Profilbild von Wedma

Wedma

Lesejury Star
offline

Wedma ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wedma über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.10.2016

Ein verflachter, überzeichneter, aktionsreicher Slapstick.

Veilchens Blut
0

Veilchens Tochter ist aufgetaucht und steckt in Schwierigkeiten. Veilchen eilt ihr zur Hilfe und muss es nicht nur mit dem vielfachen Mörder, sondern auch mit der Polizei und der gesamten Staatsgewalt ...

Veilchens Tochter ist aufgetaucht und steckt in Schwierigkeiten. Veilchen eilt ihr zur Hilfe und muss es nicht nur mit dem vielfachen Mörder, sondern auch mit der Polizei und der gesamten Staatsgewalt aufnehmen.
Die Handlung ist im Klappentext als rasant und actionsreich beschreiben. Dem stimme ich voll zu. Der Spanungsbogen wird gekonnt von der ersten bis zur letzten Seite hochgehalten. Von gefährlichen Situationen und Verfolgungsjagden gibt es gleich mehrere. Es geht ums Leben und Tod.
Fall 3 liest sich flott, sodass man das Buch in ein-zwei Sitzungen durchlesen kann.
Die Figuren, die man aus vorigen Fällen kennt, trifft man auch hier wieder: der treue Gefährte Stolwerk ist dabei und steht Veilchen mit Rat und Tat zur Seite. Der singende Nachbar von unten Sandro Weiler ist voll mit von der Partie. Veilchens ehem. EDV-Spezi Schmatz spielt eine der zentralen Rollen, zusammen mit Veilchens Tochter. Auch Oligarch Marinov taucht mal wieder auf und sorgt hpts. für Streuung gängiger Klischees, was Russen und Wodka anbelangt. Eine neue Figur, der alte Arzt, der die Verletzten in Marinovs Villa versorgt, hat mir sehr gut gefallen. Auf diesen Paar Seiten fühlte ich mich so wohl, fast wie im Fall 1, für den ich mich restlos begeistern konnte.
Was mein Lesevergnügen deutlich dezimiert hat:
Veilchens Tochter ist ein Früchtchen, das Ihresgleichen sucht, und alles andere als Sympathieträgerin. Die übrigen Figuren sind größtenteils verflacht, i.e. entbehren der Tiefe, die in vorigen Fällen ihr Markenzeichen war. Auch einige Wendungen, wie Motive der Figuren kamen mir zu oberflächlich vor. Vieles ist zudem gnadenlos überzeichnet. Insg. erinnert der Fall 3 an ein Comicheft, auch was die Sprache angeht: Peng, peng, brrr, brumm, etc., sowie die zahlreichen Ausdrücke der Fäkalsprache, derer sich Veilchens Tochter aktiv bedient, sind allgegenwärtig.
Vielerorts tauchten Glaubwürdigkeitsfragen auf, z.B. Veilchen ist am Hüftknochen frisch verletzt, zudem, dass sie eigentlich ihren Kopf nach Fall 2 auskurieren soll, agiert aber so, als ob sie sich bester Gesundheit erfreut. Die Polizei/Staatsgewaltverteter erscheinen schon reichlich blind und verfolgen einheitlich eine Linie: egal was, hpts. gegen Veilchen.
Die Jugend steht oft unter Drogen. Dies scheint absolut gesellschaftsfähig zu sein.
Einige Szenen werden wiederholt erzählt. Zwar aus verschiedenen Perspektiven, aber Wiederholung bleibt Wiederholung und überstrapaziert unnötig die Geduld.
Insg. fühlte ich mich im Fall 3 nicht abgeholt. Ich erkannte Veilchen kaum wieder und fand, dass sie ihre Authentizität deutlich eingebüßt hat, in dem die dritte Folge zu einem austauschbaren Actionkrimi mit all den typischen Elementen mutiert ist. Alles, was mir lieb und teuer an Veilchen war, ist nicht mehr da, stattdessen ein überzeichneter, wenig glaubwürdiger, aber aktionsreicher Slapstick. Diese Hinwendung weg von einzigartigen Figuren, ihrer Tiefe, humorig-sarkastischen Dialogen und feinem, gesellschaftskritischen Humor, die mich in den letzten zwei Folgen prima unterhalten haben, hin zu fragwürdigem Aktionismus und Primitivität insg. halte ich für keine gute Idee.
Es ist zwar sehr mutig, mal einen ganz anderen Ansatz zu wählen und ein regelrechtes Kontrastprogramm zu den zwei vorigen Fällen aufzutischen, zumal die Spannung konsequent durchgehalten wird und dieses rasante Erzählen zweifelsfrei vom Können des Autors zeugt, was durchaus und gerne als Kompliment aufgefasst werden darf, dennoch wünsche ich für die Fortsetzung, dass sich Veilchen auf ihre Werte aus ihren Anfängen wieder besinnt. Fall 1 hat richtig Spaß gemacht. Es war eine großartige Unterhaltung. So authentisch, tiefgründig und eigen möchte ich Veilchen& Co. wieder erleben.

