Atmosphärisch, spannend und einfallsreich!
Kaleidra - Wer die Seele berührtIch habe von Kira Licht jetzt schon vier Bücher gelesen - ihren YA-Erstling "Sunset Beach", ihre Götter-Dilogie und den Auftakt zur neuen Kaleidra-Reihe - und mit jedem Band wurde ich zu einem größeren ...
Ich habe von Kira Licht jetzt schon vier Bücher gelesen - ihren YA-Erstling "Sunset Beach", ihre Götter-Dilogie und den Auftakt zur neuen Kaleidra-Reihe - und mit jedem Band wurde ich zu einem größeren Fan ihrer witzigen, einfallsreichen und mitreißenden Geschichten. Die Fortsetzung zu "Kaleidra - Wer das Dunkel ruft" haben Tomke von ThroughsiouxBooks und ich deshalb als sichere Bank für einen neuen Buddyread-Versuch eingeschätzt (zuvor hatten wir zwei spektakuläre Flops in Folge). Und richtig: "Kaleidra - Wer die Seele berührt" hat uns gezeigt, dass es nicht an uns liegt, sondern einfach unsere Auswahl bislang nicht glücklich war. Überraschend turbulent und originell entführt uns Kira Licht abermals in eine spannende Welt voller Geheimlogen, verschlüsselten Dokumente, gefährlichen Missionen, uralte Feindschaften und Allianzen und verbindet Mystery, Abenteuer, ein atmosphärisches Setting und eine zarte Liebesgeschichte.
"Sag mir etwas Wahres", wisperte ich. "Sag mir etwas Wahres in dieser Welt voller Täuschungen und Lügen."
Schon die Gestaltung ist einfach traumhaft und bringt mich als absoluten Cover-Kritiker immer wieder zum Schwärmen. Düster, geheimnisvoll und wunderschön - die Gestaltung bringt die Atmosphäre der Geschichte einfach auf den Punkt. Nicht nur dass die Lichtpunkte und die geometrischen Formen die naturwissenschaftlichen, aber auch fantastischen Anklänge des Romans auffangen, die starken Kontraste zwischen hellem Silber und dunklen, schwarzen Schatten passen auch wunderbar zum Thema. Zusammen mit dem silbernen Titel und dem dunklen Lesebändchen wird das Buch zu einem Gesamtkunstwerk, das dem des ersten Bandes stark ähnelt und somit im Regal wunderbar zusammenpasst. Auffällig am Innenleben dieser Schönheit ist, dass die Seiten sehr dünn sind und die 480 Seiten deshalb optisch eher wie höchstens 350 erscheinen. Eine kleine positive Überraschung hat das Buch noch auf den letzten Seiten parat. Hier wartet nämlich ein hilfreiches Glossar auf den verwirrten Leser, das neue Begriffe erklärt und altbekannte nochmal auflistet, sodass der Wiedereinstieg in die doch recht komplexe Story nach gut einem Jahr leichter fällt.
Erster Satz: "Ich schmeckte Blut"
Zusätzlich zum Glossar wird der Wiedereinstig in die Geschichte dadurch erleichtert, dass wir uns in "Kaleidra - Wer die Seele berührt" gleich zu Beginn an einem anderen Schauplatz wiederfinden. Wie Ihr Euch vielleicht erinnert, hat Band 1 ja mit einem ziemlichen Schocker geendet. Nicht nur dass Emilias bester Freund Matti sich als Alchemist herausgestellt hat, er ist auch noch Teil der feindlichen Quecksilberloge und hat Emilia und Ben um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen kurzerhand entführt. Als Emilia in der Quecksilberloge in Washington wieder zu sich kommt, warten jedoch noch weitere negative Überraschungen auf sie: unsere junge Heldin muss erfahren, dass sie zusammen mit Ben und Matti ein gefährliches Tria Bündnis eingehen soll, um den letzten Baustein zu finden, der nach den Missionen aus Band 1 noch fehlt, um das Wasser des Lebens herzustellen. Wie bösartig und umfassend der Plan des Oberhaupts der Quecksilberloge, Professor Avalanche, jedoch tatsächlich ist und dass er vor nichts halt machen wird, um zu seinem Ziel zu gelangen, erfahren die drei erst, als es schon zu spät ist...
