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Veröffentlicht am 21.02.2021

Pointiert, authentisch und mitreißend erzählt!

Asphalthelden
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Die Eindrücke:

Handlung: Jason Reynolds erzählt hier 10 kurze Einzelgeschichten, die auf den ersten Blick zusammenhangslos erscheinen, sich aber nach und nach zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Kinder, ...

Die Eindrücke:

Handlung:
Jason Reynolds erzählt hier 10 kurze Einzelgeschichten, die auf den ersten Blick zusammenhangslos erscheinen, sich aber nach und nach zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Kinder, Lehrer, Eltern, Hausmeister, Verkehrslotsen und ein rätselhafter Schulbus, der vom Himmel fiel - immer wieder auftauchende Figuren und Motive ziehen sich wie ein roter Faden durch die kurzen Einzelerzählungen und verbinden die kurzen Eindrücke zu einem Gesamtwerk.

Schreibstil: Jason Reynolds, den ich schon aus "Die Sache mit dem Glücklichsein" kenne, verknüpft auch hier auf sehr charmante Art und Weise eine ganze Fülle an tragischen Themen mit witzigen Ereignissen direkt aus der Mitte des Lebens, sodass es zugleich um philosophische Abhandlungen über Popel, Süßigkeitendeals, Freundschaftsflaggen, spontane Comedy-Shows und Pferderennen auf dem Schulgang - eben Kinder, die sich einfach verhalten wie... Kinder - und ernste Problemthemen gehen kann, ohne dass diese wie ein Fremdkörper in der Geschichte wirken. Die behandelten Themen reichen dabei von einer gefährlichen Erbkrankheit, Eltern mit Krebs, Mobbing und Homophobie, Gefängnisaufenthalte, Demenz bis hin zu Angst und erreichen so, dass zwischen den lustigen Geschichten auch subtil etwas Inhalt transportiert wird.

Figuren: Neben dem Schreibstil und dem leichten Umgang mit den schwierigen Themen, sind vor allem die Protagonisten Träger des Romans. Die vorgestellten Figuren haben alle ihre eigenen Kämpfe auszutragen und auch wenn die Einblicke in ihr Leben sehr kurz sind, hat man nach jedem Kapitel den Eindruck, die erzählenden Kinder gut zu kennen. Egal ob Zocker, Mobber, Einzelgänger, Gangs oder Klassenclowns - Jason Reynolds hat hier eine ganze Palette an unterschiedlichen Kindern herausgesucht, die ihre Klischee-Kategorien jedoch schon nach wenigen Seiten Lügen strafen. Unter spritzigen Titeln nutzt er verschiedene Erzählformate wie Listen, Rückblenden, verschiedene Perspektiven und Erzählebenen, um die einzelnen Erzählungen zu individualisieren und deutlich zu machen, wie wichtig es ist, auch außerhalb des Straßenverkehrs in beide Richtungen zu blicken (aka lahme Anspielung auf den Originaltitel "Look Both Ways"😂).


Das Zitat:

"Eigentlich sollte diese Geschichte ja so anfangen wie alle supergenialen Geschichten: mit einem Schulbus, der vom Himmel fällt. Aber keiner hatte gesehen, wie es passiert ist. Keiner hatte was gehört. Deshalb fängt diese Geschichte eben nur wie eine ... gute Geschichte an. Mit Popeln."



Das Urteil:


Zehn Schulwegerlebnisse, die von Freiheit, Autonomie und Begegnung, aber auch von Gefahr, Angst und Konfrontation erzählen - pointiert, authentisch und mitreißend erzählt!
Mit der einfühlsamen Erzählperspektive und vielen witzig-skurrilen Situationen mitten aus dem Leben, gelingt Jason Reynolds mit "Asphalthelden" die schwere Gradwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltsamkeit, Trauer und Freude, Emotionen und Witz und lässt seine Anthologie traurig und schön zugleich wirken.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.02.2021

Eine wunderschöne Geschichte über Außenseiter, Liebe, Besonderssein, Stärke und Mut:

Stell dir vor, dass ich dich liebe
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Jennifer Niven werden die meisten von Euch vielleicht schon von ihrem bekannten Weltbestseller "All die verdammt perfekten Tage" (Original: "All The Bright Places") kennen, welcher im letzten Jahr auch ...

Jennifer Niven werden die meisten von Euch vielleicht schon von ihrem bekannten Weltbestseller "All die verdammt perfekten Tage" (Original: "All The Bright Places") kennen, welcher im letzten Jahr auch verfilmt wurde. Für mich war "Stell dir vor, dass ich dich liebe" jedoch meine erste (und definitiv nicht letzte) Begegnung mit der amerikanischen Spiegelbestseller-Autorin, welche mich vollkommen überrascht hat. Denn dieser wundervolle Roman über Stärke, Außenseiter, Besonderssein, Mut und Liebe ist einfach wunderschön. Ich habe mich beim Lesen so in Jack und Libbys Geschichte verliebt, die mir ein überraschendes, unerwartetes, aber umwerfendes Jahreshighlight geschenkt hat.


"Du bist der wunderbarste Mensch, den ich je getroffen habe. Du bist anders. Du bist du. Immer. Wer kann das noch von sich behaupten?"



Das Cover ist passend zu Jennifer Nivens Vorgänger "All die verdammt perfekten Tage" gestaltet und grundsätzlich nett anzusehen. Mich überzeugen aber weder der grellpinke Hintergrund noch das Hauptmotiv mit dem weißen Stern und der Skizze der zwei Personen in einem Park. Auch von der Übersetzung des Originaltitels "Holding Up The Universe" bin ich nicht gerade begeistert, da mir bei "Stell dir vor, dass ich dich liebe" der direkte Handlungsbezug fehlt. Klar, man kann die Überraschung darüber, dass gerade diese zwei Personen zusammenfinden zwischen den Seiten spüren, aber diesen Titel könnte ich mir auch bei ungefähr dreißig anderen Geschichten vorstellen. Ich hätte mir für diese außergewöhnliche Story also etwas mit mehr Wiedererkennungswert gewünscht!


Erster Satz: "Ich bin kein mieser Typ, aber ich bin kurz davor, etwas Mieses zu tun."


Wir starten mit einem kurzen Brief von Jack in die Geschichte, in dem er sich für eine Handlung entschuldigt, zu der er sich gezwungen gefühlt hat. Um was es sich hierbei handelt, warum er es für eine bessere Idee gehalten hat, lieber Täter als Opfer zu sein und was es für ein Leben bedeutet, gesichtsblind zu sein, erfahren wir innerhalb der nächsten Kapitel, die einen Zeitsprung auf achtzehn Stunden zuvor wagen. Hier lernen wir nun zunächst die 16jährige Libby kennen, die nach sechs Jahren Auszeit ihren ersten Tag als Elftklässlerin an der Highschool hat. Dass dies kein Zuckerschlecken wird, liegt nicht nur daran, dass sie keinen einzigen Freund hat, sondern auch, dass Teenager grausam sein können, vor allem zu "Amerikas fettestem Teenager", welcher mit Hilfe eines Krans aus seinem eigenen Haus befreit werden musste. Was sie jedoch nicht erwartet hatte, ist, dass sie gleich an ihrem ersten Tag nach einem Vorfall in der Cafeteria im Büro der Direktorin landet und eine Gesprächsgruppe aufgebrummt bekommt und noch viel weniger, dass sie im Laufe der nächsten Woche beginnt, Gefühle für den Jungen zu entwickeln, der an all dem Schuld ist: Jack...


