Soziale (Un-)Gerechtigkeiten vor hundert Jahren
Die PostbotinDer Erste Weltkrieg ist zu Ende. Während die Männer als Soldaten für das Vaterland gekämpft haben, haben die Frauen ihre Arbeit übernommen. Wie ihr Vater vor ihr trägt Regine Briefe für die Reichspost ...
Der Erste Weltkrieg ist zu Ende. Während die Männer als Soldaten für das Vaterland gekämpft haben, haben die Frauen ihre Arbeit übernommen. Wie ihr Vater vor ihr trägt Regine Briefe für die Reichspost in Berlin aus. Obwohl sie als Postbotin sehr geschätzt ist, drohen ihr und ihren Kolleginnen die Kündigung, damit die von der Front zurückkehrenden Männer Arbeit bekommen. Regine will aber nicht kampflos aufgeben und sucht Unterstützung bei der Gewerkschaft, wo sie in Kurts Bann gerät.
In ihrem Roman „Die Postbotin“ erzählt Elke Schneefuss nicht nur über die Ungerechtigkeit, mit der die Briefträgerinnen des Berliner Postfuhramt konfrontiert wurden. Dort arbeitet zum Beispiel auch Regines beste Freundin Evi als Telefonistin. Sie muss sich nicht fürchten, durch Männer ersetzt zu werden. Aber, wie viele Frauen der Nachkriegszeit ist sie auf der Suche nach ihrem Bruder, der vom Krieg noch nicht zurückgekehrt.
In einem flüssigen und angenehmen Schreibstil entführt die Autorin die Leser*innen auf den Straßen vom Brunnenviertel im Berlin der Nachkriegszeit. Elke Schneefuss behandelt in ihrer viele interessante Themen der Epoche, wie die Ersetzbarkeit der Frauen und ihre Kampfmöglichkeiten in einer Welt, in der Männer wertvoller sind als Frauen waren. Dazu hat sie auch eine Menge Figuren geschaffen, die sich in Regines und Evis Bannkreis befinden und mit ihnen interagieren. Ob Lotte, Emma oder Bernardine, das teilweise tragische Schicksal der zahlreichen Nebenrollen wird oft angeschnitten, aber das Potential nicht ausgeschöpft. Auch im Bezug auf Regine und Evi bleiben viele Fragen unbeantwortet. Es wäre auf jeden Fall genug Material für ein weiteres Buch.
Trotz dieser Enttäuschung hat mir der Roman gut gefallen, weil die Geschichte eine ausgewogene Mischung von bewegender Fiktion und historischen Gegebenheiten aufweist. Der Epilog, der wie ein Nachwort klingt, stellt die Geschichte wieder in ihren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Auch wenn die Situation der Frauen sich in den letzten hundert Jahren sich verbessert hat, sind der Kampf um soziale Gerechtigkeit und die Arbeitssuche noch brennend aktuelle Themen.