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Veröffentlicht am 11.03.2021

Eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll!

Die stille Seite der Musik
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"Die stille Seite der Musik" hat zu mir gefunden, als mir die Svea Lundberg, hinter der sich Fantasy-Autorin Julia Fränkle verbirgt, einen ihrer Romane angeboten hat, nachdem sich bei einer Debatte auf ...

"Die stille Seite der Musik" hat zu mir gefunden, als mir die Svea Lundberg, hinter der sich Fantasy-Autorin Julia Fränkle verbirgt, einen ihrer Romane angeboten hat, nachdem sich bei einer Debatte auf Instagram herausgestellt hat, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Nach Stöbern durch die (sehr zahlreichen) Veröffentlichungen der Autorin habe ich mich schließlich für Flos und Tinos Geschichte entschieden und mein Urteil auf keinen Fall bereut. Svea Lundberg hat hier nämlich eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, voller leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll geschrieben!

Da ich klar dem geheimen "Mimimi-keine-Personen-auf-Cover"-Club angehöre, ist das Coverbild mit den zwei sich umarmenden Jungs, die Tino und Flo darstellen sollen, zwar nicht ganz mein Fall, ich finde jedoch die zarte, blau-graue Farbgebung und das maritime Dünenmotiv in der unteren Seite des Bilds ganz wunderbar. Auch den Titel, "Die stille Seite der Musik", empfinde ich als sehr treffend gewählt, da Ruhe, Stille, Musik und neue Seiten in verschiederlei Hinsichten eine wichtige Rolle spielen. Sehr positiv anzumerken sind auch das hochwertige Korrektorat und das mit Noten und Notenschlüsseln verzierte Innenleben der Geschichte. An dieser Stelle für die Gestaltung also schon mal ein Lob an den Traumtänzer Verlag und die Autorin.


Erster Satz: "Moll wird von den meisten Menschen als traurig oder düster empfunden, während sie Dur eher mit Attributen wie fröhlich oder hell beschreiben."


Svea Lundberg beginnt den ersten Teil ihrer Geschichte mit dem klangvollen Titel "Die Melodie von Hufschlägen" mit einer kurzen, musiktheoretischen Ausführung zu den beiden Tongeschlechtern Dur und Moll, um dann zum Unfall überzuleiten, der Tinos Welt aus den Angeln hob. Vormals angehender Starpianist, der von seiner Mutter von klein auf dazu getrimmt wurde, in die großen Fußstapfen seines Vaters zu treten, bleiben ihm nun eine zertrümmerte, unbewegliche linke Hand, ein geplatzter Traum, ein verpasstes Schuljahr und eine Portion Verbitterung. Einfach wegfahren, denkt er sich nach Wochen voller Arzttermine und Abgeschiedenheit. Auch wenn er dabei eher an südlichere Gefilde gedacht hätte, muss er nach wenigen Tagen auf dem Reiterhof seiner Tante auf Fehrmann, auf den ihn seine Mutter geschickt hat, feststellen, dass er alles hat, um drei Wochen auszuspannen, zu heilen und über seinen Verlust hinwegzukommen. Das liegt jedoch nicht nur an der frischen Ostseebriese, dem Abstand zu seiner Mutter, den Pferden und der idyllischen Landschaft, sondern am angestellten, gehörlosen Stallburschen Florian.


"Flo erwidert mein Grinsen, ehe er sich von mir abwendet und sich tief über Tuvas Hals neigt. Die Fjordi-Stute schießt im Galopp davon. Auch durch Minnjas Körper geht ein Ruck, sie streckt sich und dann... ja, dann fühlt es sich wie fliegen an. In meinen Ohren hallt die Melodie von Hufschlägen."


Wie man in dieser kurz angeteaserten Inhaltszusammenfassung schon erkennen kann, lebt die ungewöhnliche Story vor allem von drei Komponenten: Pferden, Musik und dem Umgang mit vermeintlichen Handicaps. Die Leidenschaft für Pferde steckt in jeder Seite des Buches, denn wenn die Figuren gerade nicht ausreiten, den Stall ausmisten, auf die Geburt eines Fohlens warten, im Stall übernachten, Kutsche fahren oder zum Horseball gehen, sorgt wenigstens der Flo immer anhaftende Geruch nach Heu und Stall für romantisches Pferdehofambiente. Man merkt der Autorin wirklich an, dass sie sich zum Sammeln neuer Ideen "meist auf dem Pferderücken" wiedergefunden hat, wie sie in ihrer Autorenvita angibt und ich habe sofort Lust bekommen, auch mal wieder Ferien auf einem Bauerhof zu machen und meine sehr eingerosteten, fast nicht vorhandenen Reitkenntnisse aufzufrischen. Ein ebenso tragendes Motiv ist Tinos Liebe zur Musik, die er glaubt durch den Unfall verloren zu haben. Durch die Begegnung mit dem gehörlosen Florian merkt er jedoch, dass Musik mehr sein kann, als Fingerfertigkeit auf schwarz-weißen Tasten und nicht jede vermeintliche Einschränkung als störendes Handicap wahrgenommen werden muss.


"Ich glaube", breche ich nach einer gefühlten Ewigkeit die Stille, "meine Mutter hat das nicht gespürt. Dasselbe, das ich empfunden habe, meine ich. Sie war stolz, wenn ich gespielt habe, mir das Publikum zugejubelt hat und ich..."
"Du wolltest einfach nur spielen."
"Fühlen", wispere ich.
Und Petra noch leise: "Lieben."


Während des ersten Drittels dominiert vor allem die zarte, vorsichtige Annäherung der beiden Protagonisten die Handlung. Wie schon im Klapptext beschrieben, sind einige Missverständnisse durch die fehlende Kommunikationsebene vorprogrammiert und es kommt zu einigen absurden Situationen, die die beiden Figuren jedoch häufig mit Humor nehmen. Das Thema Gehörlosigkeit ist dabei sehr einfühlsam und selbstverständlich dargestellt, was vermutlich durch eine gründliche Hintergrundrecherche der Autorin ermöglicht wurde. Wenn Mimik und Gestik nicht ausreichen, wird eben kurzerhand zu einem Schreibblock gegriffen oder Handynachrichten ausgetauscht, solange bis Tino die ersten Brocken Gebärdensprache aufschnappt. Tinos und Flos Kennenlernen und Annähern ist demnach, ganz anders als in vielen anderen Liebesgeschichten, nicht durch schlagfertige Wortgefechte, langen Gesprächen und klarem Geflirte geprägt, sondern findet leiser statt. Svea Lundberg greift dabei auf viele Beschreibungen und Feinheiten im Gesichtsausdruck zurück, da gerade zu Beginn durch Flos Gehörlosigkeit keine richtigen Dialoge möglich sind und gibt den Begegnungen den beiden somit eine neue Bewertungsdimension.


"Ist mir herzlich egal, ob ich hetero, oder bi oder vielleicht doch eher schwul bin. Mann oder Frau? Who cares? Ich liebe schließlich nicht ein Geschlecht, sondern einen Menschen."


Die Auseinandersetzung Tinos mit der Bedeutung seines Unfalls bleibt dabei, genau wie viele andere der vorgestellten Themen, ziemlich an der Oberfläche und tritt hinter der Liebesgeschichte zurück. Das stört jedoch gar nicht zu sehr, da hier eher das Gesamtpaket überzeugen kann. Neben der schon beschriebenen Liebesgeschichte und den Motiven, die ein ganz zauberhaftes Setting erschaffen, ist auch die Atmosphäre der Geschichte sehr nett. Aufgrund des relativ langsamen Erzähltempos ist "Die stille Seite der Musik" zwar kein Pageturner und lässt sich eher mehr Zeit, dadurch strahlt die Geschichte aber auch eine erholsame Ruhe aus. Trotz ernster Themen erschafft Svea Lundberg eine ganz liebeswerte, heile-Welt-Atmosphäre, die sich beim Lesen anfühlt wie Urlaub und uns Zeit lässt, die Figuren besser kennenzulernen.

Flo zu lieben ist einfach: mit seiner positiven Art, dem unschuldigen Selbstvertrauen und dem Sonnenscheinlächeln hat er sich schon nach wenigen Sätzen in mein Herz geschlichen. Kein Wunder, dass Tino dem sanftmütigen Pferdenarr mit dem Strahlelächeln sofort verfällt. Mit Tino hat man es zu Beginn als Leser schon etwas schwerer, da er leicht verbittert und mit negativen Voreinstellungen auf dem Gestüt ankommt. Innerhalb der Geschichte macht er zwar immer wieder einige dumme Fehler über die ich ab und an die Augen verdrehen musste, er macht hier aber die größte Entwicklung durch. Im Vergleich dazu lernen wir Flo im Verlauf der Geschichte leider nur aus Tinos herzenumwölkter Rosa-Brillen-Sicht kennen, sodass er trotz des tollen ersten Eindrucks insgesamt etwas blasser erscheint und wir kaum mehr über ihn erfahren, als man in seiner Mimik ablesen kann. Gerade während der großen Zeitsprünge am Ende habe ich ihn dadurch etwas aus den Augen verloren, was auch dadurch gestützt wurde, dass mir bei beiden Figuren einige Hintergrunddetails gefehlt haben, von denen ich immer dachte, sie würden noch kommen. Beispielsweise kommen Flos Eltern und seine Vergangenheit kaum vor, genauso wenig wie wir erfahren, was aus Tinos Vater wurde. Klar, das sind keine essenzielle, für die Story wichtigen Informationen, aber all das macht die Figuren echter, da man sie, je mehr man über sie erfährt, mehr wie tatsächliche Menschen wahrnimmt.


