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Veröffentlicht am 15.03.2018

Spannend, schonungslos und sadistisch!

Fanatisch
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Allgemeines:

Titel: Fanatisch
Autor: Patricia Schröder
Verlag: Coppenrath (5. Februar 2018)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3649624540
ISBN-13: 978-3649624547
ASIN: B079C1LNXZ
Seitenzahl: 368 Seiten
Preis: ...

Allgemeines:

Titel: Fanatisch
Autor: Patricia Schröder
Verlag: Coppenrath (5. Februar 2018)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3649624540
ISBN-13: 978-3649624547
ASIN: B079C1LNXZ
Seitenzahl: 368 Seiten
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
17,95€ (Gebundene Ausgabe)



Inhalt:

„Stelle dich niemals gegen den göttlichen Willen! Es könnten furchtbare Dinge geschehen.“

Sechs Mädchen verschwinden spurlos und kehren nach sechs Tagen völlig unvermittelt nach Hause zurück – in einheitlicher Kleidung, mit einer genähten Wunde an der Hand und alle sechs schweigen beharrlich. Religiöse Fanatiker haben sie auf grausame Weise biblischen Ritualen unterzogen. Nara ist eine der Geiseln gewesen und auch sie darf kein Wort sprechen. Denn der Entführer hat gedroht, ihrem Bruder etwas anzutun. Doch warum wurde gerade sie auserwählt? Langsam erkennt Nara, dass ihr Martyrium Teil eines größeren Plans ist, in dem sie eine besondere Rolle spielt. Und nur wenn sie es rechtzeitig schafft, sich in die fanatische Gedankenwelt des Täters zu vertiefen, kann sie das große angekündigte Unheil verhindern.


Bewertung:


Nachdem ich mit Begeisterung den Jugendbuchbestseller "Blind Walk" und die "Meeresflüstern"-Trilogie von Patrica Schröder geschrieben hat, womit sie nach zahlreichen Kinderbüchern auch im Jugendbuch Genre Erfahrungen sammelte, musste ich den neuen Thriller von ihr natürlich auch lesen. Der Klapptext wies auf eine spannende, beklemmende Sekten-Geschichte hin, was die Story dann auch gehalten hat.


„Du bist schuldig. Du musst büßen.“



Das Cover ist mit dem dunkel-violetten Hintergrund und den hellen Lichteffekten zwar nicht besonders reich an verschiedenen Motiven, hat jedoch durchaus Atmosphäre. Gerade in Verbindung mit dem dunklen, großen Titel und dem weißen Kreuz, dass als "T" des Schriftzuges fungiert, entsteht schon gleich eine dynamische, bedrohliche Stimmung. Der Titel passt auch ganz wunderbar. Unter dem Einband ist die gebundene Ausgabe in einem einfachen lila-grau-Ton gehalten. Große Überschriften, die entweder die Zeit oder die gerade anstehende Gabe ankündigen, unterteilen die Geschichte in mittellange Abschnitte. Kapitel im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Durch gelegentliche Mails, Textnachrichten oder Zeitungsartikel wird der Erzählstil etwas aufgelockert.

Erster Satz: "Es gibt Dinge, die darf man nicht den falschen Leuten überlassen."

Mit einem kurzen Prolog aus der erfrischenden Du-Perspektive erfahren wir von dem Plan eines religiösen Fanatikers, die Ketzer zu strafen und ein Zeichen der Herrlichkeit Gottes in die Welt zu tragen. Was diese pathetischen Worte mit der jungen Protagonistin Nara zu tun haben, wird zuerst nicht klar. Die iranisch stämmige Deutsche lebt den ganz normaler Alltag eines Teenagers: Schule, erste Liebe, Freundschaften, Familie - alles scheint einen gewohnten und harmlosen Gang zu nehmen. Als eines Tages ein Zettel droht, dass schlimme Dinge geschehen werden, wenn sie sich gegen den göttlichen Willen stellt, ist sie erst versucht, das als harmlosen Streich abzutun. Das Verschwinden ihres Hundes Mister Ibrahim, weitere Drohungen und Textnachrichten mit Andeutungen über den kommenden Tod ihres kleinen Bruders Sinan sprechen aber eine ganz andere Sprache. Um dem ganze ein Ende zu setzen und die Gefahr von Sinan abzuwenden, folgt sie schließlich der Anweisung, sich um 1 Uhr am 19. Juli in einem verlassenen Stadtgebiet auf ein Treffen einzulassen und kreuzt dort mit ihrem Sandkastenfreund Jamie auf. Bevor sie jedoch irgendetwas herausfinden kann, bekommt sie eins übergebraten und wacht erst wieder in einem dunkeln Verlies auf, wo außer der Dunkelheit, der klaustrophobische Enge und körperlichen Bedürfnissen wie Hunger und Durst vor allem eines quält: die Ungewissheit und die Angst, einer verrückten Gruppe hilflos ausgeliefert zu sein...


"Ja, ich bin sentimental. Vor allem aber bin ich innerlich wund. Niemals hätte ich gedacht, dass die Seele so sehr schmerzen kann. Es ist kein Herzensleid, sondern geht viel tiefer. So tief, dass ich nicht bis auf den Grund zu sehen vermag."


Bevor man es überhaupt richtig wahrnehmen konnte, wurde aus dem harmlosen, ruhigen Teenageralltag, mit dem wir in die Geschichte starteten, ein immer bedrohlicher und beklemmender erscheinendes Szenario. Schließlich landen wir als Leser in einem dunklen, quadratischen Raum und müssen uns mit Nara der Willkür der Entführer stellen und darum kämpfen, nicht an der Stille und dem Alleinsein in dem Gefängnis zu zerbrechen. Was nach wenigen Tagen noch als pure Grausamkeit aussieht, nimmt bald ein genaueres Muster an und Nara beginnt einen Plan zu erahnen, den die Entführer mit ihnen durchführen wollen. Einen Plan, der es vorsieht, sie von ihrer Schuld reinzuwaschen, in dem sie die 6 entführten Mädchen den Werken der Barmherzigkeit unterziehen...

Szenarien, in denen Religionen von Manischen als Vorschub benutzt werden und hingebungsvoller Glaube zum Fanatismus wird, haben immer eine ganz eindringliche Tragik an sich. Auch wenn die Idee nicht vollständig neu ist, wird hier mit den Werken der Barmherzigkeit eine neue Dimension aufgerollt. Mit den sechs Gaben, an denen man als Mensch laut der christlichen Lehre vor dem Weltenrichter am jüngsten Tag gemessen wird, rollt die Autorin einen wichtigen Grundsatz des christlichen Glaubens aus. Was aber ursprünglich als barmherzige Akte der Nächstenliebe gedacht war, wird hier auf ekelhafte Weise pervertiert. Für jede der sechs Gaben haben die Entführer eine kleine feine Überraschung für die sechs Mädchen parat: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde aufnehmen, Nackte Kleiden, Gefangene besuchen, klingt ja im Grunde alles ganz nett, doch was wird geschehen, wenn die siebte Gabe in die Tat umgesetzt wird: Tote begraben?


"Jamie?" Zitternd lauschte ich in die Dunkelheit. Wenn da noch jemand war - müsste ich ihn dann nicht hören?
Aber da war nichts.
Kein Atmen.
Kein Stöhnen.
Keine Antwort.
Er ist nicht da, Nara. Du bist allein."


Der Geschichte besticht vor allem durch die Gefühle der Protagonisten und wird durch die erdrückende, beklemmende Atmosphäre vorangetrieben. Die Spannung entsteht hier weniger durch die Handlung. Der Zeitungsartikel zu Beginn zum Beispiel greift schon einen Teil der Handlung vor und auch der Klapptext verrät schon über zwei Drittel der Handlung, das macht jedoch weiter nichts, da es vorrangig um die Gefühle bei der Handlung geht. Demnach ist die primäre Spannungsquelle nicht, ob sie es schafft, aus ihrem Gefängnis zu entkommen, da schon von Beginn an feststeht, dass die Mädchen nach 6 Tagen freigelassen werden sondern viel mehr, wer nun hinter der Entführung steckt, wie Nara damit umgeht und es schafft, auch weiterhin den Beeinflussungen der Fanatikern zu entkommen. Auch wenn ich schon von Beginn an einen Verdacht hatte (der sich am Ende auch leider bestätigt hat), weiß Patricia Schröder uns durch gezielte Irreführungen und Wendungen geschickt in eine falsche Richtung zu lenken.


