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Veröffentlicht am 02.02.2019

Eine absurde aber berührende Dramödie: Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell!

Die tausend Teile meines Herzens
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Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt ...

Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu setzen, zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört. Von ihr habe ich bis jetzt fast alles gelesen und geliebt, natürlich war es keine Frage, dass ich ihr auch ihren neusten auch unbedingt lesen wollte. Doch anders als ich erwartet habe, wartete hier keine leidenschaftliche Liebesgeschichte auf mich, sondern viel mehr eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!


Auch das Cover ist wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet weißer Hintergrund, dezentes Motiv, Titel in Lila unter dem großen Namen der Autorin. Ich denke, dass splitternde Herz passt ganz gut und auch so hat das Cover definitiv Wiedererkennungswert und passt zu ihren anderen Publikationen aber dennoch finde ich es viel weniger eindringlich und nicht so aussagekräftig wie das Original (siehe rechts). Auch in der Kategorie "Titel" verliert die deutsche Ausgabe leider um Längen. Während das Original kurz, knapp und eindringlich gleichzeitig einen häufig auftauchenden Wortwitz aufgreift und den Namen der Protagonistin enthält und somit auf mehreren Ebenen zu verstehen ist, scheint der deutsche wahllos, platt und lange nicht so passend. Hier hätte es sich definitiv gelohnt, am Originaltitel festzuhalten!


Sehr gut gefallen hat mir an der Gestaltung jedoch, dass immer wieder die in der Handlung vorkommenden Bilder, die Sagan für Merit zeichnet auch wirklich abgebildet sind. Ich finde es eine riesige Bereicherung, das Kunstwerk gleich selbst sehen zu können, sowie das bei "Love and Confess" auch der Fall war. Die sieben Bilder, die eigentlich Brandon Adams gezeichnet hat, sind allesamt wunderschön und total gestört - und passen damit wunderbar in diese Geschichte, die sich von diesen beiden extremen Adjektiven auch gut beschreiben lässt.

Erster Satz: "Ich besitze eine beeindruckende Sammlung von Pokalen, die ich alle nicht gewonnen habe.“


Merit Voss liebt alles, was seltsam ist: ihre Angewohnheit, fremde Pokale zu sammeln, dem zweieinhalbmetergroßen Jesus in ihrem Wohnzimmer neue Kostüme anzuziehen und … den Typen mit den seltsamen Tattoos, den sie in einem Antiquitätenladen trifft und der sie gleich bei der ersten Begegnung küsst. Doch obwohl ihre Familie das seltsamste an ihrem Leben ist, kann sie die absolut nicht leiden. Denn neben ihrem kleinen Halbbruder Moby, ihrer Zwillingsschwester Honor (die gerne Beziehungen mit todkranken Jungs anfängt) ihrem großen Bruder Utah (der einen geordneten Tagesablauf über alles stellt und jeden Tag die Leuchttafel vor ihrem Haus mit einer neuen Weisheit bestückt) und ihrem Vater, dem Gebrauchtwagenhändler Barnaby wohnen noch ein bisexueller Stiefonkel (der gerne einen Kilt trägt) ihre Mutter Victoria (die sich seit einem Unfall und der Trennung von Barnaby im Keller versteckt) und Barnabys neue Frau Victoria 2 bei ihr Zuhause. Kein Wunder, dass Merit diese schräge, streitsüchtige und wackelige Ansammlung an Menschen nicht besonders leiden kann, die mit ihr zusammen in der umgebauten Kirche einer mikroskopisch kleinen Gemeinde in Texas lebt. Doch als dann auch noch Sagan, also der Typ, in den sie sich im Antiquariat mit einem Blick verliebt hat in ein Zimmer des "Voss Dollar" einzieht und der Freund ihrer Zwillingsschwester Honor zu sein scheint, reicht es ihr - sie kann die ewige Gleichgültigkeit und das Schweigen nicht mehr ertragen und offenbart alle Geheimnisse, die sie die letzten Jahre gehütet hat. Das Ergebnis ist viel Schmerz, Chaos, Wut … aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang.


"An die Bewohner des Voss Dollars, dieser Brief ist an euch alle gerichtet. (...) Ich schreibe diesen Brief, weil ich eine Riesenwut in mir habe, die dringend rausmuss. (…) Ich bin wütend, weil ihr alle Geheimnisse voreinander habt und keiner den Mund aufmacht. Aber jetzt reicht es mir. Ich weigere mich, eure Geheimnisse auch nur noch eine Sekunde länger für mich zu behalten. (…) Okay. Womit fange ich an? …"


Colleen Hoover nimmt uns sofort mit in das Leben von Merit, schildert uns recht ausführlich ihren Alltag, ihre Probleme und lässt uns so am verkorksten Familienleben im Voss Dollar teilhaben. Es ist jedoch von Anfang an klar, dass die "Queen of Hearts" es hier ein wenig anders angeht und weniger auf überquellende Liebe sondern mehr auf das verrückte Leben eines Teenagers und dessen Irrungen und Wirrungen setzt. Besonders die Dynamik an Beziehungen innerhalb der Familie wird besonders hervorgehoben - die mit Sagan ist da nur eine Facette von vielen und steht nicht im Vordergrund. Stattdessen geht es hier vielmehr um den richtige Blickwinkel, dunkle Geheimnisse, Streiten Versöhnung und Verzeihen und anstatt von Liebe stehen eher Gefühle wie Wut, Einsamkeit, Zerrissenheit, Eifersucht und auch bleierne Gleichgültigkeit im Vordergrund. Auch wenn hier viele schwere Themen wie Depression, Suizid und sexuelle Orientierung verpackt werden, ist diese Geschichte keineswegs herunterziehend. Mit einer ordentlichen Portion Humor aber vor allem mit total bunten, absurden und witzigen Ideen wird der Geschichte das Erdrückende genommen und den ein oder anderen freien Lacher heraufgefordert, auch wenn eine unterschwellige Traurigkeit spürbar ist und dem Roman die tänzelnde, spielerische Leichtigkeit seiner Vorgängerromane fehlt. Etwas schade fand ich auch, dass neben dem Titel auch viele Witze eher schlecht übersetzt worden sind und so zum Beispiel "Käsus Christus" (im Original "Cheeses Christ") oder Sagans Grusel-Gutenachtgeschichte "Die Perspektive des Königs" nicht die Wirkung entfalten können, die das Original vielleicht hätte vermitteln können.


