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Veröffentlicht am 16.07.2024

Ein düsteres, atmosphärisches und emotional bewegendes Finale!

Dark Ivy – Halt mich fest
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Seit der Blakely-Brüder-Reihe und spätestens seit der Paper-Love-Dulogie bin ich ein großer Fan von Nikola Hotel und hatte deshalb große Hoffnungen auf ihre neue Dark Academia Reihe gesetzt, die 2022 mit ...

Seit der Blakely-Brüder-Reihe und spätestens seit der Paper-Love-Dulogie bin ich ein großer Fan von Nikola Hotel und hatte deshalb große Hoffnungen auf ihre neue Dark Academia Reihe gesetzt, die 2022 mit "Dark Ivy - Wenn ich falle" gestartet ist. Nach dem miesen Cliffhanger von Band 1 habe ich sofort Band 2 beim Verlag angefragt. Leider hat sich der Erscheinungstermin aber immer wieder verzögert. Statt im April 2023 erscheint das Buch nun heute, am 16. Juli 2024. Um nach der langen Zeit wieder ganz auf Ivy Island anzukommen, habe ich deshalb spontan einen Reread von Band 1 eingelegt und bin umso gespannter in "Dark Ivy - Halt mich fest" gestartet.

"Paratus ad omnia. Ich bin bereit für alles. Mit dir."


Genau wie schon "It was always you", "It was always love", "Ever" und "Blue" ist auch die "Dark Ivy" Dilogie mal wieder einfach hinreißend und hochwertig gestaltet. Passend zum Reihennamen ist das Hauptmotiv Efeuranken, die sich über den in schlichter Leinenoptik gestalteten Hintergrund des Covers, an den Kapitelanfängen und als Farbschnitt über die Buchseiten ziehen. In Kombination mit dem goldenen Titel wirkt das Cover zwar schlicht, aber sehr edel und ist damit eindeutig nach dem Notizbuch gestaltet, das in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Während Band 1 ganz in dunkelblau gehalten war, ist Band 2 nun in Bordeaux-Rot gestaltet. Auch die Innenlaschen der broschierten Ausgabe sind stimmungsvoll verziert und wer schon ein Blick in das Buch selbst geworfen hat, der weiß, dass man das Beste an der Gestaltung von außen gar nicht sieht. Denn wie alle Bücher von Nikola Hotel im Kyss Verlag hat auch die Dark Ivy Reihe ein gestalterisches Extra im Innenleben: Blackout Poetry. Viel vorwegnehmen möchte ich nicht, aber ich LIEBE einfach die Umsetzung dieser Idee!

Erster Satz: "Auf dem Foto leuchten Kerzen zwischen den Felsen.“

Bereits mit dem ersten Satz wird die Frage beantwortet, die wir uns seit dem Cliffhanger von Band 1 stellen: Devin hat es nicht lebendig zurück an Land geschafft und ist im Nordatlantik ertrunken. Während es in Band 1 darum ging, dass Eden nach dem traumatischen Verlust ihres besten Freundes einen Neustart an der Woodford Academy wagt und sich in William verliebt, erschüttert nun also schon wieder ein tragischer Todesfall ihr Leben, aber vor allem das von William, der daraufhin in eine Tablettensucht stürzt. Als sich William und Eden sowie der Rest der beteiligten Freundesgruppe wenige Wochen nach dem Vorfall in Woodford wiedersehen, sind die Wunden tief und die Mauern hoch. Ist dies also bereits das Ende ihrer Liebesgeschichte? Kann sich William selbst verzeihen, dass er Eden und nicht Devin gerettet hat? Oder wird die Geschichte einen noch dunkleren Ausgang nehmen...

"Bitte", flüstere ich, und damit meine ich alles. Bitte hör nicht auf. Bitte lass mich nicht los. Bitte stoß mich nicht von dir weg. Und das tut er nicht.“

Die 448 Seiten drehen sich also um Trauer, Vergebung, Abgründe, Schuld, Panik und Sucht, aber auch um Liebe, Freundschaft und Unterstützung. Damit geht die Geschichte in eine deutlich düsterere Richtung, als ich es erwartet hatte. Rückblickend kann ich gar nicht genau sagen, was ich denn erwartet hätte -denn immerhin hat das Ende von Band 1 schon eine recht eindeutige Richtung vorgegeben-, aber definitiv nicht dieses dramatische Schlammassel, in das sich die Figuren hier hineinmanövriert haben. Denn hier geht es leider weniger um die tatsächliche Bewältigung des gemeinsamen Traumas und von Devlins Verlust sondern mehr um gegenseitige Schuldzuweisungen und Selbstzerstörung. Auch wenn die Autorin die inneren Konflikte und Qualen der Figuren sehr nachvollziehbar und schmerzhaft aufbaut, liest sich die Handlung an manchen Stellen ein wenig uninspiriert. Denn das Drama rund um William, Ende und Kendra hätte man mit einem klärenden Gespräch nach zwei Kapiteln auflösen können. Angesichts der sehr realen Schwierigkeiten, denen sich die Geschichte hätte widmen können, hinterlässt es einen etwas schalen Beigeschmack, dass der gesamte Konflikt auf Missverständnissen und fehlender Kommunikation ruht.

"Willfragry. Das Wort habe ich für Williams süchtig machenden Geruch erfunden beziehungsweise für das Gefühl, das er in mir auslöst, diesen Hunger nach mehr.“

Was mir allerdings sehr gut gefallen hat, ist der Umgang der Autorin mit dem Sucht-Thema. Schon in Band 1 hat sie sich mit Selbstmord und Depression sehr ernste Themen ausgesucht, ging diese aber so emotional, sensibel und zart romantisch an, dass einem beim Lesen das Herz aufging. Auch hier stellt sie Williams Schwierigkeiten mit großem Fingerspitzengefühl und Verständnis vor und nutzt dafür auch zum ersten Mal seine Erzählperspektive. Auch wenn dadurch der Fokus etwas von Eden weggelenkt wird, profitiert die Geschichte definitiv davon, dass wir hier zusätzlich zu Eden nun auch in Williams Gedankenwelt eintauchen. Zu Beginn war es ein Schock und ich hatte Schwierigkeiten, den William aus Band 1 in seiner Erzählperspektive wiederzufinden. Zu sehen, wie er und Eden trotz ihrer Belastungen und Wunden dennoch verständnisvoll und untoxisch bleiben, sich trotz aller Versuche Abstand zu gewinnen immer wieder gegenseitig wiederfinden und zusammen heilen, ist aber wundervoll.