"Sie hat schon immer gelogen, wenn es nützlich für sie war. Sich nicht um die Gebote geschert und sich schuldig gemacht. Aber das wird sich nun ändern. Jetzt, da du den Sinn hinter all dem, den göttlichen Plan und deine Bestimmung erkannt hast.
Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub."


Der jugendliche und erfahrene Sprachstil der Autorin ermöglicht ein schnelles Lesen und die einfachen aber eindringlichen Dialoge versetzen ohne Umschweife in die jeweils präsentierte Situation. Dabei nimmt Patricia Schröder in ihrer Wortwahl und Schilderung kein Blatt vor den Mund, sondern beschreit ganz ungeschönt die Umstände der Gefangenschaft. Wenn sich dabei die Gefangenen erbrechen müssen oder tagelang in ihren eigenen Exkrementen liegen, wird auch das nicht schnell abgetan, sondern als Element genutzt, um dem Leser die volle Tragweite der Schonungslosigkeit der Entführer zu zeigen.


"Wer tat uns so etwas an? Und warum? Womit hatte meine Familie das verdient? Nein, falsch! - Was hatte ich verbrochen, dass ich jemand glaubte, meiner Familie so sehr wehtun zu müssen?"
(...) Das war erst der Anfang"


Wie schon erwähnt erzählt hier vorrangig Nara aus der Ich-Perspektive von ihren Erlebnissen, wodurch wir als Leser ganz nah an denn Ereignissen dran sind. Wir erfahren aus erster Hand, wie sehr sie mit ihrer Angst zu kämpfen hat - Angst um ihre Familie, Angst vor ihrer Schuld, Angst vor der Allmacht ihrer Peiniger und schließlich auch Angst davor, herauszufinden, wer wirklich dahintersteckt. Ihre tapfere, manchmal zornige und doch rationale Art, mit der Situation umzugehen, verhindert eine Überdramatisierung und ein Abrutschen der Geschichte ins Makabre. Manchmal ist die Intensität ihrer Angst und Verzweiflung schier überwältigend und man bewundert die 17-jähirge ein Stück weit für ihre Stärke, sich nicht zerbrechen zu lassen. Auch wenn sie manchmal Dinge tut, die nicht rational sind, kann man ihre Empfindungen in fast allen Belangen gut nachempfinden und mit ihr leiden und bangen.


"Sinan", krächzte ich, umschlang meine Knie und schloss die Augen. Mein kleiner, lieber, süßer Bruder. "Charlie." Du Beste, Schönste und Verrückteste von allen. "Mam", wisperte ich und wiegte mich sanft hin und her. "Pa." Oh mein Gott, wie sehr ich euch vermisse!!"


Etwas schade ist, dass viele Nebenfiguren nur grob charakterisiert und schnell wieder übergangen werden. So erfahren wir nicht besonders viel über die Schicksale der anderen 5 Mädchen, während Charlotte als die typische beste Freundin und Jamie als der wunderbare Sandkastenfreund abgestempelt werden. In Anbetracht der späteren Entwicklung dieser Freundschaften, hätte eine genauere Betrachtung vielleicht schon Sinn gemacht. Was wiederum sehr spannend ist, sind die zwei anderen Perspektiven, die hier zeitweise angeführt werden. Die oben schon genannte Du-Perspektive bildet eine erfrischende Abwechslung zu den sonstigen konventionellen Erzählformen und konfrontiert den Leser immer wieder mit abgedrehten Weitsichten und hinterlistigen Plänen, die einem gestörten Glauben entspringen, während die Er-Perspektive hier das große Rätsel darstellt. Da keine Namen genannt werden, wird in der letzteren Erzählhandlung nur von einem weiteren Gefangenen berichtet, der seinen Peiniger offenkundig kennt. Von Anfang an ist klar, dass einer der beiden Jamie sein muss und der andere Tobias Herrmann, welche der beiden Perspektiven nun wer auskleidet, bleibt jedoch offen...


"Am Ende lag die Entscheidung bei dir: Gott oder Satan. Du hast Letzteren gewählt. Und so blieb mir keine andere Wahl, als über das Zeichen der sechs Werke der Barmherzigkeit hinaus noch eine siebte hinzuzufügen, die gnädigste aller Gaben: die Erlösung im Licht."


Am Ende angelangt kann ich sagen, dass der Thriller neben all der Spannung und den abgedrehten Weltverbesserer-Ideen der Sekte vor allem leise gegen Fremdenhass, Islamophobie und für mehr Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Kulturen wirbt. Und auch wenn die Hintergründe der Geschichte am Ende viel zu schnell und überstürzt geklärt werden und ich mir eine ausführlichere Auflösung und einen spektakuläreren Showdown gewünscht hätte, bleibt am Schluss ein beklemmendes Gefühl.


Fazit:

Ein beklemmender Jugendthriller, welcher auf eindrückliche Art die möglichen Folgen von Fanatismus, Fremdenhass und Islamophobie verdeutlicht. Spannend, schonungslos und sadistisch, wenn auch nicht ohne Schwächen.

Veröffentlicht am 23.02.2018

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch.

Die erstaunliche Familie Telemachus
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Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: 544 Seiten
Preis: 16,99€ (Kindle-Edition)
24€ (gebundene Ausgabe)




Inhalt:

Auf den ersten Blick ist Matty Telemachus ein typischer vierzehnjähriger Junge mit den typischen Problemen eines vierzehnjährigen Jungen. Aber Matty ist alles andere als normal und seine Familie ist es schon gar nicht. Als Matty entdeckt, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, macht er sich auf die Suche nach dem lange gehegten Familiengeheimnis: Sind seine Verwandten wirklich Medien, beherrschen sie Telepathie, Telekinese und vielleicht noch andere Kräfte?


Bewertung:

Dieses Buch ist ganz unverhofft in meinem Briefkasten gelandet, ohne dass ich mich daran erinnern konnte, es angefragt zu haben, doch vom Klapptext neugierig geworden habe ich mich gleich ans Lesen gemacht. Wie dieses Buch zu mir gefunden hat, ist mir genau wie die ganze Geschichte ein Rätsel. Es war nicht zu 100% mein Fall, die schräge, eigenwillige Geschichte hat jedoch überraschenden Charme und entführt zur erstaunlichsten, exzentrischsten und unkonventionellsten Familie, die die Leserwelt jemals gesehen hat: die erstaunliche Familie Telemachus.


"Für sie gab es keine Grenzen. Nichts konnte sie aufhalten, bis auf eines. Die Zeit."


Schon das Cover (rechts) ist alles andere als langweilig und gewöhnlich. Vor einer grauenhaft orangenen Tropfentapete hängen etliche peinliche Bilder der Familienmitglieder Telemachus. Maureen, Metty, Teddy, Frankie, eventuell Irene und ein Junge der vielleicht Buddy sein könnte - durchaus originell wenn auch nach meinem Geschmack nicht wirklich optisch ansprechend. Der Farbverlauf der Tapete, die nach unten immer heller wird, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt auf den Titel, der wunderbar zur Geschichte passt. Im Gegensatz dazu ist das amerikanische Original (links) eher schnörkellos und klar. Ebenfalls zusehen sind Familienbilder und eine blaue, gepunktete Tapete, Matty steht aber klar im Mittelpunkt und die ganze Gestaltung ist farblich weniger aufdringlich. Trotzdass mir die Originalgestaltung besser gefällt, finde ich, dass die deutsche Gestaltung von der Atmosphäre gesehen besser zum Buch passt, da der Fokus auf der ganzen Familie liegt.
Den Klapptext finde ich nicht ganz so gelungen, auch wenn er Lust darauf macht, zum Roman zu greifen. Er legt meiner Meinung nach zu viel Wert auf Matty und seiner "Suche" nach dem Familiengeheimnis, welche nach ungefähr 20 Seiten beendet ist. Die eigentliche Handlung des Buches wird nicht erwähnt. Interessant wenn auch ein wenig verwirrend, fand ich die Zeichen, die den Kapiteln untergeordnet sind und den Wechsel der Erzählperspektive ankündigen. Jeder Charakter hat sein Zeichen, den genauen Grund und Zusammenhang davon habe ich aber nicht ganz verstanden.


