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Veröffentlicht am 09.07.2021

Eine tragische, intensive und hochemotionale Liebesgeschichte!

Between Your Words
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"Between Your Words" ist nun mein siebtes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "Never Doubt", "All In - Zwei Versprechen" ...

"Between Your Words" ist nun mein siebtes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "Never Doubt", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Obwohl ich mich Hals über Kopf in all ihre Geschichten verliebt habe, ist mir Theas und Jims bislang die liebste. Denn "Between Your Words" ist mehr als nur eine tragische, intensive und hochemotionale Liebesgeschichte und erzählt auch den Leidensweg einer jungen Frau und setzt eine medizinische Kuriosität bewegend um.

Das einzige, von dem ich nicht wieder komplett hin und weg bin, ist das Cover. Grundsätzlich ist es mal wieder sehr schön anzusehen mit dem metallisch blau-silbrig-glänzendem Hintergrund, der an eine Nahaufnahme eines Schneckenhaus erinnert. Wie aber bei fast allen Cover-Gestaltungen des LYX-Verlag fehlt unter der hübschen Oberfläche die tiefere Bedeutung: die Verbindung zum Inhalt. Auch der Titel, "Between Your Words" versetzt mich nicht gerade in Begeisterung. Ich habe das bestimmt mittlerweile an die 100-mal gesagt in Rezensionen, aber ich wiederhole es gerne nochmal: ich kann einfach nicht nachvollziehen, weshalb man einen bestehenden, perfekten Originaltitel ändern muss (außer aus Urheberrechtsgründen natürlich) und wenn man es doch tut, warum man dann einen anderen englischen Titel wählt. "Between Your Words" ist zwar kein kompletter Griff ins Klos, da die Wortketten, die die Hauptfigur in ihre Kunstwerke einwebt, eine wichtige Rolle für die Handlung spielen, "A Five Minute Life" trifft den ganzen Kern der Geschichte jedoch weeeesentlich besser!


Jim: "Ich träumte, zwei Ichs zu haben, wie der Erzähler in Fight Club, und traf die zwei Ichs von Thea Hughes. Zu viert standen wir vor dem Ölgemälde im Foyer des Blue-Ridge-Sanatoriums: der stotternde Hilfspfleger und die Bewohnerin mit dem unheilbaren Hirnschaden. Der Hilfspfleger machte seinen Job und führte die Bewohnerin sanft in die halbdunklen Flure des Sanatoriums zurück. Aber die wunderschöne Künstlerin nahm mein nicht stotterndes Ich an der Hand und führte es lachend nach draußen in den hellen Tag."


So, das war dann aber auch schon wieder mit der Kritik, da mir hier (anders als sonst) kein einziger zentraler Punkt eingefallen ist, der die Geschichte aus meiner Sicht besser machen würde. Wie schon durch den Titel angekündigt, liegt die Magie der Geschichte zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich.


Jim: "Sie verlieben sich in das arme Mädchen". Es stimmte. Ich würde kündigen, bevor ich ihr wehtat, aber das hielt mein dummes Herz nicht davon ab, sich das Unmögliche zu wünschen. Ich war ein Sterbender in Theas ägyptischer Wüste, und sie war eine Fata Morgana. Eine Oase, die es nicht gab. Und ich musste damit aufhören, dass sich meine leere Seele in ihre Richtung wandte."


Ich bin einfach nur geflasht von dieser wahnsinnig emotionalen Geschichte, die gleichzeitig "love-at-first-sight", "slowburn", "friends-to-lovers" und "forbidden romance" ist und damit wohl alle Schubladen des Genres sprengt. Da sind so viele Konflikte, Gefühle und Entwicklungen, dass man gar nicht weiß, wohin mit sich und seinen Gefühlen. Die Figuren, die wie immer bei Emma Scotts Geschichten mal wieder zwei Künstler sind, entladen sie in Kunst, die hier Inspiration, Ventil, und Mitteilungsform ist. Die Autorin hat mit "Between Your Words" aber definitiv keinen rosigen Wohlfühlroman geschrieben, sondern erzählt aufgeteilt in drei Teile von den unterschiedlichen Phasen einer holprigen, aber strahlenden Liebe, die auch als Krankengeschichte oder einem Leben in drei Akten zu lesen sind. Um die Geschichte als Ganzes beschreiben und bewerten zu können, gehe ich die drei Teile einzeln durch, versuche in meiner Begeisterung aber möglichst spoilerfrei zu bleiben. Wenn Ihr aber wirklich sicher verhindern wollt, mehr über die Handlung zu erfahren, hört hier am besten auf mit dem Lesen meiner Rezension und springt zum Fazit (Spoiler-Warnung).


Erster Satz: "Die Stimme meiner Schwester hallte aus der Diele nach oben"


Der Beginn ist angesichts Theas schwerer Hirnverletzung und ihrer aktuellen Situation ein wenig deprimierend, weckt aber gleichzeitig auch Faszination, Neugierde und Mitleid beim Leser. Wir lernen unsere spätere Protagonistin nach einem kurzen Prolog aus ihrer Sicht erstmal als medizinischen Spezialfall aus der Sicht des Hilfspflegers Jim kennen, der nach der Schließung seines alten Arbeitsplatzes neu im Blue Ridge Sanatorium anfängt. Schon bei ihrer ersten Begegnung ist er fasziniert von der jungen, schönen Frau, die seit ihrem Unfall ihr Leben in 5-Minuten-Schritten leben muss. Mit jedem Gespräch, jedem Spaziergang, jedem Blick auf ihre Kunst kommt er Thea näher und beginnt daran zu zweifeln, ob sie sich nicht doch bewusst ist, dass sie in ihrem eigenen Kopf gefangen ist, gezwungen, Tag für Tag dieselben Gespräche zu führen und dieselben geliebten Menschen neu kennenzulernen...


