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Veröffentlicht am 04.06.2017

Woher kommt der Hype?

Meine geniale Freundin
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An Elena Ferrante und ihrer Saga um die Freundinnen Lila und Elena im Neapel der Nachkriegszeit kam man in den letzten Monaten ja nur sehr schwer vorbei: Die halbe Welt schien den Roman zu lesen und davon ...

An Elena Ferrante und ihrer Saga um die Freundinnen Lila und Elena im Neapel der Nachkriegszeit kam man in den letzten Monaten ja nur sehr schwer vorbei: Die halbe Welt schien den Roman zu lesen und davon zu schwärmen, dazu kamen noch die Spekulationen über die wahre Identität der Autorin. Was hat dieser Roman, warum begeistert er die lesende Welt so restlos? Das wollte ich nun auch herausfinden und hab mich an „Meine geniale Freundin“ gewagt, den ersten Teil der vierteiligen Saga. Und ja, dieser erste Teil war in der Summe ein wirklich gutes Buch – so ganz kann ich den Hype allerdings noch nicht verstehen.

Der Auftakt beziehungsweise die Rahmenhandlung der Geschichte ist schon mal recht effektvoll: Eine Frau namens Lila, schätzungsweise um die 70, ist spurlos verschwunden – sie will das Leben, das hinter ihr liegt, komplett auslöschen. Ihre langjährige beste Freundin Elena, die Ich-Erzählerin in Ferrantes Roman, beginnt nun die Geschichte ihrer Freundschaft aufzuschreiben. Eine innige Freundschaft, die aber auch immer von Konkurrenzkampf geprägt ist.

Im ersten Teil der Saga geht es um die Kindheit und frühe Jugend der Freundinnen. Die Erinnerungen führen zurück in das Neapel der 1950er und 60er, in den Rione, das ärmste Viertel der Stadt. Es ist eine Welt in der Armut, Enge und Gewalt herrschen. Eine Welt in der Männer ihre Frauen schlagen, in der kriminelle Familienclans das Sagen haben und Töchter an den Freier verschachert werden, der gerade das meiste Geld besitzt. Lila und Elena begegnen sich zum ersten Mal in der Grundschule. Die stille Elena fühlt sich sofort angezogen von der frechen Lila, die noch dazu einen extrem wachen Verstand hat, ja fast schon hochbegabt ist. Gemeinsam versuchen sie den Kosmos, in dem sie leben, zu verstehen und merken bald, dass sie ihm entkommen müssen, wollen sie es später zu etwas schaffen. Es ist dann aber Elena die den Bildungsweg wählt, um aus dem Rione rauszukommen. Lila wird die Schulausbildung verwehrt.

Die Geschichte bietet viel: es ist eine zwischenmenschliche Studie, es ist ein Bildungsroman und nicht zuletzt ein Sittengemälde Neapels in der Nachkriegszeit. Die Figuren – vor allem Elena und Lila – sind wie aus Fleisch und Blut geschaffen. Es ist erschreckend zu lesen, mit welch Selbstverständlichkeit die beiden jungen Mädchen die Gewalt und die Zustände im Rione zunächst hinnehmen. Man versteht diese Gier nach Bildung, die das Leben der Freundinnen vorantreibt. Und man leidet mit der wissbegierigen Lila, der diese Bildung verwehrt bleibt. Ferrantes Sprache ist dazu noch schön und elegant. Trotzdem fehlte mir gerade in literarischer Hinsicht etwas, um restlos begeistert zu sein. Zu ruhig, zu brav, zu chronologisch wird die Geschichte erzählt. Zu sehr ist die Geschichte für mich noch eine Chronik, zu wenig Roman. Trotzdem werde ich auf jeden Fall weiterlesen und mir hoffentlich bald den zweiten Teil zulegen. Wahrscheinlich muss man die Saga am Ende auch als Gesamtkonstrukt bewerten.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Mord in der Psychiatrie

Stimmen
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Ihr dritter Fall führt das Salzburger Ermittler-Duo Beatrice Kaspary und Florin Wenninger in die Psychiatrie: Auf der Trauma-Station des Klinikums Salzburg Nord wird ein junger Psychiater ermordet aufgefunden. ...