Erster Satz: "Zum ersten mal verließ Matty Telemachus seinen Körper im Sommer 1995, als er vierzehn Jahre alt war."


Mit einer recht peinlichen wie verwirrenden Szenen für alle Beteiligten beginnt die Geschichte der erstaunlichsten Familie der Geschichte. Der pubertierende Telemachus-Sohn Matty macht eine äußerst verstörende Erfahrung, über die er zunächst mit niemandem reden will: als er heimlich seine zwei Jahre ältere Cousine Mary Alice beobachtet findet er sich plötzlich schwebend an der Zimmerdecke wieder - er hat seine erste außerkörperliche Erfahrung, eine Astralreise. Inmitten einer Familie voller Potential und Begabungen keine außergewöhnliche Neuigkeit. Aber als seltsame Typen von der Regierung auftauchen und auch Drohungen von dubiosen Mafiosi ausgesprochen werden, muss Matty erfahren, dass hinter der Fassade der erstaunlichen Familie Telemachus noch mehr steckt, als ihre besonderen Gaben, mit denen sie es zu Ruhm und Reichtum hätten bringen können, wenn nicht „der sagenhafte Archibald“ ihren Auftritt in der Mike Douglas Show in den siebziger Jahren ruiniert hätte. Dass in allen Telemachusse (oder Telemachi? ) mehr schlummert, als ein unkontrollierter Haufen an Außenseitern, Versagern, Spieler, Singles und Aufschneidern. Denn für alle, die sich ihnen in den Weg stellen wird Irene einen besonderen Satz bereithalten:


"Wir sind die Erstaunliche Familie Telemachus, du Mistkerl. Und du bist am Arsch."


Bevor die verzwickte Geschichte über Gangster-Nicks in zwei verschiedenen Generationen, habgierigen Regierungsagenten und eiskalte Schlägertypen losgeht, werden wir in einem sehr schleichenden Anfang allen Charakteren vorgestellt. Zuerst habe ich mich ein kleines bisschen gelangweilt, denn auch wenn der Roman von Anfang an eine gewisse Sogwirkung auf mich hatte, habe ich vergeblich die Handlung unter all dem kunterbunten Chaos gesucht, welches später kunstvoll undurchsichtig zu einem Ganzen verwoben wird.


"Alles wird großartig." "Für mich muss es gar nicht großartig sein", sagte Loretta. "Für mich musst du nicht großartig sein. Du musst nur da sein."


Vor allem die interessante, wenn auch gewöhnungsbedürftige Erzählweise des Romans hat mir den Einstieg zusätzlich erschwert. Anstatt eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse abzuspulen werden hier des Öfteren Szenen scheinbar ohne weiteren Zusammenhang eingeworfen, als Erzählung der anderen Familienmitglieder an den unwissenden Matty, als schmerzhafte oder glückliche Erinnerungen oder als Ausblick, was am nächsten Tag passieren wird: die richtige Reihenfolge scheint hier eher zweitrangig zu sein während vor allem Buddys Szenen Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft wild durchmischen. Manchmal werden auch ganze Szenen und Geschichten mehrere Male aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichem Fokus erzählt. Bei der Handlungsdarstellung setzt der Autor also genau wie bei seinen Charakteren auf die Summe der Einzelteile. Als sich aus den vielen Bruchstücken endlich ein sinnvolles Bild zusammensetzt, welches viele Fragen aufwirft, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.


"Du kannst nicht aufgeben", sagte Frankie. "Du bist ein Telemachus. Wir geben nicht auf!" "Ich weiß, ich weiß." Doch war das Aufhaben nicht das, wofür sie vor allem anderen bekannt waren? Die Erstaunliche Familie Telemachus war von der Bühne in die Mittelmäßigkeit abgetreten. Wir hätten Könige sein können."


Auch wenn Matty im Klapptext als Hauptcharakter angezeigt wird, würde ich sagen, dass hier die ganze Familie im Vordergrund steht. Neben dem jungen Matty, der auf seine Stiefcousine Mary Alice alias Malice steht und sich mitten in einer schwierigen Phase der Pubertät befindet, sind da noch seine Mutter Irene, seine Onkel Frankie und Buddy und der alte Opa Teddy, die aus ihren Perspektiven von ihren Problemen, Ängsten und Hoffnungen erzählen. Opa Teddy ist ein in die Jahre gekommener Taschenspieler, der sein Leben lang vortäuschte, hellseherische Fähigkeiten zu haben. Im Gegensatz zu seiner entzückenden wie mächtigen Frau Maureen ist er jedoch auf seine raffinierten Tricks und flinke Finger angewiesen, wenn er sein Publikum erstaunen will. Nach ihrem frühen Tod musste er seine drei Kinder Irene, Frankie und Buddy alleine großziehen, was ihm mehr schlecht als recht gelungen ist. Nun im Alter liebt er es immer noch, Publikum zu haben und hegt eine Passion für diamantbesetzte Rolex und karierte Anzüge.


„Wie hatte er so die Kontrolle über sein Haus verlieren können? My home is my castle am Arsch. Eher eine Art Flüchtlingslager.“


Auch wenn der Vater anscheinend aus irgendwelchen unbekannten Geschäften reich wurde, leben seine Kinder, die von Maureen alle ein anderes ungewöhnliches Talent geerbt haben, am Existenzminimum. Alle leiden noch immer unter dem Tod Maureens, hadern mit ihrem Schicksal und können ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht sinnvoll oder gar gewinnbringend einsetzen. Als die gescheiterten Persönlichkeiten mit ihrer Familie schließlich alle wieder in ihrem Elternhaus landen, scheint die Situation zu eskalieren.


"Wenn man nicht Teil der Nummer ist, ist man Teil des Publikums."


Das Heft in der Hand hat die geschiedene Irene, die aus Geldsorgen zusammen mit ihrem Sohn Matty wieder in ihr Elternhaus gezogen ist und in einem Chatroom ihre große Liebe zu finden versucht. Als lebender Lügendetektor ist sie nicht nur für Matty eine strenge Mutter, sie hat es auch schwer, eine Beziehung zu ertragen.


"Alles wird gut", sagte das Mächtigste Medium der Welt zu sich selbst. Er muss einfach nur weiter seine Aufgabe erledigen - bis es nicht mehr seine Aufgabe ist."


Buddy wohnt immer noch zu Hause und könnte mit seiner zurückgezogenen, ruhigen Art und den scheinbar sinnlosen Renovierungsprojekten für einen verrückten Nerd gehalten werden, was seine Familie jedoch nicht weiß ist, dass er nach Maureens Tod das neue mächtigste Medium der Welt mit einer unfassbaren Gabe ist: die Zukunft vorherzusehen. Seine Geschichte ist jedoch mehr tragisch als glorreich, seine Gabe mehr ein Fluch. Schon mit fünf Jahren den Tod seiner Mutter voraussehend, macht er sich ständig Vorwürfe, den Lauf der Geschichte nicht genügend geändert zu haben und folgt strikt dem Diktat seiner Erinnerungen. Wenn er sich daran erinnert, dass er am nächsten Tag den Rasen mähen wird, dann tut er das und zwar um genau die Uhrzeit, die er vorausgesehen hat, denn aus Erfahrung weiß er, dass nur ein Detail das ganze Schicksal eines Menschen verändern kann und das kann er absolut nicht gebrauchen, wo doch der ominöse Zap-Day immer näher kommt, der Tag an dem seine vorgezogenen Erinnerungen enden...


"4. September 1995, 12:06 Uhr. Der Moment, in dem die Zukunft endet. Der Tag an dem alles schwarz wird.
Zap."


