Ein vielversprechender Reihenauftakt!
Kaleidra - Wer das Dunkel ruftIch habe von Kira Licht jetzt schon drei Bücher gelesen: ihren YA-Erstling "Sunset Beach" und ihre Götter-Dilogie. Von allen drei Werken war ich total begeistert - hatte aber auch einiges zu kritisieren. ...
Ich habe von Kira Licht jetzt schon drei Bücher gelesen: ihren YA-Erstling "Sunset Beach" und ihre Götter-Dilogie. Von allen drei Werken war ich total begeistert - hatte aber auch einiges zu kritisieren. Und genauso stehe ich auch zu ihrem neuen Urban Fantasy-Auftakt. "Kaleidra - Wer das Dunkel ruft" ein eher ungewöhnliches Thema wundervoll in einer schillernden, witzigen und geheimnisvollen Geschichte um.
"Wir sind Alchemisten". Er sah mich eindringlich an. "Und du bist eine von uns. Eine Loge ist eine Arbeitsgemeinschaft, ein Orden so was wie deine Nationalität. Man ist entweder Silber, Gold oder Quecksilber. Wir sind Gold und mit Silber ist alles kuschlig, mit Quecksilber bekriegen wir uns, weil sie die Weltherrschaft wollen. Klingt wie ein billiger Actionfilm, heißt bei uns aber Realität. Willkommen in der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich hoffe, du bist gut in Chemie."
Schon die Gestaltung ist einfach traumhaft und bringt mich als absoluten Cover-Kritiker immer wieder zum Schwärmen. Düster, geheimnisvoll und wunderschön - die Gestaltung bringt die Atmosphäre der Geschichte auf den Punkt. Nicht nur dass die Lichtpunkte und die geometrischen Formen die naturwissenschaftlichen aber auch fantastischen Anklänge des Romans auffangen, die starken Kontraste zwischen hellem, weichen Gold und dunklen, schwarzen Schatten passen auch wunderbar zum Thema. Zusammen mit dem goldenen Titel und dem dunklen Lesebändchen wird das Buch zu einem Gesamtkunstwerk. Auffällig am Innenleben dieser Schönheit ist, dass die Seiten sehr dünn sind und die 560 Seiten deshalb optisch eher wie höchstens 350 erscheinen. Eine kleine positive Überraschung hat das Buch noch auf den letzten Seiten parat. Hier wartet nämlich ein hilfreiches Glossar auf den verwirrten Leser.
"Er neigte den Kopf zu mir, und für den Bruchteil einer Sekunde strich sein warmer Atem über mein Ohr, als er dieses eine Wort flüsterte. "Kaleidra."
Es klang, als würde ein sanfter Hauch durch ein Windspiel streichen. Sphärisch, schillernd und glockenhell. Es berührte einen unbekannten Teil von mir. Ich schmeckte Farben auf meiner Zunge, ich hörte die raue Schönheit, die es verhieß, ich fühlte die Kraft in mir leise lachen. "Kaleidra"
Verwirrt deshalb, da Kira Licht hier ein eher ungewöhnliches Thema zum Mittelpunkt ihrer neuen Reihe auserwählt hat: die Alchemie. Dass Bücher über verborgene Geheimlogen, Reisen durch magische Artefakte und Konkurrenzkämpfe zwischen den Gruppierungen gut als Jugendfantasy funktionieren, weiß man spätestens seit "Rubinrot" und so löste sich meine anfängliche Skepsis bald in Begeisterung auf. Denn wer hätte gedacht, dass chemische Reaktionen, verstaubte Manuskripte und komplizierte Rätsel so spannend sein können? Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Emilia ahnt auf jeden Fall nicht, welch turbulentes Abenteuer auf sie zu kommt, als sie wenige Tage nach ihrer letzten Prüfung die Wanderausstellung zum sagenumwobenen Voynich-Manuskript besucht. Als sie irgendwas von Planeten, blutenden Pelikanen und Drachen vorliest, staunen nicht nur ihre Freunde nicht schlecht, es werden auch verborgene Mächte auf sie aufmerksam. Denn das Manuskript kann von keinem Menschen oder Computer der Welt entschlüsselt werden - nur von einer Nachfahrin der berühmten Silberalchimistin Maria di Luca...