"Dad: Bitte bring den Jesus wieder in seinen Normalzustand und verbrenn diesen blöden Käsehut, sobald du heute von der Schule nach Hause kommst." Ich weiß, dass er das nett meint und bloß versucht, witzig zu sein. Aber ich kann nicht über seine Witze lachen, wenn er noch nicht mal merkt, dass ich seit Wochen nicht mehr in der Schule war. Es ist, als hätte ich gar keine Eltern mehr. Meine Mutter lebt in einem Keller und mein Vater in seiner eigenen Welt. In dieser Familie interessiert sich keiner füreinander."


Tiefschürfend, brutal ehrlich und unkonventionell lässt sie hier ihre Protagonisten aufeinander los und schafft es, zwischen all dem Chaos, Schmerz und dem Durcheinander der Gefühle eine klare Aussage durchschimmern zu lassen: die Wichtigkeit von gegenseitiger Verständigung und die Notwendigkeit, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wie gewohnt spielt die Autorin dabei nur so mit Worten. Nicht nur die vielen immer wiederkehrenden Sprüche, die die Charaktere als Insider austauschen. Nein, sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen. Dieses Buch hat mich weinen lassen, lachen, mitfühlen, mich dazu gebracht zu schmunzeln, die Nase rümpfen und ein paar Mal auch dazu, es kurz wegzulegen. Doch vor allem hat es mich berührt und einfach mitgerissen!!! Colleen Hoover besitzt einfach das Talent aus wenigen Worten die größten Gefühle heraus zu locken und so eigentlich aus dem Nichts ein riesiges Gefühlschaos und Drama zu erschaffen.


"Ich finde es komplett daneben, wenn Leute einem erzählen wollen, dass man nicht wütend oder traurig sein darf, weil es anderen auf der Welt gibt, denen es viel schlechter geht. Das ist Bullshit. Deine Gefühle müssen ernst genommen werden, Merit. Sie sind berechtigt. Gefühle sind immer einzigartig."


Ganz anders geht sie diesmal auch an ihre Protagonisten ran. Anders als die meisten Protagonistinnen des Genres ist Merit keineswegs eine Hauptperson, die man einfach so ins Herz schließt - zumindest nicht am Anfang. Sie ist schwierig, launisch, frech, direkt und strapaziert die Nerven ihrer Familie und die der Leser mit ihrer Spontanität und ihrer Angewohnheit bei ein bisschen Schwierigkeiten immer in den "Giftmodus" zu schalten. Was hinter ihren Verhaltensmustern steckt wird immer wieder in kleinen Portionen enthüllt. Bis wir sie dann besser verstehen können, sie mit ihrer Verletzlichkeit ins Herz schließen und gebannt ihren wundervollen und schmerzhaften Prozess der Heilung verfolgen können, dauert es eine ganze Weile.


"Schau ihn dir an. Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du dich nicht in ihn verliebt hast?" Ich seufze. Zu sagen, dass ich mich verliebt hätte, wäre noch untertrieben. Richtiger ist, dass ich ihm verfallen bin. Mit Haut und Haaren. Ohnmächtig ausgeliefert."


Sagan ist als Love Interest keineswegs der zweite Hauptcharakter sondern eigentlich mehr einer der wichtigen Nebenprotagonisten, der Merit in ihrer Entwicklung zur Seite steht und sie unterstützt. Mit seiner sanften, kreativen und einfühlsamen Art ist er leicht zu mögen - andere Personen wie zum Beispiel Merits verrückter Stiefonkel Luck, ihre ätzend-perfekte Stiefschwester Honor oder der große Bruder Utah, mit dem sie noch ein dunkles Geheimnis verbindet, sind jedoch viel spanender, als er. Das macht jedoch absolut nichts - denn diese Geschichte hat viel mehr in sich als dass es eine Liebesgeschichte brauchen würde, die mehr ist als süße Beigabe.

Am Ende - das viel knapper, offener und klarer strukturiert ist, als andere Bücher des Genres, die gerne zu übertriebenen Happy Ends neigen, in denen alle heiraten, Kinder bekommen und unwiderruflich bis an ihr Lebensende glücklich sind - bleibt das erfrischende Gefühl, ein Buch gelesen zu haben, das wunderbar anders ist und aufzeigt, was die Autorin bislang vor uns versteckt hat. Das Gefühl, auf jede Menge ungenutztes Potential des Genres gestoßen zu sein, das in Zukunft vielleicht öfter die überquellende Leidenschaft zurückschraubt und Platz für ein paar subtilere Töne lässt.

"Wir sitzen eine ganze Weile so da, ohne uns loszulassen, und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass Offenheit und ein liebevoller Umgang in der Familie Voss so viele Jahre lang verpönt waren, obwohl beides ziemlich viel für sich hat. Kann es sein, dass wir alle darauf gewartet haben, dass di anderen den ersten Schritt tun, und deshalb keiner je den Anfang gemacht hat? Vielleicht ist das ja in vielen Familien so, in denen es nicht ganz rundläuft. Das wahre Problem sind nicht die Konflikte, sondern dass keiner den Mut hat, den ersten Schritt zu tun und offen darüber zu sprechen."



Fazit:


Eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell - Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!

Veröffentlicht am 02.02.2019

Eine absurde aber berührende Dramödie: tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell!

Die tausend Teile meines Herzens
0

Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt ...

Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu setzen, zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört. Von ihr habe ich bis jetzt fast alles gelesen und geliebt, natürlich war es keine Frage, dass ich ihr auch ihren neusten auch unbedingt lesen wollte. Doch anders als ich erwartet habe, wartete hier keine leidenschaftliche Liebesgeschichte auf mich, sondern viel mehr eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!


Auch das Cover ist wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet weißer Hintergrund, dezentes Motiv, Titel in Lila unter dem großen Namen der Autorin. Ich denke, dass splitternde Herz passt ganz gut und auch so hat das Cover definitiv Wiedererkennungswert und passt zu ihren anderen Publikationen aber dennoch finde ich es viel weniger eindringlich und nicht so aussagekräftig wie das Original (siehe rechts). Auch in der Kategorie "Titel" verliert die deutsche Ausgabe leider um Längen. Während das Original kurz, knapp und eindringlich gleichzeitig einen häufig auftauchenden Wortwitz aufgreift und den Namen der Protagonistin enthält und somit auf mehreren Ebenen zu verstehen ist, scheint der deutsche wahllos, platt und lange nicht so passend. Hier hätte es sich definitiv gelohnt, am Originaltitel festzuhalten!