Frankie hat zwar Arbeit, aufgrund seiner Automatenspiele und einer gescheiterten Geschäftsidee ist er allerdings hoch verschuldet. Als wäre das noch nicht genug schuldet er das Geld auch noch dem übelsten Schurken der ganzen Stadt: Nick Pusateri Senior.


"Mein Sohn, mein Sohn", sagte Teddy. Er packte Frankies Kopf. "Hör auf". Er wusste nicht, was er mit dem Jungen machen sollte. Hatte es nie gewusst. Dies war der Junge, der alles wollte und nicht wusste, wie er es bekam. "Hör einfach auf."


Als wären sie alle noch nicht genug schillernde und grundverschiedenen Charaktere, mischen die elegante Frau von Nick Pusateri Junior, der fast pensionierte Agent Smalls und ein ganzer Haufen verrückter Kinder den laden weiter auf. Eine explosive, abwechslungsreiche und hochinteressante Mischung, bei der jeder Charakter seine eigene, wichtige Rolle in dem Theaterstück spielen darf, ohne besonders gut oder böse, schlecht oder begabt, besonders oder normal sein zu müssen.


"Das Problem beim Älterwerden war, dass jeder Tag sich mit den Tausenden messen musste, die ihm vorausgegangen waren. Wie wunderbar müsste da ein Tag sein, um diesen Schönheitswettbewerb zu gewinnen? Es auch nur in die Finalrunde zu schaffen?"


Wunderbar finde ich auch, dass das Buch nicht davor zurückschreckt, Dinge schonungslos anzusprechen wie sie sind: Gefühle, Gedanken, Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, traurige Tatsachen, all das mischt Daryl Gregory auf den 540 Seiten zu einem wunderbaren Mix zusammen, der durch den humorvollen Schreibstil, der sich auf Kosten der Protagonisten über das Leben lustig macht, gleichzeitig aber versucht, Lebensweisheiten zu geben. Dabei wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, die zu Herzen geht und uns Leser trotz einer Ungereimtheiten immer wieder dazu bringt, den Charakteren bei ihrem schräg-herzlichen Abenteuer treu zur Seite zu stehen.
Auf den letzten Seiten nimmt die Geschichte dann nochmal richtig Fahrt auf, bis alle Handlungsstränge auslaufen.


"Ich liebte das Fliegen. Du auch? Bestimmt!"



Fazit:

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch. Eine schräge Geschichte voller Charme, Herz und Spannung.

Veröffentlicht am 23.02.2018

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch!

Die erstaunliche Familie Telemachus
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Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: 544 Seiten
Preis: 16,99€ (Kindle-Edition)
24€ (gebundene Ausgabe)




Inhalt:

Auf den ersten Blick ist Matty Telemachus ein typischer vierzehnjähriger Junge mit den typischen Problemen eines vierzehnjährigen Jungen. Aber Matty ist alles andere als normal und seine Familie ist es schon gar nicht. Als Matty entdeckt, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, macht er sich auf die Suche nach dem lange gehegten Familiengeheimnis: Sind seine Verwandten wirklich Medien, beherrschen sie Telepathie, Telekinese und vielleicht noch andere Kräfte?


Bewertung:

Dieses Buch ist ganz unverhofft in meinem Briefkasten gelandet, ohne dass ich mich daran erinnern konnte, es angefragt zu haben, doch vom Klapptext neugierig geworden habe ich mich gleich ans Lesen gemacht. Wie dieses Buch zu mir gefunden hat, ist mir genau wie die ganze Geschichte ein Rätsel. Es war nicht zu 100% mein Fall, die schräge, eigenwillige Geschichte hat jedoch überraschenden Charme und entführt zur erstaunlichsten, exzentrischsten und unkonventionellsten Familie, die die Leserwelt jemals gesehen hat: die erstaunliche Familie Telemachus.


"Für sie gab es keine Grenzen. Nichts konnte sie aufhalten, bis auf eines. Die Zeit."


Schon das Cover (rechts) ist alles andere als langweilig und gewöhnlich. Vor einer grauenhaft orangenen Tropfentapete hängen etliche peinliche Bilder der Familienmitglieder Telemachus. Maureen, Metty, Teddy, Frankie, eventuell Irene und ein Junge der vielleicht Buddy sein könnte - durchaus originell wenn auch nach meinem Geschmack nicht wirklich optisch ansprechend. Der Farbverlauf der Tapete, die nach unten immer heller wird, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt auf den Titel, der wunderbar zur Geschichte passt. Im Gegensatz dazu ist das amerikanische Original (links) eher schnörkellos und klar. Ebenfalls zusehen sind Familienbilder und eine blaue, gepunktete Tapete, Matty steht aber klar im Mittelpunkt und die ganze Gestaltung ist farblich weniger aufdringlich. Trotzdass mir die Originalgestaltung besser gefällt, finde ich, dass die deutsche Gestaltung von der Atmosphäre gesehen besser zum Buch passt, da der Fokus auf der ganzen Familie liegt.
Den Klapptext finde ich nicht ganz so gelungen, auch wenn er Lust darauf macht, zum Roman zu greifen. Er legt meiner Meinung nach zu viel Wert auf Matty und seiner "Suche" nach dem Familiengeheimnis, welche nach ungefähr 20 Seiten beendet ist. Die eigentliche Handlung des Buches wird nicht erwähnt. Interessant wenn auch ein wenig verwirrend, fand ich die Zeichen, die den Kapiteln untergeordnet sind und den Wechsel der Erzählperspektive ankündigen. Jeder Charakter hat sein Zeichen, den genauen Grund und Zusammenhang davon habe ich aber nicht ganz verstanden.


Erster Satz: "Zum ersten mal verließ Matty Telemachus seinen Körper im Sommer 1995, als er vierzehn Jahre alt war."


Mit einer recht peinlichen wie verwirrenden Szenen für alle Beteiligten beginnt die Geschichte der erstaunlichsten Familie der Geschichte. Der pubertierende Telemachus-Sohn Matty macht eine äußerst verstörende Erfahrung, über die er zunächst mit niemandem reden will: als er heimlich seine zwei Jahre ältere Cousine Mary Alice beobachtet findet er sich plötzlich schwebend an der Zimmerdecke wieder - er hat seine erste außerkörperliche Erfahrung, eine Astralreise. Inmitten einer Familie voller Potential und Begabungen keine außergewöhnliche Neuigkeit. Aber als seltsame Typen von der Regierung auftauchen und auch Drohungen von dubiosen Mafiosi ausgesprochen werden, muss Matty erfahren, dass hinter der Fassade der erstaunlichen Familie Telemachus noch mehr steckt, als ihre besonderen Gaben, mit denen sie es zu Ruhm und Reichtum hätten bringen können, wenn nicht „der sagenhafte Archibald“ ihren Auftritt in der Mike Douglas Show in den siebziger Jahren ruiniert hätte. Dass in allen Telemachusse (oder Telemachi? ) mehr schlummert, als ein unkontrollierter Haufen an Außenseitern, Versagern, Spieler, Singles und Aufschneidern. Denn für alle, die sich ihnen in den Weg stellen wird Irene einen besonderen Satz bereithalten:


"Wir sind die Erstaunliche Familie Telemachus, du Mistkerl. Und du bist am Arsch."


Bevor die verzwickte Geschichte über Gangster-Nicks in zwei verschiedenen Generationen, habgierigen Regierungsagenten und eiskalte Schlägertypen losgeht, werden wir in einem sehr schleichenden Anfang allen Charakteren vorgestellt. Zuerst habe ich mich ein kleines bisschen gelangweilt, denn auch wenn der Roman von Anfang an eine gewisse Sogwirkung auf mich hatte, habe ich vergeblich die Handlung unter all dem kunterbunten Chaos gesucht, welches später kunstvoll undurchsichtig zu einem Ganzen verwoben wird.


"Alles wird großartig." "Für mich muss es gar nicht großartig sein", sagte Loretta. "Für mich musst du nicht großartig sein. Du musst nur da sein."