"Die Schule ist genauso, wie ich es erwartet habe, und gleichzeitig noch mehr. Erstens hat die Martin-Van-Buren-Highschool etwa zweitausend Schüler, deshalb wimmelt es nur so von Menschen. Zweitens sieht niemand so glänzend und poliert aus wie in den Filmversionen einer Highschool. Echte Teenager sind nicht 25. Wir haben schlechte Haut und schlechte Haare und gute Haut und gute Haare, und es gibt uns in allen möglichen Größen und Formen. Ich mag uns lieber als unsere Film-Ichs, obwohl ich mich, wie ich hier sitze, selbst wie eine Schauspielerin fühle, die eine Rolle spielt. Ich bin der Fisch auf dem Trockenen, die Neue. Was wird meine Geschichte sein?"


Jennifer Niven bricht mit dem ersten Zusammentreffen ihrer beiden Protagonisten wohl jede Regel, die für den Beginn einer epischen Liebesgeschichte jemals aufgestellt worden ist. Zu Beginn kann man es sich im Leben nicht vorstellen, dass Jack und Libby zusammenfinden könnten - zu unterschiedlich sind ihre Leben und ihre Stellung auf der Highschool-Hackliste -, mit jeder verstreichenden Seite wird jedoch deutlicher, dass sich die beiden gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Denn während Libby damit kämpft, übergewichtig zu sein und auf den Vorfall vor drei Jahren reduziert zu werden, hat auch Jack etwas zu verbergen, dass ihn zu einem leichten Opfer machen könnte: er leidet unter einer neurologischen Störung mit dem Namen Prosopagnosie, bei welcher die Gesichtserkennung infolge einer Gehirnverletzung oder eines genetischen Defekts gestört ist. Im Klartext bedeutet das für ihn: "Ich betrete einen Raum und kenne niemanden. Und so ist es mit jedem Raum, überall." Was erst einmal verrückt klingt, ist ein Problem, das etwa 2,5 Prozent der Weltbevölkerung betrifft und in verschiedenen Schweregraden auftreten kann. Wie schwer es für Jack ist, seine Freunde und seine Familie anhand von äußerlichen Erkennungsmerkmalen mühsam rekonstruieren zu müssen und in welche peinlichen Situationen ihn diese Störung schon gebracht hat, transportiert die Autorin auf sehr einfühlsame, aber eindrückliche Art und Weise.


"Ich sehe es so: Ich habe meine Mom verloren, mich beinahe zu Tode gefressen, wurde aus meinem Haus gesägt, während das ganze Land zusah, habe Diäten und Ernährungspläne und die Enttäuschung der Nation ausgehalten und Hassmails von Wildfremden bekommen. (...) Also was kann die Highschool mir antun, was mir nicht bereits angetan wurde?"


Mit ebenso viel Fingerspitzengefühl geht sie das Thema Mobbing an, mit dem sich Libby schon sehr früh konfrontiert sah. Egal ob fiese Briefe, Ablehnung, Starren oder Getuschel - ihr wird es nicht gerade leicht gemacht, obwohl sie im Grunde niemandem etwas getan hat. Doch statt klein bei zu geben und sich wieder in die Sicherheit ihres Zimmers zurückzuziehen, sagt sie der Welt den Kampf an. Das machte sie in meinen Augen riesengroß - nicht nur, weil ihr Körperumfang den der meisten ihrer Mitschüler um einiges übersteigt, sondern weil sie für sich selbst einsteht, an ihren eigenen Wert glaubt und sich nichts entgehen lässt. Sie will tanzen? Also tanzt sie wie wild. Sie will nicht von anderen beleidigt werden? Also bedenkt sie sich schon selbst mit den miesesten Gemeinheiten, die ihr einfallen. Sie will gesehen werden? Also setzt sie in einem lila Bikini ein Zeichen... Auch sie hat natürlich Fehler und ist weit davon entfernt, eine typische Heldin zu sein, aber bei ihrem lauten und selbstbewussten Auftreten habe ich das ein oder andere Mal bewundernd den Hut gezogen und mir gewünscht, es würde ein paar mehr Libbys auf der Welt geben.


"Ich werde vom Beat davongetragen, durch die Halle, hoch zu den Dachsparren, durch die Tür, durch die Schule, an Mrs Wassermans Büro vorbei, bis ich draußen bin, in der Sonne, unter freiem Himmel.
Wirbel, wirbel, wirbel.
Und dann bin ich im Himmel. Und dann bin ich der Himmel!
Ich segle über Amos, über die Interstate 7ß, rüber nach Ohio, und von dort aus nach New York und den Atlantik, und dann nach England, Frankreich... Ich bin überall. Ich bin global. Ich bin universell."


Jack hingegen ist auf den ersten Blick genau das Gegenteil eines Außenseiters: beliebt, gutaussehend, cool. Statt sich die Blöße zu geben, seinen Freunden von seiner Erkrankung zu erzählen und sich somit zu einem leichten Opfer für Streiche zu machen, hat er sich einen Ruf als Frauenheld, Charmeur und Fiesling aufgebaut, sodass sich keiner wundert, wenn er mal mit der Falschen flirtet, seine Freunde auf dem Gang ignoriert oder sicherheitshalber jeden anlächelt. Das bedeutet jedoch nicht, dass er glücklich ist. Im Gegenteil: er ist mit einem Mädchen zusammen, das früher seine beste Freundin war, die er jetzt aber nur noch als Rettungsanker braucht, um ihn durch die Highschool zu navigieren, hat Freunde, die er selbst nicht einmal mag und die ihn regelmäßig dazu bringen, Dinge zu tun, wegen denen er sich vor seinem kleinen Bruder schämt. Kein Wunder also, dass man ihn in manchen Situationen am liebsten schütteln würde. Im Grunde ist er jedoch ein ebenso liebenswerter und vielschichtiger Charakter wie Libby, den man sehr schnell ins Herz schließt. Als dann Libby kommt, die sich überhaupt nicht für die Meinung anderer interessiert, immer sie selbst und absolut und unverwechselbar nicht zu übersehen ist, rüttelt das seine Welt ganz schön durcheinander und ihre langsame Annäherung gehört zu den herzergreifendsten und authentischsten, von der ich in der letzten Zeit gelesen habe!