"Vorhin noch hat mein Herz wie blöde gehämmert. Nun gehen Herz- und Pulsschlag ruhig. Und in diesem Moment beginne ich zu begreifen, was mich an Flo fasziniert. Es ist die Ruhe, die er ausstrahlt. Die Ruhe in seinen Bewegungen, ohne Eile. Die Ruhe in seinen Gesten, obwohl seine Mimik sehr aufgeweckt ist. Die Ruhe in jeder seiner Taten, obwohl er beim Horseball-Spielen alles andere als zurückhaltend ist."


Und hier kommen wir zu meinem Hauptkritikpunkt, weshalb ich bei der Bewertung 1,5 Sterne abziehen musste: gerade im letzten Teil der Geschichte gerieten mir wichtige Schlüsselszenen zu knapp, was auch daran liegt, dass einige Passagen stark gerafft wurden und zuvor schon sexuelle Handlungen überhandnehmen. Diese waren zwar sehr stilvoll, auf die Figuren zugeschnitten und weniger derb, als ich das aus anderen Gay-Romances schon kenne und auch die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, mit der Sexualität und Erotik hier beschrieben wird, hat mir gefallen, aber für meinen Geschmack waren diese Szenen im Verhältnis zur Reststory doch zu viel des Guten. Ich hätte gerne einige gestrichen und lieber die Auflösung der Geschichte, oder Tinos klärendes Gespräch mit seiner Mutter etwas mehr ausgebaut, welche am Ende recht knapp dafür bleiben. Ebenfalls recht farblos verläuft ein weiterer Teil der Handlung, nämlich der um das Geheimnis der Sabotagevorfälle beim Horseball. Schon von Beginn an hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte die dadurch zusätzlich gewonnene Spannung nicht nötig gehabt hätte und nachdem dann völlig unspektakulär und ohne ein Motiv oder eine Erklärung der Schuldige gefunden wird, war ich mir sicher, dass ich diesen Handlungsstrang als überflüssig empfunden habe. Das angefügte Bonuskapitel regt dann jedoch wieder zum Träumen ein und unterstreicht trotz der Kritik, weshalb ich das Buch empfehlen kann!



Fazit:

"Die stille Seite der Musik" ist trotz gut recherchierter, ernster Themen eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll! Über die leichten Schwächen der Figuren im letzten Drittel, die etwas überhandnehmenden Erotikszenen und die eher blasse Auflösung, kann man dank des stimmigen Gesamteindrucks von Pferde, Musik und Liebe gut hinwegsehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.03.2021

Eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll!

Die stille Seite der Musik
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"Die stille Seite der Musik" hat zu mir gefunden, als mir die Svea Lundberg, hinter der sich Fantasy-Autorin Julia Fränkle verbirgt, einen ihrer Romane angeboten hat, nachdem sich bei einer Debatte auf ...

"Die stille Seite der Musik" hat zu mir gefunden, als mir die Svea Lundberg, hinter der sich Fantasy-Autorin Julia Fränkle verbirgt, einen ihrer Romane angeboten hat, nachdem sich bei einer Debatte auf Instagram herausgestellt hat, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Nach Stöbern durch die (sehr zahlreichen) Veröffentlichungen der Autorin habe ich mich schließlich für Flos und Tinos Geschichte entschieden und mein Urteil auf keinen Fall bereut. Svea Lundberg hat hier nämlich eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, voller leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll geschrieben!

Da ich klar dem geheimen "Mimimi-keine-Personen-auf-Cover"-Club angehöre, ist das Coverbild mit den zwei sich umarmenden Jungs, die Tino und Flo darstellen sollen, zwar nicht ganz mein Fall, ich finde jedoch die zarte, blau-graue Farbgebung und das maritime Dünenmotiv in der unteren Seite des Bilds ganz wunderbar. Auch den Titel, "Die stille Seite der Musik", empfinde ich als sehr treffend gewählt, da Ruhe, Stille, Musik und neue Seiten in verschiederlei Hinsichten eine wichtige Rolle spielen. Sehr positiv anzumerken sind auch das hochwertige Korrektorat und das mit Noten und Notenschlüsseln verzierte Innenleben der Geschichte. An dieser Stelle für die Gestaltung also schon mal ein Lob an den Traumtänzer Verlag und die Autorin.


Erster Satz: "Moll wird von den meisten Menschen als traurig oder düster empfunden, während sie Dur eher mit Attributen wie fröhlich oder hell beschreiben."


Svea Lundberg beginnt den ersten Teil ihrer Geschichte mit dem klangvollen Titel "Die Melodie von Hufschlägen" mit einer kurzen, musiktheoretischen Ausführung zu den beiden Tongeschlechtern Dur und Moll, um dann zum Unfall überzuleiten, der Tinos Welt aus den Angeln hob. Vormals angehender Starpianist, der von seiner Mutter von klein auf dazu getrimmt wurde, in die großen Fußstapfen seines Vaters zu treten, bleiben ihm nun eine zertrümmerte, unbewegliche linke Hand, ein geplatzter Traum, ein verpasstes Schuljahr und eine Portion Verbitterung. Einfach wegfahren, denkt er sich nach Wochen voller Arzttermine und Abgeschiedenheit. Auch wenn er dabei eher an südlichere Gefilde gedacht hätte, muss er nach wenigen Tagen auf dem Reiterhof seiner Tante auf Fehrmann, auf den ihn seine Mutter geschickt hat, feststellen, dass er alles hat, um drei Wochen auszuspannen, zu heilen und über seinen Verlust hinwegzukommen. Das liegt jedoch nicht nur an der frischen Ostseebriese, dem Abstand zu seiner Mutter, den Pferden und der idyllischen Landschaft, sondern am angestellten, gehörlosen Stallburschen Florian.


"Flo erwidert mein Grinsen, ehe er sich von mir abwendet und sich tief über Tuvas Hals neigt. Die Fjordi-Stute schießt im Galopp davon. Auch durch Minnjas Körper geht ein Ruck, sie streckt sich und dann... ja, dann fühlt es sich wie fliegen an. In meinen Ohren hallt die Melodie von Hufschlägen."


Wie man in dieser kurz angeteaserten Inhaltszusammenfassung schon erkennen kann, lebt die ungewöhnliche Story vor allem von drei Komponenten: Pferden, Musik und dem Umgang mit vermeintlichen Handicaps. Die Leidenschaft für Pferde steckt in jeder Seite des Buches, denn wenn die Figuren gerade nicht ausreiten, den Stall ausmisten, auf die Geburt eines Fohlens warten, im Stall übernachten, Kutsche fahren oder zum Horseball gehen, sorgt wenigstens der Flo immer anhaftende Geruch nach Heu und Stall für romantisches Pferdehofambiente. Man merkt der Autorin wirklich an, dass sie sich zum Sammeln neuer Ideen "meist auf dem Pferderücken" wiedergefunden hat, wie sie in ihrer Autorenvita angibt und ich habe sofort Lust bekommen, auch mal wieder Ferien auf einem Bauerhof zu machen und meine sehr eingerosteten, fast nicht vorhandenen Reitkenntnisse aufzufrischen. Ein ebenso tragendes Motiv ist Tinos Liebe zur Musik, die er glaubt durch den Unfall verloren zu haben. Durch die Begegnung mit dem gehörlosen Florian merkt er jedoch, dass Musik mehr sein kann, als Fingerfertigkeit auf schwarz-weißen Tasten und nicht jede vermeintliche Einschränkung als störendes Handicap wahrgenommen werden muss.


"Ich glaube", breche ich nach einer gefühlten Ewigkeit die Stille, "meine Mutter hat das nicht gespürt. Dasselbe, das ich empfunden habe, meine ich. Sie war stolz, wenn ich gespielt habe, mir das Publikum zugejubelt hat und ich..."
"Du wolltest einfach nur spielen."
"Fühlen", wispere ich.
Und Petra noch leise: "Lieben."