"Einen Moment lang sah Kyle mich völlig unbewegt an. Das tiefe Braun seiner Iriden schien mit seinen Pupillen zu verschmelzen, als sich ein irisierender Schimmer von rechts und links über die Hornhaut seiner Augen schob. "Glaub mir, Silberling, hier gibt es weitaus furchterregendere Alternativen als den Tod."
Durch das neue Setting wird sofort klar, dass die gemütliche Einstiegsphase in die Handlung nun endgültig beendet ist und es ab jetzt ernster zugeht. Zwar haben mir Rom, die Goldloge und deren weitere Mitglieder wie Annmary, Oliver, Larkin oder Murphy ein bisschen gefehlt, dafür bringt die Quecksilberloge mit ihren diabolischen Erfindungen, den neuen mal mehr und mal weniger bösen Figuren (Stichwort: Karate-Kid-Kyle und Tritt-Mich-Tyson) und einer Menge neuer Informationen, die nicht nur Emilia, sondern auch uns Leser die Weltsicht hinterfragen lassen, einen spannenden frischen Wind. Im Kern geht es jedoch wieder um das eher ungewöhnliche Thema, das Kira Licht hier zum Mittelpunkt ihrer neuen Reihe auserwählt hat: die Alchemie. Dass Bücher über verborgene Geheimlogen, Reisen durch magische Artefakte und Konkurrenzkämpfe zwischen den Gruppierungen gut als Jugendfantasy funktionieren, weiß man spätestens seit "Rubinrot", dennoch war ich zu Beginn etwas skeptisch, wie die Mischung aus Chemie und Magie zusammenpassen wird. Schon in Band 1 löste sich meine anfängliche Skepsis jedoch schnell in Begeisterung auf. Wer hätte gedacht, dass chemische Reaktionen, verstaubte Manuskripte und komplizierte Rätsel so spannend sein können?
"Wir sahen uns an und einen ewigen Moment lang war da nichts als Stille. Und mein Herzschlag in der Dunkelheit. Jeder Schlag für ein nicht gesagtes Wort. Jede Sekunde der Stille für ein bereutes Wort."
Ich habe es in meiner Rezension zu Band 1 schonmal erwähnt, sage es aber gerne nochmal: "Kaleidra" kann auch ohne jegliches chemisches Vorwissen gut verfolgt werden, ein grundlegendes wissenschaftliches Vorstellungsvermögen sollte man aber dennoch mitbringen. Wer nicht weiß, dass Natrium zusammen mit Chlor zu Salz reagiert, oder Quecksilber einen niedrigeren Siedepunkt hat als Silber und Gold, wird die Handlung dank Kiras leicht verständlichen Schilderungen trotzdem nachvollziehen können. Richtig Spaß macht die Geschichte aber erst, wenn man die innere Logik der Actionszenen versteht und auch mit Kiras Beschreibungen von Laboren, fliegenden Riesenschlangen und Parallelwelten etwas anfangen kann - nur dann entfaltet sie ihr volles Potential. Alle, die jetzt trotzdem noch "Chemie, igitt" denken, kann ich damit beruhigen, dass der Fantastikgehalt hier gegenüber dem ersten Teil nochmal ordentlich gesteigert ist. Klar, die Autorin erfindet hier das Genre nicht wirklich neu und greift auch auf altbewährte Strategien und Abläufe zurück, aber ihr gelingt es mit viel Einfallsreichtum und Kreativität, einen individuellen Wiedererkennungswert zu hinterlassen und ein ganz besonderes Lesegefühl hervorzurufen.
