Angestaubte Sprache, aufgeblasene Monologe und eine diskontinuierliche Konstruktion der Handlung
FaustDer depressive und vom Leben enttäuschte Universalgelehrte Faust geht zum Überwinden seiner Lebenskrise einen Packt mit dem Teufel Mephisto ein. Sollte Mephisto Faust so weit bringen, dass er einen glücklichen ...
Der depressive und vom Leben enttäuschte Universalgelehrte Faust geht zum Überwinden seiner Lebenskrise einen Packt mit dem Teufel Mephisto ein. Sollte Mephisto Faust so weit bringen, dass er einen glücklichen Augenblick festhalten wolle, dann erhält er Fausts Seele. Mephisto tut alles, um Faust vom rechten Weg abzubringen. Er macht ihn jünger und verhilft ihm zu einer Affäre mit einem jungen, unschuldigen Mädchen - Gretchen - dessen physische und psychische Existenz er durch sein triebhaftes, egoistisches Verhalten zerstört. Seine Lebenskrise überwindet er jedoch nicht und sein Irren wird mit "Faust II" weitergeführt.
Vorangestellt muss ich wohl sagen, dass dieser Klassiker eine meiner Deutsch-Abi-Lektüren war, ich mich also im schulischen Rahmen damit beschäftigt habe. Auch wenn ich mir im Rahmen der Klassiker-Challenge das Ziel gesetzt habe, alten Klassikern eine Chance zu geben, hätte ich mich wohl nie an diesen verstaubten Schinken gewagt. Und auch wenn ich die Handlung besser verstanden habe, als ich zu Beginn angenommen hatte, habe ich mich nur durch diese Tragödie gequält. Das liegt meiner Ansicht nach weniger daran, dass ich ein Kulturbanause bin, vielmehr fand ich die Geschichte einfach grottenschlecht erzählt und weder die Handlung noch die Sprache oder die Themen konnten mich abholen. Natürlich ist es sehr schwierig ein solches Werk angemessen zu rezensieren. Und vielleicht kann es auch sein, dass aus mir mit dieser Meinungsäußerung auch der Frust spricht, dass ich mich mit diesem Werkt zwei Jahre lang beschäftigen musste. Dennoch würde ich sagen, dass ich mir nach etlichen Klausuren, detaillierter Textarbeit, spannenden Diskussionen und einer Abiprüfung durchaus das Recht verdient habe, das Werk von meinem Standpunkt aus kritisch zu bewerten.
Wie bin ich mit der Sprache zurecht gekommen?
Goethes Faust ist ein Theaterstück, das aus 28 einzelnen Szenen ohne Akteinteilung besteht. Vielmehr hat sich Goethe hier für ein Stationendrama mit asymmetrischem Aufbau entschieden (2 Peripetien), das man nach der typischen Dramenaufteilung in die Gelehrtentragödie und die Gretchentragödie gliedern kann. Dabei wird die Geschichte nur über Monologe und Dialoge erzählt, die bis auf eine Prosaszene in gereimten Versen verfasst sind. Wem sich bei den Worten Madrigalvers, Knittelvers, Blankvers und freien Rhythmen schon die Nackenhaare sträuben, sollte lieber die Finger davon lassen. Am meisten zu schaffen gemacht hat mir aber nicht die gereimte Sprache mit ihren vielfältigen Versformen und aufgeblasenen Wortbildern, sondern vor allem die diskontinuierliche Szenenfolge. Ständige Zeitsprünge, Ortswechsel und das plötzliche Auf- und Abtreten von Figuren machen das Verfolgen der dialogisch präsentierten Handlung sehr schwer. In der sprachlichen Gestaltung sind eindeutige Einflüsse des Sturm und Drangs erkennbar (eine Epoche deren Gefühlsbetontheit und Ichbezogenheit mir ehrlich gesagt sehr auf die Nerven geht). So hielt Goethe wohl nicht wirklich etwas von einer Einheit von Zeit, Ort, fortlaufender Handlung oder sprachlicher Geschlossenheit sondern legte stattdessen viel Wert auf ausschweifende Monologe von Seiten Fausts über seine Lebenskrise, seinen Treibstau oder über seine entgrenzenden Naturerlebnisse. Wenn ich also sage, die Sprache ist sehr altmodisch und recht anspruchsvoll meine ich eigentlich langweilig und angestaubt. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, welche Art von Faszination für dieses Werk, Menschen dazu treibt, sich freiwillig diesem Kuddelmuddel zu widmen.