Sehr gut gefallen hat mir an der Gestaltung jedoch, dass immer wieder die in der Handlung vorkommenden Bilder, die Sagan für Merit zeichnet auch wirklich abgebildet sind. Ich finde es eine riesige Bereicherung, das Kunstwerk gleich selbst sehen zu können, sowie das bei "Love and Confess" auch der Fall war. Die sieben Bilder, die eigentlich Brandon Adams gezeichnet hat, sind allesamt wunderschön und total gestört - und passen damit wunderbar in diese Geschichte, die sich von diesen beiden extremen Adjektiven auch gut beschreiben lässt.

Erster Satz: "Ich besitze eine beeindruckende Sammlung von Pokalen, die ich alle nicht gewonnen habe.“


Merit Voss liebt alles, was seltsam ist: ihre Angewohnheit, fremde Pokale zu sammeln, dem zweieinhalbmetergroßen Jesus in ihrem Wohnzimmer neue Kostüme anzuziehen und … den Typen mit den seltsamen Tattoos, den sie in einem Antiquitätenladen trifft und der sie gleich bei der ersten Begegnung küsst. Doch obwohl ihre Familie das seltsamste an ihrem Leben ist, kann sie die absolut nicht leiden. Denn neben ihrem kleinen Halbbruder Moby, ihrer Zwillingsschwester Honor (die gerne Beziehungen mit todkranken Jungs anfängt) ihrem großen Bruder Utah (der einen geordneten Tagesablauf über alles stellt und jeden Tag die Leuchttafel vor ihrem Haus mit einer neuen Weisheit bestückt) und ihrem Vater, dem Gebrauchtwagenhändler Barnaby wohnen noch ein bisexueller Stiefonkel (der gerne einen Kilt trägt) ihre Mutter Victoria (die sich seit einem Unfall und der Trennung von Barnaby im Keller versteckt) und Barnabys neue Frau Victoria 2 bei ihr Zuhause. Kein Wunder, dass Merit diese schräge, streitsüchtige und wackelige Ansammlung an Menschen nicht besonders leiden kann, die mit ihr zusammen in der umgebauten Kirche einer mikroskopisch kleinen Gemeinde in Texas lebt. Doch als dann auch noch Sagan, also der Typ, in den sie sich im Antiquariat mit einem Blick verliebt hat in ein Zimmer des "Voss Dollar" einzieht und der Freund ihrer Zwillingsschwester Honor zu sein scheint, reicht es ihr - sie kann die ewige Gleichgültigkeit und das Schweigen nicht mehr ertragen und offenbart alle Geheimnisse, die sie die letzten Jahre gehütet hat. Das Ergebnis ist viel Schmerz, Chaos, Wut … aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang.


"An die Bewohner des Voss Dollars, dieser Brief ist an euch alle gerichtet. (...) Ich schreibe diesen Brief, weil ich eine Riesenwut in mir habe, die dringend rausmuss. (…) Ich bin wütend, weil ihr alle Geheimnisse voreinander habt und keiner den Mund aufmacht. Aber jetzt reicht es mir. Ich weigere mich, eure Geheimnisse auch nur noch eine Sekunde länger für mich zu behalten. (…) Okay. Womit fange ich an? …"


Colleen Hoover nimmt uns sofort mit in das Leben von Merit, schildert uns recht ausführlich ihren Alltag, ihre Probleme und lässt uns so am verkorksten Familienleben im Voss Dollar teilhaben. Es ist jedoch von Anfang an klar, dass die "Queen of Hearts" es hier ein wenig anders angeht und weniger auf überquellende Liebe sondern mehr auf das verrückte Leben eines Teenagers und dessen Irrungen und Wirrungen setzt. Besonders die Dynamik an Beziehungen innerhalb der Familie wird besonders hervorgehoben - die mit Sagan ist da nur eine Facette von vielen und steht nicht im Vordergrund. Stattdessen geht es hier vielmehr um den richtige Blickwinkel, dunkle Geheimnisse, Streiten Versöhnung und Verzeihen und anstatt von Liebe stehen eher Gefühle wie Wut, Einsamkeit, Zerrissenheit, Eifersucht und auch bleierne Gleichgültigkeit im Vordergrund. Auch wenn hier viele schwere Themen wie Depression, Suizid und sexuelle Orientierung verpackt werden, ist diese Geschichte keineswegs herunterziehend. Mit einer ordentlichen Portion Humor aber vor allem mit total bunten, absurden und witzigen Ideen wird der Geschichte das Erdrückende genommen und den ein oder anderen freien Lacher heraufgefordert, auch wenn eine unterschwellige Traurigkeit spürbar ist und dem Roman die tänzelnde, spielerische Leichtigkeit seiner Vorgängerromane fehlt. Etwas schade fand ich auch, dass neben dem Titel auch viele Witze eher schlecht übersetzt worden sind und so zum Beispiel "Käsus Christus" (im Original "Cheeses Christ") oder Sagans Grusel-Gutenachtgeschichte "Die Perspektive des Königs" nicht die Wirkung entfalten können, die das Original vielleicht hätte vermitteln können.


"Dad: Bitte bring den Jesus wieder in seinen Normalzustand und verbrenn diesen blöden Käsehut, sobald du heute von der Schule nach Hause kommst." Ich weiß, dass er das nett meint und bloß versucht, witzig zu sein. Aber ich kann nicht über seine Witze lachen, wenn er noch nicht mal merkt, dass ich seit Wochen nicht mehr in der Schule war. Es ist, als hätte ich gar keine Eltern mehr. Meine Mutter lebt in einem Keller und mein Vater in seiner eigenen Welt. In dieser Familie interessiert sich keiner füreinander."