Jim: "Jedes Mal zog die Verwirrung über ihr Gesicht und fegte alles weg. Löschte unsere fünf Minuten. Löschte, wer und was wir füreinander waren.“


Ich war zu Beginn etwas skeptisch angesichts der Einbindung der anterograden Amnesie, aber die Umsetzung des neuropsychologischen Phänomens rockt. Ich bin zwar keine Neurochirurgin, aber mittlerweile schon ein kleines bisschen vom Fach und finde alles im Rahmen des Plausiblen. Besonders interessant im ersten Teil sind die wenigen kurzen Ausschnitte aus Theas Perspektive, die sehr eindrücklich übermitteln, wie es sein muss, in seiner eigenen Zeitschleife gefangen zu sein. Das ist eine wahnsinnig beklemmende Vorstellung und da sich beim Lesen natürlich der Gedanke aufdrängt, was man selbst in einer solchen Situation wohl denken, fühlen und tun würde, ist es emotional ganz schön anstrengend, sich auf diese Perspektive einzulassen. Da finde ich es sehr angebracht, dass es eine Triggerwarnung gibt, denn zusätzlich zum "gefangen im eigenen Kopf"-Phänomen, dem Verlust ihrer Eltern beim Unfall und all dem Stress, der dies für die Figuren bedeutet, bringt Emma Scott hier noch ein weiteres ernstes Thema mit ein, das ich hier aus Spoilergründen nicht weiter nennen will.


Thea: "Es ist wie der Tod, Rita", sagte ich. "Denn was sind wir, wenn nicht unsere Erinnerungen? Wer sind wir ohne sie? Wo sind wir in diesem Leben? Sie sind die Verbindungen zu dem ganzen Wer, Was und Wo. Ohne Erinnerungen können wir genauso gut tot sein. Wenn die Amnesie mich im Griff hat, bin ich nicht körperlich tot, aber ich bin zwischen zwei Welten gefangen. Wie ein Geist."


Das ist insgesamt bei weitem keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. "Between Your Words" ist wie alle ihre Geschichten zwar leise und sensibel erzählt, aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf, aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Auch wenn die Handlung in diesem ersten Abschnitt wirklich nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Jim, aber vor allem Thea erdulden müssen immer wieder sprachlos gemacht. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir sowohl zu Jim als auch zu Thea während dieses ersten Teils in der Klinik schon eine tiefe Verbindung aufbauen - und das ohne Thea überhaupt richtig zu kennen. Manche LeserInnen haben kritisiert, dass Jim und seine Hintergrundgeschichte ein bisschen zu blass bleiben. Das kann ich gut nachvollziehen, da wir ihn im ersten Teil fast nur im Klinikkontext kennenlernen und auch später Theas Problem und die Liebesgeschichte klar im Vordergrund steht. Dennoch bekommen wir schon früh einen ausführlichen Eindruck von ihm und beginnen, ihn für seine Fürsorge, seine Einfühlsamkeit und seiner Sanftheit zu lieben. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen. Nach Isaac in "Never Doubt" dachte ich, ich würde keinen New-Adult-Protagonisten mehr lieben können, aber here it is: ein neuer und noch anbetungswürdigerer Love Interest (mein armes Herz, seufz).


Jim: "Thea war in dieser dunklen Tiefe, aber ich war bei ihr."


Und dann, als wir uns ausreichend in Jim verliebt haben und angesichts der Tragik und Unmöglichkeit der Situation für Thea und seine Liebe zu ihr verzweifelt sind, ... dann beginnt nach etwa 200 Seiten Teil 2 der Geschichte. Ganz im Gegensatz zum eher erdrückenden ersten Teil ist dieser überbordend vor Energie, Hoffnung und Lebenslust. Das macht ihn teilweise ein bisschen anstrengend zu lesen (da wir die zuvor so passive, hilflose Figur am liebsten bremsen und zurückhalten wollen), furchtbar tragisch (da wir ahnen, dass die Hoffnung trügerisch ist und schon eine Katastrophe am Horizont aufzieht) und trotzdem zum schönsten Teil der Geschichte. Hier darf nun auch endlich Thea aus ihrer Perspektive erzählen. Ihre Charakterisierung, als sie für länger als 5 Minuten erwacht, ist wahnsinnig interessant gemacht, auch wenn ich verstehen kann, weshalb der ein oder andere Leser ein Problem mit ihr haben könnte. Ihr starker Lebensdrang, ihre fröhliche, überschwängliche Art, die über Einsamkeit und Unsicherheit hinwegtäuscht, ihre laute Buntheit - das alles erscheint vielleicht etwas zu viel, ist aber angesichts der Entwicklung zuvor wunderbar stimmig, da alles, was in ihrem minimalbewussten Zustand durchgeschimmert war, nun voll aufgedreht sichtbar wird. Genau wie ihr Charakter erscheint der gesamte Mittelteil ein kleines bisschen over-the-top (sowohl die Länge des Abschnitts, die Intensität, der Schreibstil und die Sex-Szenen schlagen ein wenig über die Stränge), angesichts dessen was davor und danach kommt, ist das jedoch mehr als gerechtfertigt und kein Anlass für Kritik.


Jim: "Erinnere dich für mich." Tränen liefen über ihre Wangen und meine Finger, dann zog sie mich an sich, ihre Stimme zitterte. "Erinnere dich an uns... wenn ich es nicht kann."