Während des ersten Drittels dominiert vor allem die zarte, vorsichtige Annäherung der beiden Protagonisten die Handlung. Wie schon im Klapptext beschrieben, sind einige Missverständnisse durch die fehlende Kommunikationsebene vorprogrammiert und es kommt zu einigen absurden Situationen, die die beiden Figuren jedoch häufig mit Humor nehmen. Das Thema Gehörlosigkeit ist dabei sehr einfühlsam und selbstverständlich dargestellt, was vermutlich durch eine gründliche Hintergrundrecherche der Autorin ermöglicht wurde. Wenn Mimik und Gestik nicht ausreichen, wird eben kurzerhand zu einem Schreibblock gegriffen oder Handynachrichten ausgetauscht, solange bis Tino die ersten Brocken Gebärdensprache aufschnappt. Tinos und Flos Kennenlernen und Annähern ist demnach, ganz anders als in vielen anderen Liebesgeschichten, nicht durch schlagfertige Wortgefechte, langen Gesprächen und klarem Geflirte geprägt, sondern findet leiser statt. Svea Lundberg greift dabei auf viele Beschreibungen und Feinheiten im Gesichtsausdruck zurück, da gerade zu Beginn durch Flos Gehörlosigkeit keine richtigen Dialoge möglich sind und gibt den Begegnungen den beiden somit eine neue Bewertungsdimension.


"Ist mir herzlich egal, ob ich hetero, oder bi oder vielleicht doch eher schwul bin. Mann oder Frau? Who cares? Ich liebe schließlich nicht ein Geschlecht, sondern einen Menschen."


Die Auseinandersetzung Tinos mit der Bedeutung seines Unfalls bleibt dabei, genau wie viele andere der vorgestellten Themen, ziemlich an der Oberfläche und tritt hinter der Liebesgeschichte zurück. Das stört jedoch gar nicht zu sehr, da hier eher das Gesamtpaket überzeugen kann. Neben der schon beschriebenen Liebesgeschichte und den Motiven, die ein ganz zauberhaftes Setting erschaffen, ist auch die Atmosphäre der Geschichte sehr nett. Aufgrund des relativ langsamen Erzähltempos ist "Die stille Seite der Musik" zwar kein Pageturner und lässt sich eher mehr Zeit, dadurch strahlt die Geschichte aber auch eine erholsame Ruhe aus. Trotz ernster Themen erschafft Svea Lundberg eine ganz liebeswerte, heile-Welt-Atmosphäre, die sich beim Lesen anfühlt wie Urlaub und uns Zeit lässt, die Figuren besser kennenzulernen.

Flo zu lieben ist einfach: mit seiner positiven Art, dem unschuldigen Selbstvertrauen und dem Sonnenscheinlächeln hat er sich schon nach wenigen Sätzen in mein Herz geschlichen. Kein Wunder, dass Tino dem sanftmütigen Pferdenarr mit dem Strahlelächeln sofort verfällt. Mit Tino hat man es zu Beginn als Leser schon etwas schwerer, da er leicht verbittert und mit negativen Voreinstellungen auf dem Gestüt ankommt. Innerhalb der Geschichte macht er zwar immer wieder einige dumme Fehler über die ich ab und an die Augen verdrehen musste, er macht hier aber die größte Entwicklung durch. Im Vergleich dazu lernen wir Flo im Verlauf der Geschichte leider nur aus Tinos herzenumwölkter Rosa-Brillen-Sicht kennen, sodass er trotz des tollen ersten Eindrucks insgesamt etwas blasser erscheint und wir kaum mehr über ihn erfahren, als man in seiner Mimik ablesen kann. Gerade während der großen Zeitsprünge am Ende habe ich ihn dadurch etwas aus den Augen verloren, was auch dadurch gestützt wurde, dass mir bei beiden Figuren einige Hintergrunddetails gefehlt haben, von denen ich immer dachte, sie würden noch kommen. Beispielsweise kommen Flos Eltern und seine Vergangenheit kaum vor, genauso wenig wie wir erfahren, was aus Tinos Vater wurde. Klar, das sind keine essenzielle, für die Story wichtigen Informationen, aber all das macht die Figuren echter, da man sie, je mehr man über sie erfährt, mehr wie tatsächliche Menschen wahrnimmt.


"Vorhin noch hat mein Herz wie blöde gehämmert. Nun gehen Herz- und Pulsschlag ruhig. Und in diesem Moment beginne ich zu begreifen, was mich an Flo fasziniert. Es ist die Ruhe, die er ausstrahlt. Die Ruhe in seinen Bewegungen, ohne Eile. Die Ruhe in seinen Gesten, obwohl seine Mimik sehr aufgeweckt ist. Die Ruhe in jeder seiner Taten, obwohl er beim Horseball-Spielen alles andere als zurückhaltend ist."


Und hier kommen wir zu meinem Hauptkritikpunkt, weshalb ich bei der Bewertung 1,5 Sterne abziehen musste: gerade im letzten Teil der Geschichte gerieten mir wichtige Schlüsselszenen zu knapp, was auch daran liegt, dass einige Passagen stark gerafft wurden und zuvor schon sexuelle Handlungen überhandnehmen. Diese waren zwar sehr stilvoll, auf die Figuren zugeschnitten und weniger derb, als ich das aus anderen Gay-Romances schon kenne und auch die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, mit der Sexualität und Erotik hier beschrieben wird, hat mir gefallen, aber für meinen Geschmack waren diese Szenen im Verhältnis zur Reststory doch zu viel des Guten. Ich hätte gerne einige gestrichen und lieber die Auflösung der Geschichte, oder Tinos klärendes Gespräch mit seiner Mutter etwas mehr ausgebaut, welche am Ende recht knapp dafür bleiben. Ebenfalls recht farblos verläuft ein weiterer Teil der Handlung, nämlich der um das Geheimnis der Sabotagevorfälle beim Horseball. Schon von Beginn an hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte die dadurch zusätzlich gewonnene Spannung nicht nötig gehabt hätte und nachdem dann völlig unspektakulär und ohne ein Motiv oder eine Erklärung der Schuldige gefunden wird, war ich mir sicher, dass ich diesen Handlungsstrang als überflüssig empfunden habe. Das angefügte Bonuskapitel regt dann jedoch wieder zum Träumen ein und unterstreicht trotz der Kritik, weshalb ich das Buch empfehlen kann!



Fazit:

"Die stille Seite der Musik" ist trotz gut recherchierter, ernster Themen eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll! Über die leichten Schwächen der Figuren im letzten Drittel, die etwas überhandnehmenden Erotikszenen und die eher blasse Auflösung, kann man dank des stimmigen Gesamteindrucks von Pferde, Musik und Liebe gut hinwegsehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2021

Tragisch, intensiv und hochemotional!

Never Doubt
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"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In ...

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Auch in Willows und Isaacs Geschichte zeigen das New Adult Genre und auch die Autorin wieder, was sie können. Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden, geschrieben. Ganz zum Jahreshighlight mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, hat es aber doch nicht gereicht - denn leider kam kurz vor Ende eine kleine Enttäuschung, die mich dazu gebracht hat, einen halben Stern abzuziehen.


Willow: "Eines Tages, Willow, wirst du dich vielleicht in der Dunkelheit wiederfinden. Ich hoffe, dieser Tag kommt nie. Aber wenn doch, wird es zuerst beängstigend sein. Aber du wirst dein eigenes Licht sehen. Deine eigene Kraft. Und du wirst leuchten."


Das Cover ist wieder ein üblicher LYX-Traum mit dem dominanten Titel in glitzernden Großbuchstaben und den leuchtenden Lichtpunkten auf dem blau-lila Grund. Die Farb- und Lichtakzente haben mir schon bei den Cover der anderen Emma-Scott-Romane gut gefallen, da die Intensität und Dramatik der Geschichte durch die starken Akzenten trotz recht nichtssagendem Blattader-Motiv gut eingefangen werden kann. Denn hinter diesen hübschen Cover-Gestaltungen verbirgt sich eine alles andere als harmlose Geschichte. Geteilt in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, umfasst die Geschichte 42 Kapitel, die entweder aus Isaacs oder aus Willows Sicht erzählt sind. Zu Beginn folgt zusätzlich eine kurze Playlist, am Ende ist Angies Gedicht in englischer (also Original-)Fassung eingefügt worden. Schwer vermisst habe ich allerdings eine Triggerwarnung! Bereits das Vorwort, welches die "Me too"-Thematik anspricht, lässt zwar klar erahnen, was Willow ein Jahr vor Handlungsbeginn zugestoßen ist, ich hätte mir aber dennoch eine kleine Warnung des Verlags gewünscht. Um dies kurz nachzuholen: Es geht hier um Vergewaltigung, gewalttätige Eltern, Betäubung durch Drogen, emotionale Vernachlässigung und Armut.


Erster Satz: "Erzähl mir eine Geschichte."


Keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. Schon auf den ersten Seiten der Geschichte enthüllt Willow, was beinahe ihr inneres Licht ausgelöscht hat, ist jedoch nicht in der Lage ihre eigene Geschichte zu erzählen. Nicht ihren Freundinnen in New York, nicht ihren distanzierten Eltern, denen nur Ruf und Ansehen wichtig zu sein scheint und schon gar nicht der Polizei, denn wer würde ihr auch glauben, nachdem sie im Schock alle Beweise vernichtet hat? Als ihr Vater dann von der Großstadt in die Provinz von Indiana versetzt wird, sieht sie die kleine Stadt Harmony in erster Linie als Chance auf einen Neuanfang. Richtig Leben in sie kommt aber erst, als sie Isaac Pearce Theaterspielen sieht und begreift, dass das Theater eine Möglichkeit sein könnte, all ihren Schmerz zu katalysieren und ihre eigene Stimme zu finden. Auch Isaac sieht in seiner Kunst ein Ventil für all die Emotionen, die sich in seinem Alltag mit seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater in einem schlecht geheizten Trailer, den unbezahlten Rechnungen und der brodelnden Gerüchteküche anstauen. Vor allem ist das Theater und seine Rolle in Shakespeares Hamlet jedoch seine Chance, Harmonys Elend endlich zu entkommen und sich mit seinem unfassbaren Talent ein besseres Leben zu ermöglichen.


Willow: "Meine Eltern liebten mich, wie man einen Kunstwerk liebte: einen Gegenstand, den man im Haus aufstellt und bewundert, und von dem man hofft, dass er eines Tages etwas wert sein würde. Und seit jener Party war ich ein unschöner Anblick geworden."


Die Autorin orientiert sich auch in der Aufteilung und Strukturierung ihrer Geschichte an diesem Hauptmotiv, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht: Theater. So erzählt sie ihre Geschichte in drei Akten, auf welche auch ganz wunderbar der klassische Dramenaufbau angewandt werden kann. Der erste Akt, welcher den Großteil der Handlung einnimmt, ist eine wahnsinnig gefühlvolle und sensible Einführung in die Geschichte, in die Schicksale der beiden Figuren und eine Hinführung auf deren Beziehung. Ganz anders als ich das von Emma Scott bisher gewohnt war, lässt sich die Geschichte viel Zeit und konzentriert sich auf das Spannungsgefüge zwischen Isaac, Willow und deren Umfeld, ohne dass es schnell konkret wird. Auch wenn es zwischen Willow und Isaac schon bei der ersten Begegnung eindeutig funkt, setzt die Autorin eher auf Respekt, Vertrauen und Verständnis als Basis der Beziehung und zieht eine zarte Annäherung brodelnder Leidenschaft vor. Angesichts Willows Vorgeschichte ist dies nur stimmig und die Autorin hat meinen Respekt dafür, wie es ihr gelungen ist bei einem so starken Trauma stimmig Erotik einzubauen. Isaac und Willow entwickeln eine sehr besondere Verbindung und eine intime Nähe, ohne sich körperlich näher zu kommen. Obwohl es also über 300 Seiten dauert, bis sich die beiden auch nur küssen, habe ich selten eine so intensive Liebesgeschichte gelesen.


Isaac: "Willow Holloway sah aus wie die Weide, von der sie ihren Namen hatte: hübsch, zart und trauernd. Nicht von außen, sondern von innen. Martin Ford hatte mir beigebracht, darauf zu achten, wie Menschen in ihren Körpern wohnten, und nicht, was sie sagten oder taten. Dieses Mädchen war tiefgründig. Ihre Augen hatten sie verraten, als unsere Blicke sich begegnet waren."


Aufgrund des problematischen Hintergrunds und des schweren Schicksals beider Figuren, kommt der Roman zu Beginn recht schwermütig daher und die ersten Gefühle zarter Liebe müssen sich durch viel Dunkelheit hindurchkämpfen. Stimmungsmäßig wurde ich dabei stark an das erste Werk, dass ich von Emma Scott gelesen (und geliebt) habe erinnert. Genau wie in "Never Doubt" wird auch in "The Light In Us" der tiefe Schmerz der Protagonisten, der in Kunst umgewandelt wird, zum Hauptthema und die einfühlsame Heilung der Beiden reißt mit. Außerdem bestimmen auch hier wieder Gegensätze das Bild. "Never Doubt" ist zwar leise und sensibel erzählt aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Um es mal mit Isaacs Worten zu sagen: "Willows Geschichte traft mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran." Auch wenn die Handlung nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Isaac aber vor allem Willow erdulden mussten und immer noch müssen immer wieder sprachlos gemacht.


Willow: „Jede Geschichte hat ein „bis“. Wenn das Schlimme passiert, das der Figur zeigt, was sie am meisten will. Aber wo ist das „bis“, was alles wiedergutmacht?"


Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Die zarte, gebrochene Willow ist am Ende... bis zu ihrem persönlichen "bis" der Geschichte. Bis sie Isaac trifft, in dem sie ihren eigenen Schmerz widergespiegelt sieht. Und oh man, habe ich mich in diese Figur verliebt. Zwar schließt man als Leser auch Willow sehr ins Herz und beobachtet mit starker emotionaler Beteiligung, wie sie langsam wächst, Isaac gehört jedoch zu den anbetungswürdigsten Charakteren, von denen ich je gelesen habe. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen.


Willow: "Plastics. Ich hasste die Bezeichnung. Ich schwor, sie nicht mehr zu benutzen. Ich spürte die leichte Panikattacke, die in meinen Adern surrte und zuzuschlagen drohte, und der Gedanke, ein anderes Mädchen zu hassen, fühlte sich wie Verrat an. Ich war nicht allein. Ich wusste, viele der Mädchen auf der Tanzfläche hatten Ähnliches erlebt wie ich. Vielleicht waren sie wie Plastik behandelt worden: billig und austauschbar. Etwas, das man einmal benutzte und dann entsorgte. Vielleicht hatte man sie schikaniert. Damit sie sich minderwertig fühlten. Hässlich. Fett. Scharfmacherin. Schlampe. Plastik."


Wirkliche Highlights waren für mich auch der weise Martin, Regisseur, Theaterbesitzer und Ersatzvater, welcher Willow und Isaac mit einfühlsamen Ratschlägen und helfender Hand zur Seite steht und die herzliche Angie, beste Freundin und Rettungsanker, die man nicht nur wegen ihrer quirligen Witze und unschlagbarer T-Shirt-Sprüche ins Herz schließt. Übrigens: Auch wenn an der Übersetzung von Inka Marter nichts auszusetzen ist, musste ich schmunzeln, als ich die Aufschrift von Angies T-Shirt als "Ich schwöre feierlich, dass ich nichts Gutes im Schilde führe" übersetzt sah. Hier wurde deutlich, dass die Übersetzerin wohl die Referenz zu Harry Potter übersehen hatte, dessen bekanntes Zitat "I solemnly swear that I am up to no good" gemeinhin als "Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut" übersetzt wird. Aber das nur als eine kleine Nerd-Notiz am Rande. Andere auftretende Figuren hingegen wie zum Beispiel Isaacs Vater, der sich und jegliche Verantwortung für seinen Sohn gleich mit vor Jahren aufgegeben hat, Willows oberflächliche Eltern, die lieber ignorieren, was sich direkt vor ihrer Nase befindet, als sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen oder Willows Mitschüler und Hamlet-Bruder Justin, der der unsensibelste Kotzbrocken ist, von dem ich jemals gelesen habe, will man einfach nur schütteln.


Willow: "Es wird immer schwerer, die Realität von der Fiktion zu unterscheiden."
Angie runzelte die Stirn. "Es ist schwer, die Realität von einem uralten Stück über Hofleute und Prinzen und Totengräber zu unterscheiden?"
"Das ist Kunst"; sagte ich und erinnerte mich an Isaacs Worte. "Je besser sie ist, desto mehr kann man sich darin wiedererkennen."


Der zweite Akt startet dann im letzten Drittel des Buches, als Isaac und Willow endlich zusammengefunden haben. Die Besonderheit bei diesem eher kürzeren zweiten Teil, der einige Wendungen, Entwicklungen und auch den ersten Höhepunkt der Geschichte enthält, ist die starke Verschmelzung von Theater und Realität. Schon zuvor steht die Einbindung vieler Shakespeare-Zitate, Stücke, Motive und Gedanken durch die das Vorsprechen, die Vorbereitung und die Proben des Stücks auf der Tagesordnung. Ich kannte den Klassiker "Hamlet" vorher noch nicht, Emma Scott schiebt jedoch beiläufig an den richtigen Stellen die nötigen Erklärungen ein, sodass man auch als unwissender Laie mitkommt. Hier lernt man jedoch nicht nur am Rande mehr über diesen Klassiker, sondern verfolgt auch mit, wie die Figuren ihre Emotionen mit ins Stück hineinbringen und durch die fremden, uralten Worte ihre Geschichte erzählen. Mit fortschreitender Handlung lassen sich dadurch immer mehr Parallelen zwischen Stück und Realität erkennen, welche wie zwei Handlungsstränge nebeneinander und ineinander laufen. Wer zu Beginn der Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, weiß, dass "Hamlet" eine Tragödie ist, die für alle Beteiligten nicht gut ausgeht. Die zunehmende Verwebung von herzzerreißender Liebesgeschichte und verstaubtem Stück gibt also eine leise Vorausdeutung auf einen dramatischen Ausgang der Geschichte und verleiht gerade dem zweiten Akt eine unglaublich fesselnde Dynamik und Atmosphäre.