"Ich stehe drinnen, und mein Herz rast und stolpert. Ich kann ihn auf der anderen Seite der Tür hören. Ich kann ihn fühlen. Ich weiß genau, wann er geht, zwei Minuten später, weil die Luft um mich herum wieder normal wird, kein gefährlicher Elektrosturm mehr, der jeden Moment Funken schlagen kann. Während er wegfährt setzt mein Herz immer noch einzelne Schläge aus."


Dadurch dass Jennifer Niven abwechselnd aus der Sicht von Jack und Libby erzählt, kann sie geschickt mit der Fremd- und Eigenperspektive der Figuren spielen und gleich zwei schwere Themen ansprechen, ohne dass Gefühle zu kurz kommen. Die sehr kurzen Kapitel, die manchmal noch nicht einmal eine Seite lang sind, sorgen in der ersten Hälfte dafür, dass die Handlung etwas auf der Stelle tritt und erst langsam in Schwung kommt. Die Hintergründe von Libbys Übergewichts, ihrer "Hausbefreiung", Jacks Unfall oder ihrer verlorenen Jahre erfahren wir erst nach und nach durch eingeschobene Zeitsprünge in das Alter von 10 bis 14 Jahren. Solche kurzen Rückblenden begleiten uns über die ganze Geschichte hinweg und machen deutlich, dass Jacks und Libbys Wege sich schon viel früher gekreuzt haben und dass ihre Schicksale enger verknüpft sind, als die beiden wissen. Aufgelockert wird die Erzählung außerdem durch eingeschobene Listen (zum Beispiel "7 Karrieren für Menschen mit Prosopagnosie" oder "Top-2-Dinge, die mir fehlen, wenn ich nicht mit Libby zusammen bin"), Briefe oder Aufzählungen, oft mit humoristischem Inhalt.


"Er sagt: "Ich dachte, wir gehen erst mal etwas essen, und dann sehen wir weiter." Aber er könnte genauso gut sagen: "Ich fahre mit dir zum Mond, und wenn wir da oben sind, hole ich dir die Sterne vom Himmel, damit du sie dir ins Haar stecken kannst."


Und das ist eine weitere große Stärke der Geschichte: Jacks Charme, Libbys Sarkasmus und der allgegenwärtige Witz des Schreibstils sorgen dafür, dass genügend Fröhlichkeit die tragischen Inhalte ausgleicht. Die Autorin findet dabei ganz wunderbar eine Balance zwischen Ernst und Humor, sodass die Wichtigkeit der angesprochenen Themen nicht verloren geht, sich die jugendlichen Figuren aber nie selbst zu ernst nehmen. So ist die Geschichte trotz einiger hochemotionaler Szenen, bei denen einem die Spucke wegbleibt, ein absolutes Wohlfühlbuch, das sich wie eine warme Decke übers Herz legt und in dem man sich am liebsten häuslich einrichten würde. Obendrauf kommt dann noch die wunderschöne Message, die zwar simpel, altbekannt und logisch erscheint, die man sich dennoch immer wieder ins Bewusstsein rufen sollte: "IHR SEID ERWÜNSCHT. Dick, dünn, groß, klein, hübsch, unscheinbar, freundlich, schüchtern. Lasst euch von niemandem etwas anderes erzählen, nicht einmal von euch selbst. Erst recht nicht von euch selbst!"




Fazit:


"Stell dir vor, dass ich dich liebe" ist eine wunderschöne Geschichte über Außenseiter, Liebe, Besonderssein, Stärke und Mut: vielschichtig, ergreifend, humorvoll und definitiv eines der besten Jugendbüchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.02.2021

Eine wunderschöne Geschichte über Außenseiter, Liebe, Besonderssein, Stärke und Mut

Stell dir vor, dass ich dich liebe
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Jennifer Niven werden die meisten von Euch vielleicht schon von ihrem bekannten Weltbestseller "All die verdammt perfekten Tage" (Original: "All The Bright Places") kennen, welcher im letzten Jahr auch ...

Jennifer Niven werden die meisten von Euch vielleicht schon von ihrem bekannten Weltbestseller "All die verdammt perfekten Tage" (Original: "All The Bright Places") kennen, welcher im letzten Jahr auch verfilmt wurde. Für mich war "Stell dir vor, dass ich dich liebe" jedoch meine erste (und definitiv nicht letzte) Begegnung mit der amerikanischen Spiegelbestseller-Autorin, welche mich vollkommen überrascht hat. Denn dieser wundervolle Roman über Stärke, Außenseiter, Besonderssein, Mut und Liebe ist einfach wunderschön. Ich habe mich beim Lesen so in Jack und Libbys Geschichte verliebt, die mir ein überraschendes, unerwartetes, aber umwerfendes Jahreshighlight geschenkt hat.


"Du bist der wunderbarste Mensch, den ich je getroffen habe. Du bist anders. Du bist du. Immer. Wer kann das noch von sich behaupten?"



Das Cover ist passend zu Jennifer Nivens Vorgänger "All die verdammt perfekten Tage" gestaltet und grundsätzlich nett anzusehen. Mich überzeugen aber weder der grellpinke Hintergrund noch das Hauptmotiv mit dem weißen Stern und der Skizze der zwei Personen in einem Park. Auch von der Übersetzung des Originaltitels "Holding Up The Universe" bin ich nicht gerade begeistert, da mir bei "Stell dir vor, dass ich dich liebe" der direkte Handlungsbezug fehlt. Klar, man kann die Überraschung darüber, dass gerade diese zwei Personen zusammenfinden zwischen den Seiten spüren, aber diesen Titel könnte ich mir auch bei ungefähr dreißig anderen Geschichten vorstellen. Ich hätte mir für diese außergewöhnliche Story also etwas mit mehr Wiedererkennungswert gewünscht!


Erster Satz: "Ich bin kein mieser Typ, aber ich bin kurz davor, etwas Mieses zu tun."


Wir starten mit einem kurzen Brief von Jack in die Geschichte, in dem er sich für eine Handlung entschuldigt, zu der er sich gezwungen gefühlt hat. Um was es sich hierbei handelt, warum er es für eine bessere Idee gehalten hat, lieber Täter als Opfer zu sein und was es für ein Leben bedeutet, gesichtsblind zu sein, erfahren wir innerhalb der nächsten Kapitel, die einen Zeitsprung auf achtzehn Stunden zuvor wagen. Hier lernen wir nun zunächst die 16jährige Libby kennen, die nach sechs Jahren Auszeit ihren ersten Tag als Elftklässlerin an der Highschool hat. Dass dies kein Zuckerschlecken wird, liegt nicht nur daran, dass sie keinen einzigen Freund hat, sondern auch, dass Teenager grausam sein können, vor allem zu "Amerikas fettestem Teenager", welcher mit Hilfe eines Krans aus seinem eigenen Haus befreit werden musste. Was sie jedoch nicht erwartet hatte, ist, dass sie gleich an ihrem ersten Tag nach einem Vorfall in der Cafeteria im Büro der Direktorin landet und eine Gesprächsgruppe aufgebrummt bekommt und noch viel weniger, dass sie im Laufe der nächsten Woche beginnt, Gefühle für den Jungen zu entwickeln, der an all dem Schuld ist: Jack...


