Ruhig, lebensnah, charmant und ungekünstelt!
Für eine Nacht sind wir unendlich"Für eine Nacht sind wir unendlich" ist mein erstes Buch von Lea Coplin, wird aber auf keinen Fall mein letztes gewesen sein. Denn Lea Coplin schreibt hier spritzig, emotional, aber nicht mit übertriebener ...
"Für eine Nacht sind wir unendlich" ist mein erstes Buch von Lea Coplin, wird aber auf keinen Fall mein letztes gewesen sein. Denn Lea Coplin schreibt hier spritzig, emotional, aber nicht mit übertriebener Dramatik von einer Nacht voller unendlicher Möglichkeiten und die Angst im Nacken, sie nicht ausreichend zu nutzen. Dank des Verlags, der mir schon vor Wochen ein Vorabexemplar zur Verfügung gestellt hat, kann ich euch heute, pünktlich zum Erscheinungstermin von meinen Gedanken dazu berichten.
Jonah: "Manchmal muss man eben einen Schritt zu weit gehen, um etwas zu bewirken. Weil man sonst kein Gehör bekommt."
Das Cover ist aufgeregt, dunkel, bunt und schimmernd - also genau wie die Geschichte, die dahinter verbogen liegt. Auch wenn der blau-pinke Lichtrahmen und das spiegelnde Quadrat einen Eye-Catcher-Effekt hervorrufen, ist mir das in Kombination mit dem Hintergrundmotiv ein bisschen zu viel, zu aufgeregt. Außerdem habe ich mir Liv und Jonah ganz anders vorgestellt, als hier abgebildet. Toll ist, dass ich in meiner Vorab-Box tolle Polaroid-Bilder mit Eindrücken aus Glastonbury, ein Festivalarmband mit dem Titel des Buchs, farbig passende Knicklichter, ein personalisierter Brief sowie die Playlist zum Buch als Zusätze erhalten habe.
Erster Satz: "Ich hatte schon bessere Tage, so viel ist sicher."
Die Geschichte beginnt am letzten Tag des berühmt-berüchtigten Festivals in Glastonbury, bei dem sich Jonah und Liv zum ersten Mal begegnen. Während Jonah von seinen Freunden überredet wurde, mitzugehen, von seiner Exfreundin angenervt ist und es kaum erwarten kann, zurück nach Frankfurt zu fahren, will Liv endlich ein bisschen etwas von dem Festival sehen, das sie bislang nur vom Foodtruck ihrer Tante aus miterleben konnte. Als die Beiden sich das erste Mal sehen, ist sofort eine gegenseitige Faszination zu spüren und auch wenn sie wissen, dass sich ihre Wege bald wieder trennen würden, wollen sie den anderen noch nicht gehen lassen. So ziehen sie gemeinsam los und sehen das Festival in seinen letzten Zügen plötzlich mit ganz anderen Augen, öffnen sich langsam füreinander und verschenken entgegen besseren Wissens vorsichtig ihr Herz...
Liv: "Er zuckt mit den Schultern. Und als wäre das Zugeständnis genug, machen wir uns gemeinsam auf den Weg dorthin. Zwei zufällig zusammengewürfelte Teilchen, von denen noch niemand sagen kann, ob sie sich anziehen oder abstoßen werden."
Ich habe in meiner "Lesekarriere" schon wirklich eine Menge New-Adult-Bücher gelesen und immer wieder das übertriebene Drama, die vielen Klischees und die aufgesetzten Probleme kritisiert, die leider oft mit emotionalen Geschichten des Genres einhergehen. Ganz dagegen gefeit ist "Für eine Nacht sind wir unendlich" natürlich auch nicht, dennoch gefielen mir die ruhigere Erzählweise, die lebensnahen Protagonisten und deren authentische Probleme sehr gut. Dadurch dass die gesamte Handlung nur an einem Tag passiert und die Protagonisten kaum 24 Stunden miteinander verbringen, ist das, was sie teilen intensiver, spontaner und ungehemmter. Die wenigen Seiten der Geschichte täuschen: durch die kompakte Erzählweise und das kurze Erzählintervall passiert hier eine ganze Menge und es wird garantiert nicht langweilig. Ein fröhliches Prickeln, kaum Zeit zum Nachdenken, die ständige Gegenwart des anderen und eine sich schleichend einstellende Nähe - So entwickelt sich die Liebe zwischen ihnen langsam Schritt für Schritt, sodass trotz der vielen Ereignisse eine gemütliche Ruhe über die Geschichte liegt.
Liv: "Wenn er lächelt, wirkt es fast wir ein Sonnenaufgang auf seinem Gesicht. Er schiebt sich sorgsam darüber, bringt alles zum Strahlen, leuchtet, mitten in mein Herz."