Isaac: "Ich stand jetzt alleine da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. "Ich liebe Ophelia."
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte."


Akt drei, der kürzeste der drei Teile, beinhaltet dann das berühmt berüchtigte retardierende Moment mit dem zweitem Höhepunkt sowie das Happy End am Ende und hat mich leider ziemlich enttäuscht. Denn nach dem großen, von Missverständnissen und Schmerz geprägten Ende des zweiten Akts, habe ich umgeblättert und wäre fast vom Stuhl gekippt, als ich die ersten Zeilen der nächsten Seite gelesen habe. Statt die Figuren etwas leiden zu lassen, bevor sie die Kurve bekommen und ihre Probleme aus der Welt schaffen, setzt die Autorin an dieser Stelle einfach einen Zeitsprung ein und springt drei Jahre in die Zukunft. Warum ich das nach der langsamen Hinführung der vorangegangenen Handlung als starken Bruch empfunden habe, muss ich wohl kaum erklären. An die spektakuläre Endszene des Theaterstücks mit dem Streit und der Trennung hätte man wunderbar anknüpfen und die Geschichte linear zu Ende erzählen können. Endkonfrontation und die finalen Entwicklungsschritte der Figuren hätte meiner Meinung nach auch ohne Zeitsprung geklappt. Dass Emma Scott sich die plötzliche Wendung nicht zu nutzen macht, um noch mehr Tiefe in die Geschichte zu bekommen, und sie stattdessen wichtige Schlüsselszenen einfach durch den Zeitsprung überspringt, finde ich einfach nur enttäuschend. Insgesamt ist auch ihr letzter Akt logisch und in sich stimmig, man verliert die Figuren aber zwischenzeitlich aus den Augen und die Geschichte büßt emotionale Nähe ein.


Willow: "Du bist mein "bis". Das "bis", das alles besser macht".


Dass nach starker Vorarbeit im letzten Drittel ein paar Baustellen auftreten, habe ich schon bei mehreren Büchern der Autorin beobachtet und kritisiert, zum Beispiel auch "The Light In Us" oder "All In - Zwei Versprechen": die Autorin drückt auf den letzten 50 Seiten häufig wahnsinnig aufs Gaspedal, überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, als würde sie mit aller Kraft noch möglichst viel Leben und Happy End Potential abklappern wollen, bevor sie ihre Figuren ins Ungewisse überlässt. Ein Ende, das den langsameren Verlauf der Geschichte zuvor fortsetzt und nach dem Überwinden des Hauptkonflikts mit einem offenen aber durchaus positiven Ende schließt, wäre mir hier lieber gewesen. So störten mich auch plötzlich verständnisvolle Eltern, sich in Luft auflösende Probleme und plötzlich überquellende Konten, welche die Glaubwürdigkeit der ganzen Handlung einen kleinen Dämpfer versetzen. Das richtige Ende ist dann aber wieder so voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit, dass ich beim Beenden der Geschichte schon wieder alle Kritikpunkte vergessen hatte. Egal was vorher etwas ungünstig aufgezogen war - die gewählte Schlussszene ist einfach genau richtig und hat mir sogar ein paar Tränchen entlockt und als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun für diese einmalige Achterbahn der Emotionen!


Willow: "Er küsste mich sanft. "Zweifle nicht."
Ich schüttelte den Kopf. "Niemals."


Wenn man die Geschichte nach ihrem Grad der emotionalen Zerstörung, der Happy End-Schönheit, der Protagonisten-Lovability oder dem Schreibstil beurteilt, bekommt sie ganz klar 5 Sterne. Nimmt man jedoch eine Variable, nämlich das Leserherz, aus der Gleichung heraus und betrachtet die Geschichte mit ein wenig Abstand, lassen sich vor allem im letzten Akt einige kleine Baustellen entdecken, die es mir leider nicht erlauben, eine uneingeschränkte Leseempfehlung auszusprechen. Gerade am Ende gibt es einige Stellen, an denen ich mir eine etwas andere Lösung gewünscht hätte, weshalb ich "nur" 4,5 Sterne vergebe.




Fazit:


Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen geschrieben, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden. Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2021

Tragisch, intensiv und hochemotional!

Never Doubt
0

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In ...

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Auch in Willows und Isaacs Geschichte zeigen das New Adult Genre und auch die Autorin wieder, was sie können. Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden, geschrieben. Ganz zum Jahreshighlight mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, hat es aber doch nicht gereicht - denn leider kam kurz vor Ende eine kleine Enttäuschung, die mich dazu gebracht hat, einen halben Stern abzuziehen.


Willow: "Eines Tages, Willow, wirst du dich vielleicht in der Dunkelheit wiederfinden. Ich hoffe, dieser Tag kommt nie. Aber wenn doch, wird es zuerst beängstigend sein. Aber du wirst dein eigenes Licht sehen. Deine eigene Kraft. Und du wirst leuchten."


Das Cover ist wieder ein üblicher LYX-Traum mit dem dominanten Titel in glitzernden Großbuchstaben und den leuchtenden Lichtpunkten auf dem blau-lila Grund. Die Farb- und Lichtakzente haben mir schon bei den Cover der anderen Emma-Scott-Romane gut gefallen, da die Intensität und Dramatik der Geschichte durch die starken Akzenten trotz recht nichtssagendem Blattader-Motiv gut eingefangen werden kann. Denn hinter diesen hübschen Cover-Gestaltungen verbirgt sich eine alles andere als harmlose Geschichte. Geteilt in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, umfasst die Geschichte 42 Kapitel, die entweder aus Isaacs oder aus Willows Sicht erzählt sind. Zu Beginn folgt zusätzlich eine kurze Playlist, am Ende ist Angies Gedicht in englischer (also Original-)Fassung eingefügt worden. Schwer vermisst habe ich allerdings eine Triggerwarnung! Bereits das Vorwort, welches die "Me too"-Thematik anspricht, lässt zwar klar erahnen, was Willow ein Jahr vor Handlungsbeginn zugestoßen ist, ich hätte mir aber dennoch eine kleine Warnung des Verlags gewünscht. Um dies kurz nachzuholen: Es geht hier um Vergewaltigung, gewalttätige Eltern, Betäubung durch Drogen, emotionale Vernachlässigung und Armut.


Erster Satz: "Erzähl mir eine Geschichte."


Keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. Schon auf den ersten Seiten der Geschichte enthüllt Willow, was beinahe ihr inneres Licht ausgelöscht hat, ist jedoch nicht in der Lage ihre eigene Geschichte zu erzählen. Nicht ihren Freundinnen in New York, nicht ihren distanzierten Eltern, denen nur Ruf und Ansehen wichtig zu sein scheint und schon gar nicht der Polizei, denn wer würde ihr auch glauben, nachdem sie im Schock alle Beweise vernichtet hat? Als ihr Vater dann von der Großstadt in die Provinz von Indiana versetzt wird, sieht sie die kleine Stadt Harmony in erster Linie als Chance auf einen Neuanfang. Richtig Leben in sie kommt aber erst, als sie Isaac Pearce Theaterspielen sieht und begreift, dass das Theater eine Möglichkeit sein könnte, all ihren Schmerz zu katalysieren und ihre eigene Stimme zu finden. Auch Isaac sieht in seiner Kunst ein Ventil für all die Emotionen, die sich in seinem Alltag mit seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater in einem schlecht geheizten Trailer, den unbezahlten Rechnungen und der brodelnden Gerüchteküche anstauen. Vor allem ist das Theater und seine Rolle in Shakespeares Hamlet jedoch seine Chance, Harmonys Elend endlich zu entkommen und sich mit seinem unfassbaren Talent ein besseres Leben zu ermöglichen.


Willow: "Meine Eltern liebten mich, wie man einen Kunstwerk liebte: einen Gegenstand, den man im Haus aufstellt und bewundert, und von dem man hofft, dass er eines Tages etwas wert sein würde. Und seit jener Party war ich ein unschöner Anblick geworden."


Die Autorin orientiert sich auch in der Aufteilung und Strukturierung ihrer Geschichte an diesem Hauptmotiv, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht: Theater. So erzählt sie ihre Geschichte in drei Akten, auf welche auch ganz wunderbar der klassische Dramenaufbau angewandt werden kann. Der erste Akt, welcher den Großteil der Handlung einnimmt, ist eine wahnsinnig gefühlvolle und sensible Einführung in die Geschichte, in die Schicksale der beiden Figuren und eine Hinführung auf deren Beziehung. Ganz anders als ich das von Emma Scott bisher gewohnt war, lässt sich die Geschichte viel Zeit und konzentriert sich auf das Spannungsgefüge zwischen Isaac, Willow und deren Umfeld, ohne dass es schnell konkret wird. Auch wenn es zwischen Willow und Isaac schon bei der ersten Begegnung eindeutig funkt, setzt die Autorin eher auf Respekt, Vertrauen und Verständnis als Basis der Beziehung und zieht eine zarte Annäherung brodelnder Leidenschaft vor. Angesichts Willows Vorgeschichte ist dies nur stimmig und die Autorin hat meinen Respekt dafür, wie es ihr gelungen ist bei einem so starken Trauma stimmig Erotik einzubauen. Isaac und Willow entwickeln eine sehr besondere Verbindung und eine intime Nähe, ohne sich körperlich näher zu kommen. Obwohl es also über 300 Seiten dauert, bis sich die beiden auch nur küssen, habe ich selten eine so intensive Liebesgeschichte gelesen.