"Gott, Eden", keucht William auf. Und das zieht mir den Boden unter den Füßen weg, weil ich dafür sterben könnte, wie er das sagt. Gott-Eden. Als wäre es ein Wort. Als würde er mir gleichzeitig verfluchen und vergöttern. Hassen und lieben. Gott-Eden.“


Passend zur düsteren Atmosphäre und den schwierigen Themen, dreht Nikola Hotel hier auch nochmal ihr verwunschenes Dark Academia Setting auf. Mit Efeu überwachsene Backsteingebäude mit Erkern und Kaminen, alte Bibliotheken mit Marmorstatuen und verstaubten Kunstwerken, kalte Winde vor altehrwürdigen Hallen und ein winterlicher Weihnachtsball - die lebendige Stimmung und Nikola Hotels poetischer, nachdenklicher Schreibstil tragen ebenfalls dazu bei, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann. So ist auch "Dark Ivy - Halt mich fest" ist eines der Bücher, die man in einem Rutsch wegliest und danach kaum glauben kann, dass das wirklich über 400 Seiten waren, da es sich wie maximal die Hälfte angefühlt hat. So kommt das Ende des Romans wieder überraschend schnell, las sich nach dem vorherigen Drama allerdings ein wenig knapp abgekanzelt. Dies unterstrich für mich die Wahrnehmung, dass "Dark Ivy - Halt mich fest" trotz einiger wirklich starken Szenen, des wichtigen Themas und der tollen Charakterentwicklung insgesamt für mich trotzdem nicht ganz die Fortsetzung war, die ich mir für die Geschichte gewünscht hatte.


Fazit


"Dark Ivy - Halt mich fest" ist ein düsteres, atmosphärisches und emotional bewegendes Finale, das mit tollem Dark-Academia-Setting, lebendigen Figuren, Fingerspitzengefühl bei ernsten Themen und einer edlen Gestaltung überzeugt. Allerdings las sich die Handlung an einigen Stellen etwas uninspiriert und auch das Ende war mir deutlich zu knapp.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.07.2024

Leider nur für eingefleischte Kosmeer-Fans empfehlenswert

Das Herz der Sonne
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Nachdem ich sowohl das erste, "Weit über der smaragdgrünen See" als auch das zweite "Handbuch für den genügsamen Zauberer" der Secret Projects von Brandon Sanderson mit so viel Spaß gelesen habe, habe ...

Nachdem ich sowohl das erste, "Weit über der smaragdgrünen See" als auch das zweite "Handbuch für den genügsamen Zauberer" der Secret Projects von Brandon Sanderson mit so viel Spaß gelesen habe, habe ich mir gespannt auch sein neustes Sci-Fie-Projekt angefragt, das das vierte und letzte Projekt seiner einjährigen Crowdfunding-Kampagne darstellt. Da die Geschichte im umfangreichen Kosmeer-Umfeld des Autors spielt, habe ich vorab extra überprüft, ob es sich hierbei um ein Standalone handelt, das auch unabhängig gelesen werden kann. Die Vermarktung sagte ja, also habe ich das Buch bestellt. Extrem spannende, aber ebenso verwirrende 464 Seiten später kann ich nun jedoch mit Sicherheit feststellen, dass Kosmeer-Neulinge dringend die Finger von "Das Herz der Sonne" lassen sollten. Eine Zusammenfassung meines sehr gemischten Leseeindrucks.

Bevor ich meinen leider sehr gemischten Leseeindruck begründe, noch einige Worte zur Gestaltung. Das Cover zeigt vor dem Hintergrund eines blauen Nachthimmels eine Figur, die mit wallendem Umhang auf einem Fels inmitten von Lava steht und in Richtung einer schwebenden Stadt blickt. Damit passen die Motive schonmal sehr gut zur Handlung und die Gesamtkomposition mit großem geschwungenen Titel und Autorenname reiht sich gut in die Gestaltung der anderen deutschen Kosmeer-Cover des Verlags ein. Im Vergleich zum spritzigen, modernen Originalcover wirkt die deutsche Ausgabe aber leider ein wenig fad und einfallslos. Lässt man die schwebende Stadt und den Umhang hier weg, könnte es sich bei dem Cover problemlos auch um einen historischen Roman handeln. Noch trauriger finde ich allerdings die Tatsache, dass die Illustrationen, die es dem Vorwort und Rezensionen zufolge in der Originalausgabe gab, hier nicht übernommen wurden. Nur in den beiden Innenklappen sind jeweils zwei Illustrationen zu sehen. Gerade die detailreiche Ausgestaltung hat mir an den anderen Secret Projects so gut gefallen, weshalb ich mich frage, wieso das hier weglassen wurde. Leider gibt es dafür auch sehr viele Fehler in der ersten Auflage, die bei einem Titel dieses Kalibers eher vermeidbar sind.

Erster Satz: "Nomad wachte unter den Verdammten auf."

Das Buch beginnt damit, dass die Hauptfigur mitten in einer Hinrichtung zu Bewusstsein kommt. Auf einem fremden Planeten, umgeben von Verdammten, die dem Feuer einer magischen Sonne ausgesetzt werden, ohne Chance, deren tödlichen Strahlen zu entkommen... kein guter Start in den Tag für den Weltenwanderer Nomad. Nur mit Ach und Krach schafft er es, sich rechtzeitig auf ein Flugobjekt zu retten und landet damit in einem komplexen Konflikt zwischen Einheimischen und dem totalitären Zunderkönig, die auf der Flucht vor dem Sonnenaufgang um den Planeten fliegen und um knappe Ressourcen kämpfen. Soweit so spannend.