Ihr dritter Fall führt das Salzburger Ermittler-Duo Beatrice Kaspary und Florin Wenninger in die Psychiatrie: Auf der Trauma-Station des Klinikums Salzburg Nord wird ein junger Psychiater ermordet aufgefunden. Wer war der Mörder? Ein Kollege oder einer der Patienten? War der Jungarzt dabei, Machenschaften in der Klinik aufzudecken? Während die Ermittler noch dabei sind, das Pflegepersonal zu befragen und Informationen aus den Patienten herauszulocken, geschieht schon das nächste Unglück und bald befindet sich Beatrice selbst in höchster Gefahr. Der dritte Teil der Beatrice-Kaspary-Reihe ist meiner Meinung nach zwar ein kleines bisschen schwächer ausgefallen als seine beiden Vorgänger, in der Summe hat mich aber auch dieser Teil wieder sehr gut unterhalten. Poznanski erzählt sehr lebendig und fesselnd und hat auch diesmal wieder bewiesen, dass sie ein extrem gutes Gespür für außergewöhnliche Plots hat.

Das Setting war interessant gewählt und gerade diese Szenen in der Psychiatrie hat Poznanski auch sehr überzeugend und atmosphärisch inszeniert. Die Schicksale der einzelnen Patienten machen einen betroffen und beklommen. Zwar fand ich den Thriller recht spannend, allerdings drehen sich die Ermittlungen diesmal ein bisschen zu oft im Kreis und zum Schluss hin zieht sich die Geschichte ein bisschen. Auch den Masterplan des Täters fand ich diesmal etwas zu arg konstruiert und unglaubwürdig. Etwas spannender ging es da zum Teil fast in Beatrices Privatleben zu. Sie hat mit einigen Problemen zu kämpfen und scheint sich endlich auch privat auf Florin einlassen zu können.

In der Summe ein unterhaltsamer, spannender Thriller mit zwei tollen Hauptfiguren.

Übrigens rate ich dazu, die Reihe in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Die Fälle sind zwar in sich abgeschlossen, aber das Privatleben der Figuren geht ja weiter und viele Anspielungen versteht man nur, wenn man die Vorgängerbände kennt.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Verschwörung in der Finanzwelt

Montecristo
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Ein Personenschaden während einer Fahrt im Intercity und zwei Hundertfrankenscheine mit identischer Seriennummer. Auf den ersten Blick hat beides nichts miteinander zu tun – auf den zweiten Blick schon. ...

Ein Personenschaden während einer Fahrt im Intercity und zwei Hundertfrankenscheine mit identischer Seriennummer. Auf den ersten Blick hat beides nichts miteinander zu tun – auf den zweiten Blick schon. Videojournalist Jonas Brand ahnt blad, dass er hier auf eine brisante Geschichte gestoßen ist. Soll er ihr nachgehen? Oder soll er sich doch lieber seinem großen Traum widmen, dem Filmprojekt „Montecristo“, für das es plötzlich einen Geldgeber gibt. Martin Suter entführt seine Leser diesmal in eine recht zwielichtige Welt der Banker, Börsenmakler, Politiker und Journalisten. Eine Welt, in der alles eine große Verschwörung ist, in der Betrügereien und Skandale vertuscht werden und alles mit allem zusammenhängt. Wer es wagt, in diesem System herumzuschnüffeln, bezahlt am Ende mit dem Leben. Mit einer perfekt durchdachten Thriller-Dramaturgie und äußerst geschmeidig entwirft Suter das abgründige Szenario eines folgenschweren Finanzskandals. Die Geschichte ist extrem gut recherchiert und man hat das Gefühl, dass sich Suter in den Chefetagen der Hochfinanz bestens auskennt. Zu kurz kommen auch in diesem Roman nicht Suters elegante, schnörkellose Sprache und die routinierten Dialoge. Ein spannender, unterhaltsamer, intelligenter und schockierender Roman, an dessen Ende der Leser recht desillusioniert dasteht.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Jugend, Heimat, erste Liebe und die Schatten der Vergangenheit

Rosalie
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Wirtshaus, Sägewerk, Sportplatz und über allem die katholische Kirche: So sieht die Welt der knapp 100 Einwohner im niederbayerischen Dorf Praam aus. Konstantin, Sohn des Wirts, wächst in den 1980er Jahr ...