"Die Schule ist genauso, wie ich es erwartet habe, und gleichzeitig noch mehr. Erstens hat die Martin-Van-Buren-Highschool etwa zweitausend Schüler, deshalb wimmelt es nur so von Menschen. Zweitens sieht niemand so glänzend und poliert aus wie in den Filmversionen einer Highschool. Echte Teenager sind nicht 25. Wir haben schlechte Haut und schlechte Haare und gute Haut und gute Haare, und es gibt uns in allen möglichen Größen und Formen. Ich mag uns lieber als unsere Film-Ichs, obwohl ich mich, wie ich hier sitze, selbst wie eine Schauspielerin fühle, die eine Rolle spielt. Ich bin der Fisch auf dem Trockenen, die Neue. Was wird meine Geschichte sein?"


Jennifer Niven bricht mit dem ersten Zusammentreffen ihrer beiden Protagonisten wohl jede Regel, die für den Beginn einer epischen Liebesgeschichte jemals aufgestellt worden ist. Zu Beginn kann man es sich im Leben nicht vorstellen, dass Jack und Libby zusammenfinden könnten - zu unterschiedlich sind ihre Leben und ihre Stellung auf der Highschool-Hackliste -, mit jeder verstreichenden Seite wird jedoch deutlicher, dass sich die beiden gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Denn während Libby damit kämpft, übergewichtig zu sein und auf den Vorfall vor drei Jahren reduziert zu werden, hat auch Jack etwas zu verbergen, dass ihn zu einem leichten Opfer machen könnte: er leidet unter einer neurologischen Störung mit dem Namen Prosopagnosie, bei welcher die Gesichtserkennung infolge einer Gehirnverletzung oder eines genetischen Defekts gestört ist. Im Klartext bedeutet das für ihn: "Ich betrete einen Raum und kenne niemanden. Und so ist es mit jedem Raum, überall." Was erst einmal verrückt klingt, ist ein Problem, das etwa 2,5 Prozent der Weltbevölkerung betrifft und in verschiedenen Schweregraden auftreten kann. Wie schwer es für Jack ist, seine Freunde und seine Familie anhand von äußerlichen Erkennungsmerkmalen mühsam rekonstruieren zu müssen und in welche peinlichen Situationen ihn diese Störung schon gebracht hat, transportiert die Autorin auf sehr einfühlsame, aber eindrückliche Art und Weise.


"Ich sehe es so: Ich habe meine Mom verloren, mich beinahe zu Tode gefressen, wurde aus meinem Haus gesägt, während das ganze Land zusah, habe Diäten und Ernährungspläne und die Enttäuschung der Nation ausgehalten und Hassmails von Wildfremden bekommen. (...) Also was kann die Highschool mir antun, was mir nicht bereits angetan wurde?"


Mit ebenso viel Fingerspitzengefühl geht sie das Thema Mobbing an, mit dem sich Libby schon sehr früh konfrontiert sah. Egal ob fiese Briefe, Ablehnung, Starren oder Getuschel - ihr wird es nicht gerade leicht gemacht, obwohl sie im Grunde niemandem etwas getan hat. Doch statt klein bei zu geben und sich wieder in die Sicherheit ihres Zimmers zurückzuziehen, sagt sie der Welt den Kampf an. Das machte sie in meinen Augen riesengroß - nicht nur, weil ihr Körperumfang den der meisten ihrer Mitschüler um einiges übersteigt, sondern weil sie für sich selbst einsteht, an ihren eigenen Wert glaubt und sich nichts entgehen lässt. Sie will tanzen? Also tanzt sie wie wild. Sie will nicht von anderen beleidigt werden? Also bedenkt sie sich schon selbst mit den miesesten Gemeinheiten, die ihr einfallen. Sie will gesehen werden? Also setzt sie in einem lila Bikini ein Zeichen... Auch sie hat natürlich Fehler und ist weit davon entfernt, eine typische Heldin zu sein, aber bei ihrem lauten und selbstbewussten Auftreten habe ich das ein oder andere Mal bewundernd den Hut gezogen und mir gewünscht, es würde ein paar mehr Libbys auf der Welt geben.


"Ich werde vom Beat davongetragen, durch die Halle, hoch zu den Dachsparren, durch die Tür, durch die Schule, an Mrs Wassermans Büro vorbei, bis ich draußen bin, in der Sonne, unter freiem Himmel.
Wirbel, wirbel, wirbel.
Und dann bin ich im Himmel. Und dann bin ich der Himmel!
Ich segle über Amos, über die Interstate 7ß, rüber nach Ohio, und von dort aus nach New York und den Atlantik, und dann nach England, Frankreich... Ich bin überall. Ich bin global. Ich bin universell."


Jack hingegen ist auf den ersten Blick genau das Gegenteil eines Außenseiters: beliebt, gutaussehend, cool. Statt sich die Blöße zu geben, seinen Freunden von seiner Erkrankung zu erzählen und sich somit zu einem leichten Opfer für Streiche zu machen, hat er sich einen Ruf als Frauenheld, Charmeur und Fiesling aufgebaut, sodass sich keiner wundert, wenn er mal mit der Falschen flirtet, seine Freunde auf dem Gang ignoriert oder sicherheitshalber jeden anlächelt. Das bedeutet jedoch nicht, dass er glücklich ist. Im Gegenteil: er ist mit einem Mädchen zusammen, das früher seine beste Freundin war, die er jetzt aber nur noch als Rettungsanker braucht, um ihn durch die Highschool zu navigieren, hat Freunde, die er selbst nicht einmal mag und die ihn regelmäßig dazu bringen, Dinge zu tun, wegen denen er sich vor seinem kleinen Bruder schämt. Kein Wunder also, dass man ihn in manchen Situationen am liebsten schütteln würde. Im Grunde ist er jedoch ein ebenso liebenswerter und vielschichtiger Charakter wie Libby, den man sehr schnell ins Herz schließt. Als dann Libby kommt, die sich überhaupt nicht für die Meinung anderer interessiert, immer sie selbst und absolut und unverwechselbar nicht zu übersehen ist, rüttelt das seine Welt ganz schön durcheinander und ihre langsame Annäherung gehört zu den herzergreifendsten und authentischsten, von der ich in der letzten Zeit gelesen habe!


"Ich stehe drinnen, und mein Herz rast und stolpert. Ich kann ihn auf der anderen Seite der Tür hören. Ich kann ihn fühlen. Ich weiß genau, wann er geht, zwei Minuten später, weil die Luft um mich herum wieder normal wird, kein gefährlicher Elektrosturm mehr, der jeden Moment Funken schlagen kann. Während er wegfährt setzt mein Herz immer noch einzelne Schläge aus."