Allerdings habe ich mich - entschuldigt den dramatischen Vergleich - bereits nach wenigen Sätzen ähnlich wie Nomad hilflos auf einem fremden Planeten ausgesetzt und verloren gefühlt. Denn ich hatte nicht nur annähernd das Gefühl, ausreichend Informationen zur Verfügung zu haben, um dieser Geschichte folgen zu können. Der anfängliche Eindruck der ersten 200 Seiten war also vor allem von seeehr vielen Fragen geprägt. Wer ist Nomad? Warum und vor wem flieht er? Was ist diese Nachtbrigade, die ihn verfolgt? Was genau ist sein sogenanntes Tormentum, der ihn daran hindert, andere anzugreifen, und woher kommt dieses? Was ist der Dämmerungssplitter? Wer ist sein Mentor Schelm? Was ist diese körperlose Stimme in Nomads Kopf und was verbindet sie? Wie funktioniert sein magisches Metallwerkzeug? Was ist Investitur? Was sind die Regeln dieses Magiesystems? Was ist Roschar, Alethi und warum zum Teufel haben die Figuren alle so seltsame Namen?!?

"Das ist ein bemerkenswerter Anblick, sagt der Ritter voller Ehrfurcht. Nichts als Wasser und Steine, aber in einer Menge, die das alles zur Schönheit werden lässt. Erstaunlich. Warum hassen wir es eigentlich noch mal, diese Welten zu bereisen?" "Weil wir gejagt werden?" "Ja, natürlich, stimmt. Aber ... ich wünschte, wir könnten öfter eine Pause einlegen und die Aussicht genießen."


Als geübter Fantasy-Leser kann man sich Teile der Antworten mit der Zeit und durch spärliche Informationen zusammenreimen, aber selbst dann blieb mir zu viel unklar, um die Geschichte wirklich genießen zu können. Zwar startet mit Nomads Ankunft auf dem Planeten Canticum grundsätzlich ein neuer Handlungsstrang, es fehlten mir allerdings generell Erklärungen zum allgemeinen Worldbuilding, zur Natur der vorkommenden Magie und den Rahmenbedingungen des Multiversums, um wirklich zu verstehen, was hier genau passierte. Auch die Hauptfigur Nomad sowie sein unsichtbarer Sidekick Auxilium und der gröbere Handlungsrahmen ihrer gemeinsamen Flucht vor der Nachtbrigarde werden hier nie wirklich eingeführt, was für mich natürlich auch den Zugang zu diesen Figuren stark verkomplizierte. "Das Herz der Sonne" liest sich ganz so, als würde der Autor davon ausgehen, dass man all diese Informationen bereits hat und er sich diese zugunsten des schnellen Erzähltempos sparen kann. Ich gehe also mal davon aus, dass diese in einem vorherigen Teil einer der Kosmeer-Reihen zu finden sind, der mir natürlich gefehlt hat. Kein Wunder also, dass das Buch für mich extrem frustrierend zu lesen war.

Doch es sind nicht nur fehlende Informationen, die verwirren, sondern auch die vielen kleinen Anspielungen, mit denen der Autor nur so um sich wirft. Im Vorwort schreibt er, das Buch als Geschenk an seine treuen Kosmeer-Fans geschrieben zu haben, was erklärt, weshalb er hier laufend Bezug zu Figuren, Welten und Geschehnissen nennt, bei denen bei mir natürlich nichts geklingelt hat. Rückblickend habe ich nun ein paar englischsprachige Rezensionen gefunden, die warnen, das Buch nur dann zu lesen, wenn man mindestens die Sturmlicht-Chroniken des Autors ebenfalls gelesen hat. Dieser Empfehlung kann ich mich nun nur ausdrücklich anschließen und ärgere mich gleichzeitig ein bisschen, dass der deutsche Verlag dies nicht ebenfalls deutlich gemacht hat. Denn so habe ich in der ersten Hälfte alle paar Kapitel mit dem Gedanken gespielt, das Buch einfach aufzugeben und etwas anderes zu lesen.

"Er war der Regen, der der plötzlich von seiner Wolke befreit war und in den Himmel strebte. Er war der Blitz, der vor Begeisterung, sich bewegen zu können, mit rasenden Splittern durch den leeren Raum fuhr. Er war der Donner, der dann hallte, wenn man es nicht erwartete, und die Luft mit seinem Rhythmus verzerrte. Er war der Sturm. Er fiel auf fremde Länder herab und war doch derselbe wie immer."


Weshalb hab ich das Buch also trotzdem zu Ende gelesen? Naja, ganz einfach: Es ist immer noch ein Brandon-Sanderson-Roman und deshalb trotz allem gewohnt spannend, originell und interessant erzählt! Zunächst ist das einfallsreiche Setting hervorzuheben, in das die Handlung eingebettet ist. Canticum ist ein Planet, auf dem alles Leben durch die extreme Kraft der Sonne ständig zerstört und im Anschluss nach Weiterziehen der Sonne neu erschaffen wird, sodass die Bewohner auf fliegenden Städten ständig vor der Sonne fliehen müssen. Wir begleiten die Figuren über einen Tag und eine Rotation um den gesamten Planeten und sehen die unterschiedlichen Phasen, die den lebensfeindlichen Zyklus aus Zerstörung und Wiedergeburt bilden. Zunächst kommt der Sonnenaufgang, der alles in Brand setzt und die Erde zum Schmelzen bringt, daraufhin folgt ein Mahlstrom, in dem die Erde rasend schnell abkühlt und daraufhin im Schatten und Regen zu wachsen beginnt, bevor die nächste Dämmerung wieder aufzieht. Was dies für das Leben der Menschen, deren Gesellschaft und Technik, aber auch das Ökosystem, die Geologie und das Wetter des Planeten bedeutet, wird dabei in vielen interessanten Gedankenspielen dargelegt.

"Wahrheit und Fantasie mischen sich in fast allen Geschichten, Einkehr", sagte er. "Insbesondere in den alten. Man kann die Fantasie nicht weglassen, ohne dabei auch die Wahrheit abzuwürgen."