Wirtshaus, Sägewerk, Sportplatz und über allem die katholische Kirche: So sieht die Welt der knapp 100 Einwohner im niederbayerischen Dorf Praam aus. Konstantin, Sohn des Wirts, wächst in den 1980er Jahr in diesem beengten Kosmos auf. Für ihn fühlt sich dieses Aufwachsen an, wie ein immer fortwährender Karfreitag. Das äußert sich darin, dass Konstantin nur schwarze Klamotten trägt und die Wände seines Zimmers mit schwarzen Postern beklebt. Aus dieser bleiernen Langeweile wird Konstantin aber eines Tages herausgerissen: die 14-jährige Rosalie zieht mit ihrem Vater von München nach Praam und stellt Konstantins Welt auf den Kopf.

Nach seiner Krimi-Trilogie um die Musikjournalisten Sigi Singer und Max Mandel hat Berni Mayer nun mit „Rosalie“ eine Coming-of-Age-Geschichte in der bayerischen Provinz vorgelegt, die tatsächlich etwas anders ist, als die üblichen Post-Heimatromane, die es sonst so auf dem Markt gibt.

Was zunächst nämlich nach einer typischen Geschichte über das Leben in der bayerischen Provinz, garniert mit einer Jugend-Romanze, aussieht, bekommt bald eine fundamentale Wendung. Beim heimlichen Stelldichein im heruntergekommen Wasserschloss machen Rosalie und Konstantin einen grausigen Fund, der die Verstrickung der alteingesessenen Dorfbewohner in ein sorgfältig verdrängtes NS-Verbrechen offenbart. Und das hat weitreichende Konsequenzen. Gerade diese Mischung aus erstem Verliebt sein, Jugend auf dem Dorf und Umgang mit altem Verbrechen machen die Stimmung des Romans aus – verleihen ihm auch etwas düsteres, bedrückendes, ernüchterndes. Berni Mayer hat seinen Roman selbst als „Southern Gothic“ bzw. „Bavarian Gothic“ bezeichnet und das passt ganz gut, finde ich. Auch seine Figuren sind – zum Genre passend – recht speziell, werden aber mit viel Empathie beschrieben. Ein weiterer Pluspunkt: Mayer beleuchtet in „Rosalie“ die bayerische Provinz zwar kritisch – man hat aber zu keiner Zeit das Gefühl, dass er überheblich von oben herab darauf blickt. Die Geschichte ist aber auch nicht heimattümelnd oder verklärend. Mayer erzählt die Geschichte der beiden Außenseiter Rosalie und Konstantin nüchtern, lakonisch und schnörkellos – trotzdem aber auch zart und mit ganz viel Gefühl zwischen den Zeilen. Ein sehr empfehlenswerter, bodenständiger Roman über Heimat, Jugend, Liebe und die Schatten der Vergangenheit.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Vergangenheitsbewältigung

Die uns lieben
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Was bedeutet es, den bedrohlichen Bedingungen einer Diktatur ausgesetzt zu sein und täglich Entscheidungen treffen zu müssen, von denen das eigene Leben abhängen kann? Wie weit würde man gehen, um sich ...

Was bedeutet es, den bedrohlichen Bedingungen einer Diktatur ausgesetzt zu sein und täglich Entscheidungen treffen zu müssen, von denen das eigene Leben abhängen kann? Wie weit würde man gehen, um sich selbst und seine Liebsten zu retten? – Trudy Swenson, Professorin am Historischen Institut in Minneapolis, soll im Auftrag des Zentrums für Holocauststudien deutsche Zeitzeugen zu deren Alltag im Dritten Reich befragen. Besonders will sie dabei die Rolle der deutschen Frauen beleuchten: Waren die Frauen, die sich dem Regime offensichtlich blind fügten, wirklich alle Täterinnen? Konnte es nicht vielleicht auch sein, dass manche Frauen gegen ihre Überzeugungen handeln mussten, um sich selbst und das Leben anderer zu schützen? Trudys Faszination für dieses Projekt und auch ihre Fragestellung kommen nicht von ungefähr. Sie erhofft sich so auch das jahrzehntelange Schweigen ihrer Mutter Anna zu verstehen. Denn Trudys Mutter ist Deutsche und hat bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit der kleinen Trudy in Weimar gelebt. Über die Vergangenheit spricht sie nie, Trudy weiß auch nicht, wer ihr leiblicher Vater ist. Einziges Erinnerungsstück aus jener Zeit ist ein Foto auf dem Anna und ihr kleines Töchterchen Trudy mit einem SS-Offizier zu sehen sind.