Denn dann kommt Teil 3 und der ist einfach nur "AUTSCH". Klar, man erwartet am Ende doch irgendwie ein Happy End, aber Emma Scott hat in diesem letzten Teil mein Herz gründlich zerlegt. Dadurch, dass man nicht schon zu Beginn weiß, wie die Geschichte enden wird und man sich von Anfang an fragt, wie zum Teufel das bitte bei dieser Ausgangslage ein Happy End geben kann, bleibt es bis zum Ende spannend. Trotz kreativer Einfälle kommt man bestimmt nicht auf die Lösung, die sich Emma Scott hier erdacht hat. Ihr könnt Euch also auf eine Geschichte freuen, die nicht vorhersehbar und zu keinem Moment langweilig ist. Was mir an "Between Your Words" besonders gut gefällt, ist, dass Emma Scott hier am Ende nicht denselben Fehler macht, den ich bei anderen Werken von ihr schon kritisiert habe: sie drückt hier auf den letzten Seiten eben nicht wahnsinnig aufs Gaspedal, rast durch schöne Happy-End-Szene (Stichwort: Hochzeit, Haus und Kinder) und überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, sondern erzählt sie stringent bis zu einem recht offenen Ende. Ergänzt wird dieses dann durch zwei Epiloge, mit denen Emma Scott eine wunderbaren Mittelweg zwischen Offenheit und Abschluss gefunden hat. Der erste Epilog schließt das Buch inhaltlich perfekt ab und hätte rein faktisch ausgereicht, um eine Perspektive über das Ende zu geben. Der zweite Epilog gibt der Geschichte emotional ein schönes Ende und ist nach dem tragischen Auf und Ab einfach wahnsinnig schön zu lesen.



Fazit
:

Eine tragische, intensive und hochemotionale Liebesgeschichte mit hinreißenden Figuren, drei sehr unterschiedlichen, aber trotzdem wunderbar zusammenpassenden Teilen und dem absolut perfekten Ende: ganz große Liebe für Theas und Jims Geschichte!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.07.2021

Eine tragische, intensive und hochemotionale Liebesgeschichte!

Between Your Words
0

"Between Your Words" ist nun mein siebtes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "Never Doubt", "All In - Zwei Versprechen" ...

"Between Your Words" ist nun mein siebtes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "Never Doubt", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Obwohl ich mich Hals über Kopf in all ihre Geschichten verliebt habe, ist mir Theas und Jims bislang die liebste. Denn "Between Your Words" ist mehr als nur eine tragische, intensive und hochemotionale Liebesgeschichte und erzählt auch den Leidensweg einer jungen Frau und setzt eine medizinische Kuriosität bewegend um.

Das einzige, von dem ich nicht wieder komplett hin und weg bin, ist das Cover. Grundsätzlich ist es mal wieder sehr schön anzusehen mit dem metallisch blau-silbrig-glänzendem Hintergrund, der an eine Nahaufnahme eines Schneckenhaus erinnert. Wie aber bei fast allen Cover-Gestaltungen des LYX-Verlag fehlt unter der hübschen Oberfläche die tiefere Bedeutung: die Verbindung zum Inhalt. Auch der Titel, "Between Your Words" versetzt mich nicht gerade in Begeisterung. Ich habe das bestimmt mittlerweile an die 100-mal gesagt in Rezensionen, aber ich wiederhole es gerne nochmal: ich kann einfach nicht nachvollziehen, weshalb man einen bestehenden, perfekten Originaltitel ändern muss (außer aus Urheberrechtsgründen natürlich) und wenn man es doch tut, warum man dann einen anderen englischen Titel wählt. "Between Your Words" ist zwar kein kompletter Griff ins Klos, da die Wortketten, die die Hauptfigur in ihre Kunstwerke einwebt, eine wichtige Rolle für die Handlung spielen, "A Five Minute Life" trifft den ganzen Kern der Geschichte jedoch weeeesentlich besser!


Jim: "Ich träumte, zwei Ichs zu haben, wie der Erzähler in Fight Club, und traf die zwei Ichs von Thea Hughes. Zu viert standen wir vor dem Ölgemälde im Foyer des Blue-Ridge-Sanatoriums: der stotternde Hilfspfleger und die Bewohnerin mit dem unheilbaren Hirnschaden. Der Hilfspfleger machte seinen Job und führte die Bewohnerin sanft in die halbdunklen Flure des Sanatoriums zurück. Aber die wunderschöne Künstlerin nahm mein nicht stotterndes Ich an der Hand und führte es lachend nach draußen in den hellen Tag."


So, das war dann aber auch schon wieder mit der Kritik, da mir hier (anders als sonst) kein einziger zentraler Punkt eingefallen ist, der die Geschichte aus meiner Sicht besser machen würde. Wie schon durch den Titel angekündigt, liegt die Magie der Geschichte zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich.


Jim: "Sie verlieben sich in das arme Mädchen". Es stimmte. Ich würde kündigen, bevor ich ihr wehtat, aber das hielt mein dummes Herz nicht davon ab, sich das Unmögliche zu wünschen. Ich war ein Sterbender in Theas ägyptischer Wüste, und sie war eine Fata Morgana. Eine Oase, die es nicht gab. Und ich musste damit aufhören, dass sich meine leere Seele in ihre Richtung wandte."


Ich bin einfach nur geflasht von dieser wahnsinnig emotionalen Geschichte, die gleichzeitig "love-at-first-sight", "slowburn", "friends-to-lovers" und "forbidden romance" ist und damit wohl alle Schubladen des Genres sprengt. Da sind so viele Konflikte, Gefühle und Entwicklungen, dass man gar nicht weiß, wohin mit sich und seinen Gefühlen. Die Figuren, die wie immer bei Emma Scotts Geschichten mal wieder zwei Künstler sind, entladen sie in Kunst, die hier Inspiration, Ventil, und Mitteilungsform ist. Die Autorin hat mit "Between Your Words" aber definitiv keinen rosigen Wohlfühlroman geschrieben, sondern erzählt aufgeteilt in drei Teile von den unterschiedlichen Phasen einer holprigen, aber strahlenden Liebe, die auch als Krankengeschichte oder einem Leben in drei Akten zu lesen sind. Um die Geschichte als Ganzes beschreiben und bewerten zu können, gehe ich die drei Teile einzeln durch, versuche in meiner Begeisterung aber möglichst spoilerfrei zu bleiben. Wenn Ihr aber wirklich sicher verhindern wollt, mehr über die Handlung zu erfahren, hört hier am besten auf mit dem Lesen meiner Rezension und springt zum Fazit (Spoiler-Warnung).