Zusätzlich zu diesem sehr starken Science-Fiction-Anteil entrollt der Autor hier einen Fantasy-Konflikt zwischen dem magischen Zunderkönig, der mit seinen zombieartigen Verkohlten die Welt beherrschen will und der freien Stadt Biike, die sich ihm seit Generationen widersetzt. Staubige, schlammige Schlachten auf klapprigen Schweberädern, zwischen fliegenden Städten auf der Flucht vor der Sonne - der Gesamtplot enthält dabei noch eine ordentliche Portion moderner Western-Vibes, die an die Mad Max Filme erinnern. Passend zu der ewigen Rotation des Planeten, dem Leben in ständiger Bewegung der Bewohner und der dauerhaften Flucht der Hauptfigur, steht auch die Handlung dabei niemals still. "Das Herz der Sonne" ist mit einer extrem hoher Actiondichte ausgerollt, sodass man kaum eine Sekunde zu Atem kommt, so schnell geschehen die Dinge hier hintereinander. Eine brenzlige Situation geht in die nächste über, sodass so oder so kaum Zeit für Figurenentwicklung oder Erklärungen bleibt. Im Zusammenspiel mit den mir persönlich fehlenden Informationen blieb mir also nichts anders übrig, als wie bei einem hirnlosen Actionfilm einfach meinen Kopf auszuschalten und blind der wilden Handlung zu folgen. So konnte ich zwar halbwegs im Sattel bleiben, die vielen gutdurchdachten Feinheiten, die Sandersons Bücher ausmachen, aber gar nicht genießen. So lande ich bei einer subjektiv eher niedrigen Bewertung, obwohl ich das Buch qualitativ für deutlich besser halte.


Fazit:


Trotz spannendem Setting und actionreicher Erzählweise ist "Das Herz der Sonne" leider nur für eingefleischte Kosmeer-Fans empfehlenswert. Als Neuling im Kosmeer wird man von den zahlreichen Anspielungen, den fehlenden Informationen zu den Figuren und dem unklaren Worldbuilding zu leicht überwältigt und verwirrt.

Veröffentlicht am 15.07.2024

Leider nur für eingefleischte Kosmeer-Fans empfehlenswert!

Das Herz der Sonne
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Nachdem ich sowohl das erste, "Weit über der smaragdgrünen See" als auch das zweite "Handbuch für den genügsamen Zauberer" der Secret Projects von Brandon Sanderson mit so viel Spaß gelesen habe, habe ...

Nachdem ich sowohl das erste, "Weit über der smaragdgrünen See" als auch das zweite "Handbuch für den genügsamen Zauberer" der Secret Projects von Brandon Sanderson mit so viel Spaß gelesen habe, habe ich mir gespannt auch sein neustes Sci-Fie-Projekt angefragt, das das vierte und letzte Projekt seiner einjährigen Crowdfunding-Kampagne darstellt. Da die Geschichte im umfangreichen Kosmeer-Umfeld des Autors spielt, habe ich vorab extra überprüft, ob es sich hierbei um ein Standalone handelt, das auch unabhängig gelesen werden kann. Die Vermarktung sagte ja, also habe ich das Buch bestellt. Extrem spannende, aber ebenso verwirrende 464 Seiten später kann ich nun jedoch mit Sicherheit feststellen, dass Kosmeer-Neulinge dringend die Finger von "Das Herz der Sonne" lassen sollten. Eine Zusammenfassung meines sehr gemischten Leseeindrucks.

Bevor ich meinen leider sehr gemischten Leseeindruck begründe, noch einige Worte zur Gestaltung. Das Cover zeigt vor dem Hintergrund eines blauen Nachthimmels eine Figur, die mit wallendem Umhang auf einem Fels inmitten von Lava steht und in Richtung einer schwebenden Stadt blickt. Damit passen die Motive schonmal sehr gut zur Handlung und die Gesamtkomposition mit großem geschwungenen Titel und Autorenname reiht sich gut in die Gestaltung der anderen deutschen Kosmeer-Cover des Verlags ein. Im Vergleich zum spritzigen, modernen Originalcover wirkt die deutsche Ausgabe aber leider ein wenig fad und einfallslos. Lässt man die schwebende Stadt und den Umhang hier weg, könnte es sich bei dem Cover problemlos auch um einen historischen Roman handeln. Noch trauriger finde ich allerdings die Tatsache, dass die Illustrationen, die es dem Vorwort und Rezensionen zufolge in der Originalausgabe gab, hier nicht übernommen wurden. Nur in den beiden Innenklappen sind jeweils zwei Illustrationen zu sehen. Gerade die detailreiche Ausgestaltung hat mir an den anderen Secret Projects so gut gefallen, weshalb ich mich frage, wieso das hier weglassen wurde. Leider gibt es dafür auch sehr viele Fehler in der ersten Auflage, die bei einem Titel dieses Kalibers eher vermeidbar sind.

Erster Satz: "Nomad wachte unter den Verdammten auf."

Das Buch beginnt damit, dass die Hauptfigur mitten in einer Hinrichtung zu Bewusstsein kommt. Auf einem fremden Planeten, umgeben von Verdammten, die dem Feuer einer magischen Sonne ausgesetzt werden, ohne Chance, deren tödlichen Strahlen zu entkommen... kein guter Start in den Tag für den Weltenwanderer Nomad. Nur mit Ach und Krach schafft er es, sich rechtzeitig auf ein Flugobjekt zu retten und landet damit in einem komplexen Konflikt zwischen Einheimischen und dem totalitären Zunderkönig, die auf der Flucht vor dem Sonnenaufgang um den Planeten fliegen und um knappe Ressourcen kämpfen. Soweit so spannend.

Allerdings habe ich mich - entschuldigt den dramatischen Vergleich - bereits nach wenigen Sätzen ähnlich wie Nomad hilflos auf einem fremden Planeten ausgesetzt und verloren gefühlt. Denn ich hatte nicht nur annähernd das Gefühl, ausreichend Informationen zur Verfügung zu haben, um dieser Geschichte folgen zu können. Der anfängliche Eindruck der ersten 200 Seiten war also vor allem von seeehr vielen Fragen geprägt. Wer ist Nomad? Warum und vor wem flieht er? Was ist diese Nachtbrigade, die ihn verfolgt? Was genau ist sein sogenanntes Tormentum, der ihn daran hindert, andere anzugreifen, und woher kommt dieses? Was ist der Dämmerungssplitter? Wer ist sein Mentor Schelm? Was ist diese körperlose Stimme in Nomads Kopf und was verbindet sie? Wie funktioniert sein magisches Metallwerkzeug? Was ist Investitur? Was sind die Regeln dieses Magiesystems? Was ist Roschar, Alethi und warum zum Teufel haben die Figuren alle so seltsame Namen?!?