Tiefschürfend, brutal ehrlich und unkonventionell lässt sie hier ihre Protagonisten aufeinander los und schafft es, zwischen all dem Chaos, Schmerz und dem Durcheinander der Gefühle eine klare Aussage durchschimmern zu lassen: die Wichtigkeit von gegenseitiger Verständigung und die Notwendigkeit, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wie gewohnt spielt die Autorin dabei nur so mit Worten. Nicht nur die vielen immer wiederkehrenden Sprüche, die die Charaktere als Insider austauschen. Nein, sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen. Dieses Buch hat mich weinen lassen, lachen, mitfühlen, mich dazu gebracht zu schmunzeln, die Nase rümpfen und ein paar Mal auch dazu, es kurz wegzulegen. Doch vor allem hat es mich berührt und einfach mitgerissen!!! Colleen Hoover besitzt einfach das Talent aus wenigen Worten die größten Gefühle heraus zu locken und so eigentlich aus dem Nichts ein riesiges Gefühlschaos und Drama zu erschaffen.


"Ich finde es komplett daneben, wenn Leute einem erzählen wollen, dass man nicht wütend oder traurig sein darf, weil es anderen auf der Welt gibt, denen es viel schlechter geht. Das ist Bullshit. Deine Gefühle müssen ernst genommen werden, Merit. Sie sind berechtigt. Gefühle sind immer einzigartig."


Ganz anders geht sie diesmal auch an ihre Protagonisten ran. Anders als die meisten Protagonistinnen des Genres ist Merit keineswegs eine Hauptperson, die man einfach so ins Herz schließt - zumindest nicht am Anfang. Sie ist schwierig, launisch, frech, direkt und strapaziert die Nerven ihrer Familie und die der Leser mit ihrer Spontanität und ihrer Angewohnheit bei ein bisschen Schwierigkeiten immer in den "Giftmodus" zu schalten. Was hinter ihren Verhaltensmustern steckt wird immer wieder in kleinen Portionen enthüllt. Bis wir sie dann besser verstehen können, sie mit ihrer Verletzlichkeit ins Herz schließen und gebannt ihren wundervollen und schmerzhaften Prozess der Heilung verfolgen können, dauert es eine ganze Weile.


"Schau ihn dir an. Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du dich nicht in ihn verliebt hast?" Ich seufze. Zu sagen, dass ich mich verliebt hätte, wäre noch untertrieben. Richtiger ist, dass ich ihm verfallen bin. Mit Haut und Haaren. Ohnmächtig ausgeliefert."


Sagan ist als Love Interest keineswegs der zweite Hauptcharakter sondern eigentlich mehr einer der wichtigen Nebenprotagonisten, der Merit in ihrer Entwicklung zur Seite steht und sie unterstützt. Mit seiner sanften, kreativen und einfühlsamen Art ist er leicht zu mögen - andere Personen wie zum Beispiel Merits verrückter Stiefonkel Luck, ihre ätzend-perfekte Stiefschwester Honor oder der große Bruder Utah, mit dem sie noch ein dunkles Geheimnis verbindet, sind jedoch viel spanender, als er. Das macht jedoch absolut nichts - denn diese Geschichte hat viel mehr in sich als dass es eine Liebesgeschichte brauchen würde, die mehr ist als süße Beigabe.

Am Ende - das viel knapper, offener und klarer strukturiert ist, als andere Bücher des Genres, die gerne zu übertriebenen Happy Ends neigen, in denen alle heiraten, Kinder bekommen und unwiderruflich bis an ihr Lebensende glücklich sind - bleibt das erfrischende Gefühl, ein Buch gelesen zu haben, das wunderbar anders ist und aufzeigt, was die Autorin bislang vor uns versteckt hat. Das Gefühl, auf jede Menge ungenutztes Potential des Genres gestoßen zu sein, das in Zukunft vielleicht öfter die überquellende Leidenschaft zurückschraubt und Platz für ein paar subtilere Töne lässt.

"Wir sitzen eine ganze Weile so da, ohne uns loszulassen, und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass Offenheit und ein liebevoller Umgang in der Familie Voss so viele Jahre lang verpönt waren, obwohl beides ziemlich viel für sich hat. Kann es sein, dass wir alle darauf gewartet haben, dass di anderen den ersten Schritt tun, und deshalb keiner je den Anfang gemacht hat? Vielleicht ist das ja in vielen Familien so, in denen es nicht ganz rundläuft. Das wahre Problem sind nicht die Konflikte, sondern dass keiner den Mut hat, den ersten Schritt zu tun und offen darüber zu sprechen."



Fazit:


Eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell - Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!

Veröffentlicht am 29.01.2019

Beeindruckend intensiv, exotisch-kunterbunt und absolut authentisch!

Children of Blood and Bone
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"Wir alle sind Kinder von Blut und Bein.
Und genau wie Zélie und Amari haben wir die Macht, etwas gegen das Böse in unserer Welt zu tun.
Viel zu lange sind wir in die Knie gezwungen worden.
Erheben wir ...

"Wir alle sind Kinder von Blut und Bein.
Und genau wie Zélie und Amari haben wir die Macht, etwas gegen das Böse in unserer Welt zu tun.
Viel zu lange sind wir in die Knie gezwungen worden.
Erheben wir uns.“

Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem Protagonisten aus dem Buch sondern von der Autorin selbst. Denn in ihrem Nachwort bezieht sie sich auf den Rassismus, die Ungerechtigkeiten und die Unterdrückung gegenüber Afroamerikanern, die in der USA leider immer noch vorherrschen und gibt an, das Buch in den Tagen geschrieben zu haben, als sie Tag für Tag in den Nachrichten sah, wie wehrlose und unschuldige Schwarze von der Polizei erschossen wurden und das keinerlei Konsequenzen hatte.

"Beim Schreiben dieses Buches habe ich viele Tränen vergossen. Beim Überarbeiten noch einmal. Auch wenn Löwenessen und heilige Rituale ins Reich der Phantasie gehören, sind der Schmerz, die Angst und das Leid in diesem Buch echt."

Das schreibt Tomi Adeyemi zu Beginn ihres Nachworts und dass dieser Schmerz echt ist, spürt man als Leser auch. Man kann diesen Roman also durchaus als Kampfansage gegen Rassismus und Unterdrückung aber vor allem gegen die Ignoranz der Menschen lesen. Und auch wenn das nicht die einzige Bedeutungsebene dieses Romans umfasst finde ich es doch wichtig, das im Hinterkopf zu haben, während man diese Geschichte liest.