Fazit: Wer actionreiche Krimis mit Slapstickcharakter mag und nicht allzu hohe Ansprüche an die Sprache und sonst hat, wird seinen Spaß daran finden können.
Ich bleibe auf die Fortsetzung gespannt und kann mich diesmal leider nur zu max. 3 Sternen durchringen.

Veröffentlicht am 10.10.2016

Ein guter, authentischer, eigenartiger Familienroman.

Die langen Tage von Castellamare
0

Der Klappentext gibt die Ausgangssituation treffend wieder: „Castellamare, eine winzige Insel fünf Meilen vor der Küste Siziliens. Die Dorfgemeinschaft fühlt sich wohl, so am Rande der Welt. Als der Arzt ...

Der Klappentext gibt die Ausgangssituation treffend wieder: „Castellamare, eine winzige Insel fünf Meilen vor der Küste Siziliens. Die Dorfgemeinschaft fühlt sich wohl, so am Rande der Welt. Als der Arzt Amedeo Esposito aus Florenz auf die Insel kommt, wird er misstrauisch beäugt. Er jedoch liebt seine neue Heimat und beginnt, ihre alten Legenden zu sammeln und aufzuschreiben. Eines Nachts hilft er bei zwei Geburten, das Kind seiner Frau und das Kind seiner Geliebten kommen auf die Welt. Dieser Skandal kostet ihn die Stelle. Um bleiben zu können, übernimmt er zusammen mit seiner Frau die einzige Bar auf der Insel, »Das Haus am Rande der Nacht«. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen, denn die Bar soll ein Ort der Wunder sein. Sie wird der Mittelpunkt der Familie und der Insel – über mehrere Generationen hinweg, durch alle Kriege und Krisen hindurch, allen Veränderungen zum Trotz.“
Auf 480 Seiten wird eine Familiengeschichte über 90 Jahre hinweg erzählt. Sie fängt kurz vor dem ersten Weltkrieg an und endet 2008 in der Finanzkrise mit einer netten Überraschung.
Trotz anfänglichen Schwierigkeiten gründet junger Arzt Amedeo aus Florenz eine Familie auf der Insel, bekommt Söhne und eine Tochter, die später mit viel Enthusiasmus und Hingabe die Aufgabe ihrer Eltern weiterführt und Dreh- und Angelpunkt der Insel bleibt.
Sehr atmosphärisch und mit viel Liebe zum Detail ist das Leben der Familie Esposito und kleinen Inselgemeinschaft erzählt worden: all ihre Lebens- und Liebesgeschichten, Bräuche, Denk- und Lebensweise, Essensangewohnheiten, all die Sagen und Geschichten rund um die Insel und ihre Bewohner und ihre Schutzpatronin St. Agatha, die sich hin und wieder zu großen und kleinen Wundern hinreißen lässt. Man entflieht in eine ganz andere, faszinierende Welt und kann alles um sich vergessen.
Die Handlung des Romans ist wunderbar in die Zeitgeschichte eingeflochten worden. Auch der Zweite Weltkrieg und später die Finanzkrise 2008 hinterlassen ihre Spuren auf der Insel. Familie Esposito ist davon keineswegs verschont geblieben. Dabei gibt es durchaus positive und weniger positive Erlebnisse. Aber mit etwas Chuzpe und gesundem Gottvertrauen findet alles seine Ordnung.
Alle Figuren kamen mir authentisch und überlebensgroß vor. Da gab es keine Zweifel, dass alles so wie es im Buch steht, stattgefunden hat. Es war wie ein Film, der gleich am Anfang vorm inneren Auge startete und einen bis zum Schluss nicht losließ. Die Frage „und wie ging es da weiter?“ ließ die Pausen, insb. in der zweiten Hälfte, immer kürzer werden. Dabei ging es vielfach um Lebensgeschichten, Kinderkriegen, Kindererziehen, Familienleben, über die Heimat und ihre Anziehungskraft, auch die Anziehungskraft der Gemeinschaft, in der man aufgewachsen ist, aber auch um Machtverhältnisse auf der kleinen Insel, um ihre Wandlung und Traditionen, um den Unsinn des Krieges, um das liebe Geld, und um die Liebe, die doch alles besiegt und überdauert.
Ein kleiner Wermutstropfen: Die Art der Stoffdarbietung, die hier und dort hätte etwas gekonnter, elaborierter ausfallen können. Die daraus folgenden Längen, die die Spannung verflachten und öfter mal Pausen einlegen ließen, sind durchaus vermeinbar. Etwas Geduld war insb. in der ersten Hälfte angesagt. Auch hatte ich anfangs den Eindruck, dass man doch mehr über Amadeo und seine Herkunft erfahren würde. Die Geschichte ist aber nach vorne erzählt worden, was an sich ganz gut ist, aber die Hoffnungen, die dann nicht erfüllt wurden, hätte man nicht wecken müssen.

