brotbacken verschrieben haben, Brotrezepten, uvm.
Der Autor ging dabei sowohl in die Breite als auch in die Tiefe, insb. in der Mitte. Spätestens ab Kap. 6 war ich voll im Bann dieses Buches. Man reiste nach Schottland, Albanien, Salzburg, Marokko und Kreuzberg/Berlin und probierte ungewöhnliche und traditionelle Brote, bereitete Sauerteig zu, knetete den Teig, was einer meditativen Übung laut W. Mayer ähnelt, uvm. Mit einer ehem. DDR Bäckerfamilie unterhielt man sich, wie es damals war, ein Bäcker zu sein, denn ein Privatbetrieb war kaum systemkonform und das Brot so billig gewesen, dass es oft als Tierfutter genommen worden war.
In einem anderen Kapitel spricht man mit Heiner Kampf über sein Brotimperium von einst, wie er sein Großunternehmen aufgebaut hat und warum er verkaufen musste.
Im separaten Kap. liest man von einem Versuch eines Interviews mit dem Minister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt. „Ich hatte 15 detaillierte Fragen übersandt und bekam 13 lieblose Antworten.“ S. 211. „Das alles hat, von der ersten Anfrage an, fast ein Jahr lang gedauert. So lange muss man warten, um am Ende in die Röhre zu gucken.“ S. 212.
Die persönliche Note macht dieses Buch so besonders, die wie ein roter Faden durch das Werk zieht. Walter Mayer stammt aus einer Bäckerfamilie, sein Großvater stand in eigener Bäckerei in Salzburg. Nun versuchte der Autor, das Brotbacken für sich zu entdecken und sprach am Ende seiner Suche mit seiner Mutter über die Dinge, über die er schon lange, wenn überhaupt, mit ihr gesprochen hatte.
Ich habe das Buch genüsslich Seite für Seite geschmökert und auch nachdem es ausgelesen war, wirkte es noch einige Tage auf mich fort. Diese Bilder, die dabei entstanden waren, die Begegnungen mit spannenden Persönlichkeiten liefen wie ein Kopfkino vorm inneren Auge ab: Da war man wieder in Marokko und schaute zu, wie Fatima Zohra ihr Brot knetet und ihre Lebensgeschichte erzählt; da unterhält man sich mit ihrem Mann, der das Brot von der Schubkarre auf der Straßen verkauft und dabei erklärt, warum das Brot in Marokko billig ist; da ist man wieder in Albanien und probiert die duftenden Böreks. Da ist man bei Monika Drax in Oberbayern. „Die Drax-Mühle ist eine der ältesten Mühlen Deutschlands – und eine der modernesten.“ S. 224. Ihr Lieblingsrezept von Urkornbrot findet man im Anschluss an das lehreiche Gespräch.
Im allg. Wissensteil findet man u.a. Kurzbeschreibungen von Einkorn, Emmer, Kamut, den Getreidesorten, die in letzten Jahren wieder populärer wurden und sehr gut schmecken. Die schönen Illustrationen in Farbe bilden sie ab, sowie einige Verarbeitungsprozesse, z.B. wie das Mahlen vonstattengeht, oder wie man Teiglinge zu Kaiserbrötchen faltet, oder auch die Zubereitung des Sauerteiges. So hat man alles, was man dazu wissen muss, auf einem Blatt.
Diese Vielfalt, Abwechslungsreichtum, der Ausführungen gepaart mit kritischen Einlagen, was die heutige Lage der Landwirtschaft in Sachen Weizenproduktion und industrielle Brotherstellungsprozesse in größeren Bäckereien angeht, konnte mich auf der ganzen Linie begeistern.
Charmant wurde zum Schluss an die Leser appelliert, beim lokalen Bäckerhandwerkbetrieb um die Ecke sein Brot zu holen, statt Luftikus aus den billigen Aufbackshops.
Das Buch ist toll geschrieben: klarer, schlanker, aussagestarker Schreibstil, der zudem leichtfüßig und leicht humorig rüberkommt, und dem Ganzen das Flair eines guten, gehaltvollen Gesprächs mit einem Freund verleiht.
Dieses Brotbuch ist auch liebevoll gestaltet: Festeinband aus gespanntem Stoff, deren Oberfläche sich etwas rau wie die Kruste eines darauf abgebildeten Brotes anfühlt. Lesebändchen, farblich auf das Coverbild abgestimmt fehlt keineswegs.

Fazit: Es ist ein schönes Werk, innerlich wie äußerlich. Alles passt wunderbar zusammen und hinterlässt einen runden, stimmigen Eindruck. Es ist auch sehr unterhaltsam, eignet sich besonders gut für die Leser, die sich dem Sachbücherlesen erst vorsichtig nähern wollen. Perfekt auch als Geschenk für Freunde und Familie. 5 wohl verdienten Sterne und eine klare Leseempfehlung!