Erster Satz: "Die Stimme meiner Schwester hallte aus der Diele nach oben"


Der Beginn ist angesichts Theas schwerer Hirnverletzung und ihrer aktuellen Situation ein wenig deprimierend, weckt aber gleichzeitig auch Faszination, Neugierde und Mitleid beim Leser. Wir lernen unsere spätere Protagonistin nach einem kurzen Prolog aus ihrer Sicht erstmal als medizinischen Spezialfall aus der Sicht des Hilfspflegers Jim kennen, der nach der Schließung seines alten Arbeitsplatzes neu im Blue Ridge Sanatorium anfängt. Schon bei ihrer ersten Begegnung ist er fasziniert von der jungen, schönen Frau, die seit ihrem Unfall ihr Leben in 5-Minuten-Schritten leben muss. Mit jedem Gespräch, jedem Spaziergang, jedem Blick auf ihre Kunst kommt er Thea näher und beginnt daran zu zweifeln, ob sie sich nicht doch bewusst ist, dass sie in ihrem eigenen Kopf gefangen ist, gezwungen, Tag für Tag dieselben Gespräche zu führen und dieselben geliebten Menschen neu kennenzulernen...


Jim: "Jedes Mal zog die Verwirrung über ihr Gesicht und fegte alles weg. Löschte unsere fünf Minuten. Löschte, wer und was wir füreinander waren.“


Ich war zu Beginn etwas skeptisch angesichts der Einbindung der anterograden Amnesie, aber die Umsetzung des neuropsychologischen Phänomens rockt. Ich bin zwar keine Neurochirurgin, aber mittlerweile schon ein kleines bisschen vom Fach und finde alles im Rahmen des Plausiblen. Besonders interessant im ersten Teil sind die wenigen kurzen Ausschnitte aus Theas Perspektive, die sehr eindrücklich übermitteln, wie es sein muss, in seiner eigenen Zeitschleife gefangen zu sein. Das ist eine wahnsinnig beklemmende Vorstellung und da sich beim Lesen natürlich der Gedanke aufdrängt, was man selbst in einer solchen Situation wohl denken, fühlen und tun würde, ist es emotional ganz schön anstrengend, sich auf diese Perspektive einzulassen. Da finde ich es sehr angebracht, dass es eine Triggerwarnung gibt, denn zusätzlich zum "gefangen im eigenen Kopf"-Phänomen, dem Verlust ihrer Eltern beim Unfall und all dem Stress, der dies für die Figuren bedeutet, bringt Emma Scott hier noch ein weiteres ernstes Thema mit ein, das ich hier aus Spoilergründen nicht weiter nennen will.


Thea: "Es ist wie der Tod, Rita", sagte ich. "Denn was sind wir, wenn nicht unsere Erinnerungen? Wer sind wir ohne sie? Wo sind wir in diesem Leben? Sie sind die Verbindungen zu dem ganzen Wer, Was und Wo. Ohne Erinnerungen können wir genauso gut tot sein. Wenn die Amnesie mich im Griff hat, bin ich nicht körperlich tot, aber ich bin zwischen zwei Welten gefangen. Wie ein Geist."


Das ist insgesamt bei weitem keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. "Between Your Words" ist wie alle ihre Geschichten zwar leise und sensibel erzählt, aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf, aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Auch wenn die Handlung in diesem ersten Abschnitt wirklich nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Jim, aber vor allem Thea erdulden müssen immer wieder sprachlos gemacht. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir sowohl zu Jim als auch zu Thea während dieses ersten Teils in der Klinik schon eine tiefe Verbindung aufbauen - und das ohne Thea überhaupt richtig zu kennen. Manche LeserInnen haben kritisiert, dass Jim und seine Hintergrundgeschichte ein bisschen zu blass bleiben. Das kann ich gut nachvollziehen, da wir ihn im ersten Teil fast nur im Klinikkontext kennenlernen und auch später Theas Problem und die Liebesgeschichte klar im Vordergrund steht. Dennoch bekommen wir schon früh einen ausführlichen Eindruck von ihm und beginnen, ihn für seine Fürsorge, seine Einfühlsamkeit und seiner Sanftheit zu lieben. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen. Nach Isaac in "Never Doubt" dachte ich, ich würde keinen New-Adult-Protagonisten mehr lieben können, aber here it is: ein neuer und noch anbetungswürdigerer Love Interest (mein armes Herz, seufz).


Jim: "Thea war in dieser dunklen Tiefe, aber ich war bei ihr."


Und dann, als wir uns ausreichend in Jim verliebt haben und angesichts der Tragik und Unmöglichkeit der Situation für Thea und seine Liebe zu ihr verzweifelt sind, ... dann beginnt nach etwa 200 Seiten Teil 2 der Geschichte. Ganz im Gegensatz zum eher erdrückenden ersten Teil ist dieser überbordend vor Energie, Hoffnung und Lebenslust. Das macht ihn teilweise ein bisschen anstrengend zu lesen (da wir die zuvor so passive, hilflose Figur am liebsten bremsen und zurückhalten wollen), furchtbar tragisch (da wir ahnen, dass die Hoffnung trügerisch ist und schon eine Katastrophe am Horizont aufzieht) und trotzdem zum schönsten Teil der Geschichte. Hier darf nun auch endlich Thea aus ihrer Perspektive erzählen. Ihre Charakterisierung, als sie für länger als 5 Minuten erwacht, ist wahnsinnig interessant gemacht, auch wenn ich verstehen kann, weshalb der ein oder andere Leser ein Problem mit ihr haben könnte. Ihr starker Lebensdrang, ihre fröhliche, überschwängliche Art, die über Einsamkeit und Unsicherheit hinwegtäuscht, ihre laute Buntheit - das alles erscheint vielleicht etwas zu viel, ist aber angesichts der Entwicklung zuvor wunderbar stimmig, da alles, was in ihrem minimalbewussten Zustand durchgeschimmert war, nun voll aufgedreht sichtbar wird. Genau wie ihr Charakter erscheint der gesamte Mittelteil ein kleines bisschen over-the-top (sowohl die Länge des Abschnitts, die Intensität, der Schreibstil und die Sex-Szenen schlagen ein wenig über die Stränge), angesichts dessen was davor und danach kommt, ist das jedoch mehr als gerechtfertigt und kein Anlass für Kritik.