Wunderbar untermauert wird die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte durch das wundervolle Setting. Das Glastonbury Festival (das es übrigens wirklich gibt), ist ein lebendiges, buntes, chaotisches, weitläufiges Festival, das so voller Vielfalt und Lebensfreude strotzt, dass ich mich mehrmals während dem Lesen dort hin gewünscht habe. Gerade weil der Festival-Sommer dieses Jahr leider ausfallen muss, ist dieses Buch ein tröstlicher Ersatz und ich habe es sehr genossen mit Liv und Jonah den Duft der Foodtrucks zu riechen, die magische Atmosphäre des altehrwürdigen Glastonburys zu genießen, die wilde Euphorie der Live-Konzerte zu fühlen, gemütlich auf einer sommerlichen Wiese zu liegen, zu den Klängen von Meditaionsgongs einzuschlafen und mich von einer Erfahrung zur nächsten treiben zu lassen.
Jonah: "Sie gibt einen frustrierten Laut von sich, und womöglich ist das der Moment, in dem ich mich ein kleines bisschen in Liv Forest verliebe. Weil sie unglaublich ist. Und keine Ahnung davon hat. Weil sie ... sie ist. Vermutlich ist es so einfach. Oder weil wir gemeinsam wir sind."
Sehr charmant und authentisch sind auch die beiden Protagonisten, die wir parallel zu ihrem Annähern besser kennenlernen und zu Beginn getroffene Urteile durch neue Offenbarungen immer wieder überdenken müssen. Dadurch, dass sie abwechselnd in teilweise sehr kurzen Kapiteln aus ihrer Perspektive erzählen, bekommen wir hautnah alles mit, was sich innerhalb der 24 Stunden auf der Handlungsebene aber auch in ihren Köpfen und Herzen ereignet und fühlen uns dadurch, als wären wir tatsächlich vor Ort. Liv erscheint zu Beginn sehr lebenslustig, offen, spontan und selbstbewusst, offenbart aber immer mehr Komplexe und Unsicherheiten, die sie seit Jahren bekämpfen muss. Erst als Jonahs Präsenz in ihr ein Kribbeln auslöst, kann sie sich eingestehen, dass sie in ihren Freund Laurent weniger verliebt ist, als in die Vorstellung, einen Freund zu haben und begehrt zu werden. Auch der düstere aber warmherzige Jonah hatte bislang nur Beziehungen, weil sie sich so ergeben haben und er schlecht allein sein kann. Außerdem versteckt Jonah noch eine dunkle Wahrheit, die endlich an die Oberfläche drängt... (Spoiler: Ja gut, dramaturgisch war das gut eingefädelt aber warum immer alle ein schlimmes Geheimnis, ein Trauma im NA-Genre haben müssen, ist mir nicht ganz klar).
Liv: "Vielleicht ziert irgendein nicht für jeden sichtbares Zeichen meine Stirn, das nur diese Bitches lesen können und das sie dazu auffordert, gemeinschaftlich fies zu mir zu sein. Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass es mir mit meinem kurvigeren Körper scheinbar durchaus gelingt, eine Konkurrenz darzustellen für die Annikas dieser Welt, die wochenlange Buttermilchdiäten sauer gemacht haben. Ich bin nicht fett. Dass ich nicht dürr bin, bedeutet noch längst nicht, dass ich fett bin."
Zuzusehen, wie sich die beiden Schritt für Schritt füreinander öffnen und dabei vor der Zeit davonlaufen, ist wirklich herzzerreißend. Wie sie zu Beginn noch ihre Unsicherheiten überspielen, Peinlichkeit bei unangenehmen Redepausen empfinden und nach und nach immer losgelöster werden, zusammen den Moment genießen und ungekünstelte Gespräche führen, ist spannend mitanzusehen. Egal ob Gespräche über Greta-Thunberg, die Zerstörung des Hymens, die perfekte Konsistenz von Scones oder unglückliche Liebschaften: hier wirkt trotz gelegentlich absurden Entwicklungen nichts konstruiert. Mir gefällt, dass hier alles im Fluss ist - die Geschichte, die Beziehung, die Charaktere, die Dialoge - hier gibt es keine schlagfertigen Wortgefechte, die sich lesen, als hätten sie die Autorin Tage gekostet, sie sich auszudenken oder schwülstige Liebeserklärungen. Stattdessen schreibt Lea Coplin charmant, modern, einfühlsam und einfach ECHT, sodass man ihr jede Wendung abnimmt, bis man mit dem offenen aber realistischen, perfekten Ende die Geschichte abschließt.
Jonah: "Ich lasse Liv nicht los. Ich war mit Annika zusammen, weil sie gerade da war, doch ich halte an Liv fest, weil sie mir etwas gibt, das mir bis dahin noch niemand gegeben hat; das Gefühl, nicht allein zu sein."
Fazit:
Ruhiger, lebensnäher, authentischer - Lea Coplin erzählt charmant und ungekünstelt die Geschichte zweier liebenswerter Protagonisten, die inmitten des kunterbunten Chaos´ des Glastonbury Festivals die Liebe finden.