Dadurch dass Jennifer Niven abwechselnd aus der Sicht von Jack und Libby erzählt, kann sie geschickt mit der Fremd- und Eigenperspektive der Figuren spielen und gleich zwei schwere Themen ansprechen, ohne dass Gefühle zu kurz kommen. Die sehr kurzen Kapitel, die manchmal noch nicht einmal eine Seite lang sind, sorgen in der ersten Hälfte dafür, dass die Handlung etwas auf der Stelle tritt und erst langsam in Schwung kommt. Die Hintergründe von Libbys Übergewichts, ihrer "Hausbefreiung", Jacks Unfall oder ihrer verlorenen Jahre erfahren wir erst nach und nach durch eingeschobene Zeitsprünge in das Alter von 10 bis 14 Jahren. Solche kurzen Rückblenden begleiten uns über die ganze Geschichte hinweg und machen deutlich, dass Jacks und Libbys Wege sich schon viel früher gekreuzt haben und dass ihre Schicksale enger verknüpft sind, als die beiden wissen. Aufgelockert wird die Erzählung außerdem durch eingeschobene Listen (zum Beispiel "7 Karrieren für Menschen mit Prosopagnosie" oder "Top-2-Dinge, die mir fehlen, wenn ich nicht mit Libby zusammen bin"), Briefe oder Aufzählungen, oft mit humoristischem Inhalt.


"Er sagt: "Ich dachte, wir gehen erst mal etwas essen, und dann sehen wir weiter." Aber er könnte genauso gut sagen: "Ich fahre mit dir zum Mond, und wenn wir da oben sind, hole ich dir die Sterne vom Himmel, damit du sie dir ins Haar stecken kannst."


Und das ist eine weitere große Stärke der Geschichte: Jacks Charme, Libbys Sarkasmus und der allgegenwärtige Witz des Schreibstils sorgen dafür, dass genügend Fröhlichkeit die tragischen Inhalte ausgleicht. Die Autorin findet dabei ganz wunderbar eine Balance zwischen Ernst und Humor, sodass die Wichtigkeit der angesprochenen Themen nicht verloren geht, sich die jugendlichen Figuren aber nie selbst zu ernst nehmen. So ist die Geschichte trotz einiger hochemotionaler Szenen, bei denen einem die Spucke wegbleibt, ein absolutes Wohlfühlbuch, das sich wie eine warme Decke übers Herz legt und in dem man sich am liebsten häuslich einrichten würde. Obendrauf kommt dann noch die wunderschöne Message, die zwar simpel, altbekannt und logisch erscheint, die man sich dennoch immer wieder ins Bewusstsein rufen sollte: "IHR SEID ERWÜNSCHT. Dick, dünn, groß, klein, hübsch, unscheinbar, freundlich, schüchtern. Lasst euch von niemandem etwas anderes erzählen, nicht einmal von euch selbst. Erst recht nicht von euch selbst!"




Fazit:


"Stell dir vor, dass ich dich liebe" ist eine wunderschöne Geschichte über Außenseiter, Liebe, Besonderssein, Stärke und Mut: vielschichtig, ergreifend, humorvoll und definitiv eines der besten Jugendbüchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.02.2021

Eine wunderschöne Geschichte über Außenseiter, Liebe, Besonderssein, Stärke und Mut

Stell dir vor, dass ich dich liebe
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Jennifer Niven werden die meisten von Euch vielleicht schon von ihrem bekannten Weltbestseller "All die verdammt perfekten Tage" (Original: "All The Bright Places") kennen, welcher im letzten Jahr auch ...

Jennifer Niven werden die meisten von Euch vielleicht schon von ihrem bekannten Weltbestseller "All die verdammt perfekten Tage" (Original: "All The Bright Places") kennen, welcher im letzten Jahr auch verfilmt wurde. Für mich war "Stell dir vor, dass ich dich liebe" jedoch meine erste (und definitiv nicht letzte) Begegnung mit der amerikanischen Spiegelbestseller-Autorin, welche mich vollkommen überrascht hat. Denn dieser wundervolle Roman über Stärke, Außenseiter, Besonderssein, Mut und Liebe ist einfach wunderschön. Ich habe mich beim Lesen so in Jack und Libbys Geschichte verliebt, die mir ein überraschendes, unerwartetes, aber umwerfendes Jahreshighlight geschenkt hat.


"Du bist der wunderbarste Mensch, den ich je getroffen habe. Du bist anders. Du bist du. Immer. Wer kann das noch von sich behaupten?"



Das Cover ist passend zu Jennifer Nivens Vorgänger "All die verdammt perfekten Tage" gestaltet und grundsätzlich nett anzusehen. Mich überzeugen aber weder der grellpinke Hintergrund noch das Hauptmotiv mit dem weißen Stern und der Skizze der zwei Personen in einem Park. Auch von der Übersetzung des Originaltitels "Holding Up The Universe" bin ich nicht gerade begeistert, da mir bei "Stell dir vor, dass ich dich liebe" der direkte Handlungsbezug fehlt. Klar, man kann die Überraschung darüber, dass gerade diese zwei Personen zusammenfinden zwischen den Seiten spüren, aber diesen Titel könnte ich mir auch bei ungefähr dreißig anderen Geschichten vorstellen. Ich hätte mir für diese außergewöhnliche Story also etwas mit mehr Wiedererkennungswert gewünscht!


Erster Satz: "Ich bin kein mieser Typ, aber ich bin kurz davor, etwas Mieses zu tun."


Wir starten mit einem kurzen Brief von Jack in die Geschichte, in dem er sich für eine Handlung entschuldigt, zu der er sich gezwungen gefühlt hat. Um was es sich hierbei handelt, warum er es für eine bessere Idee gehalten hat, lieber Täter als Opfer zu sein und was es für ein Leben bedeutet, gesichtsblind zu sein, erfahren wir innerhalb der nächsten Kapitel, die einen Zeitsprung auf achtzehn Stunden zuvor wagen. Hier lernen wir nun zunächst die 16jährige Libby kennen, die nach sechs Jahren Auszeit ihren ersten Tag als Elftklässlerin an der Highschool hat. Dass dies kein Zuckerschlecken wird, liegt nicht nur daran, dass sie keinen einzigen Freund hat, sondern auch, dass Teenager grausam sein können, vor allem zu "Amerikas fettestem Teenager", welcher mit Hilfe eines Krans aus seinem eigenen Haus befreit werden musste. Was sie jedoch nicht erwartet hatte, ist, dass sie gleich an ihrem ersten Tag nach einem Vorfall in der Cafeteria im Büro der Direktorin landet und eine Gesprächsgruppe aufgebrummt bekommt und noch viel weniger, dass sie im Laufe der nächsten Woche beginnt, Gefühle für den Jungen zu entwickeln, der an all dem Schuld ist: Jack...