"Für sie ist das gesamte Voynich-Manuskript eine Anleitung zu einem großen Spiel." Er hielt in seiner Bewegung inne, ließ das Handy sinken, und dann sah er mich schließlich wieder direkt an. "Und du bist vermutlich die Einzige, die die Regeln durchschauen kann."
So geraten wir zusammen mit Emilia in eine geheime Welt voller Geheimlogen, verschlüsselten Dokumente, gefährlichen Missionen, uralte Feindschaften und Allianzen und müssen uns erst mit den neuen Gegebenheiten zurechtfinden, wo Schlangenamulette durch die Luft fliegen, man mit dem Stein der Weisen durch die Welt reisen kann und Augen silbern oder golden leuchten. Das klingt jetzt erstmal sehr magisch und auch die Genrebezeichnung "Urban Fantasy" weist auf einen hohen Fantastikgehalt hin, in "Kaleidra" zieht die Autorin das Thema "Alchemie" jedoch eher wissenschaftlich auf und erklärt viele Vorgänge durch chemische Reaktionen statt durch Magie. Wer jetzt denkt, "Chemie, igitt", dem sei versichert, dass man die Geschichte auch ohne jegliches chemische Vorwissen gut verfolgen kann, es aber dennoch besser wäre, wenn man zumindest das nötige Vorstellungsvermögen mitbringt. Wer nicht weiß, dass Natrium zusammen mit Chlor zu Salz reagiert, oder Quecksilber einen niedrigeren Siedepunkt hat als Silber und Gold, wird die Handlung dank Kiras leicht verständlichen Schilderungen trotzdem nachvollziehen können. Richtig Spaß macht die Geschichte aber erst, wenn man die innere Logik der Actionszenen versteht und auch mit Kiras Beschreibungen von Laboren, fliegenden Riesenschlangen und Parallelwelten etwas anfangen kann - nur dann entfaltet sie ihr volles Potential. Wenn Chemie also euer wunder Punkt ist (bei mir zum Glück nicht - Chemie Leistungskurs in der Schule haha), kann ich es euch nicht verübeln, wenn ihr auf Grund der Thematik abspringt.
"Der Tod ist unser täglicher Begleiter." Er hob ganz leicht das Kinn. "Aber ich bin sehr gut darin, ihm die Stirn zu bieten. Und ich bin sehr gut darin, ihn von anderen fernzuhalten." Er sah kurz zur Seite, doch dann glitt sein Blick zurück zu mir. "Ihn von dir fernzuhalten."
Neben dem prominenten Mystery/Chemie Aspekt, aus dem die Alchemie-Thematik besteht, ist auch eine starke Abenteuerkomponente vertreten. Emilia muss nämlich nicht nur damit zurechtkommen, dass sie von einer uralten Linie von Alchemisten abstammt, sondern wird auch dringend in der Goldloge gebraucht, um ein zerfallendes Dokument zu entschlüsseln und die Anweisungen darauf zu befolgen, bevor sie für immer verloren sind. Das Voynich-Manuskript (das es übrigens tatsächlich gibt), führt Emilia und ihren Mitstreiter aus der Goldloge, Ben, an verschiedene historische Orte auf der ganzen Welt, an denen Rätsel zu lösen und Bausteine zu bergen sind. Egal ob nach Palermo, Syrien oder Frankreich - es gibt immer etwas zu entdecken und allerlei gefährliche Hindernisse, die Ben und Emilia im Weg stehen. Diese immer mal wieder eingestreuten Indiana-Jones-Abenteuer, die sich mit gelegentlichen Aufeinandertreffen mit der rivalisierenden Quecksilberloge abwechseln, boosten die Spannung natürlich enorm, bleiben aber insgesamt recht knapp erzählt und lassen genügend Platz für Gespräche, Fragen, Kennenlernen und Emilias Ankommen in ihrer neuen Welt.
"Du bist mein, ich bin dein.
Wir sind alles, wir sind nichts.