Wie finde ich die Konstruktion der Handlung?
Goethe hat dieses Werk über mehrere Jahrzehnte hinweg in mehreren Phasen verfasst („Urfaust“, Fragmente, …). Leider kann man die zeitweisen Arbeitsschritte und die fehlende Stringenz auch der Handlung anspüren. So ist das passendste Attribut, das mir zum Aufbau des Dramas einfällt: verwirrende Inhomogenität. Viele wichtige Informationen werden übergangen, nebenbei erwähnt oder äußerst ungenau wiedergegeben und aufgrund der diskontinuierlichen Szenenfolge lassen sich auch die häufigen Zeitsprünge, die im krassen Gegensatz zu den ausschweifenden Wiederholungen am Anfang stehen, äußerst schlecht identifizieren. So wird dem unwissenden Leser Gretchens Schwangerschaft verschwiegen (bloß wenn man es weiß, kann man Anspielungen erkennen), die Geburt des Kindes, ihr Konflikt und ihr Kindsmord werden zugunsten der widerlich orgiastischen "Walpurgisnacht" und dem parodierenden "Walpurgisnachtstraum" komplett ausgespart. Ich halte mich selbst für eine recht aufmerksame Leserin, aber wenn ich keine schlauen Zusammenfassungen im Internet zur Hilfe gehabt hätte, hätte ich gerade im letzten Teil wenig der Handlung verstanden. Auf der einen Seiten haben mich also die vielen Wiederholungen gleicher Gedankengänge (vor allem Fausts scheinheilige Selbstgespräche, wie weit er bei Gretchen gehen darf) und auf der anderen Seite das Aussparen wichtiger Informationen und essenzieller Szenen, die zum Verständnis der Handlung notwendig sind sowie die nicht vorhandene Kennzeichnung von riesigen Zeitsprüngen, ziemlich verwirrt und genervt. Hätte ein heutiger Roman sich diese grottige Konstruktion geleistet, wäre er in der Luft zerrissen worden.
Kann ich mich mit den Protagonisten identifizieren?
Allgemein ist das angesichts des Alters des Werks recht schwierig, da die Figuren in einer komplett anderen Zeit gelebt haben und sich sowohl ihre Denk- als auch Lebensweise stark von unserer unterscheidet. Dazu kommt, dass die Hauptfigur Faust mit seinen schätzungsweise 50 Jahren in einer Lebenskrise steckt, die man wohl heutzutage als Midlife Crises betiteln würde und die ich nur schwer auf meine eigene Lebenswelt beziehen kann. So leidet er an einem emotionalen Defizit, hat keine engen sozialen Bindungen und sein immenser Triebstau sorgt in seiner Beziehung mit Gretchen für ein Schwanken zwischen Schwärmerei und sexuellem Verlangen. Ein weiterer Punkt, weshalb ich mit Faust nicht besonders viel anfangen konnte, ist seine verantwortungslose, zerstörerische Ich-Bezogenheit, mit der er das Leben der jungen Margarete zerstört und die Tatsache, dass er all seine Schuld an ihrem Schicksal leugnet, verdrängt und auf Mephisto abzuwälzen versucht. Ihr seht also - ein sehr liebenswerter Charakter, dieser Heinrich Faust.