"Die Schule ist genauso, wie ich es erwartet habe, und gleichzeitig noch mehr. Erstens hat die Martin-Van-Buren-Highschool etwa zweitausend Schüler, deshalb wimmelt es nur so von Menschen. Zweitens sieht niemand so glänzend und poliert aus wie in den Filmversionen einer Highschool. Echte Teenager sind nicht 25. Wir haben schlechte Haut und schlechte Haare und gute Haut und gute Haare, und es gibt uns in allen möglichen Größen und Formen. Ich mag uns lieber als unsere Film-Ichs, obwohl ich mich, wie ich hier sitze, selbst wie eine Schauspielerin fühle, die eine Rolle spielt. Ich bin der Fisch auf dem Trockenen, die Neue. Was wird meine Geschichte sein?"


Jennifer Niven bricht mit dem ersten Zusammentreffen ihrer beiden Protagonisten wohl jede Regel, die für den Beginn einer epischen Liebesgeschichte jemals aufgestellt worden ist. Zu Beginn kann man es sich im Leben nicht vorstellen, dass Jack und Libby zusammenfinden könnten - zu unterschiedlich sind ihre Leben und ihre Stellung auf der Highschool-Hackliste -, mit jeder verstreichenden Seite wird jedoch deutlicher, dass sich die beiden gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Denn während Libby damit kämpft, übergewichtig zu sein und auf den Vorfall vor drei Jahren reduziert zu werden, hat auch Jack etwas zu verbergen, dass ihn zu einem leichten Opfer machen könnte: er leidet unter einer neurologischen Störung mit dem Namen Prosopagnosie, bei welcher die Gesichtserkennung infolge einer Gehirnverletzung oder eines genetischen Defekts gestört ist. Im Klartext bedeutet das für ihn: "Ich betrete einen Raum und kenne niemanden. Und so ist es mit jedem Raum, überall." Was erst einmal verrückt klingt, ist ein Problem, das etwa 2,5 Prozent der Weltbevölkerung betrifft und in verschiedenen Schweregraden auftreten kann. Wie schwer es für Jack ist, seine Freunde und seine Familie anhand von äußerlichen Erkennungsmerkmalen mühsam rekonstruieren zu müssen und in welche peinlichen Situationen ihn diese Störung schon gebracht hat, transportiert die Autorin auf sehr einfühlsame, aber eindrückliche Art und Weise.


"Ich sehe es so: Ich habe meine Mom verloren, mich beinahe zu Tode gefressen, wurde aus meinem Haus gesägt, während das ganze Land zusah, habe Diäten und Ernährungspläne und die Enttäuschung der Nation ausgehalten und Hassmails von Wildfremden bekommen. (...) Also was kann die Highschool mir antun, was mir nicht bereits angetan wurde?"


Mit ebenso viel Fingerspitzengefühl geht sie das Thema Mobbing an, mit dem sich Libby schon sehr früh konfrontiert sah. Egal ob fiese Briefe, Ablehnung, Starren oder Getuschel - ihr wird es nicht gerade leicht gemacht, obwohl sie im Grunde niemandem etwas getan hat. Doch statt klein bei zu geben und sich wieder in die Sicherheit ihres Zimmers zurückzuziehen, sagt sie der Welt den Kampf an. Das machte sie in meinen Augen riesengroß - nicht nur, weil ihr Körperumfang den der meisten ihrer Mitschüler um einiges übersteigt, sondern weil sie für sich selbst einsteht, an ihren eigenen Wert glaubt und sich nichts entgehen lässt. Sie will tanzen? Also tanzt sie wie wild. Sie will nicht von anderen beleidigt werden? Also bedenkt sie sich schon selbst mit den miesesten Gemeinheiten, die ihr einfallen. Sie will gesehen werden? Also setzt sie in einem lila Bikini ein Zeichen... Auch sie hat natürlich Fehler und ist weit davon entfernt, eine typische Heldin zu sein, aber bei ihrem lauten und selbstbewussten Auftreten habe ich das ein oder andere Mal bewundernd den Hut gezogen und mir gewünscht, es würde ein paar mehr Libbys auf der Welt geben.


"Ich werde vom Beat davongetragen, durch die Halle, hoch zu den Dachsparren, durch die Tür, durch die Schule, an Mrs Wassermans Büro vorbei, bis ich draußen bin, in der Sonne, unter freiem Himmel.
Wirbel, wirbel, wirbel.
Und dann bin ich im Himmel. Und dann bin ich der Himmel!
Ich segle über Amos, über die Interstate 7ß, rüber nach Ohio, und von dort aus nach New York und den Atlantik, und dann nach England, Frankreich... Ich bin überall. Ich bin global. Ich bin universell."


Jack hingegen ist auf den ersten Blick genau das Gegenteil eines Außenseiters: beliebt, gutaussehend, cool. Statt sich die Blöße zu geben, seinen Freunden von seiner Erkrankung zu erzählen und sich somit zu einem leichten Opfer für Streiche zu machen, hat er sich einen Ruf als Frauenheld, Charmeur und Fiesling aufgebaut, sodass sich keiner wundert, wenn er mal mit der Falschen flirtet, seine Freunde auf dem Gang ignoriert oder sicherheitshalber jeden anlächelt. Das bedeutet jedoch nicht, dass er glücklich ist. Im Gegenteil: er ist mit einem Mädchen zusammen, das früher seine beste Freundin war, die er jetzt aber nur noch als Rettungsanker braucht, um ihn durch die Highschool zu navigieren, hat Freunde, die er selbst nicht einmal mag und die ihn regelmäßig dazu bringen, Dinge zu tun, wegen denen er sich vor seinem kleinen Bruder schämt. Kein Wunder also, dass man ihn in manchen Situationen am liebsten schütteln würde. Im Grunde ist er jedoch ein ebenso liebenswerter und vielschichtiger Charakter wie Libby, den man sehr schnell ins Herz schließt. Als dann Libby kommt, die sich überhaupt nicht für die Meinung anderer interessiert, immer sie selbst und absolut und unverwechselbar nicht zu übersehen ist, rüttelt das seine Welt ganz schön durcheinander und ihre langsame Annäherung gehört zu den herzergreifendsten und authentischsten, von der ich in der letzten Zeit gelesen habe!


"Ich stehe drinnen, und mein Herz rast und stolpert. Ich kann ihn auf der anderen Seite der Tür hören. Ich kann ihn fühlen. Ich weiß genau, wann er geht, zwei Minuten später, weil die Luft um mich herum wieder normal wird, kein gefährlicher Elektrosturm mehr, der jeden Moment Funken schlagen kann. Während er wegfährt setzt mein Herz immer noch einzelne Schläge aus."