Über den Zweiten Weltkrieg und Nazi-Deutschland gibt es ja mittlerweile Romane wie Sand am Meer, trotzdem hat mich „Die uns lieben“ sehr angesprochen – vor allem wegen der Herangehensweise, die für mich mal etwas Neues war. Prinzipiell hätte das Thema auch Potenzial für eine großartige Geschichte gehabt: Es geht um Vergangenheitsbewältigung, Schuld, Verantwortung und natürlich hauptsächlich die Frage, wie weit man gehen darf, um die eigene Familie vor Unheil zu bewahren. Leider ist Jenna Blum die Umsetzung aber gründlich misslungen.

Der Roman spielt inhaltlich auf zwei Zeitebenen. Ein Handlungsstrang ist in den 1990er Jahren angesiedelt und fokussiert sich hauptsächlich auf Trudy: Wir erfahren von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter und begleiten sie bei ihrem Forschungsprojekt. In dieser Gegenwartshandlung bekommt der Leser auch immer wieder Protokolle der Interviews zu lesen, die Trudy mit den Zeitzeugen führt. Diese Interviews sind zwar alle sehr brutal und erschütternd, triefen aber auch nur so von überzeichneten Klischees und kommen daher total unglaubwürdig rüber. Unter den Interviewten ist natürlich vom absoluten Holocaust-Leugner, über den verbitterten Nachfahren ermordeter Juden bis hin zum KZ-Überlebenden alles dabei.

Der zweite Handlungsstrang spielt von 1939 bis 1945 in Weimar und offenbart dem Leser Annas Geschichte. Anna ist zu Beginn 19 Jahre alt und führt den Haushalt ihres jähzornigen Vaters. Ihr Herz schlägt für den ehemaligen Hausarzt der Familie, den Juden Dr. Maximilian Stern. Doch irgendwann holt Anna die Realität ein und Max kommt ins KZ-Lager Buchenwald. Als ein hoher SS-Offizier Interesse an Anna zeigt, lässt sie sich auf ihn ein und gerät somit in eine Spirale aus Gewalt und Schuld. Dieser Handlungsstrang wurde für mich extrem oberflächlich abgehandelt und es hat einfach ganz viel Zwischenmenschliches gefehlt. Was haben sich Anna und Max gegenseitig wirklich bedeutet? Wie hat sich Anna gefühlt, als sie sich an den SS-Offizier verkauft hat? Wie kommt sie mit dieser Abhängigkeit klar, warum versucht sie nicht, ihr zu entkommen? Warum hat sie nie versucht herauszufinden was aus Max geworden ist? Auch das Mutter-Tochter-Verhältnis wurde unglücklich gelöst: Anna hat nach eigener Aussage nur so gehandelt, weil sie Trudy liebt. Das merkt man aber kein einziges Mal. Dafür besteht ein Großteil dieses Handlungsstrangs aus brutalen Sexszenen. Das Abhängigkeitsverhältnis zischen Anna und dem Offizier hätte man auch subtiler lösen können und nicht in Form eines Nazi-Pornos.

Dazu kommt noch, dass die ganze Struktur des Romans sehr konstruiert ist. Denn natürlich führt Trudys Forschungsprojekt die beiden Handlungsstränge am Ende zusammen, weil sie zufällig den richtigen Interviewpartner trifft.

Ein paar Pluspunkte gibt es für den Schreibstil, der recht angenehm und flüssig ist. Da kann man es auch verschmerzen, dass die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen oder besondere Hervorhebung in den Text integriert ist.

Fazit: Innovative Idee, aber schlechte Umsetzung. Für mich eines der schwächeren Bücher über das Dritte Reich.