"Das ist ein bemerkenswerter Anblick, sagt der Ritter voller Ehrfurcht. Nichts als Wasser und Steine, aber in einer Menge, die das alles zur Schönheit werden lässt. Erstaunlich. Warum hassen wir es eigentlich noch mal, diese Welten zu bereisen?" "Weil wir gejagt werden?" "Ja, natürlich, stimmt. Aber ... ich wünschte, wir könnten öfter eine Pause einlegen und die Aussicht genießen."


Als geübter Fantasy-Leser kann man sich Teile der Antworten mit der Zeit und durch spärliche Informationen zusammenreimen, aber selbst dann blieb mir zu viel unklar, um die Geschichte wirklich genießen zu können. Zwar startet mit Nomads Ankunft auf dem Planeten Canticum grundsätzlich ein neuer Handlungsstrang, es fehlten mir allerdings generell Erklärungen zum allgemeinen Worldbuilding, zur Natur der vorkommenden Magie und den Rahmenbedingungen des Multiversums, um wirklich zu verstehen, was hier genau passierte. Auch die Hauptfigur Nomad sowie sein unsichtbarer Sidekick Auxilium und der gröbere Handlungsrahmen ihrer gemeinsamen Flucht vor der Nachtbrigarde werden hier nie wirklich eingeführt, was für mich natürlich auch den Zugang zu diesen Figuren stark verkomplizierte. "Das Herz der Sonne" liest sich ganz so, als würde der Autor davon ausgehen, dass man all diese Informationen bereits hat und er sich diese zugunsten des schnellen Erzähltempos sparen kann. Ich gehe also mal davon aus, dass diese in einem vorherigen Teil einer der Kosmeer-Reihen zu finden sind, der mir natürlich gefehlt hat. Kein Wunder also, dass das Buch für mich extrem frustrierend zu lesen war.

Doch es sind nicht nur fehlende Informationen, die verwirren, sondern auch die vielen kleinen Anspielungen, mit denen der Autor nur so um sich wirft. Im Vorwort schreibt er, das Buch als Geschenk an seine treuen Kosmeer-Fans geschrieben zu haben, was erklärt, weshalb er hier laufend Bezug zu Figuren, Welten und Geschehnissen nennt, bei denen bei mir natürlich nichts geklingelt hat. Rückblickend habe ich nun ein paar englischsprachige Rezensionen gefunden, die warnen, das Buch nur dann zu lesen, wenn man mindestens die Sturmlicht-Chroniken des Autors ebenfalls gelesen hat. Dieser Empfehlung kann ich mich nun nur ausdrücklich anschließen und ärgere mich gleichzeitig ein bisschen, dass der deutsche Verlag dies nicht ebenfalls deutlich gemacht hat. Denn so habe ich in der ersten Hälfte alle paar Kapitel mit dem Gedanken gespielt, das Buch einfach aufzugeben und etwas anderes zu lesen.

"Er war der Regen, der der plötzlich von seiner Wolke befreit war und in den Himmel strebte. Er war der Blitz, der vor Begeisterung, sich bewegen zu können, mit rasenden Splittern durch den leeren Raum fuhr. Er war der Donner, der dann hallte, wenn man es nicht erwartete, und die Luft mit seinem Rhythmus verzerrte. Er war der Sturm. Er fiel auf fremde Länder herab und war doch derselbe wie immer."


Weshalb hab ich das Buch also trotzdem zu Ende gelesen? Naja, ganz einfach: Es ist immer noch ein Brandon-Sanderson-Roman und deshalb trotz allem gewohnt spannend, originell und interessant erzählt! Zunächst ist das einfallsreiche Setting hervorzuheben, in das die Handlung eingebettet ist. Canticum ist ein Planet, auf dem alles Leben durch die extreme Kraft der Sonne ständig zerstört und im Anschluss nach Weiterziehen der Sonne neu erschaffen wird, sodass die Bewohner auf fliegenden Städten ständig vor der Sonne fliehen müssen. Wir begleiten die Figuren über einen Tag und eine Rotation um den gesamten Planeten und sehen die unterschiedlichen Phasen, die den lebensfeindlichen Zyklus aus Zerstörung und Wiedergeburt bilden. Zunächst kommt der Sonnenaufgang, der alles in Brand setzt und die Erde zum Schmelzen bringt, daraufhin folgt ein Mahlstrom, in dem die Erde rasend schnell abkühlt und daraufhin im Schatten und Regen zu wachsen beginnt, bevor die nächste Dämmerung wieder aufzieht. Was dies für das Leben der Menschen, deren Gesellschaft und Technik, aber auch das Ökosystem, die Geologie und das Wetter des Planeten bedeutet, wird dabei in vielen interessanten Gedankenspielen dargelegt.

"Wahrheit und Fantasie mischen sich in fast allen Geschichten, Einkehr", sagte er. "Insbesondere in den alten. Man kann die Fantasie nicht weglassen, ohne dabei auch die Wahrheit abzuwürgen."


Zusätzlich zu diesem sehr starken Science-Fiction-Anteil entrollt der Autor hier einen Fantasy-Konflikt zwischen dem magischen Zunderkönig, der mit seinen zombieartigen Verkohlten die Welt beherrschen will und der freien Stadt Biike, die sich ihm seit Generationen widersetzt. Staubige, schlammige Schlachten auf klapprigen Schweberädern, zwischen fliegenden Städten auf der Flucht vor der Sonne - der Gesamtplot enthält dabei noch eine ordentliche Portion moderner Western-Vibes, die an die Mad Max Filme erinnern. Passend zu der ewigen Rotation des Planeten, dem Leben in ständiger Bewegung der Bewohner und der dauerhaften Flucht der Hauptfigur, steht auch die Handlung dabei niemals still. "Das Herz der Sonne" ist mit einer extrem hoher Actiondichte ausgerollt, sodass man kaum eine Sekunde zu Atem kommt, so schnell geschehen die Dinge hier hintereinander. Eine brenzlige Situation geht in die nächste über, sodass so oder so kaum Zeit für Figurenentwicklung oder Erklärungen bleibt. Im Zusammenspiel mit den mir persönlich fehlenden Informationen blieb mir also nichts anders übrig, als wie bei einem hirnlosen Actionfilm einfach meinen Kopf auszuschalten und blind der wilden Handlung zu folgen. So konnte ich zwar halbwegs im Sattel bleiben, die vielen gutdurchdachten Feinheiten, die Sandersons Bücher ausmachen, aber gar nicht genießen. So lande ich bei einer subjektiv eher niedrigen Bewertung, obwohl ich das Buch qualitativ für deutlich besser halte.