Erster Satz: „Wähl mich!“

Das hat dieses wundervolle Cover zu mir gesagt als ich durch die Neuerscheinungen der letzten Monate gestöbert bin und überlegt habe, was ich als nächstes lesen will. Mit dem Mädchen mit der wunderschönen, dunklen Haut, den wallenden, weißen Haaren und dem stechenden Blick wurde das wohl passendste Motiv überhaupt gefunden, was grafisch wunderschön umgesetzt wurde. Die starken Kontraste der weißen Haare zum Hintergrund, zum Titel und zur Hautfarbe des Mädchens sowie die farbigen Akzente bereiten gut auf die ausdrucksstarke, kraftvolle und exotische Geschichte vor, die sich zwischen den Buchdeckeln verbirgt. Auch unter dem Umschlag ist das Buch wundervoll gestaltet: die nackten Buchdeckel sind mit goldenen Symbolen verziert und die Innenseiten zeigen eine Karte von Orïsha. Neben einer Übersicht über die Maji-Clans finden sich 85 wundervoll verzierte Kapitelanfänge, ein Prolog, ein Epilog, die Anmerkungen der Autorin und eine siebenseitige (!) Danksagung auf den 624 Seiten.


„Mut kann im Verborgenen wachsen, sagte sie damals. Tapferkeit in der Dunkelheit erblühen.“


Tomi Adeyemi entführt gleich von der ersten Seite an in eine bunte, lebendige Welt inspiriert von der Kultur und den Mythen Westafrikas. Neben viel Fantasie und innovativen Ideen steckt also auch eine Menge Wahrheit im Setting. Das Land Orïsha, wurde nach den Orïshas benannt, den Göttern und Göttinnen der Yoruba-Religion, welche wiederum den Namen für die Sprache der Maji bereitgestellt hat. Die Meere und Berge tragen die Namen ihrer verstorbenen Großeltern, auch Essen, Klima und Kleidung erinnern stark an die Westafrikanische Kultur. Ansonsten ist die Welt frei erfunden und erzählt die Geschichte eines unterdrückten Volks, den Maji und ihren Kindern, den Divînés. Einst gab es zehn verschiedene Maji-Clans in Orïsha, die die mit unterschiedlichen Gaben gesegnet waren und in direkter Verbindung mit der Himmelsmutter und ihren Göttern Magie üben konnten. Doch aus Hass und Machtgier des herrschenden Königs Saran wurde aus Angst vor der Magie der Maji in der sogenannten Blutnacht die Ermordung aller erwachsenen Magienutzer veranlasst, was die Magie verschwinden ließ und die Divînés zu Waisen machte. Auf sich alleingestellt wandern viele der Kinder, ihrer magischen Zukunft und ihrer Würde beraubt in Arbeitslager und müssen in ständigem Angst und Schrecken vor der Willkür der privilegierten Kosidán, also der Menschen ohne magisches Talent und der Unterdrückung des Regimes leben. Ihr einst stolzes Erbe, ausgedrückt durch ihre weißen Haare und ihre dunkle Haut, ist nun ein Zeichen der Schande und des Schmerzes geworden.


"Wir sind das Volk, das die Gefängnisse füllt, das vom König als Zwangsarbeiter missbraucht wird. Das Volk, das die Bewohner von Orïsha aus ihren Gesichtszügen verbannen möchten. Sie ächten uns, als wären weißes Haar und frühere magische Kräfte ein gesellschaftlicher Makel. Mama erzählte immer, dass weißes haar einmal das Zeichen der Mächte von Himmel und Erde gewesen sei. Es kündete von Schönheit, Tugend und Liebe, und zeigte, dass wir vor den Göttern gesegnet waren. Doch dann änderte sich alles und plötzlich galt die Magie als Verbrechen. Unsere Abstammung wurde zu einer Last und einer Gefahr."


Vor diesem Hintergrund, der der Geschichte einen exotischen Touch gibt und sehr frisch, authentisch und absolut unverbraucht daherkommt, entfaltet sich die spannende Geschichte um Zélie, die in der Blutnacht ihre Mutter verloren hat und in der seither ein namenloser Zorn brodelt, der nur darauf wartet von den Göttern in die richtige Richtung gelenkt zu werden; um Zélies Kosidán-Bruder, der sie vor allem Übel auf der Welt beschützen will; um die Prinzessin Amari, die sich der Unrechtsherrschaft ihres Vaters bewusst wird, als dieser ihre beste Freundin ermorden lässt und mit einem wichtigen Artefakt aus ihrem goldenen Käfig flieht und um den Prinzen Inan, der sich zwischen der Ehre und Pflichterfüllung seinem Vater gegenüber und seinem Drang, das Richtige zu tun entscheiden muss. Gerade zu Beginn ist es recht schwierig, über die ganzen fremdartigen Begriffe, also Namen, Titel, Gottheiten, etc. einen Überblick zu behalten, doch da der Handlungsverlauf nicht unbedingt neuartig und bahnbrechend ist, macht sich die Exotik des Settings durchaus bezahlt. Denn auch wenn die Geschichte dem typischen Fantasy-Aufbau eines Auftaktromans folgt (die starke, vom Schicksal gebeutelte Protagonistin wird zur Galionsfigur einer Revolution auserkoren, versucht mit Hilfe von Freund und Feind essentiell wichtige Artefakte zusammenzutragen, scheitert aber immer wieder und bezwingt schließlich scheinbar unüberwindbare Hindernisse und entdeckt ihre einzigartige, magische Begabung) schafft es der Roman, sich von der Masse abzuheben und hält noch sehr viel Potential bereit.

"Spuren.
Sie war hier.
Sie ist ganz in der Nähe.
Ich habe sie fast eingeholt.
Töte sie, trommelt mein Herz. Ich kralle die Finger in den Abhang. Töte das Mädchen. Vernichte die Magie. Wenn sie endlich in meiner Gewalt ist, wird sich das alles gelohnt haben. Ich werde mir mein Königreich zurückholen."