"Wir sind zwei Naturgewalten. Wir sind dafür gemacht, Seite an Seite die Welt aus ihren Angeln zu reißen. Ich straffte die Schultern, hielt seinen Blick. Und wir würden nicht untergehen."
Kira Licht ruht sich jedoch nicht auf dem Weltenaufbau ihres Eröffnungsbandes aus. Egal ob ein vierter Orden, weitere Mitspieler, neue Verwandtschaftsverhältnisse oder Apokalypsen-Pläne - hier bekommen wir einiges zum Nachdenken, wenn wir nicht gerade mit Emilia und Ben um unser Leben kämpfen. Und jener Überlebenskampf steht wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Schon Band 1 war mit vielen Actionszenen, Straßenkämpfen, magischen Ritualen und abenteuerlichen Missionen gespickt. Die Handlungsdichte in Band 2 ist nun aber nochmal wesentlich größer. In "Kaleidra - Wer die Seele berührt" jagt eine magische, spannende, gefährliche Situation die nächste und wenn wir gerade kein Tria-Bündnis schließen, in der fremdartigen Welt Kaleidra um unser Leben kämpfen, oder mit ägyptischen Göttern um den letzten Baustein ringen, geht es eben in der Quecksilberloge rund. Zu sagen, es kämen hier keine Längen auf wäre also eine riesige Untertreibung. Tatsächlich lässt uns Kira Licht kaum einen Moment Zeit, um zu verschnaufen, bevor sie die nächste epische Szene folgen lässt.
"Seine Augen waren schwarz in der schemenhaften Dunkelheit, seine Stimme nur noch ein raues Flüstern. "Was willst du dann?"
"Ich will vergessen, wo wir uns befinden. Ignorieren, was die Orden uns vorschreiben. Einfach nur mit dir allein sein. Dich kennenlernen. jede Geschichte aus deiner Kindheit, jede Niederlage, die sich stärker gemacht hat. Jeden Erfolg, der dir Flügel verliehen hat. Ich will wissen, woher du jede einzelne Narbe an deinem Körper hast. Was dich zum Lächeln bringt, was dich traurig macht, was du dir im tiefsten Inneren deines Herzens wünscht. Deine Ängste, deine Zweifel, deine Sehnsüchte. Ich will jeden Quadratzentimeter deiner Haut kennen und jedes Quäntchen deiner Seele mein Eigen nennen."
Doch ich sagte kein einziges Wort."
Glücklicherweise leiden aber weder die Figuren noch das Setting unter diesem hohen Erzähltempo. Klar, der Fokus der Geschichte liegt hier mehr auf der Handlung und weniger auf den Figuren. Dennoch gelingt es Kira Licht, zwischen den Actionszenen genügend Reflexion, Dialoge und Erkenntnis zu schieben, dass die Geschichte geerdet bleibt und sich Dynamiken zwischen den Figuren fortsetzen. So geht es zum Beispiel auch um die leidende Freundschaft zwischen Emilia und Matti sowie ihrer Beziehung zu Ben, die sie hier zwar ausbaut, aber trotzdem eher zart und im Hintergrund bleibt. Auch Emilia an sich wird mit neuen Erkenntnissen über sich, ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten konfrontiert und wächst daran immer mehr zu einer selbstbewussten Kämpferin, die sich nicht unterbuttern lässt. Auch wenn sie als magische Überfliegerin und wichtige Schlüsselfigur mit ungeahnten Kräften die Ausgeburt des "Special Snowflake"-Klischees ist, fand ich es sehr sympathisch, wie sie emanzipiert das Beste aus ihrer Situation macht und immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat. Mit ihrem Mundwerk, dass manchmal ein bisschen schneller ist, als ihr Gehirn, sorgt sie auch für den ein oder anderen Lacher. Ihre Reaktion auf die Entführung der Quecksilber Alchemisten ("Wo gehen wir hin? Warum darf ich das nicht wissen? Ich finde das echt sehr unhöflich") war zum Beispiel legendär. Auch andere Szenen wie die Bemerkung, dass das Wasser des Lebens doch auf keinen Fall aus nur 10 Zutaten bestehen kann, immerhin seien schon in jeder einfachen Handcreme dreimal so viel Inhaltsstoffe, sind einfach so herrlich absurd, dass man einfach schmunzeln muss.