Fazit:


Trotz spannendem Setting und actionreicher Erzählweise ist "Das Herz der Sonne" leider nur für eingefleischte Kosmeer-Fans empfehlenswert. Als Neuling im Kosmeer wird man von den zahlreichen Anspielungen, den fehlenden Informationen zu den Figuren und dem unklaren Worldbuilding zu leicht überwältigt und verwirrt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.07.2024

Ein erschreckender, brutaler Thriller mit klarer politischer Botschaft!

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Als großer Fan von Marc-Uwe Kling greife ich mittlerweile ziemlich wahllos zu allem, was er schreibt, in dem Wissen, dass es unbestreitbar scharfsinnig, gesellschaftskritisch, satirisch und lange nachhallen ...

Als großer Fan von Marc-Uwe Kling greife ich mittlerweile ziemlich wahllos zu allem, was er schreibt, in dem Wissen, dass es unbestreitbar scharfsinnig, gesellschaftskritisch, satirisch und lange nachhallen wird. So ist auch sein neuer Polit-Thriller "Views" wenige Tage nach dem Erscheinungstermin bei mir gelandet. Wie brisant, hochaktuell, erschütternd und brutal dieses Buch werden würde und was es mit mir anstellen würde - damit hab ich allerdings doch nicht so ganz gerechnet...

Dabei gibt eigentlich schon das Cover in Kombination mit dem Titel eine Warnung vor sensiblen Inhalten und weist wie dies häufig in sozialen Medien vor Videos zu sehen ist, die gegen Content-Richtlinien verstoßen, auf die heftigen Themen, die Brutalität und teilweise verstörende Inhalte hin. Also selbst schuld, dass ich aus Neugier trotzdem zu dem Buch gegriffen habe und wissen wollte, was sich hinter dem vorsichtshalber abgedunkelten, verschwommenen Cover verbirgt...

Beginnt man zu lesen, könnte man nach wenigen Kapiteln meinen, man liest einen typischen Krimi. Eine alleinerziehende BKA-Ermittlerin in ihren besten Jahren, ein rätselhafter Fall eines verschwundenen Mädchens und eine Truppe aus unterschiedlichen Polizei-Charakteren, die diesem gemeinsam auf den Grund gehen klingen erstmal ziemlich basic. Allerdings geht es nicht um ein beliebiges Verbrechen, sondern um die Vergewaltigung eines weißen Mädchens durch drei Geflüchtete und die Tat wurde gefilmt, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Netz und löst eine Welle der Empörung, des Hasses, der rechten Hetze und Aufrufe zur Selbstjustiz aus. Recht schnell wird somit klar, dass der Fall nichts Geringeres ist als politischer Sprengstoff und das Ermittlungsteam auf einem Pulverfass sitzt, dass schon bald droht, das ganze Land in die Luft zu jagen....

"Seit Jahrzehnten beobachten alle, wie die Gesellschaft immer mehr Risse bekommt, und keiner kittet sie. Da darf man sich nicht wundern, wenn sie schließlich zerbricht."


So ist für Zeitdruck, politische Brisanz und Spannung schonmal gesorgt und der Plot nimmt nach 100 Seiten geradezu fieberhafte Züge an. Dazu passt auch die sehr geradlinige Erzählweise aus der Sicht der Ermittlerin, die sich flüssig, aber sehr sparsam und manchmal geradezu sachlich liest. Viel Zeit für Emotionen, Charakterentwicklung und die Darstellung von Nebenfiguren bliebt da nicht. Von der Erzählerin und Hauptfigur Yasira bekommt man trotz des klaren Fokus´ auf der Handlung dennoch mehr als einen flüchtigen Eindruck. Trotz fehlender Figurenzentrierung ist Yasira ausreichend mit Leben gefüllt, dass man bis zum Ende mit ihr mitfiebert. Nebenfiguren wie ihre Tochter oder ihre Kollegen wirken teilweise etwas stereotyp, aber da der Autor das Krimi-Genre sowieso nicht so ernst zunehmen scheint, lesen sich die Charakterisierung und die Darstellung der Polizei fast schon etwas satirisch. Denn auch wenn es in "Views" inhaltlich nur wenig zum Lachen gibt, scheint der ironische Humor des Autors an einigen Stellen immer mal wieder durch und verschafft gerngesehene Atempausen in diesem temporeichen, harten Buch!

"Ich weiß, es ist furchtbar unangemessen, wenn man in Betracht zieht, in welcher Mission wir gerade unterwegs sind, aber wenn wir nur noch singen, wenn es passt, dann singen wir ja gar nicht mehr."

Denn der grundlegende Verlauf der Geschichte ist so heftig wie unvorhersehbar. Zwar hatte ich in der ersten Hälfte der Geschichte schonmal eine grobe Idee, wohin sich die Geschichte bewegen könnte (aber auch nur, da ich die thematischen Spezialgebiete des Autors mittlerweile recht gut kenne...), die schlussendliche Auflösung hat mich aber total geschockt und kalt getroffen. Denn als dann etwa in der Hälfte der Geschichte noch eine Erkenntnis alles verändert und der Geschichte eine vollkommen neue Richtung gibt, eskaliert die Handlung komplett und man kann nur verblüfft und entsetzt dabei zusehen, wie der Autor den gesellschaftspolitischen Worst-Case bis zum bitteren Ende durchspielt. Da ich über diese wage Beschreibung nicht viel zum Buch sagen kann, ohne vieles vorwegzunehmen, kommt nun eine Spoilerwarnung für den Rest der Rezension.

Weiterlesen nur auf eigene Gefahr!


Mitten in den Ermittlungen, in denen der "aktive Heimatschutz", der Lena rächen möchte, erste unschuldige Opfer fordert, stellt sich Yasira aus Mangel an Hinweisen oder Spuren eine einzige essenzielle Frage: Was, wenn es überhaupt keine Vergewaltigung gab? Keine Täter? Kein Opfer? Kein Grund für die überschwappende Welle des Hasses, die das Land überrollt? Was, wenn das Video ein Fake ist? Ausgespielt, um das politische Klima anzuheizen und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen? Was, wenn man aufgrund der aktuellen technischen Entwicklungen Bildern nicht mehr trauen kann? Und wer hätte daran Interesse???