Isaac: "Willow Holloway sah aus wie die Weide, von der sie ihren Namen hatte: hübsch, zart und trauernd. Nicht von außen, sondern von innen. Martin Ford hatte mir beigebracht, darauf zu achten, wie Menschen in ihren Körpern wohnten, und nicht, was sie sagten oder taten. Dieses Mädchen war tiefgründig. Ihre Augen hatten sie verraten, als unsere Blicke sich begegnet waren."


Aufgrund des problematischen Hintergrunds und des schweren Schicksals beider Figuren, kommt der Roman zu Beginn recht schwermütig daher und die ersten Gefühle zarter Liebe müssen sich durch viel Dunkelheit hindurchkämpfen. Stimmungsmäßig wurde ich dabei stark an das erste Werk, dass ich von Emma Scott gelesen (und geliebt) habe erinnert. Genau wie in "Never Doubt" wird auch in "The Light In Us" der tiefe Schmerz der Protagonisten, der in Kunst umgewandelt wird, zum Hauptthema und die einfühlsame Heilung der Beiden reißt mit. Außerdem bestimmen auch hier wieder Gegensätze das Bild. "Never Doubt" ist zwar leise und sensibel erzählt aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Um es mal mit Isaacs Worten zu sagen: "Willows Geschichte traft mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran." Auch wenn die Handlung nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Isaac aber vor allem Willow erdulden mussten und immer noch müssen immer wieder sprachlos gemacht.


Willow: „Jede Geschichte hat ein „bis“. Wenn das Schlimme passiert, das der Figur zeigt, was sie am meisten will. Aber wo ist das „bis“, was alles wiedergutmacht?"


Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Die zarte, gebrochene Willow ist am Ende... bis zu ihrem persönlichen "bis" der Geschichte. Bis sie Isaac trifft, in dem sie ihren eigenen Schmerz widergespiegelt sieht. Und oh man, habe ich mich in diese Figur verliebt. Zwar schließt man als Leser auch Willow sehr ins Herz und beobachtet mit starker emotionaler Beteiligung, wie sie langsam wächst, Isaac gehört jedoch zu den anbetungswürdigsten Charakteren, von denen ich je gelesen habe. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen.


Willow: "Plastics. Ich hasste die Bezeichnung. Ich schwor, sie nicht mehr zu benutzen. Ich spürte die leichte Panikattacke, die in meinen Adern surrte und zuzuschlagen drohte, und der Gedanke, ein anderes Mädchen zu hassen, fühlte sich wie Verrat an. Ich war nicht allein. Ich wusste, viele der Mädchen auf der Tanzfläche hatten Ähnliches erlebt wie ich. Vielleicht waren sie wie Plastik behandelt worden: billig und austauschbar. Etwas, das man einmal benutzte und dann entsorgte. Vielleicht hatte man sie schikaniert. Damit sie sich minderwertig fühlten. Hässlich. Fett. Scharfmacherin. Schlampe. Plastik."


Wirkliche Highlights waren für mich auch der weise Martin, Regisseur, Theaterbesitzer und Ersatzvater, welcher Willow und Isaac mit einfühlsamen Ratschlägen und helfender Hand zur Seite steht und die herzliche Angie, beste Freundin und Rettungsanker, die man nicht nur wegen ihrer quirligen Witze und unschlagbarer T-Shirt-Sprüche ins Herz schließt. Übrigens: Auch wenn an der Übersetzung von Inka Marter nichts auszusetzen ist, musste ich schmunzeln, als ich die Aufschrift von Angies T-Shirt als "Ich schwöre feierlich, dass ich nichts Gutes im Schilde führe" übersetzt sah. Hier wurde deutlich, dass die Übersetzerin wohl die Referenz zu Harry Potter übersehen hatte, dessen bekanntes Zitat "I solemnly swear that I am up to no good" gemeinhin als "Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut" übersetzt wird. Aber das nur als eine kleine Nerd-Notiz am Rande. Andere auftretende Figuren hingegen wie zum Beispiel Isaacs Vater, der sich und jegliche Verantwortung für seinen Sohn gleich mit vor Jahren aufgegeben hat, Willows oberflächliche Eltern, die lieber ignorieren, was sich direkt vor ihrer Nase befindet, als sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen oder Willows Mitschüler und Hamlet-Bruder Justin, der der unsensibelste Kotzbrocken ist, von dem ich jemals gelesen habe, will man einfach nur schütteln.


Willow: "Es wird immer schwerer, die Realität von der Fiktion zu unterscheiden."
Angie runzelte die Stirn. "Es ist schwer, die Realität von einem uralten Stück über Hofleute und Prinzen und Totengräber zu unterscheiden?"
"Das ist Kunst"; sagte ich und erinnerte mich an Isaacs Worte. "Je besser sie ist, desto mehr kann man sich darin wiedererkennen."


Der zweite Akt startet dann im letzten Drittel des Buches, als Isaac und Willow endlich zusammengefunden haben. Die Besonderheit bei diesem eher kürzeren zweiten Teil, der einige Wendungen, Entwicklungen und auch den ersten Höhepunkt der Geschichte enthält, ist die starke Verschmelzung von Theater und Realität. Schon zuvor steht die Einbindung vieler Shakespeare-Zitate, Stücke, Motive und Gedanken durch die das Vorsprechen, die Vorbereitung und die Proben des Stücks auf der Tagesordnung. Ich kannte den Klassiker "Hamlet" vorher noch nicht, Emma Scott schiebt jedoch beiläufig an den richtigen Stellen die nötigen Erklärungen ein, sodass man auch als unwissender Laie mitkommt. Hier lernt man jedoch nicht nur am Rande mehr über diesen Klassiker, sondern verfolgt auch mit, wie die Figuren ihre Emotionen mit ins Stück hineinbringen und durch die fremden, uralten Worte ihre Geschichte erzählen. Mit fortschreitender Handlung lassen sich dadurch immer mehr Parallelen zwischen Stück und Realität erkennen, welche wie zwei Handlungsstränge nebeneinander und ineinander laufen. Wer zu Beginn der Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, weiß, dass "Hamlet" eine Tragödie ist, die für alle Beteiligten nicht gut ausgeht. Die zunehmende Verwebung von herzzerreißender Liebesgeschichte und verstaubtem Stück gibt also eine leise Vorausdeutung auf einen dramatischen Ausgang der Geschichte und verleiht gerade dem zweiten Akt eine unglaublich fesselnde Dynamik und Atmosphäre.


Isaac: "Ich stand jetzt alleine da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. "Ich liebe Ophelia."
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte."


Akt drei, der kürzeste der drei Teile, beinhaltet dann das berühmt berüchtigte retardierende Moment mit dem zweitem Höhepunkt sowie das Happy End am Ende und hat mich leider ziemlich enttäuscht. Denn nach dem großen, von Missverständnissen und Schmerz geprägten Ende des zweiten Akts, habe ich umgeblättert und wäre fast vom Stuhl gekippt, als ich die ersten Zeilen der nächsten Seite gelesen habe. Statt die Figuren etwas leiden zu lassen, bevor sie die Kurve bekommen und ihre Probleme aus der Welt schaffen, setzt die Autorin an dieser Stelle einfach einen Zeitsprung ein und springt drei Jahre in die Zukunft. Warum ich das nach der langsamen Hinführung der vorangegangenen Handlung als starken Bruch empfunden habe, muss ich wohl kaum erklären. An die spektakuläre Endszene des Theaterstücks mit dem Streit und der Trennung hätte man wunderbar anknüpfen und die Geschichte linear zu Ende erzählen können. Endkonfrontation und die finalen Entwicklungsschritte der Figuren hätte meiner Meinung nach auch ohne Zeitsprung geklappt. Dass Emma Scott sich die plötzliche Wendung nicht zu nutzen macht, um noch mehr Tiefe in die Geschichte zu bekommen, und sie stattdessen wichtige Schlüsselszenen einfach durch den Zeitsprung überspringt, finde ich einfach nur enttäuschend. Insgesamt ist auch ihr letzter Akt logisch und in sich stimmig, man verliert die Figuren aber zwischenzeitlich aus den Augen und die Geschichte büßt emotionale Nähe ein.


Willow: "Du bist mein "bis". Das "bis", das alles besser macht".