Fazit: „Die langen Tage von Castellamare“ ist ein gut gelungener, authentischer, eigenartiger im Sinne unverbrauchter Familienroman, den man nicht jeden Tag serviert bekommt. Es ist ein Wohlfühlbuch, das man/frau gerne in langen, kalten Abenden bei guter Tasse Tee vor dem Kamin vergnüglich durchschmökern kann. Ich habe es gerne gelesen und kann es gut eiterempfehlen, insb. an die Leserinnen, die gerne Frauenromane und Familiengeschichten mögen.




Veröffentlicht am 29.09.2016

Ein sehr schönes Buch. In jeder Hinsicht. Wundervoll magisch und weise.

Drachenreiter 2. Die Feder eines Greifs
0

Als ich gehört habe, dass es eine Fortsetzung von „Drachenreiter“ (1997) gibt, war ich restlos begeistert. Den „Drachenreiter“ samt allen darin vorkommenden Figuren habe ich schon vor über 15 Jahren ins ...

Als ich gehört habe, dass es eine Fortsetzung von „Drachenreiter“ (1997) gibt, war ich restlos begeistert. Den „Drachenreiter“ samt allen darin vorkommenden Figuren habe ich schon vor über 15 Jahren ins Herz geschlossen und nun war ich auf „Die Feder eines Greifs“ sehr gespannt. Ich muss sagen, meine Erwartungen wurden sogar übertroffen. Es gab nicht nur ein lang ersehntes Wiedersehen mit den witzigen, sympathischen, fürs Gute kämpfenden Figuren. Eine zauberhafte, kluge Geschichte voller Magie und Lebensweisheit überzeugte auf der ganzen Linie.
Klappentext fasst den Inhalt sehr treffend zusammen: „Zwei Jahre nach ihrem Sieg über Nesselbrand erwartet Ben, Barnabas und Fliegenbein ein neues Abenteuer: Der Nachwuchs des letzten Pegasus ist bedroht! Nur die Sonnenfeder eines Greifs kann ihre Art noch retten. Gemeinsam mit einer fliegenden Ratte, einem Fjordtroll und einer nervösen Papageiin reisen die Gefährten nach Indonesien. Auf der Suche nach dem gefährlichsten aller Fabelwesen merken sie schnell: sie brauchen die Hilfe eines Drachens und seines Kobolds."Die Feder eines Greifs" ist Lesegenuss vom Feinsten: spannend, magisch und atmosphärisch. Ein großer, fantastischer Roman der international gefeierten, preisgekrönten Autorin Cornelia Funke.“ Die zwei letzten Sätze kann ich ohne wenn und aber unterschreiben. Es war so magisch, atmosphärisch und spannend, dass ich das Buch fast einem Rutsch gelesen habe.
Man trifft viele Fabelwesen, die in dem neu erschaffenen Areal in den entlegenen Gebieten Norwegens ihr Zuhause gefunden haben. Barnabas Wiesengrund hat dafür gesorgt und nun hat er und seine Familie, Ben inklusive, eine Lebensaufgabe, die Fabelwesen, deren Existenz bedroht ist, aus allen Ecken der Welt dorthin in Sicherheit zu bringen. Von noch mehr Fabelwesen wird gesprochen oder sie werden auch nur flüchtig erwähnt. Tatsache ist: man taucht in diese andere, magische Welt ein und es gibt kein Zurück bis das Buch ausgelesen ist.
Es gibt einige neue Figuren, die es sich lohnt kennenzulernen. Ein Krebs namens Eugen mit zehn Beinen und vier Augen auf Stengeln ist nur einer davon. So viel kreativer Phantasie, die diese Geschichte in sich hat, ließ mich immer wieder staunen.
