Nimmt hoffnungslos gefangen irgendwo zwischen "Wow" und "Igitt"...
All Saints High - Der Verlorene"All Saints High - Der Verlorene" ist meine erste Begegnung mit Romance-Bestseller-Autorin L. J. Shen und wir definitiv nicht die letzte sein. Denn auch wenn mich diese Geschichte in verstörende Situationen ...
"All Saints High - Der Verlorene" ist meine erste Begegnung mit Romance-Bestseller-Autorin L. J. Shen und wir definitiv nicht die letzte sein. Denn auch wenn mich diese Geschichte in verstörende Situationen gebracht, mir Unwohlsein verpasst und mir das Herz gebrochen hat, entwickelte sie einen atemberaubenden Sog, dem ich nicht mehr entkommen bin. Diese Geschichte geht an die Grenze der Menschlichkeit ihrer gebrochenen Protagonisten, ... und darüber hinaus. Sie tanzt auf der schmalen Linie zwischen Liebe und Hass und zeigt, was sich zwei Menschen gegenseitig aus Liebe antun können. Und ich - ich war hoffnungslos gefangen irgendwo zwischen "Wow" und "Igitt".
Lenora: "Mein Dad sagt, dass brave Mädchen böse Jungs mögen. Und ich bin böse. Richtig böse."
Das Cover könnte meiner Meinung nach nicht schlechter passen (außer vielleicht es wären noch Blumen, Herzchen und Einhörner zu sehen). Denn "All Saints High" ist meilenweit entfernt von einer stimmungsvollen High-School-Romanze, welche durch die lila-rosa-blaue Farbwolke, den großen Titel und die Glitzersteine impliziert wird. Hier geht es nicht süß, unschuldig oder gar romantisch zu - diese Geschichte ist böse, grausam und hart und hätte daher in meinen Augen eher einen schwarz-roten Vamp-Look verdient gehabt. Dies war also einer der Momente, in denen ich die wunderschönen aber nichtssagenden LYX-Cover verflucht habe. Denn so (und ohne zuvor etwas von L. J. Shen gelesen zu haben) war ich komplett unvorbereitet auf die von negativen Gefühlen durchtränkte Atmosphäre, die hier auf den Leser zukommt.
Lenora: "Ars longa, vita brevis. Die Kunst währt lange, das Leben nur kurz. Die Botschaft war klar: Der einzige Weg zur Unsterblichkeit führte über die Kunst. Mittelmäßigkeit galt geradezu als vulgär. Wir lebten in einer Ellenbogengesellschaft und waren durch unsere Gier, durch Verzweiflung und blinden Idealismus aneinandergekettet."
Vielleicht sollte ich als Erklärung noch voranstellen, dass ich eigentlich nicht der Typ für Dark Romance mit toxischen Beziehungen, intriganten Manipulationen, hartem Mobbing und romantisierter Gewalt bin und eher harmlose Liebesgeschichten bevorzuge. Und das hier? Das hatte wirklich Anklänge von Dark Romance. "All Saints High - Der Verlorene" ist weit davon entfernt, eine typische Haters-to-Lovers-Geschichte mit Highschool-Kontext zu sein, mit welcher ich eigentlich gerechnet hatte. Ja, die Geschichte war intensiv und leidenschaftlich wie im New Adult Genre erwünscht, aber sie enthielt eben auch viele verstörende Szenen, die erst im Nachhinein mit viel Abstand Sinn ergaben und sich während des Lesens einfach falsch und abstoßend anfühlten. On top gab es dazu passende Anklänge von düsteren Fantasymotiven. Egal ob Spukschlösser mit dunkler Geschichte, bluthungrige Vampire oder wütende, gefühlskalte Gottheiten - L. K. Shen benutzt sie alle, um ihre Atmosphäre mit noch mehr Düsternis anzureichern. Neben diesen Kunstmotiven verdunkeln vor allem Gefühle wie Begehren, Rache, Hass und Verachtung die Atmosphäre, die nur ab und zu von positiveren Anklängen abgelöst werden. Die Autorin bedient sich der ganzen Gefühlspalette, um ihre Figuren leiden, taumeln und fallen zu lassen, nur um sie danach liebevoll wieder aufzurichten.