"Haben Sie in all Ihren Businessplänen, Machbarkeitsstudien und Strategiemeetings auch nur einmal darüber nachgedacht, was Sie da eigentlich entfesseln?", fragt Yasira. "Haben Sie sich auch nur einmal nicht nur gefragt: ›Wie?‹, sondern auch ›Sollten wir überhaupt?‹? Haben Sie eine Vorstellung davon, was das mit der Welt macht, wenn man Bildern nicht mehr glauben kann?"


Der Autor schneidet hier also eine Vielzahl aktueller Fragestellungen an und greift nicht nur Themen wie die Gefahr des Hochkochens politischer Konflikte im Internet, die Radikalisierung von einzelnen Gruppen übers Darknet und das politische Klima der letzten Jahre auf, sondern stellt auch heraus, was es für unsere Gesellschaft bedeuten kann, wenn wir durch künstliche Bild und Videogenerierung durch KI und insbesondere Deepfakes Bildmaterial nicht mehr trauen können. Dadurch ist der Roman erschreckend aktuell und sendet eine klare politische Botschaft im Sinne einer Warnung, besser gestern als heute etwas gegen die zunehmende Spaltung des Landes zu unternehmen. Dementsprechend sind viele Szenen sehr heftig, geradezu brutal und machen absichtlich Angst, um wachrütteln zu können. Ob die letzte Eskalationsstufe am Ende in dieser Drastik notwendig gewesen wäre, um seine Botschaft zu vermitteln, wage ich zwar zu bezweifeln, sie hat ihre Wirkung allerdings nicht verfehlt.

"Es ist nicht alles Fake. (…) Echt ist die Empörung. Echt ist die Wut. Echt ist der Hass."


Das Ende der Geschichte ist sowieso eine Sache für sich.... Hier würde ich gerne eine Reklamation an den Verlag aussprechen, denn hier scheinen mindestens fünf Kapitel zu fehlen? Nein, im Ernst, was hat sich der Autor nur dabei gedacht, uns so ein Ende vorzusetzen?!? Klar, die wichtigsten Punkte sind geklärt, die Botschaft rübergebracht, aber ich habe noch SO VIELE FRAGEN!?!?! Was passiert mit Yasira? Kommt sie über das hinweg, was ihr angetan wurde? Kann sie weiterhin bei der Polizei arbeiten? Stimmte ihre Theorie zu Lena? Finden ihre KollegInnen die KI und können sie stoppen? Wie kommunizieren sie die Wendungen im Fall an die Öffentlichkeit? Wie entwickelt sich die politische Lage weiter? Kann die Eskalation im Land gestoppt werden? .... Marc Uwe Kling meinte in einem Interview, er habe sich an einem Epilog versucht, es habe ihn aber alles daran gelangweilt. Mag sein, dass dies das künstlerisch hochwertigere Ende war und es dieses kurze, aber harte Buch perfekt abschließt, aber hat mal einer an meine Nerven gedacht?!?! So sitze ich hier, emotional ausgelaugt und voller Weltschmerz und Zukunftsängste und schreibe diese Rezension. Ziehe ich dafür etwas an der Bewertung ab? Natürlich nicht!!!! Lest unbedingt alle dieses Buch!



Fazit


"Views" ist ein erschreckender, brutaler Thriller mit klarer politischer Botschaft! Lest unbedingt alle dieses Buch!

Veröffentlicht am 10.07.2024

Ein erschreckender, brutaler Thriller mit klarer politischer Botschaft!

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Als großer Fan von Marc-Uwe Kling greife ich mittlerweile ziemlich wahllos zu allem, was er schreibt, in dem Wissen, dass es unbestreitbar scharfsinnig, gesellschaftskritisch, satirisch und lange nachhallen ...

Als großer Fan von Marc-Uwe Kling greife ich mittlerweile ziemlich wahllos zu allem, was er schreibt, in dem Wissen, dass es unbestreitbar scharfsinnig, gesellschaftskritisch, satirisch und lange nachhallen wird. So ist auch sein neuer Polit-Thriller "Views" wenige Tage nach dem Erscheinungstermin bei mir gelandet. Wie brisant, hochaktuell, erschütternd und brutal dieses Buch werden würde und was es mit mir anstellen würde - damit hab ich allerdings doch nicht so ganz gerechnet...

Dabei gibt eigentlich schon das Cover in Kombination mit dem Titel eine Warnung vor sensiblen Inhalten und weist wie dies häufig in sozialen Medien vor Videos zu sehen ist, die gegen Content-Richtlinien verstoßen, auf die heftigen Themen, die Brutalität und teilweise verstörende Inhalte hin. Also selbst schuld, dass ich aus Neugier trotzdem zu dem Buch gegriffen habe und wissen wollte, was sich hinter dem vorsichtshalber abgedunkelten, verschwommenen Cover verbirgt...

Beginnt man zu lesen, könnte man nach wenigen Kapiteln meinen, man liest einen typischen Krimi. Eine alleinerziehende BKA-Ermittlerin in ihren besten Jahren, ein rätselhafter Fall eines verschwundenen Mädchens und eine Truppe aus unterschiedlichen Polizei-Charakteren, die diesem gemeinsam auf den Grund gehen klingen erstmal ziemlich basic. Allerdings geht es nicht um ein beliebiges Verbrechen, sondern um die Vergewaltigung eines weißen Mädchens durch drei Geflüchtete und die Tat wurde gefilmt, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Netz und löst eine Welle der Empörung, des Hasses, der rechten Hetze und Aufrufe zur Selbstjustiz aus. Recht schnell wird somit klar, dass der Fall nichts Geringeres ist als politischer Sprengstoff und das Ermittlungsteam auf einem Pulverfass sitzt, dass schon bald droht, das ganze Land in die Luft zu jagen....

"Seit Jahrzehnten beobachten alle, wie die Gesellschaft immer mehr Risse bekommt, und keiner kittet sie. Da darf man sich nicht wundern, wenn sie schließlich zerbricht."