Vor allem die interessante, wenn auch gewöhnungsbedürftige Erzählweise des Romans hat mir den Einstieg zusätzlich erschwert. Anstatt eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse abzuspulen werden hier des Öfteren Szenen scheinbar ohne weiteren Zusammenhang eingeworfen, als Erzählung der anderen Familienmitglieder an den unwissenden Matty, als schmerzhafte oder glückliche Erinnerungen oder als Ausblick, was am nächsten Tag passieren wird: die richtige Reihenfolge scheint hier eher zweitrangig zu sein während vor allem Buddys Szenen Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft wild durchmischen. Manchmal werden auch ganze Szenen und Geschichten mehrere Male aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichem Fokus erzählt. Bei der Handlungsdarstellung setzt der Autor also genau wie bei seinen Charakteren auf die Summe der Einzelteile. Als sich aus den vielen Bruchstücken endlich ein sinnvolles Bild zusammensetzt, welches viele Fragen aufwirft, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.


"Du kannst nicht aufgeben", sagte Frankie. "Du bist ein Telemachus. Wir geben nicht auf!" "Ich weiß, ich weiß." Doch war das Aufhaben nicht das, wofür sie vor allem anderen bekannt waren? Die Erstaunliche Familie Telemachus war von der Bühne in die Mittelmäßigkeit abgetreten. Wir hätten Könige sein können."


Auch wenn Matty im Klapptext als Hauptcharakter angezeigt wird, würde ich sagen, dass hier die ganze Familie im Vordergrund steht. Neben dem jungen Matty, der auf seine Stiefcousine Mary Alice alias Malice steht und sich mitten in einer schwierigen Phase der Pubertät befindet, sind da noch seine Mutter Irene, seine Onkel Frankie und Buddy und der alte Opa Teddy, die aus ihren Perspektiven von ihren Problemen, Ängsten und Hoffnungen erzählen. Opa Teddy ist ein in die Jahre gekommener Taschenspieler, der sein Leben lang vortäuschte, hellseherische Fähigkeiten zu haben. Im Gegensatz zu seiner entzückenden wie mächtigen Frau Maureen ist er jedoch auf seine raffinierten Tricks und flinke Finger angewiesen, wenn er sein Publikum erstaunen will. Nach ihrem frühen Tod musste er seine drei Kinder Irene, Frankie und Buddy alleine großziehen, was ihm mehr schlecht als recht gelungen ist. Nun im Alter liebt er es immer noch, Publikum zu haben und hegt eine Passion für diamantbesetzte Rolex und karierte Anzüge.


„Wie hatte er so die Kontrolle über sein Haus verlieren können? My home is my castle am Arsch. Eher eine Art Flüchtlingslager.“


Auch wenn der Vater anscheinend aus irgendwelchen unbekannten Geschäften reich wurde, leben seine Kinder, die von Maureen alle ein anderes ungewöhnliches Talent geerbt haben, am Existenzminimum. Alle leiden noch immer unter dem Tod Maureens, hadern mit ihrem Schicksal und können ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht sinnvoll oder gar gewinnbringend einsetzen. Als die gescheiterten Persönlichkeiten mit ihrer Familie schließlich alle wieder in ihrem Elternhaus landen, scheint die Situation zu eskalieren.


"Wenn man nicht Teil der Nummer ist, ist man Teil des Publikums."


Das Heft in der Hand hat die geschiedene Irene, die aus Geldsorgen zusammen mit ihrem Sohn Matty wieder in ihr Elternhaus gezogen ist und in einem Chatroom ihre große Liebe zu finden versucht. Als lebender Lügendetektor ist sie nicht nur für Matty eine strenge Mutter, sie hat es auch schwer, eine Beziehung zu ertragen.


"Alles wird gut", sagte das Mächtigste Medium der Welt zu sich selbst. Er muss einfach nur weiter seine Aufgabe erledigen - bis es nicht mehr seine Aufgabe ist."


Buddy wohnt immer noch zu Hause und könnte mit seiner zurückgezogenen, ruhigen Art und den scheinbar sinnlosen Renovierungsprojekten für einen verrückten Nerd gehalten werden, was seine Familie jedoch nicht weiß ist, dass er nach Maureens Tod das neue mächtigste Medium der Welt mit einer unfassbaren Gabe ist: die Zukunft vorherzusehen. Seine Geschichte ist jedoch mehr tragisch als glorreich, seine Gabe mehr ein Fluch. Schon mit fünf Jahren den Tod seiner Mutter voraussehend, macht er sich ständig Vorwürfe, den Lauf der Geschichte nicht genügend geändert zu haben und folgt strikt dem Diktat seiner Erinnerungen. Wenn er sich daran erinnert, dass er am nächsten Tag den Rasen mähen wird, dann tut er das und zwar um genau die Uhrzeit, die er vorausgesehen hat, denn aus Erfahrung weiß er, dass nur ein Detail das ganze Schicksal eines Menschen verändern kann und das kann er absolut nicht gebrauchen, wo doch der ominöse Zap-Day immer näher kommt, der Tag an dem seine vorgezogenen Erinnerungen enden...


"4. September 1995, 12:06 Uhr. Der Moment, in dem die Zukunft endet. Der Tag an dem alles schwarz wird.
Zap."


Frankie hat zwar Arbeit, aufgrund seiner Automatenspiele und einer gescheiterten Geschäftsidee ist er allerdings hoch verschuldet. Als wäre das noch nicht genug schuldet er das Geld auch noch dem übelsten Schurken der ganzen Stadt: Nick Pusateri Senior.


"Mein Sohn, mein Sohn", sagte Teddy. Er packte Frankies Kopf. "Hör auf". Er wusste nicht, was er mit dem Jungen machen sollte. Hatte es nie gewusst. Dies war der Junge, der alles wollte und nicht wusste, wie er es bekam. "Hör einfach auf."


Als wären sie alle noch nicht genug schillernde und grundverschiedenen Charaktere, mischen die elegante Frau von Nick Pusateri Junior, der fast pensionierte Agent Smalls und ein ganzer Haufen verrückter Kinder den laden weiter auf. Eine explosive, abwechslungsreiche und hochinteressante Mischung, bei der jeder Charakter seine eigene, wichtige Rolle in dem Theaterstück spielen darf, ohne besonders gut oder böse, schlecht oder begabt, besonders oder normal sein zu müssen.


"Das Problem beim Älterwerden war, dass jeder Tag sich mit den Tausenden messen musste, die ihm vorausgegangen waren. Wie wunderbar müsste da ein Tag sein, um diesen Schönheitswettbewerb zu gewinnen? Es auch nur in die Finalrunde zu schaffen?"


Wunderbar finde ich auch, dass das Buch nicht davor zurückschreckt, Dinge schonungslos anzusprechen wie sie sind: Gefühle, Gedanken, Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, traurige Tatsachen, all das mischt Daryl Gregory auf den 540 Seiten zu einem wunderbaren Mix zusammen, der durch den humorvollen Schreibstil, der sich auf Kosten der Protagonisten über das Leben lustig macht, gleichzeitig aber versucht, Lebensweisheiten zu geben. Dabei wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, die zu Herzen geht und uns Leser trotz einer Ungereimtheiten immer wieder dazu bringt, den Charakteren bei ihrem schräg-herzlichen Abenteuer treu zur Seite zu stehen.
Auf den letzten Seiten nimmt die Geschichte dann nochmal richtig Fahrt auf, bis alle Handlungsstränge auslaufen.


"Ich liebte das Fliegen. Du auch? Bestimmt!"



Fazit:

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch. Eine schräge Geschichte voller Charme, Herz und Spannung.

Veröffentlicht am 23.02.2018

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch.

Die erstaunliche Familie Telemachus
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Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: 544 Seiten
Preis: 16,99€ (Kindle-Edition)
24€ (gebundene Ausgabe)




Inhalt:

Auf den ersten Blick ist Matty Telemachus ein typischer vierzehnjähriger Junge mit den typischen Problemen eines vierzehnjährigen Jungen. Aber Matty ist alles andere als normal und seine Familie ist es schon gar nicht. Als Matty entdeckt, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, macht er sich auf die Suche nach dem lange gehegten Familiengeheimnis: Sind seine Verwandten wirklich Medien, beherrschen sie Telepathie, Telekinese und vielleicht noch andere Kräfte?