Vaughn: "Diese Sache könnte richtig hässlich werden, Astalis."
"Ist sie schon." Sie presste die Lippen zusammen und wirkte genervt. "Aber wenn du genauer hinsiehst, wirst auch du die Schönheit im Hässlichen finden."
Ich ging ohne ein weiteres Wort. Lenora war jetzt offieziell meine Angelegenheit, und obwohl ich kein Freund von Komplikationen war, erfüllte mich der Gedanke, sie zu vernichten, mit euphorischem Verlangen.
Sie machte hässliche Dinge schön.
Ich würde ihr zeigen, dass meine Seele irreparabel beschädigt war."
Von diesem gefühlstechnischem Hin und Her sowie den vielen widersprüchlichen Szenen, bei denen man oftmals nicht emotional mitgehen konnte einmal abgesehen, macht auch vor allem die zerstörerische Dynamik der toxischen Beziehung von Vaughn und Lenora die Geschichte in der ersten Hälfte schwer ertragbar. Als sich dann zartere Gefühle hinter den Masken aus Hass offenbaren, kommen dafür deutlich handfestere Probleme auf den Tisch, die das Weiterlesen ihrerseits wiederum schwer machen. Man sollte die vorangestellte Triggerwarnung also unbedingt beachten: Diese Geschichte bietet nämlich auch ernsten Stoff zum Nachdenken und befasst sich mit einem sensiblen Thema. Doch dann, nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte, dann drehte sich mein Verhältnis zur Geschichte plötzlich komplett. Denn mit der ganzen Düsternis kommt auch eine krankhafte Faszination, die ich gar nicht leugnen will. Diese drückt sich nicht nur durch die zwiespältigen Handlungen der Protagonisten im Buch aus, sondern überträgt sich auch auf den Leser. Die Autorin offenbart menschliche Abgründe und man selbst ist zu mitgerissen, um wegsehen zu können.
Warum also hat mich diese Geschichte trotz all der abstoßenden Brutalität verzaubert und begeistert? Vielleicht lag es an L. J. Shens Schreibstil. Denn wenn man an der derben Sprache ihrer Figuren und ihrer Grausamkeit, was sie miteinander anstellen, vorbeisieht, ist die Geschichte einfach herzzerreißend schön und kunstvoll gemacht. Auch seltsam unregelmäßige Zeitsprünge und unbarmherzige Anspielungen, mit denen man über lange Zeit nichts anzufangen weiß, tun der Sogwirkung keinen Abbruch, den die Autorin hier erschafft. Im Gegenteil: Mit jedem kleinen Hinweis, mit jedem Informationsschnipsel kommt man der Wahrheit ein kleines Stückchen näher und man will endlich wissen, was mit Vaughn passiert ist, was ihn zu einem zornigen Gott gemacht hat und was zum Teufel er mit seinem diabolischen Plan bezweckt. Auch Lenoras seelische Wunden sind bald schon nicht mehr zu übersehen und auch sie verbirgt einige Geheimnisse...
Vaughn: "Du bist echt. Vielleicht habe ich deshalb manchmal das Gefühl, dass du da bist, obwohl du dich woanders aufhältst."
So empfinde ich es auch. Vaughn war immer präsent, selbst wenn er nicht in der Nähe war. Ich konnte ihn spüren, über Kilometer hinweg. Ich erkannte seinen Geruch, seine Berührung, die Aura, die ihn Umgang, wenn er einen Raum betrat. Inmitten eines Kirmes voller Farben und Gerüche, erkannte ich seine düstere Seele."