So ist für Zeitdruck, politische Brisanz und Spannung schonmal gesorgt und der Plot nimmt nach 100 Seiten geradezu fieberhafte Züge an. Dazu passt auch die sehr geradlinige Erzählweise aus der Sicht der Ermittlerin, die sich flüssig, aber sehr sparsam und manchmal geradezu sachlich liest. Viel Zeit für Emotionen, Charakterentwicklung und die Darstellung von Nebenfiguren bliebt da nicht. Von der Erzählerin und Hauptfigur Yasira bekommt man trotz des klaren Fokus´ auf der Handlung dennoch mehr als einen flüchtigen Eindruck. Trotz fehlender Figurenzentrierung ist Yasira ausreichend mit Leben gefüllt, dass man bis zum Ende mit ihr mitfiebert. Nebenfiguren wie ihre Tochter oder ihre Kollegen wirken teilweise etwas stereotyp, aber da der Autor das Krimi-Genre sowieso nicht so ernst zunehmen scheint, lesen sich die Charakterisierung und die Darstellung der Polizei fast schon etwas satirisch. Denn auch wenn es in "Views" inhaltlich nur wenig zum Lachen gibt, scheint der ironische Humor des Autors an einigen Stellen immer mal wieder durch und verschafft gerngesehene Atempausen in diesem temporeichen, harten Buch!

"Ich weiß, es ist furchtbar unangemessen, wenn man in Betracht zieht, in welcher Mission wir gerade unterwegs sind, aber wenn wir nur noch singen, wenn es passt, dann singen wir ja gar nicht mehr."

Denn der grundlegende Verlauf der Geschichte ist so heftig wie unvorhersehbar. Zwar hatte ich in der ersten Hälfte der Geschichte schonmal eine grobe Idee, wohin sich die Geschichte bewegen könnte (aber auch nur, da ich die thematischen Spezialgebiete des Autors mittlerweile recht gut kenne...), die schlussendliche Auflösung hat mich aber total geschockt und kalt getroffen. Denn als dann etwa in der Hälfte der Geschichte noch eine Erkenntnis alles verändert und der Geschichte eine vollkommen neue Richtung gibt, eskaliert die Handlung komplett und man kann nur verblüfft und entsetzt dabei zusehen, wie der Autor den gesellschaftspolitischen Worst-Case bis zum bitteren Ende durchspielt. Da ich über diese wage Beschreibung nicht viel zum Buch sagen kann, ohne vieles vorwegzunehmen, kommt nun eine Spoilerwarnung für den Rest der Rezension.

Weiterlesen nur auf eigene Gefahr!


Mitten in den Ermittlungen, in denen der "aktive Heimatschutz", der Lena rächen möchte, erste unschuldige Opfer fordert, stellt sich Yasira aus Mangel an Hinweisen oder Spuren eine einzige essenzielle Frage: Was, wenn es überhaupt keine Vergewaltigung gab? Keine Täter? Kein Opfer? Kein Grund für die überschwappende Welle des Hasses, die das Land überrollt? Was, wenn das Video ein Fake ist? Ausgespielt, um das politische Klima anzuheizen und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen? Was, wenn man aufgrund der aktuellen technischen Entwicklungen Bildern nicht mehr trauen kann? Und wer hätte daran Interesse???

"Haben Sie in all Ihren Businessplänen, Machbarkeitsstudien und Strategiemeetings auch nur einmal darüber nachgedacht, was Sie da eigentlich entfesseln?", fragt Yasira. "Haben Sie sich auch nur einmal nicht nur gefragt: ›Wie?‹, sondern auch ›Sollten wir überhaupt?‹? Haben Sie eine Vorstellung davon, was das mit der Welt macht, wenn man Bildern nicht mehr glauben kann?"


Der Autor schneidet hier also eine Vielzahl aktueller Fragestellungen an und greift nicht nur Themen wie die Gefahr des Hochkochens politischer Konflikte im Internet, die Radikalisierung von einzelnen Gruppen übers Darknet und das politische Klima der letzten Jahre auf, sondern stellt auch heraus, was es für unsere Gesellschaft bedeuten kann, wenn wir durch künstliche Bild und Videogenerierung durch KI und insbesondere Deepfakes Bildmaterial nicht mehr trauen können. Dadurch ist der Roman erschreckend aktuell und sendet eine klare politische Botschaft im Sinne einer Warnung, besser gestern als heute etwas gegen die zunehmende Spaltung des Landes zu unternehmen. Dementsprechend sind viele Szenen sehr heftig, geradezu brutal und machen absichtlich Angst, um wachrütteln zu können. Ob die letzte Eskalationsstufe am Ende in dieser Drastik notwendig gewesen wäre, um seine Botschaft zu vermitteln, wage ich zwar zu bezweifeln, sie hat ihre Wirkung allerdings nicht verfehlt.

"Es ist nicht alles Fake. (…) Echt ist die Empörung. Echt ist die Wut. Echt ist der Hass."


Das Ende der Geschichte ist sowieso eine Sache für sich.... Hier würde ich gerne eine Reklamation an den Verlag aussprechen, denn hier scheinen mindestens fünf Kapitel zu fehlen? Nein, im Ernst, was hat sich der Autor nur dabei gedacht, uns so ein Ende vorzusetzen?!? Klar, die wichtigsten Punkte sind geklärt, die Botschaft rübergebracht, aber ich habe noch SO VIELE FRAGEN!?!?! Was passiert mit Yasira? Kommt sie über das hinweg, was ihr angetan wurde? Kann sie weiterhin bei der Polizei arbeiten? Stimmte ihre Theorie zu Lena? Finden ihre KollegInnen die KI und können sie stoppen? Wie kommunizieren sie die Wendungen im Fall an die Öffentlichkeit? Wie entwickelt sich die politische Lage weiter? Kann die Eskalation im Land gestoppt werden? .... Marc Uwe Kling meinte in einem Interview, er habe sich an einem Epilog versucht, es habe ihn aber alles daran gelangweilt. Mag sein, dass dies das künstlerisch hochwertigere Ende war und es dieses kurze, aber harte Buch perfekt abschließt, aber hat mal einer an meine Nerven gedacht?!?! So sitze ich hier, emotional ausgelaugt und voller Weltschmerz und Zukunftsängste und schreibe diese Rezension. Ziehe ich dafür etwas an der Bewertung ab? Natürlich nicht!!!! Lest unbedingt alle dieses Buch!



Fazit


"Views" ist ein erschreckender, brutaler Thriller mit klarer politischer Botschaft! Lest unbedingt alle dieses Buch!

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