Jim: "Erinnere dich für mich." Tränen liefen über ihre Wangen und meine Finger, dann zog sie mich an sich, ihre Stimme zitterte. "Erinnere dich an uns... wenn ich es nicht kann."


Denn dann kommt Teil 3 und der ist einfach nur "AUTSCH". Klar, man erwartet am Ende doch irgendwie ein Happy End, aber Emma Scott hat in diesem letzten Teil mein Herz gründlich zerlegt. Dadurch, dass man nicht schon zu Beginn weiß, wie die Geschichte enden wird und man sich von Anfang an fragt, wie zum Teufel das bitte bei dieser Ausgangslage ein Happy End geben kann, bleibt es bis zum Ende spannend. Trotz kreativer Einfälle kommt man bestimmt nicht auf die Lösung, die sich Emma Scott hier erdacht hat. Ihr könnt Euch also auf eine Geschichte freuen, die nicht vorhersehbar und zu keinem Moment langweilig ist. Was mir an "Between Your Words" besonders gut gefällt, ist, dass Emma Scott hier am Ende nicht denselben Fehler macht, den ich bei anderen Werken von ihr schon kritisiert habe: sie drückt hier auf den letzten Seiten eben nicht wahnsinnig aufs Gaspedal, rast durch schöne Happy-End-Szene (Stichwort: Hochzeit, Haus und Kinder) und überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, sondern erzählt sie stringent bis zu einem recht offenen Ende. Ergänzt wird dieses dann durch zwei Epiloge, mit denen Emma Scott eine wunderbaren Mittelweg zwischen Offenheit und Abschluss gefunden hat. Der erste Epilog schließt das Buch inhaltlich perfekt ab und hätte rein faktisch ausgereicht, um eine Perspektive über das Ende zu geben. Der zweite Epilog gibt der Geschichte emotional ein schönes Ende und ist nach dem tragischen Auf und Ab einfach wahnsinnig schön zu lesen.



Fazit
:

Eine tragische, intensive und hochemotionale Liebesgeschichte mit hinreißenden Figuren, drei sehr unterschiedlichen, aber trotzdem wunderbar zusammenpassenden Teilen und dem absolut perfekten Ende: ganz große Liebe für Theas und Jims Geschichte!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.07.2021

Eine blutige, symbolträchtige Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels.

Und der Ozean war unser Himmel
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Handlung: "Nennt mich Bathseba", läutet die Geschichte einer jungen Walin ein, die zusammen mit ihrer Schiffscrew auf der Jagd nach einem legendären Walfänger ist: "Toby Wick." Schon mit dem ersten Satz ...

Handlung: "Nennt mich Bathseba", läutet die Geschichte einer jungen Walin ein, die zusammen mit ihrer Schiffscrew auf der Jagd nach einem legendären Walfänger ist: "Toby Wick." Schon mit dem ersten Satz wird somit klar, auf welchen Klassiker sich Patrick Ness mit seiner düsteren Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels bezieht. Nacherzählungen in Form von Kinderbüchern gibt es eine Menge zu Herman Melvilles "Moby Dick", was Patrick Ness hier aber tut, ist in Form einer Gegenerzählung alle Rollen zu vertauschen und Jäger und Gejagte an der Wasseroberfläche zu spiegeln. Durch die gewählte Perspektive erscheinen viele Aspekte der Handlung zunächst wirr. In der Welt der Wale ist unser Himmel der "Abgrund", gegen dessen Anziehungskraft in Form des Auftriebs es anzuschwimmen gilt. Im Gegensatz dazu entsprechen die Tiefen des Ozeans dem Himmel (Verweis: Titel). Doch nicht nur oben und unten sind vertauscht. In Patrick Ness´ Version der Geschichte haben die Wale eine entwickelte Gesellschaft mit Technik, Sozialsystem, Sprache und Kultur und machen Jagd auf die Menschen, deren Leichen sie ernten. Es ist durchaus anspruchsvoll, sich auf diesen fremden Blickwinkel einzulassen und die dargestellte Handlung als kritischen Spiegel zu begreifen, der unser eigenes Handeln verurteilt. Trotz der vielen Parallelen, Andeutungen und Schnittstellen zu "Moby Dick" geht "Und der Ozean war unser Himmel" jedoch seinen eigenen Weg, weshalb es nicht zwingend notwendig ist, den Klassiker von Melville zu kennen.

Schreibstil:
"Und der Ozean war unser Himmel" ist auf der reinen Handlungsebene ein blutiges Abenteuer, die Metaebene ist aber wie bei dem Autor gewohnt reichhaltig gefüllt mit bildreichen Metaphern, Symbolen und Andeutungen. Die viele Gewalt, Kämpfe, die ständige Jagd und der allgegenwärtige Tod zeichnen ein sehr düsteres Bild, zwischen Blutbädern und Begegnungen mit anderen Walschulen diskutieren unsere Figuren aber auch Prophezeiungen, Glaube, Monster und Krieg diskutiert. Dabei beschränkt sich diese düstere Fabel aber eher darauf, Fragen zu stellen, als diese dann auch zu beantworten. Wer sorgt dafür, dass eine Prophezeiung eintritt? Die Vorsehung, oder führt man sein Schicksal durch eine Vorhersage selbst in diese Richtung? Wie rechtfertigt man einen Krieg und kann man diesem Strudel aus Hass jemals entkommen? Was bedeutet Loyalität? Und warum machen wir aus dem Unbekanntem immer Monster? Genau wie in allen Geschichten von Patrick Ness ("A Monster Calls", "Chaos Walking") ist also auch wieder ein ordentlicher Hä-Effekt dabei und worauf die Geschichte eigentlich hinauswill bleibt am Ende eher nebulös umrissen und mit jeder Menge Raum für Interpretationen, Diskussionen und Projektion.