Bewertung:

Dieses Buch ist ganz unverhofft in meinem Briefkasten gelandet, ohne dass ich mich daran erinnern konnte, es angefragt zu haben, doch vom Klapptext neugierig geworden habe ich mich gleich ans Lesen gemacht. Wie dieses Buch zu mir gefunden hat, ist mir genau wie die ganze Geschichte ein Rätsel. Es war nicht zu 100% mein Fall, die schräge, eigenwillige Geschichte hat jedoch überraschenden Charme und entführt zur erstaunlichsten, exzentrischsten und unkonventionellsten Familie, die die Leserwelt jemals gesehen hat: die erstaunliche Familie Telemachus.


"Für sie gab es keine Grenzen. Nichts konnte sie aufhalten, bis auf eines. Die Zeit."


Schon das Cover (rechts) ist alles andere als langweilig und gewöhnlich. Vor einer grauenhaft orangenen Tropfentapete hängen etliche peinliche Bilder der Familienmitglieder Telemachus. Maureen, Metty, Teddy, Frankie, eventuell Irene und ein Junge der vielleicht Buddy sein könnte - durchaus originell wenn auch nach meinem Geschmack nicht wirklich optisch ansprechend. Der Farbverlauf der Tapete, die nach unten immer heller wird, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt auf den Titel, der wunderbar zur Geschichte passt. Im Gegensatz dazu ist das amerikanische Original (links) eher schnörkellos und klar. Ebenfalls zusehen sind Familienbilder und eine blaue, gepunktete Tapete, Matty steht aber klar im Mittelpunkt und die ganze Gestaltung ist farblich weniger aufdringlich. Trotzdass mir die Originalgestaltung besser gefällt, finde ich, dass die deutsche Gestaltung von der Atmosphäre gesehen besser zum Buch passt, da der Fokus auf der ganzen Familie liegt.
Den Klapptext finde ich nicht ganz so gelungen, auch wenn er Lust darauf macht, zum Roman zu greifen. Er legt meiner Meinung nach zu viel Wert auf Matty und seiner "Suche" nach dem Familiengeheimnis, welche nach ungefähr 20 Seiten beendet ist. Die eigentliche Handlung des Buches wird nicht erwähnt. Interessant wenn auch ein wenig verwirrend, fand ich die Zeichen, die den Kapiteln untergeordnet sind und den Wechsel der Erzählperspektive ankündigen. Jeder Charakter hat sein Zeichen, den genauen Grund und Zusammenhang davon habe ich aber nicht ganz verstanden.


Erster Satz: "Zum ersten mal verließ Matty Telemachus seinen Körper im Sommer 1995, als er vierzehn Jahre alt war."


Mit einer recht peinlichen wie verwirrenden Szenen für alle Beteiligten beginnt die Geschichte der erstaunlichsten Familie der Geschichte. Der pubertierende Telemachus-Sohn Matty macht eine äußerst verstörende Erfahrung, über die er zunächst mit niemandem reden will: als er heimlich seine zwei Jahre ältere Cousine Mary Alice beobachtet findet er sich plötzlich schwebend an der Zimmerdecke wieder - er hat seine erste außerkörperliche Erfahrung, eine Astralreise. Inmitten einer Familie voller Potential und Begabungen keine außergewöhnliche Neuigkeit. Aber als seltsame Typen von der Regierung auftauchen und auch Drohungen von dubiosen Mafiosi ausgesprochen werden, muss Matty erfahren, dass hinter der Fassade der erstaunlichen Familie Telemachus noch mehr steckt, als ihre besonderen Gaben, mit denen sie es zu Ruhm und Reichtum hätten bringen können, wenn nicht „der sagenhafte Archibald“ ihren Auftritt in der Mike Douglas Show in den siebziger Jahren ruiniert hätte. Dass in allen Telemachusse (oder Telemachi? ) mehr schlummert, als ein unkontrollierter Haufen an Außenseitern, Versagern, Spieler, Singles und Aufschneidern. Denn für alle, die sich ihnen in den Weg stellen wird Irene einen besonderen Satz bereithalten:


"Wir sind die Erstaunliche Familie Telemachus, du Mistkerl. Und du bist am Arsch."


Bevor die verzwickte Geschichte über Gangster-Nicks in zwei verschiedenen Generationen, habgierigen Regierungsagenten und eiskalte Schlägertypen losgeht, werden wir in einem sehr schleichenden Anfang allen Charakteren vorgestellt. Zuerst habe ich mich ein kleines bisschen gelangweilt, denn auch wenn der Roman von Anfang an eine gewisse Sogwirkung auf mich hatte, habe ich vergeblich die Handlung unter all dem kunterbunten Chaos gesucht, welches später kunstvoll undurchsichtig zu einem Ganzen verwoben wird.


"Alles wird großartig." "Für mich muss es gar nicht großartig sein", sagte Loretta. "Für mich musst du nicht großartig sein. Du musst nur da sein."


Vor allem die interessante, wenn auch gewöhnungsbedürftige Erzählweise des Romans hat mir den Einstieg zusätzlich erschwert. Anstatt eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse abzuspulen werden hier des Öfteren Szenen scheinbar ohne weiteren Zusammenhang eingeworfen, als Erzählung der anderen Familienmitglieder an den unwissenden Matty, als schmerzhafte oder glückliche Erinnerungen oder als Ausblick, was am nächsten Tag passieren wird: die richtige Reihenfolge scheint hier eher zweitrangig zu sein während vor allem Buddys Szenen Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft wild durchmischen. Manchmal werden auch ganze Szenen und Geschichten mehrere Male aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichem Fokus erzählt. Bei der Handlungsdarstellung setzt der Autor also genau wie bei seinen Charakteren auf die Summe der Einzelteile. Als sich aus den vielen Bruchstücken endlich ein sinnvolles Bild zusammensetzt, welches viele Fragen aufwirft, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.


"Du kannst nicht aufgeben", sagte Frankie. "Du bist ein Telemachus. Wir geben nicht auf!" "Ich weiß, ich weiß." Doch war das Aufhaben nicht das, wofür sie vor allem anderen bekannt waren? Die Erstaunliche Familie Telemachus war von der Bühne in die Mittelmäßigkeit abgetreten. Wir hätten Könige sein können."


Auch wenn Matty im Klapptext als Hauptcharakter angezeigt wird, würde ich sagen, dass hier die ganze Familie im Vordergrund steht. Neben dem jungen Matty, der auf seine Stiefcousine Mary Alice alias Malice steht und sich mitten in einer schwierigen Phase der Pubertät befindet, sind da noch seine Mutter Irene, seine Onkel Frankie und Buddy und der alte Opa Teddy, die aus ihren Perspektiven von ihren Problemen, Ängsten und Hoffnungen erzählen. Opa Teddy ist ein in die Jahre gekommener Taschenspieler, der sein Leben lang vortäuschte, hellseherische Fähigkeiten zu haben. Im Gegensatz zu seiner entzückenden wie mächtigen Frau Maureen ist er jedoch auf seine raffinierten Tricks und flinke Finger angewiesen, wenn er sein Publikum erstaunen will. Nach ihrem frühen Tod musste er seine drei Kinder Irene, Frankie und Buddy alleine großziehen, was ihm mehr schlecht als recht gelungen ist. Nun im Alter liebt er es immer noch, Publikum zu haben und hegt eine Passion für diamantbesetzte Rolex und karierte Anzüge.


„Wie hatte er so die Kontrolle über sein Haus verlieren können? My home is my castle am Arsch. Eher eine Art Flüchtlingslager.“


Auch wenn der Vater anscheinend aus irgendwelchen unbekannten Geschäften reich wurde, leben seine Kinder, die von Maureen alle ein anderes ungewöhnliches Talent geerbt haben, am Existenzminimum. Alle leiden noch immer unter dem Tod Maureens, hadern mit ihrem Schicksal und können ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht sinnvoll oder gar gewinnbringend einsetzen. Als die gescheiterten Persönlichkeiten mit ihrer Familie schließlich alle wieder in ihrem Elternhaus landen, scheint die Situation zu eskalieren.