Besonders durch das rasante Erzähltempo und den bildhaften, fesselnden und leidenschaftlichen Schreibstil Tomi Adeyemis können die leichten Logiklücken und die arg gewollt wirkende Liebesgeschichte(n) ausgeglichen werden. So wird das eher mittelalterlich geprägte Setting immer wieder durch seltsame Dinge wie Motorboote oder Brandbomben unterbrochen, die sich mir in dem Zusammenhang mit Schwertern und Kutschen nicht ganz erschlossen. Außerdem werden hier gleich zwei Liebesgeschichten entwickelt, wobei die eine ja ganz authentisch wirkt und sehr zart bleibt, die andere aber viel zu schnell von purem Hass zur großen Liebe wechselt und mich dabei ein wenig ratlos zurückließ. Die Art und Weise, wie die Autorin hier kraftvoll und zornig durch den Schmerz ihrer Protagonisten anklagend die Stimme erhebt und dabei bei einem lockeren und flüssigen Stil bleibt, der nie gezwungen oder übertrieben wirkt, hat mir jedoch sehr gut gefallen. Durch magische Träume, Visionen, spirituelle Begegnungen mit Göttern und die aufkeimende Liebesbeziehung(en) kommt noch eine atmosphärische Note hinzu, die sich wunderbar in den berührenden, majestätischen Grundton einfindet.


"Ihr Geist fährt durch mich wie ein Blitz aus einer Gewitterwolke. Es ist mehr als das Gefühl, richtig atmen zu können. Es ist der Inbegriff des Lebens. "Èmí àwon tí ó sùn - " Leise murmele ich die ersten Worte der Beschwörungsformel und werde mit einem noch nie dagewesenen Rausch belohnt. Mit der Kraft des Sonnensteins könnte ich Hunderte von Toten zum Leben erwecken. Ich könnte eine unaufhaltsame Armee befehligen. (…) Oya leuchtet in meinem Geist wie eine Fackel im Dunkeln. Reglos steht die Göttin da, doch es ist, als würde die ganze Welt in ihrer Nähe beben. Ein siegesgewisses Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus."


Neben der politischen Relevanz, die man in der Geschichte sehen kann oder eben nicht, geht es ganz klar um Themen wie Unschuld, Zerbrechlichkeit, Macht, innere Stärke, Glaube und Vertrauen, Unterdrückung Demütigung und Respekt, was durch die starken Protagonisten eindrücklich vermittelt wird. Die vier Hauptprotagonisten, die außer Tzain abwechselnd aus ihrer Perspektive berichten, werden dabei durch etliche liebenswerte (und auch sehr hassenswerte) Nebencharaktere unterstützt, die bunter und lebendiger nicht sein könnten. Da wäre die mutige und weise Lehrerin und Seherin Mama Agba, die ihre Schülerinnen lehrt, "Kriegerinnen im Garten zu sein, damit ihr nie Gärtnerinnen im Krieg werden müsst.". Oder die junge Zulaihka, die sich eine eigene Utopie aufgebaut hat und für ihre Gastfreundschaft bitter bezahlen muss. Lekan, der sein Leben für den Traum einer besseren Welt gibt oder Tzains und Zélies Vater, der nach dem Tod seiner Frau zerbrach aber seinen Kindern mit auf den Weg gibt: "Solange wir keine Magie haben, werden wir niemals mit Respekt behandelt werden. (…) Sie müssen wissen, dass wir uns wehren können.“ Leider geht die Autorin mit ihnen besonders verschwenderisch um, sodass wir uns von vielen sehr schnell schon wieder verabschieden müssen.


"Das war die Nacht, in der sich unser Leben änderte. Die Nacht, in der König Saran die Angehörigen meines Volkes aufhängen ließ, damit es die ganze Welt sah. Eine Kriegserklärung an die Maji von heute und morgen. Die Nacht, als die Magie starb. Die Nacht, in der wir alles verloren."


Mit Zélie haben wir eine starke Hauptprotagonistin, deren Innenleben sehr von Angst und Hass auf das Königshaus von Orïsha und vor allem König Saran geprägt ist. Seit dieser ihre Mutter und alle anderen Maji ermorden ließ muss sie ständig auf der Hut sein und mit ihrer Familie gegen die Anfeindungen wegen ihres Aussehens und gegen die hohen Steuern ankämpfen. Als ihr die Prinzessin Amari zufällig über den Weg läuft und sie ihr hilft, eine magische Schriftrolle zu entwenden, erwacht in ihr die Magie ihrer Mutter, die Magie einer Seelenfängerin und nichts ist mehr wie zuvor. Als sie hört, dass sie die einzige ist, die ein Ritual durchführen kann, um die Magie zurückzubringen und die Divînés ein für alle Mal aus der Unterdrückung und Sklaverei zu befreien, ist sie sich nicht sicher, ob sie diese Rolle wirklich erfüllen kann.
An ihrer Seite stehen unverrückbar ihr Bruder Tzain und ihre Löwenesse Nailah, die ihr zugleich Reittier, Beschützerin und Freundin ist.

Amari führt als Tochter von König Saran ein ganz anderes Leben. Doch als sie mit ansieht wie ihr Vater ihre beste Freundin Binta ermordet, kann sie ihr eingeschränktes Leben im Palast nicht länger ertragen und flieht. Von der schwachen, verwöhnten Prinzessin bis zur selbstbewussten Kämpferin und Rebellion macht sie eine umfassende Entwicklung durch.


"Ehre und Pflichterfüllung. Sein Leitspruch klingt mir in den Ohren.
Mein Vater.
Ihr König.
Die Ursache all dieses Leids.
(…) Als ich Zélie ansehe, bekomme ich endlich die Antwort auf die Frage, die ich Angst hatte zu stellen. Ich bin nicht wie Vater. So ein König will ich nicht sein."



Als vierter im Bunde bekommen wir ihren Bruder Inan, den Thronfolger von Orïsha präsentiert, der seinem Vater Saran hörig ist, bis er selbst beginnt, Magie zu entwickeln und ein wunderschönes und beeindruckendes Mädchen ihn zum Umdenken bringt...


"Es wird ein neues Orïsha." Inan wird ruhiger. "Unser Orïsha. Ohne Kämpfe. Ohne Krieg. Nur Frieden." (…) "Zusammen wären wir unschlagbar. Ein Gespann, wie es Orïsha noch nie gesehen hat."