Die Geschichte lässt sich auf mind. zwei Ebenen lesen: Vordergründig ist es ein Abenteuer, eine magische Reise zu einer geheimnisvollen Insel in Indonesien, wo es Greife mit goldenen Federn gibt. Wenn man aber auch hinter das Abenteuerliche schauen mag, entdeckt klare Botschaften, die der Menschheit Spiegel vors Gesicht halten und zum besseren, rücksichtsvolleren Umgang miteinander und der Umwelt aufrufen. Durch das gekonnte Spiel der Kontraste, wie durch die Geschichte insg., zeigt Cornelia Funke, dass es durchaus Alternativen zu diesem grausamen, ausbeuterischem Miteinander gibt, bei dem grenzlose Selbstbereicherung und krankhaftes Streben nach Macht im Vordergrund stehen. V. a. ist es klar gezeigt, dass jemand, der grundböse und krankhaft selbstsüchtig ist, setzt so ein Verhalten bei allen anderen voraus und behandelt sie auch entsprechend, wobei es keinen Grund dafür gibt. Das Gute, Herzliche passt das Weltbild von so einem Kranken nicht hinein und wird somit für nichtexistent erklärt. Das Schreckliche daran ist, dass solche Gestalten ihre kranke Weltanschauung den anderen aufzwingen und auch ihr Leben zur Hölle machen, wobei es eigentlich auch durchaus anders ginge. In diesem Sinne lässt sich das Vorwort der Autorin auf der ersten Seite begreifen. Es liest sich wie ein Gedicht. Hintergründig lassen sich noch mehr Dinge herauslesen. Paar Lebensweisheiten hier und dort bereichern die Geschichte noch mehr. Kleine Kostprobe: „Ungewöhnliches wird man schnell leid, Drachenreiter. Es sind oft die gewöhnlichsten Dinge, die einen glücklich machen.“ S. 75. „Das Wiedersehen mit Bagdagül machte Barnabas wieder einmal bewusst, wie viele Schätze er schon in seinem Leben gefunden hatte, aber die seinen waren Menschenschätze.“ S. 85-86, uvm.
Die zahlreichen Zeichnungen von Cornelia Funke, die fast jede Seite dieses wunderbaren Buches schmücken, führen einem vor Augen, wie die Figuren und Handlungsorte in den Augen der Autorin aussehen. Da gibt es z.B. einen Drachen mit niedlichem Röschenmuster auf seinem Panzer, da ist Lola Grauschwanz ganz stolz wie abenteuerbereit in ihrer Fliegermontur, da sind Lung und Ben, Barnabas, der Homunkulus uvm. Alle: Menschen, Tiere und Fabelwesen haben auf diesen Zeichnungen immer einen bestimmten Gesichtsausdruck, der gerade zu der beschriebenen Situation bestens passt.
Lola Grauschwanz ist diesmal für lustige Wortschöpfungen zuständig. Schon allein wie sie das Wort Homunkulus jedes Mal verbiegt, ließ mich öfter schmunzeln. Bei ihren Schimpftiraden musste ich schon fast auflachen. Aber auch das Koboldmädchen lässt hier und dort ein witziges Schimpf-Wörtchen hören, dem viel Fantasie zugrundeliegt.
Als Tüpfelchen auf dem i gibt es wunderschöne Zitate vor jedem Kapitel aus diversen bekannten und weniger bekannten Werken anderer Autoren, die nachdenklich stimmen und den Inhalt des kommenden Kapitels auf ihre besondere Art beleuchten. Auch das hat das Buch so spannend und lesenswert gemacht und zum Lesegenuss wesentlich beigetragen.