Figuren:
Eine Walin zur Protagonistin machen - funktioniert das? Klar, in Kinderbüchern wird das ständig gemacht, doch wie steht es in einem blutigen Überlebensdrama? Ab wann wird dieses Vermenschlichungs-Experiment absurd? All das habe ich mich während der ersten Seiten der Geschichte gefragt. Doch trotz dass uns Lesern die Wale nicht gerade als Sympathieträger ans Herz wachsen, verschwimmen während der 160 Seiten der Geschichte die Grenzen zwischen Menschen und Walen, Fremd und Eigenperspektive zusehends und man findet sich ab und zu selbst in dem Taumel wieder, den Bathseba fühlt, wenn sie den Wasserspiegel durchbricht und die Welt für den Bruchteil einer Sekunde kippt. In diesen kurzen Momenten war dann ich der Wal und fürchtete und gierte gleichermaßen nach der Legende des bösartigen Teufels Toby Wick...

Illustrationen:
Begleitet und unterstrichen wird die Geschichte durch die Illustrationen von Rovina Cai. Egal ob seitenfüllende, halbseitige oder nur angedeutete Motive am Seitenrand - durch kontrastreiche Blau-Schwarz-Zeichnungen mit blutroten Akzenten erhält die Geschichte einen düsteren, aber verträumten Beigeschmack, der ganz wunderbar zur Handlung passt. Alle wichtigen Szenen sind doppelseitig dargestellt, wobei die Bilder durch das Großformat des Buches im Stil eines Graphic Novels besonders gut zur Geltung kommen. Auch die 38 Kapitelanfänge sind durch kleine blaue Zeichnungen ausgestaltet. Sehr spannend ist, dass auch die Illustrationen mit den Motiven "oben und unten" und dem Spiegel spielen und somit der Himmel immer am unteren Seitenrand, der Ozean oben und der Wasserspiegel häufig mittig dargestellt ist.


Die Zitate


"Wir würden zu den Bergen gelangen. Wir würden unserem Schicksal ins Auge sehen. Aber war es eine Scheibe, dir unser Schicksal besiegelte? Oder die Hartnäckigkeit, mit der wir ihrer Botschaft folgten? Wird die Welt in Finsternis enden, weil es so vorhergesagt ist? Oder weil manche so fest daran glauben, dass sie es dadurch wahr machen? Voll der Angst, die sich stets in meinem Herzen zu verstecken versuche, frage ich mich, ob es da überhaupt einen Unterschied gibt."

"Wer den Teufel bekämpft, wird selbst zum Teufel."
"Vielleicht kann ja aber nur ein Teufel einen Teufel bekämpfen", sagte ich.
"Doch wenn dieser Kampf zu Ende ist, Bathseba", sagte er, "bleiben dann nur noch Teufel übrig?"
Und für einen Moment war im Meer nichts als Finsternis. Wir waren allein. Auch mit uns selbst. Und den Teufeln, die, ungesehen, irgendwo lauern."



Das Urteil:

Eine blutige, symbolträchtige Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels. Patrick Ness hält uns hier mit einer Gegenerzählung zu Melvilles "Moby Dick" den Spiegel vor und lässt jede Menge Raum für eigene Interpretationen und Denkanstöße.

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.07.2021

Eine blutige, symbolträchtige Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels.

Und der Ozean war unser Himmel
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Handlung: "Nennt mich Bathseba", läutet die Geschichte einer jungen Walin ein, die zusammen mit ihrer Schiffscrew auf der Jagd nach einem legendären Walfänger ist: "Toby Wick." Schon mit dem ersten Satz ...

Handlung: "Nennt mich Bathseba", läutet die Geschichte einer jungen Walin ein, die zusammen mit ihrer Schiffscrew auf der Jagd nach einem legendären Walfänger ist: "Toby Wick." Schon mit dem ersten Satz wird somit klar, auf welchen Klassiker sich Patrick Ness mit seiner düsteren Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels bezieht. Nacherzählungen in Form von Kinderbüchern gibt es eine Menge zu Herman Melvilles "Moby Dick", was Patrick Ness hier aber tut, ist in Form einer Gegenerzählung alle Rollen zu vertauschen und Jäger und Gejagte an der Wasseroberfläche zu spiegeln. Durch die gewählte Perspektive erscheinen viele Aspekte der Handlung zunächst wirr. In der Welt der Wale ist unser Himmel der "Abgrund", gegen dessen Anziehungskraft in Form des Auftriebs es anzuschwimmen gilt. Im Gegensatz dazu entsprechen die Tiefen des Ozeans dem Himmel (Verweis: Titel). Doch nicht nur oben und unten sind vertauscht. In Patrick Ness´ Version der Geschichte haben die Wale eine entwickelte Gesellschaft mit Technik, Sozialsystem, Sprache und Kultur und machen Jagd auf die Menschen, deren Leichen sie ernten. Es ist durchaus anspruchsvoll, sich auf diesen fremden Blickwinkel einzulassen und die dargestellte Handlung als kritischen Spiegel zu begreifen, der unser eigenes Handeln verurteilt. Trotz der vielen Parallelen, Andeutungen und Schnittstellen zu "Moby Dick" geht "Und der Ozean war unser Himmel" jedoch seinen eigenen Weg, weshalb es nicht zwingend notwendig ist, den Klassiker von Melville zu kennen.