"Wenn man nicht Teil der Nummer ist, ist man Teil des Publikums."


Das Heft in der Hand hat die geschiedene Irene, die aus Geldsorgen zusammen mit ihrem Sohn Matty wieder in ihr Elternhaus gezogen ist und in einem Chatroom ihre große Liebe zu finden versucht. Als lebender Lügendetektor ist sie nicht nur für Matty eine strenge Mutter, sie hat es auch schwer, eine Beziehung zu ertragen.


"Alles wird gut", sagte das Mächtigste Medium der Welt zu sich selbst. Er muss einfach nur weiter seine Aufgabe erledigen - bis es nicht mehr seine Aufgabe ist."


Buddy wohnt immer noch zu Hause und könnte mit seiner zurückgezogenen, ruhigen Art und den scheinbar sinnlosen Renovierungsprojekten für einen verrückten Nerd gehalten werden, was seine Familie jedoch nicht weiß ist, dass er nach Maureens Tod das neue mächtigste Medium der Welt mit einer unfassbaren Gabe ist: die Zukunft vorherzusehen. Seine Geschichte ist jedoch mehr tragisch als glorreich, seine Gabe mehr ein Fluch. Schon mit fünf Jahren den Tod seiner Mutter voraussehend, macht er sich ständig Vorwürfe, den Lauf der Geschichte nicht genügend geändert zu haben und folgt strikt dem Diktat seiner Erinnerungen. Wenn er sich daran erinnert, dass er am nächsten Tag den Rasen mähen wird, dann tut er das und zwar um genau die Uhrzeit, die er vorausgesehen hat, denn aus Erfahrung weiß er, dass nur ein Detail das ganze Schicksal eines Menschen verändern kann und das kann er absolut nicht gebrauchen, wo doch der ominöse Zap-Day immer näher kommt, der Tag an dem seine vorgezogenen Erinnerungen enden...


"4. September 1995, 12:06 Uhr. Der Moment, in dem die Zukunft endet. Der Tag an dem alles schwarz wird.
Zap."


Frankie hat zwar Arbeit, aufgrund seiner Automatenspiele und einer gescheiterten Geschäftsidee ist er allerdings hoch verschuldet. Als wäre das noch nicht genug schuldet er das Geld auch noch dem übelsten Schurken der ganzen Stadt: Nick Pusateri Senior.


"Mein Sohn, mein Sohn", sagte Teddy. Er packte Frankies Kopf. "Hör auf". Er wusste nicht, was er mit dem Jungen machen sollte. Hatte es nie gewusst. Dies war der Junge, der alles wollte und nicht wusste, wie er es bekam. "Hör einfach auf."


Als wären sie alle noch nicht genug schillernde und grundverschiedenen Charaktere, mischen die elegante Frau von Nick Pusateri Junior, der fast pensionierte Agent Smalls und ein ganzer Haufen verrückter Kinder den laden weiter auf. Eine explosive, abwechslungsreiche und hochinteressante Mischung, bei der jeder Charakter seine eigene, wichtige Rolle in dem Theaterstück spielen darf, ohne besonders gut oder böse, schlecht oder begabt, besonders oder normal sein zu müssen.


"Das Problem beim Älterwerden war, dass jeder Tag sich mit den Tausenden messen musste, die ihm vorausgegangen waren. Wie wunderbar müsste da ein Tag sein, um diesen Schönheitswettbewerb zu gewinnen? Es auch nur in die Finalrunde zu schaffen?"


Wunderbar finde ich auch, dass das Buch nicht davor zurückschreckt, Dinge schonungslos anzusprechen wie sie sind: Gefühle, Gedanken, Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, traurige Tatsachen, all das mischt Daryl Gregory auf den 540 Seiten zu einem wunderbaren Mix zusammen, der durch den humorvollen Schreibstil, der sich auf Kosten der Protagonisten über das Leben lustig macht, gleichzeitig aber versucht, Lebensweisheiten zu geben. Dabei wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, die zu Herzen geht und uns Leser trotz einer Ungereimtheiten immer wieder dazu bringt, den Charakteren bei ihrem schräg-herzlichen Abenteuer treu zur Seite zu stehen.
Auf den letzten Seiten nimmt die Geschichte dann nochmal richtig Fahrt auf, bis alle Handlungsstränge auslaufen.


"Ich liebte das Fliegen. Du auch? Bestimmt!"



Fazit:

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch. Eine schräge Geschichte voller Charme, Herz und Spannung.

Veröffentlicht am 11.01.2018

Ein wunderbares Leseerlebnis

Doppelt verlobt hält besser
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Allgemeines:

Titel: Doppelt verlobt hält besser
Autor: Lia Haycraft
Verlag: Forever (9. Februar 2018)
Genre: Roman
ISBN-10: 3958189490
ISBN-13: 978-3958189492
ASIN: B077YRP1DV
Seitenzahl: 224 Seiten
Preis: ...

Allgemeines:

Titel: Doppelt verlobt hält besser
Autor: Lia Haycraft
Verlag: Forever (9. Februar 2018)
Genre: Roman
ISBN-10: 3958189490
ISBN-13: 978-3958189492
ASIN: B077YRP1DV
Seitenzahl: 224 Seiten
Preis: 3,99€ (Kindle-Edition)
12€ (Taschenbuch)



Inhalt:

-Eine Liebe an der Côte d'Azur-

Isobel Rain liebt ihren Job als Geschäftsführerin der exklusiven Dating-Agentur Diamond Love. Sie liebt auch ihr Leben im französischen Küstenstädtchen Antibes. Doch dann macht ihr ausgerechnet ihr geliebter Onkel einen Strich durch die Rechnung. Und das aus dem Grab heraus: In seinem Testament verfügt er, dass Isobel Diamond Love nur weiterführen darf, wenn Sie innerhalb von sechs Monaten heiratet. Ein Verlobter muss also her. Und dabei hat Isobel zurzeit nicht mal einen Freund. Vielleicht ist es Schicksal, dass sie kurz darauf Jean-Luc trifft und es zwischen den beiden heftig funkt. Nur dass der smarte Immobilienmakler nichts von Isobels Erbe weiß und auch nicht vorhat in nächster Zeit jemandem das Ja-Wort zu geben. Aber dann kommt sowieso alles ganz anders…


Bewertung:

DISCLAIMER: Bevor ich mit der Rezension beginne, möchte ich noch zwei Dinge loswerden.
Erstens: vielen vielen Dank an Lia Haycraft und den Ullstein Verlag, dass wir auch dieses Buch wieder lesen durften!!!
Und Zweitens: Wer die "Die Nacht der Elemente"-Reihe nicht kennt, schaut am besten gleich mal bei meiner Rezension zum ersten Teil "Mondtochter" vorbei und ändert das.


Erster Satz: "Über den leuchtend blauen Himmel zog ein Muster aus fliegenden Schwalben und nicht zum ersten Mal verwandelten sich die fliegenden Pünktchen in Isobels Kopf in einen einzigen Satz: Die Dating Agentur Diamond Love darf nur von einer verheirateten Frau geleitet werden."


Mit diesem Satz beginnt der erste Liebensroman von Lia Haycraft, die mich schon zuvor im Genre Romantasy mit ihrer wunderbaren "Die Nacht der Elemente" - Reihe und zwei Novellen "Feuerküsse" und "Flammenseele" begeistert hat. Auch in diesem neuen Genre konnte sie mich
wieder absolut überzeugen und mit dem herzzerreißenden Hin und Her einer Liebesgeschichte an der Côte d'Azur ein wunderbares Leseerlebnis schaffen: süß und verlockend, wie das Eis, dass Isobel so gerne mag, sprudelnd und lebendig wie der Champagner, den die beiden immer trinken, ein wenig melancholisch wie das Meer bei Nacht.

"Sie klingelte dreimal kurz. Er hatte sie nie gefragt, was das bedeuten sollte, aber möglicherweise heiß es einfach das, was er hoffte. Ich liebe dich."