Fazit: Ein sehr schönes Buch. In jeder Hinsicht. Eignet sich prima für Kinder und diejenigen, die es auch nach Jahrzehnten geblieben sind.
Vielen herzlichen Dank für dieses wundervolle, magische, weise Buch. Ich freue mich, dass die Autorin zurück zum Drachenreiter gefunden hat und diese Geschichte fortgesetzt wurde. Ich hoffe, dass sie uns mit noch vielen weiteren Bändern davon beglücken wird.

Veröffentlicht am 16.09.2016

Zäh, schwer, düster, konstruiert.

Die unsterbliche Familie Salz
0

Familie Salz erschien mir zu schwer, konstruiert und völlig überladen von Problemen und Ereignissen vor historischem Hintergrund zw. 1914 und 2015. Ich gewann leider den Eindruck, dass dieses Buch nicht ...

Familie Salz erschien mir zu schwer, konstruiert und völlig überladen von Problemen und Ereignissen vor historischem Hintergrund zw. 1914 und 2015. Ich gewann leider den Eindruck, dass dieses Buch nicht für Leser geschrieben wurde, da sich der Autor kaum darum gekümmert hat, wie es dem Leser bei seiner Geschichte wohl ergehen mag, ob sich so etwas wie Lesevergnügen dabei einstellt. Das Buch wurde meines Erachtens eher zur Befriedigung des eigenen Geltungsdranges geschrieben (a lá ich bin wer, ich kann/weiß was), evtl. mit dem Schielen auf irgendwelche Juries von irgendwelchen Preisverleihungen. Für Leser, die eine erfüllende, packende Familiengeschichte suchen, war es nicht geschrieben.
Man hat keine Figur, mit der man sich identifizieren und durch die Geschichte fiebern kann. V. a. Lola Rosa, die so viel Raum im Roman einnimmt, ist eine gestörte, wenig sympathische Persönlichkeit, die nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen nachhaltig ruiniert.
Es wird gerne zwischen den Zeiten und Perspektiven gesprungen. Es ist zwar keineswegs chaotisch, kommt schon am Ende zu einem großen Bild der Familie Salz zusammen, aber da fragt man sich: Und warum genau musste ich es wissen? Spaß gemacht hat es mit Sicherheit nicht.
Es fängt gut an. Die Ereignisse in 1914 sind auch so einladend geschrieben worden, dass man eine süffige Familiensaga dahinter vermutet. Leider ist es dem nicht so.
Kurze Inhaltsangabe:
Stammbaum Familie Salz. 1 Seite. Sehr hilfreich.
Emma Salz, 2015, 2 Seiten. Guter Anfang. Macht neugierig.
Lola Rosa Salz, 1914, 59 Seiten. Hier erzählt 9-Jährige Lola aus Ich-Perspektive über sich und ihre Familie, die aus München nach Leipzig zieht, da der Vater Hotel Fürstenhof übernimmt. Lolas Mutter hat eine Angewohnheit, Schattenrisse der Familienmitglieder anzufertigen und daraus etwas über die Persönlichkeit dieser Menschen anbzuleiten. Bei Lola findet diese Beschäftigung mit Schatten eine ganz andere Ausprägung. Diese wird sich dann auf eine düstere Art in Frauen der Familie fortsetzen.
Alfons Ervig, 1944-1945, 93 Seiten. Alfons Ervig ist Ehemann von Lola und erzählt aus seiner Perspektive in Form von Tagebucheinträgen, wie es ihm und Lola, beide Schauspieler vom Beruf, mit zwei kleinen Kindern während des Krieges erging. Lola fürchtete Bombardement in Karlsruhe und versuchte, sich und die Kinder im Osten in Sicherheit zu bringen. Hier wird das Thema Flüchtlinge ausführlich behandelt und gezeigt, wie schwer es war, eine Bleibe zu finden. Hilfsbereitschaft der Einheimischen hielt sich sehr in Grenzen. Lola klebte fest an ihren Prinzipien und so war sie von Sudetenland, wo ihre Schwester einen Bauernhof bewirtschaftete, immer weiter gereist und immer dorthin, wo es am gefährlichsten wurde. Hier war es mir zu konstruiert, es gab zu viele Zufälle, die der Familie stets weiterhalfen. Die Besatzer, weder die Russen noch die Amerikaner, kommen da nicht gut weg. Aber die Darstellungen der Russen nehmen viel mehr Raum ein und gießen Wasser auf die Mühlen der heute so populär gemachten Russenphobie.
Aveline Salz, 1959-1960, 94 Seiten. Aveline ist Tochter von Lola und Alfons. Sie erzählt über ihre jungen Jahre, wie sie zu einem Sohn kam, und über ihre Mutter, die täglich etliche Flaschen Löwenbräu intus haben muss, um den Tag zu überstehen. Auch Aveline ist dem Alkohol verfallen, was Auswirkungen auf ihr weiteres Leben und das ihres Sohnes hat. Dieser Part wirkt verstörend, u.a. weil Lola ihre psychischen Probleme auf ihre Tochter überträgt und sie mit einer gruseligen Geschichte tagein tagaus maltretiert. Die Erzählperspektive wirkt auch eher verstörend: Eine Du-Perspektive, als ob Aveline diesen Part sich selbst erzählt.
1989-1990. Hier kommt die Wiedervereinigung ins Spiel. Kurt, Lolas Sohn, der es noch rechtzeitig geschafft hat, von ihr wegzukommen, damit sie auch noch nicht sein Leben ruiniert, lernt seine Frau kennen und besucht seinen Onkel Fritz, Lolas Bruder, in den USA. Hier wird es etwas unterhaltsamer, v.a. diese typische amer. Mentalität wird gut gezeigt: Familie ist wichtig, aber das Geschäft geht vor. Auch hier wird die Geschichte leider mit Schwere der Probleme und Gemüter wenig genießbar und kam mir langatmig wie gekünstelt vor.
Emma Salz, 2015, 46 Seiten. Emma, Lolas Enkelin, Kurts Tochter, erzählt mithilfe von Ich-Perspektive, wie es mit der Familie in der Gegenwart weiterging. Im Jahr 2015 sehen sie sich in Leipzig wieder und tauschen ihre Ansichten über Deutschland und das Familienerbe Hotel Fürstenhof, das nun seit vielen Jahren von einer Hotelkette geführt wird.
Tara Jain, 2017, 5 Seiten. Emmas Tochter schreibt ihrer Mutter einen Brief. Auch hier geht es nicht ohne Schatten.