Schreibstil:
"Und der Ozean war unser Himmel" ist auf der reinen Handlungsebene ein blutiges Abenteuer, die Metaebene ist aber wie bei dem Autor gewohnt reichhaltig gefüllt mit bildreichen Metaphern, Symbolen und Andeutungen. Die viele Gewalt, Kämpfe, die ständige Jagd und der allgegenwärtige Tod zeichnen ein sehr düsteres Bild, zwischen Blutbädern und Begegnungen mit anderen Walschulen diskutieren unsere Figuren aber auch Prophezeiungen, Glaube, Monster und Krieg diskutiert. Dabei beschränkt sich diese düstere Fabel aber eher darauf, Fragen zu stellen, als diese dann auch zu beantworten. Wer sorgt dafür, dass eine Prophezeiung eintritt? Die Vorsehung, oder führt man sein Schicksal durch eine Vorhersage selbst in diese Richtung? Wie rechtfertigt man einen Krieg und kann man diesem Strudel aus Hass jemals entkommen? Was bedeutet Loyalität? Und warum machen wir aus dem Unbekanntem immer Monster? Genau wie in allen Geschichten von Patrick Ness ("A Monster Calls", "Chaos Walking") ist also auch wieder ein ordentlicher Hä-Effekt dabei und worauf die Geschichte eigentlich hinauswill bleibt am Ende eher nebulös umrissen und mit jeder Menge Raum für Interpretationen, Diskussionen und Projektion.

Figuren:
Eine Walin zur Protagonistin machen - funktioniert das? Klar, in Kinderbüchern wird das ständig gemacht, doch wie steht es in einem blutigen Überlebensdrama? Ab wann wird dieses Vermenschlichungs-Experiment absurd? All das habe ich mich während der ersten Seiten der Geschichte gefragt. Doch trotz dass uns Lesern die Wale nicht gerade als Sympathieträger ans Herz wachsen, verschwimmen während der 160 Seiten der Geschichte die Grenzen zwischen Menschen und Walen, Fremd und Eigenperspektive zusehends und man findet sich ab und zu selbst in dem Taumel wieder, den Bathseba fühlt, wenn sie den Wasserspiegel durchbricht und die Welt für den Bruchteil einer Sekunde kippt. In diesen kurzen Momenten war dann ich der Wal und fürchtete und gierte gleichermaßen nach der Legende des bösartigen Teufels Toby Wick...

Illustrationen:
Begleitet und unterstrichen wird die Geschichte durch die Illustrationen von Rovina Cai. Egal ob seitenfüllende, halbseitige oder nur angedeutete Motive am Seitenrand - durch kontrastreiche Blau-Schwarz-Zeichnungen mit blutroten Akzenten erhält die Geschichte einen düsteren, aber verträumten Beigeschmack, der ganz wunderbar zur Handlung passt. Alle wichtigen Szenen sind doppelseitig dargestellt, wobei die Bilder durch das Großformat des Buches im Stil eines Graphic Novels besonders gut zur Geltung kommen. Auch die 38 Kapitelanfänge sind durch kleine blaue Zeichnungen ausgestaltet. Sehr spannend ist, dass auch die Illustrationen mit den Motiven "oben und unten" und dem Spiegel spielen und somit der Himmel immer am unteren Seitenrand, der Ozean oben und der Wasserspiegel häufig mittig dargestellt ist.


Die Zitate


"Wir würden zu den Bergen gelangen. Wir würden unserem Schicksal ins Auge sehen. Aber war es eine Scheibe, dir unser Schicksal besiegelte? Oder die Hartnäckigkeit, mit der wir ihrer Botschaft folgten? Wird die Welt in Finsternis enden, weil es so vorhergesagt ist? Oder weil manche so fest daran glauben, dass sie es dadurch wahr machen? Voll der Angst, die sich stets in meinem Herzen zu verstecken versuche, frage ich mich, ob es da überhaupt einen Unterschied gibt."

"Wer den Teufel bekämpft, wird selbst zum Teufel."
"Vielleicht kann ja aber nur ein Teufel einen Teufel bekämpfen", sagte ich.
"Doch wenn dieser Kampf zu Ende ist, Bathseba", sagte er, "bleiben dann nur noch Teufel übrig?"
Und für einen Moment war im Meer nichts als Finsternis. Wir waren allein. Auch mit uns selbst. Und den Teufeln, die, ungesehen, irgendwo lauern."



Das Urteil:

Eine blutige, symbolträchtige Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels. Patrick Ness hält uns hier mit einer Gegenerzählung zu Melvilles "Moby Dick" den Spiegel vor und lässt jede Menge Raum für eigene Interpretationen und Denkanstöße.

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Veröffentlicht am 04.07.2021

Eine blutige, symbolträchtige Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels.

Und der Ozean war unser Himmel
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Handlung: "Nennt mich Bathseba", läutet die Geschichte einer jungen Walin ein, die zusammen mit ihrer Schiffscrew auf der Jagd nach einem legendären Walfänger ist: "Toby Wick." Schon mit dem ersten Satz ...