Die Story schreitet, nein rennt, mit den Sprüngen einer Löwenesse voran und gipfelt am Ende in einem explosiven und sehr emotionalen Showdown, der mich noch einmal mitriss, beeindruckte, am Ende aber wütend zurückließ. Wütend deshalb weil Tomi Adeyemi uns so ein Ende vorsetzt wo doch erst frühestens nächstes Jahr eine Fortsetzung erscheint - wirklich mies von ihr! Eine sehr gute Neuigkeit hingegen ist aber, dass die Filmrechte schon verkauft sind und der Film sogar schon produziert wird. Eine Verfilmung dieses umfassenden, kunterbunten und sehr lebendigen Romans kann ich mir wunderbar vorstellen - ich kann es kaum erwarten, diese schillernde Welt mit ihren starken Helden auch außerhalb meiner Fantasie zu sehen.


"Man darf kein ganzes Volk wegen der Vergehen einiger weniger versklaven."


Fazit:


Ein berührender, aufrüttelnder Hintergrund von politischer Relevanz und ein lebendiges, unverbrauchtes Setting inspiriert von der Kultur und den Mythen Westafrikas treffen auf eine eher gewöhnliche Handlung mit vielen Fantasy-Klischees.
Beeindruckend intensiv, exotisch-kunterbunt und absolut authentisch werden Themen wie Unschuld, Zerbrechlichkeit, Macht, innere Stärke, Glaube und Vertrauen, Unterdrückung Demütigung und Respekt in einem mitreißenden Auftakt vereint.

Mit Ausbaupotential aber definitiv lesenswert!

Veröffentlicht am 29.01.2019

Beeindruckend intensiv, exotisch-kunterbunt und absolut authentisch!

Children of Blood and Bone
0

"Wir alle sind Kinder von Blut und Bein.
Und genau wie Zélie und Amari haben wir die Macht, etwas gegen das Böse in unserer Welt zu tun.
Viel zu lange sind wir in die Knie gezwungen worden.
Erheben wir ...

"Wir alle sind Kinder von Blut und Bein.
Und genau wie Zélie und Amari haben wir die Macht, etwas gegen das Böse in unserer Welt zu tun.
Viel zu lange sind wir in die Knie gezwungen worden.
Erheben wir uns.“

Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem Protagonisten aus dem Buch sondern von der Autorin selbst. Denn in ihrem Nachwort bezieht sie sich auf den Rassismus, die Ungerechtigkeiten und die Unterdrückung gegenüber Afroamerikanern, die in der USA leider immer noch vorherrschen und gibt an, das Buch in den Tagen geschrieben zu haben, als sie Tag für Tag in den Nachrichten sah, wie wehrlose und unschuldige Schwarze von der Polizei erschossen wurden und das keinerlei Konsequenzen hatte.

"Beim Schreiben dieses Buches habe ich viele Tränen vergossen. Beim Überarbeiten noch einmal. Auch wenn Löwenessen und heilige Rituale ins Reich der Phantasie gehören, sind der Schmerz, die Angst und das Leid in diesem Buch echt."

Das schreibt Tomi Adeyemi zu Beginn ihres Nachworts und dass dieser Schmerz echt ist, spürt man als Leser auch. Man kann diesen Roman also durchaus als Kampfansage gegen Rassismus und Unterdrückung aber vor allem gegen die Ignoranz der Menschen lesen. Und auch wenn das nicht die einzige Bedeutungsebene dieses Romans umfasst finde ich es doch wichtig, das im Hinterkopf zu haben, während man diese Geschichte liest.

Erster Satz: „Wähl mich!“

Das hat dieses wundervolle Cover zu mir gesagt als ich durch die Neuerscheinungen der letzten Monate gestöbert bin und überlegt habe, was ich als nächstes lesen will. Mit dem Mädchen mit der wunderschönen, dunklen Haut, den wallenden, weißen Haaren und dem stechenden Blick wurde das wohl passendste Motiv überhaupt gefunden, was grafisch wunderschön umgesetzt wurde. Die starken Kontraste der weißen Haare zum Hintergrund, zum Titel und zur Hautfarbe des Mädchens sowie die farbigen Akzente bereiten gut auf die ausdrucksstarke, kraftvolle und exotische Geschichte vor, die sich zwischen den Buchdeckeln verbirgt. Auch unter dem Umschlag ist das Buch wundervoll gestaltet: die nackten Buchdeckel sind mit goldenen Symbolen verziert und die Innenseiten zeigen eine Karte von Orïsha. Neben einer Übersicht über die Maji-Clans finden sich 85 wundervoll verzierte Kapitelanfänge, ein Prolog, ein Epilog, die Anmerkungen der Autorin und eine siebenseitige (!) Danksagung auf den 624 Seiten.


„Mut kann im Verborgenen wachsen, sagte sie damals. Tapferkeit in der Dunkelheit erblühen.“


Tomi Adeyemi entführt gleich von der ersten Seite an in eine bunte, lebendige Welt inspiriert von der Kultur und den Mythen Westafrikas. Neben viel Fantasie und innovativen Ideen steckt also auch eine Menge Wahrheit im Setting. Das Land Orïsha, wurde nach den Orïshas benannt, den Göttern und Göttinnen der Yoruba-Religion, welche wiederum den Namen für die Sprache der Maji bereitgestellt hat. Die Meere und Berge tragen die Namen ihrer verstorbenen Großeltern, auch Essen, Klima und Kleidung erinnern stark an die Westafrikanische Kultur. Ansonsten ist die Welt frei erfunden und erzählt die Geschichte eines unterdrückten Volks, den Maji und ihren Kindern, den Divînés. Einst gab es zehn verschiedene Maji-Clans in Orïsha, die die mit unterschiedlichen Gaben gesegnet waren und in direkter Verbindung mit der Himmelsmutter und ihren Göttern Magie üben konnten. Doch aus Hass und Machtgier des herrschenden Königs Saran wurde aus Angst vor der Magie der Maji in der sogenannten Blutnacht die Ermordung aller erwachsenen Magienutzer veranlasst, was die Magie verschwinden ließ und die Divînés zu Waisen machte. Auf sich alleingestellt wandern viele der Kinder, ihrer magischen Zukunft und ihrer Würde beraubt in Arbeitslager und müssen in ständigem Angst und Schrecken vor der Willkür der privilegierten Kosidán, also der Menschen ohne magisches Talent und der Unterdrückung des Regimes leben. Ihr einst stolzes Erbe, ausgedrückt durch ihre weißen Haare und ihre dunkle Haut, ist nun ein Zeichen der Schande und des Schmerzes geworden.