Fazit: Zäh, schwer, düster, konstruiert. Ich habe mich durchs Buch gequält und fühlte mich wie auf einer dürftigen Party, in der Hoffnung, vllt wird es noch? Meist wünschte ich, ich hätte ein anderes Buch angefangen. Es wurde nicht wirklich und ich war froh, dass es doch (endlich) vorbei war. Der Autor kann was, aber was nutzt es, wenn es keinen Spaß macht, das Ergebnis dieses Könnens zu lesen.

Veröffentlicht am 16.09.2016

Ein absolut lesenswertes Buch, hat alles, was einen tollen Schmöker ausmacht.

Bella Germania
0

„Bella Germania“ von Daniel Speck habe ich sehr gerne gelesen und kann jedem ans Herz legen. Die Geschichte hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn sie hat alles, was einen tollen Schmöker ...

„Bella Germania“ von Daniel Speck habe ich sehr gerne gelesen und kann jedem ans Herz legen. Die Geschichte hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn sie hat alles, was einen tollen Schmöker ausmacht: Liebe, Drama, überlebensgroße Figuren, spannende Handlung auf mehreren Zeitebenen, überraschende Wendungen, prima ausgearbeiteten historischen und sozio-politischen Hintergrund, starken Bezug zu heutigen Problemen der Gesellschaft, auch eine feine Prise Humor schwingt da mit. Der Schreibstil ist aussagestark, bildhaft, mitunter sehr intensiv in seiner Wirkung, entbehrt dabei aber keineswegs die Leichtigkeit, was ein sicheres Zeichen fürs Können des Autors ist. Auch die Art der Stoffdarbietung bestätigt immer wieder, dass hier ein Profi an den Werken war.
Die Geschichte fängt mit Julia in der Gegenwart an. Sie hat ein Modewettbewerb gewonnen. Erfolg, für den sie jahrelang hart gearbeitet hat, entpuppt sich aber als eine Falle. Hier finde ich sowohl die gründliche Recherche toll, was übrigens auch für alle anderen Themen des Romans gilt, als auch die Art, wie die sog. business angels und start-ups gezeigt wurden. Sehr realistisch und lebensnah. Julia hat aber niemanden, mit dem sie über ihre Probleme reden kann. Mit Mitte dreißig ist sie ausgebrannt, Freunde und Familie hat sie keine, nur ihre Mutter, und sie eignet sich für solche Dinge gar nicht. Der Vater gilt als tot. Nun plötzlich taucht ein älterer, gepflegter Herr auf und behauptet, er sei ihr Großvater. Die beiden treffen sich und er erzählt, wie es alles begann. 1954 fuhr er als Ingenieur bei BWM nach Mailand, um Partnerschaft mit italienischer Autobaufirma zu schließen, daraus entstand Isetta. Dort lernte er eine junge Frau namens Giulietta kennen, die, wie er behauptet, Julias Großmutter ist. Julia sieht ihr sehr ähnlich. Giulietta nähte auch gerne und hatte einen Traum. Den wollte sie in Deutschland verwirklichen. Nach dem Gespräch fängt Julia an, dem nachzugehen, trifft neue Menschen und erfährt jede Menge über ihre wahre Familie und ihre Geschichte, die