"Zehn Zutaten, Matti", wiederholte ich und betonte jedes einzelne Wort. "In jeder dämlichen Handcreme sind heutzutage über dreißig. Und sie macht dich nicht unsterblich. Wir haben ein paar Kräuter gesammelt, ein bisschen Kies und Sand und eine Karaffe mit Wasser. Das alles klingt wie die großartigste Schnitzeljagd der Menschheitsgeschichte. Wirklich, ich respektiere die Kreativität der Alchemisten, die sich das ausgedacht haben. ich respektiere die Orden, weil sie das Voynich-Manuskript dadurch konservieren wollen, dass sie die Rezeptur herausfinden möchten. Aber ganz im Ernst? Zehn Zutaten? Ewiges Leben? Wirklich?"
Alchemisten-Mystik, Abenteuer mit Indiana-Jones-Vibes und einen Hauch Romantik... was will man mehr? Zum Leben erweckt wird diese wundersame Mischung aber erst durch Kira Lichts spritzigen, erfrischend humorvollen und lockeren Schreibstil. Sie zieht ihre Geschichte wie gesagt sehr rasant auf, sorgt jedoch durch schlagfertige Dialoge, kreative Ideen, skurrile Begegnungen und leise Romantik dafür, dass wir niemals vergessen, dass hier jugendliche Protagonisten am Werk sind und keine Maschinen. Durch ihren einmaligen Humor, der mich ein wenig an Jennifer L. Armentrout in ihren besten Jahren erinnert hat, bringt sie immer wieder Schwung in die Geschichte und hat mich ein ums andere Mal zum Lachen gebracht. Leider sind auch abseits der Protagonistin einige genretypischen Klischees wie zum Beispiel den Crazy-Wissenschaftler-Bösewicht zu finden und auch erstaunlich viele Fehler (vor allem Wortauslassungen oder Dopplungen) fielen mir negativ auf. Über diese kleinen Mängel täuschen die hohe Spannung, die rasante Handlung, die magische Atmosphäre (und habe ich schon die hohe Spannung erwähnt) zwar geschickt hinweg, dennoch ziehe ich hier für diese Kleinigkeiten einen halben Stern ab. Für volle 5 Sterne hätte ich mir außerdem noch etwas mehr Figurentiefe, eine stärkere Ausarbeitung deren Beziehungen und mehr Informationen zu einigen Entwicklungen gewünscht.
Vor allem aufgefallen ist mir das im letzten Abschnitt, der es ganz schön in sich hat. Gerade gegen Ende wird eigentlich alles rätselhafter, statt klarer, verzweifelter, statt besser und während ich mich während der letzten Kapitel noch fragte, wie Kira Licht ihre Figuren in den verbliebenen Seiten noch aus dieser Misere retten will, war mir kurz vor Schluss klar: gar nicht. Nehmt den Cliffhanger von Band 1, multipliziert ihn mit dem Faktor 1000 und das ist dann das Ende von "Kaleidra - Wer die Seele berührt". Puh, und jetzt noch bis Oktober auf den dritten und letzten Teil, "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" warten? Ich habe ungefähr unendlich viele Fragen an den weiteren Verlauf der Geschichte, die ich bis dahin wahrscheinlich wieder vergessen habe. Vielen Dank auch, Kira!
Fazit
So atmosphärisch, spannend und einfallsreich wie Band 1, jedoch mit einer einer viel höheren Handlungsdichte. "Kaleidra - Wer die Seele berührt" ist alles andere als ein Lückenfüller, hier jagt ein Abenteuer das nächste und hinterlässt ein dringendes Bedürfnis nach Band 3!