Und hier wären wir bei Hypothese Nummer 2: Vielleicht lag es auch an den schlimmschön zerbrochenen Figuren, denn wer verliebt sich nicht auch immer hoffnungslos in die hoffnungslosesten Fälle (seufz)...? Die Autorin hat hier nämlich zwei facettenreiche, tiefgründige Charakter-Kunstwerke geschaffen, die man zwar nicht unbedingt immer mag, schon gar nicht immer verstehen kann, die dafür jedoch das neugierige Bedürfnis auslösen, sie wie ein morbides Kunstwerk immer weiter zu betrachten und zu analysieren. Diese Geschichte geht an die Grenze der Menschlichkeit ihrer gebrochenen Protagonisten, ... und darüber hinaus. Sie tanzt auf der schmalen Linie zwischen Liebe und Hass und zeigt, was sich zwei Menschen gegenseitig aus Liebe antun können.
Vaughn: "Ich fühlte mich eingesperrt. Selbst in der freien Natur. Ich war um den Globus gereist, hatte ganze Sommer in Frankreich, Italien, Australien, Großbritannien und Spanien verbracht. Und meine verdammten Dämonen kamen immer mit, als wären sie an meine Knöchel gekettet. Der Lärm ihrer Ketten war laut. Aber in diesem Sommer würde ich sie erschlagen. Ich wusste sogar schon, mit welcher Waffe ich die Verbindung zwischen ihnen und mir trennen würde. Mit einem Schwert, das ich ganz allein schmieden würde."
Dummerweise habe ich mit dem dritten Teil der "All Saints High"- Reihe angefangen und auch wenn die drei bisher erschienenen Bände nicht unbedingt aufeinander aufbauen, war ich von der Flut an Nebenfiguren ein bisschen überfordert. Neben den typischen High-School-Cliquen der All Saints High und den Protagonisten der ersten zwei Bände kommen auch noch Figuren der Kunstakademie Carlisle Prep vor, an der die ersten Kapitel und die letzten zwei Drittel der Geschichte spielen. Auch die Elterngeneration der hier vorgestellten Protagonisten, die jeweils ein eigenes Kapitel aus ihrer Sicht bekommen, wird eigentlich in einer anderen Reihe der Autorin, nämlich ihrer "Sinners of Saint"-Reihe, beleuchtet. Diese habe ich wie schon gesagt auch nicht gelesen, sodass ich kurz über die zwei Kapitel gestolpert bin, in dem Emilia und Vicious, also Vaughns Eltern aus ihrer Sicht erzählen. Ohne diesen Input kann man die Geschichte zwar nachvollziehen, man kann beim Lesen jedoch deutlich die Leerstellen fühlen, die man mit dem Wissen aus den vorhergegangenen Bänden füllen könnte. Ob ich diese noch lesen werde, oder ob ich mich lieber wieder "harmloseren Liebesgeschichten" widmen werde, habe ich noch nicht entschieden.
Vaughn: "Du kannst jederzeit gehen", forderte ich sie heraus, denn ich wusste, dass sie das nicht tun würde. Sie konnte nicht. Jede Begegnung seit unserer Kindheit hatte uns an diesen Punkt gebracht: Endlich zeigten wir einender unsere dunklen Seiten - den geheimnisvollen, bizarren Karneval unserer Seelen, zu dem noch nie jemand eingeladen worden war. Das hier war die goldene Eintrittskarte, persönlich überbracht von unserem eigenen Willy Wonka. Wir. Allein. Wo niemand uns finden konnte."
Das Ende war überraschend süß - so süß, dass es fast schon ein bisschen over the top war. Warum man High-School Liebesgeschichten auch immer mit Hochzeit-Kinder-Happily-Ever-After-Epilogen abschließen muss, erschließt sich mir einfach nicht. Da das schöne Ende aber eine angenehme Abwechslung zur Düsternis des Rests war, will ich mich hier nicht lange beschweren.
Lenora: "Er war lebendig, tödlich und göttlich.
Mein zorniger Gott."
Fazit:
In "All Saints High - Der Verlorene" stehen zwei facettenreiche, tiefgründige Charakter-Kunstwerke, ein intensiver Schreibstil und ein meisterhafter Aufbau des Plots heftigen Dark Romance Anklängen und einer sehr düsteren Atmosphäre gegenüber. Doch gerade im Zwiespalt zwischen Abscheu und Faszination offenbart sich die Sogwirkung der Geschichte