Dadurch dass Jennifer Niven abwechselnd aus der Sicht von Jack und Libby erzählt, kann sie geschickt mit der Fremd- und Eigenperspektive der Figuren spielen und gleich zwei schwere Themen ansprechen, ohne dass Gefühle zu kurz kommen. Die sehr kurzen Kapitel, die manchmal noch nicht einmal eine Seite lang sind, sorgen in der ersten Hälfte dafür, dass die Handlung etwas auf der Stelle tritt und erst langsam in Schwung kommt. Die Hintergründe von Libbys Übergewichts, ihrer "Hausbefreiung", Jacks Unfall oder ihrer verlorenen Jahre erfahren wir erst nach und nach durch eingeschobene Zeitsprünge in das Alter von 10 bis 14 Jahren. Solche kurzen Rückblenden begleiten uns über die ganze Geschichte hinweg und machen deutlich, dass Jacks und Libbys Wege sich schon viel früher gekreuzt haben und dass ihre Schicksale enger verknüpft sind, als die beiden wissen. Aufgelockert wird die Erzählung außerdem durch eingeschobene Listen (zum Beispiel "7 Karrieren für Menschen mit Prosopagnosie" oder "Top-2-Dinge, die mir fehlen, wenn ich nicht mit Libby zusammen bin"), Briefe oder Aufzählungen, oft mit humoristischem Inhalt.


"Er sagt: "Ich dachte, wir gehen erst mal etwas essen, und dann sehen wir weiter." Aber er könnte genauso gut sagen: "Ich fahre mit dir zum Mond, und wenn wir da oben sind, hole ich dir die Sterne vom Himmel, damit du sie dir ins Haar stecken kannst."


Und das ist eine weitere große Stärke der Geschichte: Jacks Charme, Libbys Sarkasmus und der allgegenwärtige Witz des Schreibstils sorgen dafür, dass genügend Fröhlichkeit die tragischen Inhalte ausgleicht. Die Autorin findet dabei ganz wunderbar eine Balance zwischen Ernst und Humor, sodass die Wichtigkeit der angesprochenen Themen nicht verloren geht, sich die jugendlichen Figuren aber nie selbst zu ernst nehmen. So ist die Geschichte trotz einiger hochemotionaler Szenen, bei denen einem die Spucke wegbleibt, ein absolutes Wohlfühlbuch, das sich wie eine warme Decke übers Herz legt und in dem man sich am liebsten häuslich einrichten würde. Obendrauf kommt dann noch die wunderschöne Message, die zwar simpel, altbekannt und logisch erscheint, die man sich dennoch immer wieder ins Bewusstsein rufen sollte: "IHR SEID ERWÜNSCHT. Dick, dünn, groß, klein, hübsch, unscheinbar, freundlich, schüchtern. Lasst euch von niemandem etwas anderes erzählen, nicht einmal von euch selbst. Erst recht nicht von euch selbst!"




Fazit:


"Stell dir vor, dass ich dich liebe" ist eine wunderschöne Geschichte über Außenseiter, Liebe, Besonderssein, Stärke und Mut: vielschichtig, ergreifend, humorvoll und definitiv eines der besten Jugendbüchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe!

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Veröffentlicht am 19.02.2021

Schön geschrieben und mit liebenswerten Figuren bevölkert, kann aber trotzdem nicht ganz überzeugen...

Someone to Stay
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Nach "Someone to Stay" steht es endgültig fest: Die Someone-Reihe gehört einfach nicht zu meinen Lieblingsreihen. Zwar ist auch die Geschichte von Aliza und Lucien grundsätzlich schön geschrieben und mit ...

Nach "Someone to Stay" steht es endgültig fest: Die Someone-Reihe gehört einfach nicht zu meinen Lieblingsreihen. Zwar ist auch die Geschichte von Aliza und Lucien grundsätzlich schön geschrieben und mit liebenswerten Figuren bevölkert, aber auch der dritte Teil von Laura Kneidl Trilogie konnte mich nicht ganz überzeugen.


"Das Leben verläuft nicht immer nach Plan, aber das ist nichts Schlechtes."


Doch beginnen wir doch wieder auf sicherem Terrain: dem Cover. Denn das Einzige, was bei dieser Reihe mit absoluter Sicherheit und ohne jede Frage festgestellt werden kann, ist, dass die Cover ein Traum sind!! Wie auch schon bei Laura Kneidls erster Reihe haben sich die Gestalter des Verlags selbst übertroffen mit dieser subtilen, aber wirkungsvollen Verkörperung des Kernthemas. Leider konnte ich keine der limitierten Ausgaben mit den Illustrationen ergattern, aber auch so ist die Gestaltung mit den rosa-türkisblauen Wolken, dem Farbverlauf und dem kontrastreichen Titel ein kleines Kunstwerk und passt ganz wundervoll zu den Cover der anderen beiden Bänden.


Erster Satz: "Mein Leben fiel auseinander."


Von der Gestaltung abgesehen, weicht "Someone to Stay" aber ganz schön von den Vorgängern ab. Wo die Handlung in "Someone Else" und "Someone New" noch vor sich hin geplätschert ist, weht in diesem dritten Teil ein anderer Wind. Zwischen Jurastudium, zeitraubenden Instagramaktivitäten, Foodblog und Buchveröffentlichung hat Aliza kaum Zeit, sich mit ihren Freunden zu treffen, geschweige denn zu entspannen, zu schlafen oder gemütlich etwas zu essen. Und diese stressige Stimmung und nervöse Energie, die sich durch das ganze Buch hindurch zieht, hat sich beim Lesen leider sehr auf mich übertragen. Das zeugt natürlich davon, dass die Autorin ihr Handwerk versteht, leider hat es das Buch aber zu keinem besonders angenehmen Leseerlebnis gemacht. Da ich eigentlich vor hatte, mich mit "Someone to Stay" während meiner eigenen Prüfungsphase abzulenken, habe ich sogar an der ein oder anderen Stelle daran gedacht, das Buch abzubrechen und zu einem anderen Zeitpunkt nochmal zur Hand zu nehmen.

Schade ist jedoch nicht nur das etwas ungute Lesegefühl, das sich durch die relativ ausführliche Beschreibungen von Alizas Stress-Hamsterrad ergibt, sondern auch, dass das Arbeitspensum der beiden Workaholics die Liebesgeschichte enorm ausbremst. Denn auch Lucien hat mit Studium, Nebenjob und seiner kleinen Schwester alle Hände voll zu tun und eigentlich keine Zeit für eine Beziehung. Kein Wunder also, dass sich zwischen Todo-Liste, 50-Stunden-Wochen und einer Menge Verantwortung und Druck die Liebesgeschichte im Schneckentempo entwickelt und vergleichsweise wenig Raum einnimmt. Wir lesen hier also keine leidenschaftliche Liebesgeschichte, sondern vielmehr die Selbstfindungsstory von Aliza, die sich zischen all ihren Aktivitäten entscheiden muss, was ihr wirklich wichtig ist, wofür sie kämpfen will und wohin sie ihr Weg führen soll. Das ist auch gar nicht weiter tragisch. Im Gegenteil: Die Darstellung ihres Konflikts zwischen Tradition und Moderne, Studium und Blog, Buchveröffentlichung und Sozialleben, Erfolg und Entspannung, Arbeit und Liebe hat mir grundsätzlich sehr gut gefallen. Ich hätte aber auch sehr gerne mehr von Aliza und Lucien gelesen, da vor allem letzterer durch den starken Fokus auf Aliza weiter im Hintergrund bleibt, als ich mir das für ihn gewünscht hätte.