Wir sind Diener, wir sind Herrschende.
Wir waren, wir sind, wir werden sein."
Auch eine Liebesgeschichte darf in einem Jugendbuch nicht fehlen. Die sich anbahnende Romanze zwischen Emilia und Ben bleibt hier jedoch sehr lange im Hintergrund und entwickelt sich eher subtil, statt übergangslos von sexueller Anziehungskraft zur großen Liebe zu springen. Das passt aus vielen verschiedenen Gründen sehr gut und konnte mich sowohl emotional abholen als auch inhaltlich überzeugen. Zum einen haben wir durch die langsame Entwicklung genügend Zeit, die Protagonisten kennenzulernen und zu verstehen, in welche Strukturen wir hineingeraten sind. Zum anderen sind Berührungen und sonstige Annäherungen zwischen Mitglieder verschiedener Logen verboten und die beiden können sich zu Beginn nicht sehr leiden, was beides nicht unbedingt begünstigende Faktoren für eine Liebesbeziehung sind. So lernen sich "Lord Hastings und die Silberfee" (wäre auch ein witziger Buchtitel by the way) aka Emilia und Ben erst nach und nach besser kennen, wodurch auch die Chemie zwischen den beiden erst schleichend auftritt. Im letzten Drittel sprühen dann aber doch die Funken zwischen den beiden - im wahrsten Sinne des Wortes ...
"Keine Gegenargumente? Keine flammende Rede zugunsten der großen Macht der Liebe?" Ich erwiderte sein Lächeln. "Die Liebe ist so groß, dass sie Platz für jede Art von Theorie hat. Wenn Liebe für dich Egoismus ist, dann ist es eben so."
"Was ist sie für dich?"
Für einen kurzen Moment glitt mein Blick zur Seite, bevor ich wieder hoch in sein Gesicht sah. "Hingabe."
Mystery, Action-Abenteuer und eine zarte Liebesgeschichte - was will man noch mehr? Ja genau, ein tolles Setting! Ich weiß auch nicht, wie die Autorin es immer schafft, einen möglichst atmosphärischen Schauplatz für ihre Geschichte auszuwählen. Nach den Göttern in Paris folgen nun die Alchemisten in Rom und wie schon in der Götter-Dilogie hat Kira Licht das Potential ihres Settings wunderbar genutzt. Denn Rom bietet sich als geschichtsträchtige Stadt und Ursprung des Konflikts zwischen Übernatürlichem und Wissenschaft natürlich super für eine Alchemisten-Geschichte samt Rätsel-Schnitzeljagd und Anspielungen an viele historischen Orte, Persönlichkeiten, Fakten und Theorien an.
"Du bist wie Richard Löwenherz. Ich kenne niemanden, der mutiger ist als du. Du kannst knallhart sein, aber auch unglaublich sensibel." Ich sah ihn an. "Verletzlich. Du versteckst so viel hinter deiner Maske aus Geschäftsmäßigkeit. Aber ich sehe es. Ich sehe dich." Er wandte sich mir jetzt komplett zu, sein Blick offen, völlig ehrlich. "Willst du wissen, was du für mich bist?" Ich nickte. "Kennst du dieses Spiel, in dem man aus Holzsteinen einen hohen Turm baut? Und dann zieht man immer mehr Bausteine aus dem Turm, bis..." Er brach ab. Doch ich wusste, wovon er sprach, ahnte, was er damit meinte. Und es berührte mich zutiefst.
"Es ist bloß dieser eine Stein", sagte er leise, "der dafür sorgt, dass etwas, das so sicher stand, komplett in sich zusammenbricht."
Zum Leben erweckt wird diese wundersame Mischung aber erst durch Kira Lichts spritzigen, erfrischend humorvollen und lockeren Schreibstil. Sie zieht ihre Geschichte rasant auf und sorgt durch schlagfertige Dialoge, kreative Ideen, skurrile Begegnungen und leise Romantik dafür, dass es während der 560 Seiten niemals langweilig wird. Auch der Realitätsbezug geht hier nie verloren. Mit viel Schwung und Enthusiasmus proträtiert sie das offene, erwartungsvolle Gefühl der Jugendlichen in ihrem Abschlussjahr, das von Aufbruch, Träumen, Lebensplanung und Konflikten geprägt ist und lässt diese Stimmung in die Geschichte miteinfließen. Durch ihren einmaligen Humor, der mich ein wenig an Jennifer L. Armentrout in ihren besten Jahren erinnert hat, bringt sie immer wieder Schwung in die Geschichte und hat mich ein ums andere Mal zum Lachen gebracht.