mit den historischen Ereignissen in Deutschland der 50-70 Jahre fest verknüpft ist. Hier hält der Autor der Gesellschaft Spiegel vors Gesicht und zeigt, wie schwierig es ist, als Einwanderer in Deutschland Fuss zu fassen. Ohne Vitamin B praktisch keine Chance. Dieses Zwischenmenschliche ist sehr deutlich herausgearbeitet worden. Einprägsame Bilder zeigen u.a., wie menschenunwürdig die Einwanderer von den Behörden behandelt wurden, auch die Privatleute zeigten sich eher chauvinistisch und zugeknöpft gegenüber den Neuankömmlingen. Durch die Geschichte ihrer Familie erfährt Julia jede Menge auch über sich selbst, v.a., dass die Frage der eigenen Identität, die sowohl für sie, als auch für Giulietta, und umso mehr für ihren Sohn Vincenzo – ein sehr überzeugend gezeichneter zerrissener Held, der mit etwa zwölf Jahren nach Deutschland gebracht worden war, eine der grundlegendsten ist und einer zufriedenstellenden Lösung bedarf.
Der Roman hat gleich einige Figuren, auf allen Zeitebenen, mit denen man mitfiebern und durch die Geschichte gehen kann. Auch Nebenfiguren sind so lebendig, dass sie einem noch länger im Gedächtnis bleiben. Der sympathische Giovanni, der gutes Essen und Trinken sehr schätzt und sonst seine Prioritäten prima zu setzen weiß, ist hier mein Favorit.
Es gibt auch viel Liebe in diesem Roman. Giuliettas Liebesgeschichte mutet als Neuinterpretation von Romeo und Julia an, vor Kulisse der 50-70Jahre des 20-Jh. gesetzt.
Die Wechsel zwischen den Zeiten sind sehr gut gewählt worden und sorgen für genug Abwechslung und Spannung. Auch die Erzählperspektiven: Julia erzählt ihre Sicht der Dinge in der Gegenwart, sonst ist es allwissender Erzähler, eigenen sich sehr gut, um diese komplexe Geschichte unterhaltsam und überzeugend erzählen zu können.
Sehr gelungen finde ich auch die Balance zwischen hell und dunkel, Freude und Trauer, Liebe und Tod, Ernst und Humor, etc. Trotz all dem Drama und Ernsthaftigkeit der Themen liefert „Bella Germania“ Lesevergnügen pur. Man kann das Buch kaum aus der Hand legen und möchte keine Seite vermissen, obwohl es ein über 4 cm dicker Schinken ist. Ein gutes Buch ist gut auf jeder Seite. Das stimmt auch in Bezug auf „Bella Germania“.

Die Geschichte ist außerdem voll von schönen, geistreichen, wahren, zum Nachdenken verleitenden Sätzen, die jedes Zitatenheft schmücken können.
Man kann noch viel über Bella Germania schreiben, ich mache aber hier Schluss und sage:

Ein tolles, absolut lesenswertes Buch, bitte mehr davon. „Bella Germania“ gehört zu meinen persönlichen Lesehighlights des Jahres. Ein sehr beeindruckendes Debüt von Drehbuchautor Daniel Speck. Ich bin auf die Verfilmung wie auf weitere Bücher aus der Feder des Autors sehr gespannt und sage: Vielen herzlichen Dank für diese grandiose Arbeit. Weiter so!