Da sich mit "Faust" und "Steppenwolf" gleich zwei Schwerpunktlektüren mit den Lebenskrisen älterer Männer befassen und das für mich als junge Frau nicht besonders relevant ist, kam die Prüfungskommission doch tatsächlich auf die Idee, uns "Faust" mit der Begründung schmackhaft zu machen, dass ja mit Margarete ein junges Mädchen eine wichtige Rolle spiele. Dass sie erst 14 Jahre alt ist und sich naiv (trotz guter Intuition) von dem viel älteren Faust verführen (mal ehrlich, das ist trotz seiner Verjüngung echt widerlich), benutzen und wegwerfen lässt, macht sie meiner Meinung nach trotzdem nicht unbedingt zur passendsten Identifikationsperson Die einzig erfreuliche Wendung, die ihren Charakter anbelangt ist, dass sie sich am Ende im Kerker dazu entscheidet, nicht mit Faust zu fliehen, sondern ihre Schuld bekennt, zu sich selbst zurückfindet und sich ihrem Gericht stellt.
Wen ich als einziges wirklich interessant fand, ist Mephisto, da er mit seinen verschiedenen Rollen und Erscheinungsformen sowie mit seiner Stellung als Katalysator des Guten im Weltgefüge als einziger eine gewisse Ambivalenz und Tiefe besitzt. Spannend finde ich auch den Gedanken, dass Faust und Mephisto als antithetische Figuration eines inneren Prozesses gesehen werden können, Mephisto also zum Alter Ego oder zur Wesensdimension Faust werden würde.
Ist das Thema des Romans noch zeitgemäß? Inwiefern lässt es sich auf die heutige Zeit beziehen?
Ganz grob geht es im Faust mit seiner "Zwei-Seelen-Problematik" um den Widerspruch zwischen Körper und Geist, Wissen und Spaß, Intellektualität und Sinnlichem, Göttlichem und Irdischem und dem daraus folgenden Streben nach Entgrenzung. Faust leidet unter seinem begrenzten Erkenntnisvermögen und als klassischer Pantheist unter der Enge des mittelalterlichen Wissenschaftsbetriebs, was ihn in eine tiefe Depression stürzt (Gelehrtentragödie). Auf der anderen Seite, locken ihn aber auch die sinnlichen Erfüllungen, was zur Gretchentragödie führt. Diese Thematik, dieser grundsätzliche Widerspruch, ist in ihren Grundzügen meiner Meinung nach immer noch relevant.
Sehr spannend finde ich außerdem, dass Goethe 1808 so offen über Religion und die Abkehr von dieser schreibt. Faust äußert sich als klassischer Pantheist und scheint nicht viel von Gretchens Frömmigkeit zu halten und auch das Gottesbild im "Prolog im Himmel" lässt eher auf eine ganzheitliche Betrachtung der religiösen Vorstellung schließen, als auf eine christliche. Goethes Vorstellung von "Gut und Böse" und Mephisto als wichtige Erfüllungshilfe, der die Menschen in ihrer Trägheit zum Streben bringt, empfinde ich ebenfalls als recht fortschrittlich.
Auch wenn das vermutlich nicht so beabsichtigt war, könnte man außerdem in Gretchens Opferrolle ein abschreckendes Beispiel für das Scheitern einer Beziehung sehen. Da sich die beiden in Alter, Schicht, Intelligenz, Reife, Religiosität und Ehrlichkeit der Absichten stark unterscheiden, ist ein Scheitern eigentlich vorprogrammiert. Ihre Beziehung war von Beginn an von Hierarchie, Abhängigkeit und von keiner richtigen Liebe von Seiten Fausts geprägt und stand unter dem Vorzeichen von Lug und Betrug.
Gesamteindruck: Ein Klassiker und must-read?
Goethes "Faust" ist insofern ein interessanter Klassiker als dass es Merkmale mehrerer verschiedener Epochen aufweist (Weimarer Klassik, Sturm und Drang, Aufklärung) und für die damalige Zeit recht fortschrittlich war was Sozialkritik, Religionskritik und Wissenschaftskritik anbelangt. Ob es ein "must-read" ist, würde ich dennoch entschiedenen verneinen. Weder die umständliche Sprache mit den aufgeblasenen Dialogen, den vielen Wiederholungen noch die diskontinuierliche Konstruktion der Handlung oder die fragwürdigen Figuren konnten mich überzeugen. So ist alles was von dem Werk bleibt der schale Triumpf, es einmal in meinem Leben gelesen zu haben.