Das Cover ist wohl der Inbegriff eines locker, leichten Sommerromans - ein azurblauer Himmel über einer verlockend glitzernden Meeresbucht und einem malerischen Städtchen an der Küste. Als wäre das nicht schon genug um eine romantische Stimmung aufkommen zu lassen, umrahmen blühende Zweige die Szenerie einer Frau in einem weißen Kleid, die verträumt in die Ferne blickt. Der Titel "Doppelt verlobt hält besser", der farblich perfekt ins Bild passt, wird bald Programm, als sich Isobel in der Not wiederfindet, einen Bräutigam zu finden, um Chefin ihres Unternehmen bleiben zu können. Etwas seltsam jedoch finde ich die zwei unterschiedlichen Schrifttypen, in denen der Titel gehalten ist, doch ich will nicht so pingelig sein. Insgesamt finde ich das Cover sehr passend gestaltet, in sich stimmig und durchaus ansprechend, leider fallen mir aber auch auf Anhieb zig weitere ein, die im praktisch selben Stil gestaltet sind. Ich halte viel von unkonventionellen Coverbildern, die sich von der Masse abheben und an das man sich auch noch nach Jahren erinnert. Dieses ist einfach nur hübsch, was jedoch eigentlich genügt.


"Jean-Luc verschlug es den Atem. (...) Sie sah aus wie der Frühling persönlich. Und ihr Lächeln berührte irgendetwas tief in seinem Inneren. Vielleicht sollte er sie einladen. Einfach so."


Nach einem schnellen Einstieg, der in wenig Worten die Problematik erklärt, in der sich die junge Geschäftsführerin Isobel befindet. Wenn sie Chefin ihrer exklusiven Dating Agentur "Diamond Love" bleiben will, muss sie die Bedingung im Testament ihres Onkels erfüllen: einen Mann finden und heiraten und das auch noch möglichst bald. Die Lösung des Problems scheint erstmal näher als sie in ihrer Lieblingsbuchhandlung im französischen Küstenstädtchen Antibes den smarten Immobilienmakler Jean-Luc trifft und sie sich rasend schnell näher kommen. Doch will sie sich wirklich aufgrund eines Testaments dazu zwingen lassen, übereilt die wichtigste Entscheidung ihres Lebens treffen? Trotz ihres geschulten Blicks, für ihre Kunden den richtigen Partner zu finden, der perfekt zu dem jeweils anderen passt, weiß sie gar nicht mehr, was sie denken soll. Dass Jean-Luc nichts von Heirat hält während ihre übereifrige Tante Vivienne schon ihre Traumhochzeit plant, macht die Situation auch nicht besser. Bald findet sich Isobel in einem Gefühlschaos wieder und auf einem Weg, der sie beide in unterschiedliche Richtungen zieht...

Die Geschichte wird dem wunderschönen Setting schnell gerecht, die abwechselnd aus den beiden Perspektiven von Jean-Luc und Isobel geschilderte Story trieft gerade nur von abwechslungsreichen Gefühlen, ohne kitschig zu werden. Trotz der romantischen Dinners, Theaterbesuche, nächtlichen Picknicks oder Liebesnächten sorgen die vielen verhexten Schicksalswindungen, die die beiden durch haarsträubende Zufälle, dumme Missverständnisse und überkochende Emotionen immer wieder auseinander bringen dafür, das die Geschichte auf dem Boden bleibt. Die Handlung entwickelt sich also trotz der vielen Wiederholungen, die sich leider finden lassen, stets weiter, so wie es auch die Charaktere tun.


"Sie liebte jede Art von Geschichte, kaufe mal einen Krimi, mal einen aktuellen Roman und manchmal auch Liebesromane. Aber diese stellte sie einfach nur in ihr Buchregal. Sie mochte die Titel, die Schriftarten und die Namen der Hauptfiguren. Lesen wollte sie die Bücher nicht. Liebensgeschichten machten Isobel traurig. Besonders, wenn
sie gut ausgingen. Anders als ihre eigene..."


Isobel ist eine lebensfrohe Frau, die mitten im Leben steht und sich selbst schon gefunden hat. Sie hat einen Job, der sie erfüllt, einen wunderschönen Ort zum Leben, viele gute Freundinnen, die immer für sie da sind und eigentlich ihren Traummann: Jean-Luc. Ihm gefallen ihre Liebe zu Büchern, ihre lockere, selbstbewusste Art und ihr Lächeln, ihr gefallen an ihm seine Art zu gehen, seine charmante Unvoreingenommenheit und seine überlegte Attitüde.
Bei ihrer Begegnung kollidieren zwei Menschen, die eigentlich wie geschaffen füreinander, aber noch nicht ganz bereit für eine wirkliche Beziehung mit Zukunft sind. Im Laufe des Buches, der ganzen Entscheidungen, die sie treffen müssen und vor allem der Erfahrungen, die sie machen, lernen beide, was für sie wirklich wichtig im Leben ist und verändern vielleicht auch langsam ihre Lebenseinstellung.


"Es ist viel zu früh." Bei diesen Worten musste er erneut an Isobel denken. Zu früh, zu spät. Die meisten Dinge waren eins von beidem, stellte Jean-Luc fest. Heute war es für ihn jedenfalls definitiv zu spät."


Durch die abwechselnde Sicht auf beide kann man die ganzen Gefühle wunderbar nachvollziehen und ich konnte mich mit beiden identifizieren, auch wenn ihr Alter und ihre Lebenssituation mit der meinigen absolut nicht übereinstimmen. Schön ist auch, dass beide auch mal über reagieren, gemein sein und Fehler machen dürfen, was ihrem sonst so glatten Charakter eine wunderbare Authentizität verleiht. Gegen Ende habe ich immer mehr mit gefiebert und wollte den beiden am liebsten in den Hintern treten, dass sie sich endlich eingestehen, was sie am liebsten wollen: den jeweils anderen und endlich den entscheidenden Schritt gehen bevor sie wieder eine weitere Verstrickung auseinander reißt.


"Der Wind spielte mit den Ästen und blies die Strähnen aus ihrem Gesicht, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Beinahe wie ein liebevoller Mann. Neue Tränen liefen über Isobels Wangen, und sie wunderte sich, wo all diese Tränen herkommen mochten. Innerlich fühlte sie sich so leer wie lange nicht. Es war vorbei."



Wieder einmal kann ich nur den Schreibstil der Autorin loben. Diesmal beschreibt ihre fließende, bildhafte und romantische Art, Emotionen und Orte auszudrücken, zwar keine Fantasywelt, dennoch erschafft sie eine knisternde, gefühlsgeladene und irgendwie magische Atmosphäre, die schnell mitreißt und ans malerische Meer in die Provence entführt. So wird die Geschichte nicht nur authentisch und mit nötigem Witz erzählt, sie reißt auch durch viele Emotionen mit und lässt uns nachdenken, was wir im Leben noch erreichen wollen: lieber Sicherheit und Geborgenheit oder Abenteuer und Leidenschaft - oder vielleicht sogar beides zusammen...? Einige Metaphern und Anekdoten erzählen dem Leser, was Liebe alles bedeuten kann und inspirieren zum Nachdenken.


"Es war lächerlich sich an Statistiken zu halten, wenn es um die Liebe ging. Und nur weil sich viele Menschen trennten, hieß das ja nicht, dass sie vorher keine glücklichen Jahre gemeinsam verbracht hatten. Was war besser: Sich nie ernsthaft auf jemanden einzulassen, damit man nicht verletzt werden konnte, oder ein paar Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte glücklicher Zweisamkeit?"


Das Ende kommt dann etwas schnell aber mit dem einzigen akzeptablen Ausgang, welcher die Geschichte fürs Herz abrundet.



Fazit:


Ein schöner Sommerroman zum mitfühlen, mitfiebern und komplett abschalten. Lia Haycraft zeichnet das authentische Bild einer zarten Liebe, die trotz vieler Umwege schließlich zum Ziel findet und lässt uns von Sommer, Urlaub, Sonne und Liebe träumen.