"Wir lachten viel, bis mir der Bauch wehtat und meine Wangen glühten. Die Stimmung war ausgelassen, und auch wenn es im Club stickig und laut war, fühlte ich mich wohlig und entspannt, da ich für eine Weile die Welt dort draußen, hinter den Bässen, vergessen konnte. Es war als hätte jemand die Pausetaste in meinem Leben gedrückt, und für ein paar wertvolle Stunden existierte nur das Hier und Jetzt."


Durch den starken Fokus auf Alizas stressigen Alltag rücken auch die Nebenfiguren stark in den Hintergrund und kommen bis auf ein, zwei Treffen und eine Menge Chatverläufe nur am Rande vor. Das fand ich echt schade, da mir Micah, Julian, Cassie, Auri, Keith, Adrian und Co innerhalb der letzten beiden Bände sehr ans Herz gewachsen sind. Auf der anderen Seite muss ich aber auch in dieser Rezension nochmal anmerken, dass der hier dargestellte Freundeskreis zwar sehr sympathisch aber doch etwas übertrieben ist. Versteht mich nicht falsch, ich finde es grandios, dass sich immer mehr AutorInnen um Diversität in ihren Romanen bemühen, um eine möglichst große Bandbreite der Gesellschaft abzubilden und vielen Lesern die Möglichkeit geben, sich in den Figuren wiederzufinden. Und ja, das Buch kann als kraftvolles Plädoyer gegen Vorurteile, Sexismus, Rassismus, Engstirnigkeit und Verurteilung gelesen werden, da Aliza, Lucien und ihr Freundeskreis uns Offenherzigkeit und Toleranz vorleben. Aber eine Teenie-Mutter, zwei homosexuelle Pärchen, ein Transsexueller, eine muslimische Food-Bloggerin, Introvertierte Hellhäutige und ein extrovertierter Dunkelhäutiger und ein alleinerziehender, männlicher Make-Up-Artist...? Das war mir in einer Freundesclique ein bisschen zu viel des Guten und erscheint eher unrealistisch und gezwungen, statt als natürliche Einbindung von Diversität. Aber egal - die Message ist auf jeden Fall bei mir angekommen: Diversität ist toll und Liebe ist Liebe! Da ich das genauso unterschreiben würde, will ich hier mal nicht kleinlich sein.


"Heute war ich nicht Aliza, die Jurastudentin, die Food-Bloggerin und Kochbuch-Autorin, die versuchte, alles unter einen Hut zu bekommen. Heute war ich einfach nur Aliza. Eine junge Frau, die ihr Herz über ihren Verstand stellte und sich erlaubte, mit dem Typen zu tanzen, den sie wirklich gerne mochte. Ich schloss die Augen, um mich vollkommen in Lucien und der Musik zu verlieren. Ich fühlte in diesem Moment nichts. Und gleichzeitig alles."


Was man der Autorin wieder hochanrechnen muss, ist der unglaublich detaillierte und emotionslastige Schreibstil, der mir schon bei ihren Vorgängerbüchern gut gefallen hat. Dadurch schafft Laura Kneidl es, den Roman gleichzeitig spannend, ruhig, aufwühlend, beruhigend, berührend und aufklärend zu erzählen, sodass wir komplett von der Story gefangen genommen werden, auch wenn eigentlich nicht viel passiert, außer knallharter Realität. Laura Kneidl erzählt auch "Someone to Stay" wieder sehr geradlinig und wartet im Handlungsverlauf nicht gerade mit spannenden Wendungen auf, dennoch sind ihre Geschichten immer gerade durch ihre Authentizität mitreißend. Denn egal, was ihre Figuren gerade so treiben, man hat immer das Gefühl, dass man gerade am Leben einer echten Person teilnimmt. So werden selbst Lerndates, Möbelaufbauaktionen und Filmabende spannend zu lesen und man verzeiht dem Roman auch, wenn die Charaktere zum gefühlt hundertsten Mal zusammen ein Café besuchen und sich über belanglose Dinge unterhalten.


"Wir waren nicht hier, um einander zu verurteilen und kleinzuhalten - das tat die Gesellschaft schon viel zu oft. Wir waren hier, um uns gegenseitig den Rücken zu stärken. Niemand würde mich auslachen, weil ich mich verhaspelte, oder lästern, weil ich auf eine Instagram-Nachricht nicht geantwortet hatte. Das hier war echt. Das hier war unser Leben, und es war viel zu kostbar, um es von Sorgen bestimmen zu lassen."


Nachdem die Geschichte endlich ein bisschen Fahrt aufgenommen hat, Aliza und Lucien einige echt süße Momente geteilt haben und sich langsam näherkommen, ist die Geschichte leider auch schon fast wieder vorbei. Die Autorin entlässt uns jedoch nicht ins Happy End mit gleich zwei Epilogen, ohne uns vorher noch einen großen Prä-Happy-End-Streit vorzusetzen. Davon bin ich ja grundsätzlich kein großer Fan, da diese in den allermeisten Fällen keine logische Konsequenz aus einem schon die ganze Zeit vorhandenen Konflikt sind, sondern häufig übertrieben und konstruiert wirken. Auch hier musste ich angesichts des Grunds für das kurzzeitige Beziehungsaus erstmal die Augen verdrehen, fand das Problem jedoch besser in die Handlung eingebettet als der Prä-Happy-Endbreakdown des Vorgängerbands. Dennoch: "Someone Else" bleibt trotz Schwächen mein bislang liebster Teil der Reihe, da ich mit Micah im ersten Teil einfach nicht warmgeworden bin und Alizas stressiges Alltagsleben in "Someone to Stay" für meinen Geschmack zu viel Raum eingenommen hat.



Fazit:


Die Geschichte ist ein zweischneidiges Schwert. Manche mögen die realistische Darstellung von Alizas stressigem Alltag loben, für mich hat das aber in einer eher unguten Atmosphäre und dem Kürzertreten der Liebesgeschichte resultiert. Auch den starken Fokus auf die Entwicklung der Protagonistin kann man gut finden, leider treten dadurch aber Lucien und die sympathischen Nebenfiguren stark in den Hintergrund. Verrechnet man nun noch den tollen Schreibstil mit dem etwas übertriebenen Ende, landet man bei neutralen 2,5 Sternen.

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