Dass nach starker Vorarbeit im letzten Drittel ein paar Baustellen auftreten, habe ich schon bei mehreren Büchern der Autorin beobachtet und kritisiert, zum Beispiel auch "The Light In Us" oder "All In - Zwei Versprechen": die Autorin drückt auf den letzten 50 Seiten häufig wahnsinnig aufs Gaspedal, überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, als würde sie mit aller Kraft noch möglichst viel Leben und Happy End Potential abklappern wollen, bevor sie ihre Figuren ins Ungewisse überlässt. Ein Ende, das den langsameren Verlauf der Geschichte zuvor fortsetzt und nach dem Überwinden des Hauptkonflikts mit einem offenen aber durchaus positiven Ende schließt, wäre mir hier lieber gewesen. So störten mich auch plötzlich verständnisvolle Eltern, sich in Luft auflösende Probleme und plötzlich überquellende Konten, welche die Glaubwürdigkeit der ganzen Handlung einen kleinen Dämpfer versetzen. Das richtige Ende ist dann aber wieder so voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit, dass ich beim Beenden der Geschichte schon wieder alle Kritikpunkte vergessen hatte. Egal was vorher etwas ungünstig aufgezogen war - die gewählte Schlussszene ist einfach genau richtig und hat mir sogar ein paar Tränchen entlockt und als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun für diese einmalige Achterbahn der Emotionen!


Willow: "Er küsste mich sanft. "Zweifle nicht."
Ich schüttelte den Kopf. "Niemals."


Wenn man die Geschichte nach ihrem Grad der emotionalen Zerstörung, der Happy End-Schönheit, der Protagonisten-Lovability oder dem Schreibstil beurteilt, bekommt sie ganz klar 5 Sterne. Nimmt man jedoch eine Variable, nämlich das Leserherz, aus der Gleichung heraus und betrachtet die Geschichte mit ein wenig Abstand, lassen sich vor allem im letzten Akt einige kleine Baustellen entdecken, die es mir leider nicht erlauben, eine uneingeschränkte Leseempfehlung auszusprechen. Gerade am Ende gibt es einige Stellen, an denen ich mir eine etwas andere Lösung gewünscht hätte, weshalb ich "nur" 4,5 Sterne vergebe.




Fazit:


Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen geschrieben, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden. Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2021

Tragisch, intensiv und hochemotional!

Never Doubt
0

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In ...

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Auch in Willows und Isaacs Geschichte zeigen das New Adult Genre und auch die Autorin wieder, was sie können. Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden, geschrieben. Ganz zum Jahreshighlight mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, hat es aber doch nicht gereicht - denn leider kam kurz vor Ende eine kleine Enttäuschung, die mich dazu gebracht hat, einen halben Stern abzuziehen.


Willow: "Eines Tages, Willow, wirst du dich vielleicht in der Dunkelheit wiederfinden. Ich hoffe, dieser Tag kommt nie. Aber wenn doch, wird es zuerst beängstigend sein. Aber du wirst dein eigenes Licht sehen. Deine eigene Kraft. Und du wirst leuchten."


Das Cover ist wieder ein üblicher LYX-Traum mit dem dominanten Titel in glitzernden Großbuchstaben und den leuchtenden Lichtpunkten auf dem blau-lila Grund. Die Farb- und Lichtakzente haben mir schon bei den Cover der anderen Emma-Scott-Romane gut gefallen, da die Intensität und Dramatik der Geschichte durch die starken Akzenten trotz recht nichtssagendem Blattader-Motiv gut eingefangen werden kann. Denn hinter diesen hübschen Cover-Gestaltungen verbirgt sich eine alles andere als harmlose Geschichte. Geteilt in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, umfasst die Geschichte 42 Kapitel, die entweder aus Isaacs oder aus Willows Sicht erzählt sind. Zu Beginn folgt zusätzlich eine kurze Playlist, am Ende ist Angies Gedicht in englischer (also Original-)Fassung eingefügt worden. Schwer vermisst habe ich allerdings eine Triggerwarnung! Bereits das Vorwort, welches die "Me too"-Thematik anspricht, lässt zwar klar erahnen, was Willow ein Jahr vor Handlungsbeginn zugestoßen ist, ich hätte mir aber dennoch eine kleine Warnung des Verlags gewünscht. Um dies kurz nachzuholen: Es geht hier um Vergewaltigung, gewalttätige Eltern, Betäubung durch Drogen, emotionale Vernachlässigung und Armut.


Erster Satz: "Erzähl mir eine Geschichte."


Keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. Schon auf den ersten Seiten der Geschichte enthüllt Willow, was beinahe ihr inneres Licht ausgelöscht hat, ist jedoch nicht in der Lage ihre eigene Geschichte zu erzählen. Nicht ihren Freundinnen in New York, nicht ihren distanzierten Eltern, denen nur Ruf und Ansehen wichtig zu sein scheint und schon gar nicht der Polizei, denn wer würde ihr auch glauben, nachdem sie im Schock alle Beweise vernichtet hat? Als ihr Vater dann von der Großstadt in die Provinz von Indiana versetzt wird, sieht sie die kleine Stadt Harmony in erster Linie als Chance auf einen Neuanfang. Richtig Leben in sie kommt aber erst, als sie Isaac Pearce Theaterspielen sieht und begreift, dass das Theater eine Möglichkeit sein könnte, all ihren Schmerz zu katalysieren und ihre eigene Stimme zu finden. Auch Isaac sieht in seiner Kunst ein Ventil für all die Emotionen, die sich in seinem Alltag mit seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater in einem schlecht geheizten Trailer, den unbezahlten Rechnungen und der brodelnden Gerüchteküche anstauen. Vor allem ist das Theater und seine Rolle in Shakespeares Hamlet jedoch seine Chance, Harmonys Elend endlich zu entkommen und sich mit seinem unfassbaren Talent ein besseres Leben zu ermöglichen.


Willow: "Meine Eltern liebten mich, wie man einen Kunstwerk liebte: einen Gegenstand, den man im Haus aufstellt und bewundert, und von dem man hofft, dass er eines Tages etwas wert sein würde. Und seit jener Party war ich ein unschöner Anblick geworden."


Die Autorin orientiert sich auch in der Aufteilung und Strukturierung ihrer Geschichte an diesem Hauptmotiv, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht: Theater. So erzählt sie ihre Geschichte in drei Akten, auf welche auch ganz wunderbar der klassische Dramenaufbau angewandt werden kann. Der erste Akt, welcher den Großteil der Handlung einnimmt, ist eine wahnsinnig gefühlvolle und sensible Einführung in die Geschichte, in die Schicksale der beiden Figuren und eine Hinführung auf deren Beziehung. Ganz anders als ich das von Emma Scott bisher gewohnt war, lässt sich die Geschichte viel Zeit und konzentriert sich auf das Spannungsgefüge zwischen Isaac, Willow und deren Umfeld, ohne dass es schnell konkret wird. Auch wenn es zwischen Willow und Isaac schon bei der ersten Begegnung eindeutig funkt, setzt die Autorin eher auf Respekt, Vertrauen und Verständnis als Basis der Beziehung und zieht eine zarte Annäherung brodelnder Leidenschaft vor. Angesichts Willows Vorgeschichte ist dies nur stimmig und die Autorin hat meinen Respekt dafür, wie es ihr gelungen ist bei einem so starken Trauma stimmig Erotik einzubauen. Isaac und Willow entwickeln eine sehr besondere Verbindung und eine intime Nähe, ohne sich körperlich näher zu kommen. Obwohl es also über 300 Seiten dauert, bis sich die beiden auch nur küssen, habe ich selten eine so intensive Liebesgeschichte gelesen.


Isaac: "Willow Holloway sah aus wie die Weide, von der sie ihren Namen hatte: hübsch, zart und trauernd. Nicht von außen, sondern von innen. Martin Ford hatte mir beigebracht, darauf zu achten, wie Menschen in ihren Körpern wohnten, und nicht, was sie sagten oder taten. Dieses Mädchen war tiefgründig. Ihre Augen hatten sie verraten, als unsere Blicke sich begegnet waren."


Aufgrund des problematischen Hintergrunds und des schweren Schicksals beider Figuren, kommt der Roman zu Beginn recht schwermütig daher und die ersten Gefühle zarter Liebe müssen sich durch viel Dunkelheit hindurchkämpfen. Stimmungsmäßig wurde ich dabei stark an das erste Werk, dass ich von Emma Scott gelesen (und geliebt) habe erinnert. Genau wie in "Never Doubt" wird auch in "The Light In Us" der tiefe Schmerz der Protagonisten, der in Kunst umgewandelt wird, zum Hauptthema und die einfühlsame Heilung der Beiden reißt mit. Außerdem bestimmen auch hier wieder Gegensätze das Bild. "Never Doubt" ist zwar leise und sensibel erzählt aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Um es mal mit Isaacs Worten zu sagen: "Willows Geschichte traft mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran." Auch wenn die Handlung nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Isaac aber vor allem Willow erdulden mussten und immer noch müssen immer wieder sprachlos gemacht.