"Man kann sein Herz nur einmal verschenken." Er sah mich nicht an, als er an mir vorbei ging. "Und genau deshalb sollte man umso weiser wählen."
Klar, die Autorin erfindet das Genre nicht gerade neu und greift auch auf altbewährte Strategien und Abläufe zurück, aber ihr gelingt es mit viel Einfallsreichtum und Kreativität, einen individuellen Wiedererkennungswert zu hinterlassen und ein ganz besonderes Lesegefühl hervorzurufen. Vor allem bei der Gestaltung ihrer beiden Hauptcharaktere hat Kira Licht meines Erachtens aber ein bisschen zu sehr auf typische Jugendbuch-Klischees zurückgegriffen. Emilia ist als magische Überfliegerin und wichtige Schlüsselfigur für eine große Mission natürlich die "Special Snowflake" und Ben der dazu passende arrogante Love Interest mit vielen Geheimnissen. Naiv und unwissend trifft auf gutaussehend, rätselhaft und Teil einer verborgenen, magischen Welt - das ist definitiv kein neues Konzept, dennoch hat mir vor allem die Darstellung von Emilia gut gefallen. Sie ist zwar neu in der Materie (noch ein Chemie, Wortwitz haha), lässt sich aber nicht unterbuttern, macht emanzipiert das Beste aus ihrer Situation, hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen und glaubt und tut vor allem nicht dümmlich lächelnd alles, was Ben ihr sagt. Dadurch wirkt sie manchmal vielleicht etwas trotzig und leichtsinnig, für mich war das aber eine tolle Abwechslung zu den ewigen lahmarschigen "Damsel in Distress"- Protagonistinnen in der YA-Fantasy.
"Ich atmete aus, und Silberpartikel flirrten in der Wolke meines Atems. Kommt, tanzt für mich. Ich drehte mich zu Ben. Sein tiefgoldener Blick schien mich zu verbrennen. ich wusste, dass er das Silber in meinen Augen sah. Wir waren zwei Naturgewalten, die aufeinander zurasten. Wir waren zu groß für diesen Raum. Wir waren zu mächtig, um Feinde zu sein. Wir waren dafür gemacht, Seite an Seite die Welt aus ihren Angeln zu reißen."
Durch die vielen Details über die Missionen, die Logen und den großen Rahmen der Geschichte, den wir hier präsentiert bekommen, gehen die Nebencharaktere wie zum Beispiel Emilias Freunde Tizi und Matti oder die weiteren Mitglieder der Goldloge wie Annmary, Oliver, Larkin oder Murphy etwas unter. Das ist jedoch erstmal nicht dramatisch, denn deshalb ist "Kaleidra - Wer das Dunkel ruft" auch ein Reihenauftakt und kein Einzelband. Hier ist also noch alles drin! Auch das Ende folgt genau diesem Motto. Nach 560 Seiten Abenteuer, Rätsel und Geheimnisse folgt ein spannender Showdown, der einige Überraschungen und Wendungen bereithält und in einem miesen Cliffhanger gipfelt. Damit ist natürlich klar, dass diese Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt wurde und noch viele spannende Leseabenteuer auf uns warten. Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf den nächsten Teil!
Fazit:
In "Kaleidra - Wer das Dunkel ruft" entführt Kira Licht in eine spannende Welt voller Geheimlogen, verschlüsselten Dokumente, gefährlichen Missionen, uralte Feindschaften und Allianzen und verbindet Mystery, Abenteuer, ein atmosphärisches Setting und eine zarte Liebesgeschichte. Ein vielversprechender Reihenauftakt, der jedoch noch ein bisschen zu nah an YA-Klischees blieb...