Handlung: "Nennt mich Bathseba", läutet die Geschichte einer jungen Walin ein, die zusammen mit ihrer Schiffscrew auf der Jagd nach einem legendären Walfänger ist: "Toby Wick." Schon mit dem ersten Satz wird somit klar, auf welchen Klassiker sich Patrick Ness mit seiner düsteren Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels bezieht. Nacherzählungen in Form von Kinderbüchern gibt es eine Menge zu Herman Melvilles "Moby Dick", was Patrick Ness hier aber tut, ist in Form einer Gegenerzählung alle Rollen zu vertauschen und Jäger und Gejagte an der Wasseroberfläche zu spiegeln. Durch die gewählte Perspektive erscheinen viele Aspekte der Handlung zunächst wirr. In der Welt der Wale ist unser Himmel der "Abgrund", gegen dessen Anziehungskraft in Form des Auftriebs es anzuschwimmen gilt. Im Gegensatz dazu entsprechen die Tiefen des Ozeans dem Himmel (Verweis: Titel). Doch nicht nur oben und unten sind vertauscht. In Patrick Ness´ Version der Geschichte haben die Wale eine entwickelte Gesellschaft mit Technik, Sozialsystem, Sprache und Kultur und machen Jagd auf die Menschen, deren Leichen sie ernten. Es ist durchaus anspruchsvoll, sich auf diesen fremden Blickwinkel einzulassen und die dargestellte Handlung als kritischen Spiegel zu begreifen, der unser eigenes Handeln verurteilt. Trotz der vielen Parallelen, Andeutungen und Schnittstellen zu "Moby Dick" geht "Und der Ozean war unser Himmel" jedoch seinen eigenen Weg, weshalb es nicht zwingend notwendig ist, den Klassiker von Melville zu kennen.

Schreibstil:
"Und der Ozean war unser Himmel" ist auf der reinen Handlungsebene ein blutiges Abenteuer, die Metaebene ist aber wie bei dem Autor gewohnt reichhaltig gefüllt mit bildreichen Metaphern, Symbolen und Andeutungen. Die viele Gewalt, Kämpfe, die ständige Jagd und der allgegenwärtige Tod zeichnen ein sehr düsteres Bild, zwischen Blutbädern und Begegnungen mit anderen Walschulen diskutieren unsere Figuren aber auch Prophezeiungen, Glaube, Monster und Krieg diskutiert. Dabei beschränkt sich diese düstere Fabel aber eher darauf, Fragen zu stellen, als diese dann auch zu beantworten. Wer sorgt dafür, dass eine Prophezeiung eintritt? Die Vorsehung, oder führt man sein Schicksal durch eine Vorhersage selbst in diese Richtung? Wie rechtfertigt man einen Krieg und kann man diesem Strudel aus Hass jemals entkommen? Was bedeutet Loyalität? Und warum machen wir aus dem Unbekanntem immer Monster? Genau wie in allen Geschichten von Patrick Ness ("A Monster Calls", "Chaos Walking") ist also auch wieder ein ordentlicher Hä-Effekt dabei und worauf die Geschichte eigentlich hinauswill bleibt am Ende eher nebulös umrissen und mit jeder Menge Raum für Interpretationen, Diskussionen und Projektion.

Figuren:
Eine Walin zur Protagonistin machen - funktioniert das? Klar, in Kinderbüchern wird das ständig gemacht, doch wie steht es in einem blutigen Überlebensdrama? Ab wann wird dieses Vermenschlichungs-Experiment absurd? All das habe ich mich während der ersten Seiten der Geschichte gefragt. Doch trotz dass uns Lesern die Wale nicht gerade als Sympathieträger ans Herz wachsen, verschwimmen während der 160 Seiten der Geschichte die Grenzen zwischen Menschen und Walen, Fremd und Eigenperspektive zusehends und man findet sich ab und zu selbst in dem Taumel wieder, den Bathseba fühlt, wenn sie den Wasserspiegel durchbricht und die Welt für den Bruchteil einer Sekunde kippt. In diesen kurzen Momenten war dann ich der Wal und fürchtete und gierte gleichermaßen nach der Legende des bösartigen Teufels Toby Wick...

Illustrationen:
Begleitet und unterstrichen wird die Geschichte durch die Illustrationen von Rovina Cai. Egal ob seitenfüllende, halbseitige oder nur angedeutete Motive am Seitenrand - durch kontrastreiche Blau-Schwarz-Zeichnungen mit blutroten Akzenten erhält die Geschichte einen düsteren, aber verträumten Beigeschmack, der ganz wunderbar zur Handlung passt. Alle wichtigen Szenen sind doppelseitig dargestellt, wobei die Bilder durch das Großformat des Buches im Stil eines Graphic Novels besonders gut zur Geltung kommen. Auch die 38 Kapitelanfänge sind durch kleine blaue Zeichnungen ausgestaltet. Sehr spannend ist, dass auch die Illustrationen mit den Motiven "oben und unten" und dem Spiegel spielen und somit der Himmel immer am unteren Seitenrand, der Ozean oben und der Wasserspiegel häufig mittig dargestellt ist.


Die Zitate


"Wir würden zu den Bergen gelangen. Wir würden unserem Schicksal ins Auge sehen. Aber war es eine Scheibe, dir unser Schicksal besiegelte? Oder die Hartnäckigkeit, mit der wir ihrer Botschaft folgten? Wird die Welt in Finsternis enden, weil es so vorhergesagt ist? Oder weil manche so fest daran glauben, dass sie es dadurch wahr machen? Voll der Angst, die sich stets in meinem Herzen zu verstecken versuche, frage ich mich, ob es da überhaupt einen Unterschied gibt."

"Wer den Teufel bekämpft, wird selbst zum Teufel."
"Vielleicht kann ja aber nur ein Teufel einen Teufel bekämpfen", sagte ich.
"Doch wenn dieser Kampf zu Ende ist, Bathseba", sagte er, "bleiben dann nur noch Teufel übrig?"
Und für einen Moment war im Meer nichts als Finsternis. Wir waren allein. Auch mit uns selbst. Und den Teufeln, die, ungesehen, irgendwo lauern."



Das Urteil:

Eine blutige, symbolträchtige Parabel über Monster, Krieg und die Frage des Blickwinkels. Patrick Ness hält uns hier mit einer Gegenerzählung zu Melvilles "Moby Dick" den Spiegel vor und lässt jede Menge Raum für eigene Interpretationen und Denkanstöße.

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