Willow: „Jede Geschichte hat ein „bis“. Wenn das Schlimme passiert, das der Figur zeigt, was sie am meisten will. Aber wo ist das „bis“, was alles wiedergutmacht?"


Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Die zarte, gebrochene Willow ist am Ende... bis zu ihrem persönlichen "bis" der Geschichte. Bis sie Isaac trifft, in dem sie ihren eigenen Schmerz widergespiegelt sieht. Und oh man, habe ich mich in diese Figur verliebt. Zwar schließt man als Leser auch Willow sehr ins Herz und beobachtet mit starker emotionaler Beteiligung, wie sie langsam wächst, Isaac gehört jedoch zu den anbetungswürdigsten Charakteren, von denen ich je gelesen habe. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen.


Willow: "Plastics. Ich hasste die Bezeichnung. Ich schwor, sie nicht mehr zu benutzen. Ich spürte die leichte Panikattacke, die in meinen Adern surrte und zuzuschlagen drohte, und der Gedanke, ein anderes Mädchen zu hassen, fühlte sich wie Verrat an. Ich war nicht allein. Ich wusste, viele der Mädchen auf der Tanzfläche hatten Ähnliches erlebt wie ich. Vielleicht waren sie wie Plastik behandelt worden: billig und austauschbar. Etwas, das man einmal benutzte und dann entsorgte. Vielleicht hatte man sie schikaniert. Damit sie sich minderwertig fühlten. Hässlich. Fett. Scharfmacherin. Schlampe. Plastik."


Wirkliche Highlights waren für mich auch der weise Martin, Regisseur, Theaterbesitzer und Ersatzvater, welcher Willow und Isaac mit einfühlsamen Ratschlägen und helfender Hand zur Seite steht und die herzliche Angie, beste Freundin und Rettungsanker, die man nicht nur wegen ihrer quirligen Witze und unschlagbarer T-Shirt-Sprüche ins Herz schließt. Übrigens: Auch wenn an der Übersetzung von Inka Marter nichts auszusetzen ist, musste ich schmunzeln, als ich die Aufschrift von Angies T-Shirt als "Ich schwöre feierlich, dass ich nichts Gutes im Schilde führe" übersetzt sah. Hier wurde deutlich, dass die Übersetzerin wohl die Referenz zu Harry Potter übersehen hatte, dessen bekanntes Zitat "I solemnly swear that I am up to no good" gemeinhin als "Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut" übersetzt wird. Aber das nur als eine kleine Nerd-Notiz am Rande. Andere auftretende Figuren hingegen wie zum Beispiel Isaacs Vater, der sich und jegliche Verantwortung für seinen Sohn gleich mit vor Jahren aufgegeben hat, Willows oberflächliche Eltern, die lieber ignorieren, was sich direkt vor ihrer Nase befindet, als sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen oder Willows Mitschüler und Hamlet-Bruder Justin, der der unsensibelste Kotzbrocken ist, von dem ich jemals gelesen habe, will man einfach nur schütteln.


Willow: "Es wird immer schwerer, die Realität von der Fiktion zu unterscheiden."
Angie runzelte die Stirn. "Es ist schwer, die Realität von einem uralten Stück über Hofleute und Prinzen und Totengräber zu unterscheiden?"
"Das ist Kunst"; sagte ich und erinnerte mich an Isaacs Worte. "Je besser sie ist, desto mehr kann man sich darin wiedererkennen."


Der zweite Akt startet dann im letzten Drittel des Buches, als Isaac und Willow endlich zusammengefunden haben. Die Besonderheit bei diesem eher kürzeren zweiten Teil, der einige Wendungen, Entwicklungen und auch den ersten Höhepunkt der Geschichte enthält, ist die starke Verschmelzung von Theater und Realität. Schon zuvor steht die Einbindung vieler Shakespeare-Zitate, Stücke, Motive und Gedanken durch die das Vorsprechen, die Vorbereitung und die Proben des Stücks auf der Tagesordnung. Ich kannte den Klassiker "Hamlet" vorher noch nicht, Emma Scott schiebt jedoch beiläufig an den richtigen Stellen die nötigen Erklärungen ein, sodass man auch als unwissender Laie mitkommt. Hier lernt man jedoch nicht nur am Rande mehr über diesen Klassiker, sondern verfolgt auch mit, wie die Figuren ihre Emotionen mit ins Stück hineinbringen und durch die fremden, uralten Worte ihre Geschichte erzählen. Mit fortschreitender Handlung lassen sich dadurch immer mehr Parallelen zwischen Stück und Realität erkennen, welche wie zwei Handlungsstränge nebeneinander und ineinander laufen. Wer zu Beginn der Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, weiß, dass "Hamlet" eine Tragödie ist, die für alle Beteiligten nicht gut ausgeht. Die zunehmende Verwebung von herzzerreißender Liebesgeschichte und verstaubtem Stück gibt also eine leise Vorausdeutung auf einen dramatischen Ausgang der Geschichte und verleiht gerade dem zweiten Akt eine unglaublich fesselnde Dynamik und Atmosphäre.


Isaac: "Ich stand jetzt alleine da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. "Ich liebe Ophelia."
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte."


Akt drei, der kürzeste der drei Teile, beinhaltet dann das berühmt berüchtigte retardierende Moment mit dem zweitem Höhepunkt sowie das Happy End am Ende und hat mich leider ziemlich enttäuscht. Denn nach dem großen, von Missverständnissen und Schmerz geprägten Ende des zweiten Akts, habe ich umgeblättert und wäre fast vom Stuhl gekippt, als ich die ersten Zeilen der nächsten Seite gelesen habe. Statt die Figuren etwas leiden zu lassen, bevor sie die Kurve bekommen und ihre Probleme aus der Welt schaffen, setzt die Autorin an dieser Stelle einfach einen Zeitsprung ein und springt drei Jahre in die Zukunft. Warum ich das nach der langsamen Hinführung der vorangegangenen Handlung als starken Bruch empfunden habe, muss ich wohl kaum erklären. An die spektakuläre Endszene des Theaterstücks mit dem Streit und der Trennung hätte man wunderbar anknüpfen und die Geschichte linear zu Ende erzählen können. Endkonfrontation und die finalen Entwicklungsschritte der Figuren hätte meiner Meinung nach auch ohne Zeitsprung geklappt. Dass Emma Scott sich die plötzliche Wendung nicht zu nutzen macht, um noch mehr Tiefe in die Geschichte zu bekommen, und sie stattdessen wichtige Schlüsselszenen einfach durch den Zeitsprung überspringt, finde ich einfach nur enttäuschend. Insgesamt ist auch ihr letzter Akt logisch und in sich stimmig, man verliert die Figuren aber zwischenzeitlich aus den Augen und die Geschichte büßt emotionale Nähe ein.


Willow: "Du bist mein "bis". Das "bis", das alles besser macht".


Dass nach starker Vorarbeit im letzten Drittel ein paar Baustellen auftreten, habe ich schon bei mehreren Büchern der Autorin beobachtet und kritisiert, zum Beispiel auch "The Light In Us" oder "All In - Zwei Versprechen": die Autorin drückt auf den letzten 50 Seiten häufig wahnsinnig aufs Gaspedal, überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, als würde sie mit aller Kraft noch möglichst viel Leben und Happy End Potential abklappern wollen, bevor sie ihre Figuren ins Ungewisse überlässt. Ein Ende, das den langsameren Verlauf der Geschichte zuvor fortsetzt und nach dem Überwinden des Hauptkonflikts mit einem offenen aber durchaus positiven Ende schließt, wäre mir hier lieber gewesen. So störten mich auch plötzlich verständnisvolle Eltern, sich in Luft auflösende Probleme und plötzlich überquellende Konten, welche die Glaubwürdigkeit der ganzen Handlung einen kleinen Dämpfer versetzen. Das richtige Ende ist dann aber wieder so voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit, dass ich beim Beenden der Geschichte schon wieder alle Kritikpunkte vergessen hatte. Egal was vorher etwas ungünstig aufgezogen war - die gewählte Schlussszene ist einfach genau richtig und hat mir sogar ein paar Tränchen entlockt und als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun für diese einmalige Achterbahn der Emotionen!


Willow: "Er küsste mich sanft. "Zweifle nicht."
Ich schüttelte den Kopf. "Niemals."


Wenn man die Geschichte nach ihrem Grad der emotionalen Zerstörung, der Happy End-Schönheit, der Protagonisten-Lovability oder dem Schreibstil beurteilt, bekommt sie ganz klar 5 Sterne. Nimmt man jedoch eine Variable, nämlich das Leserherz, aus der Gleichung heraus und betrachtet die Geschichte mit ein wenig Abstand, lassen sich vor allem im letzten Akt einige kleine Baustellen entdecken, die es mir leider nicht erlauben, eine uneingeschränkte Leseempfehlung auszusprechen. Gerade am Ende gibt es einige Stellen, an denen ich mir eine etwas andere Lösung gewünscht hätte, weshalb ich "nur" 4,5 Sterne vergebe.




Fazit:


Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen geschrieben, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden. Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung.

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