"Wir sind das Volk, das die Gefängnisse füllt, das vom König als Zwangsarbeiter missbraucht wird. Das Volk, das die Bewohner von Orïsha aus ihren Gesichtszügen verbannen möchten. Sie ächten uns, als wären weißes Haar und frühere magische Kräfte ein gesellschaftlicher Makel. Mama erzählte immer, dass weißes haar einmal das Zeichen der Mächte von Himmel und Erde gewesen sei. Es kündete von Schönheit, Tugend und Liebe, und zeigte, dass wir vor den Göttern gesegnet waren. Doch dann änderte sich alles und plötzlich galt die Magie als Verbrechen. Unsere Abstammung wurde zu einer Last und einer Gefahr."


Vor diesem Hintergrund, der der Geschichte einen exotischen Touch gibt und sehr frisch, authentisch und absolut unverbraucht daherkommt, entfaltet sich die spannende Geschichte um Zélie, die in der Blutnacht ihre Mutter verloren hat und in der seither ein namenloser Zorn brodelt, der nur darauf wartet von den Göttern in die richtige Richtung gelenkt zu werden; um Zélies Kosidán-Bruder, der sie vor allem Übel auf der Welt beschützen will; um die Prinzessin Amari, die sich der Unrechtsherrschaft ihres Vaters bewusst wird, als dieser ihre beste Freundin ermorden lässt und mit einem wichtigen Artefakt aus ihrem goldenen Käfig flieht und um den Prinzen Inan, der sich zwischen der Ehre und Pflichterfüllung seinem Vater gegenüber und seinem Drang, das Richtige zu tun entscheiden muss. Gerade zu Beginn ist es recht schwierig, über die ganzen fremdartigen Begriffe, also Namen, Titel, Gottheiten, etc. einen Überblick zu behalten, doch da der Handlungsverlauf nicht unbedingt neuartig und bahnbrechend ist, macht sich die Exotik des Settings durchaus bezahlt. Denn auch wenn die Geschichte dem typischen Fantasy-Aufbau eines Auftaktromans folgt (die starke, vom Schicksal gebeutelte Protagonistin wird zur Galionsfigur einer Revolution auserkoren, versucht mit Hilfe von Freund und Feind essentiell wichtige Artefakte zusammenzutragen, scheitert aber immer wieder und bezwingt schließlich scheinbar unüberwindbare Hindernisse und entdeckt ihre einzigartige, magische Begabung) schafft es der Roman, sich von der Masse abzuheben und hält noch sehr viel Potential bereit.

"Spuren.
Sie war hier.
Sie ist ganz in der Nähe.
Ich habe sie fast eingeholt.
Töte sie, trommelt mein Herz. Ich kralle die Finger in den Abhang. Töte das Mädchen. Vernichte die Magie. Wenn sie endlich in meiner Gewalt ist, wird sich das alles gelohnt haben. Ich werde mir mein Königreich zurückholen."


Besonders durch das rasante Erzähltempo und den bildhaften, fesselnden und leidenschaftlichen Schreibstil Tomi Adeyemis können die leichten Logiklücken und die arg gewollt wirkende Liebesgeschichte(n) ausgeglichen werden. So wird das eher mittelalterlich geprägte Setting immer wieder durch seltsame Dinge wie Motorboote oder Brandbomben unterbrochen, die sich mir in dem Zusammenhang mit Schwertern und Kutschen nicht ganz erschlossen. Außerdem werden hier gleich zwei Liebesgeschichten entwickelt, wobei die eine ja ganz authentisch wirkt und sehr zart bleibt, die andere aber viel zu schnell von purem Hass zur großen Liebe wechselt und mich dabei ein wenig ratlos zurückließ. Die Art und Weise, wie die Autorin hier kraftvoll und zornig durch den Schmerz ihrer Protagonisten anklagend die Stimme erhebt und dabei bei einem lockeren und flüssigen Stil bleibt, der nie gezwungen oder übertrieben wirkt, hat mir jedoch sehr gut gefallen. Durch magische Träume, Visionen, spirituelle Begegnungen mit Göttern und die aufkeimende Liebesbeziehung(en) kommt noch eine atmosphärische Note hinzu, die sich wunderbar in den berührenden, majestätischen Grundton einfindet.


"Ihr Geist fährt durch mich wie ein Blitz aus einer Gewitterwolke. Es ist mehr als das Gefühl, richtig atmen zu können. Es ist der Inbegriff des Lebens. "Èmí àwon tí ó sùn - " Leise murmele ich die ersten Worte der Beschwörungsformel und werde mit einem noch nie dagewesenen Rausch belohnt. Mit der Kraft des Sonnensteins könnte ich Hunderte von Toten zum Leben erwecken. Ich könnte eine unaufhaltsame Armee befehligen. (…) Oya leuchtet in meinem Geist wie eine Fackel im Dunkeln. Reglos steht die Göttin da, doch es ist, als würde die ganze Welt in ihrer Nähe beben. Ein siegesgewisses Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus."


Neben der politischen Relevanz, die man in der Geschichte sehen kann oder eben nicht, geht es ganz klar um Themen wie Unschuld, Zerbrechlichkeit, Macht, innere Stärke, Glaube und Vertrauen, Unterdrückung Demütigung und Respekt, was durch die starken Protagonisten eindrücklich vermittelt wird. Die vier Hauptprotagonisten, die außer Tzain abwechselnd aus ihrer Perspektive berichten, werden dabei durch etliche liebenswerte (und auch sehr hassenswerte) Nebencharaktere unterstützt, die bunter und lebendiger nicht sein könnten. Da wäre die mutige und weise Lehrerin und Seherin Mama Agba, die ihre Schülerinnen lehrt, "Kriegerinnen im Garten zu sein, damit ihr nie Gärtnerinnen im Krieg werden müsst.". Oder die junge Zulaihka, die sich eine eigene Utopie aufgebaut hat und für ihre Gastfreundschaft bitter bezahlen muss. Lekan, der sein Leben für den Traum einer besseren Welt gibt oder Tzains und Zélies Vater, der nach dem Tod seiner Frau zerbrach aber seinen Kindern mit auf den Weg gibt: "Solange wir keine Magie haben, werden wir niemals mit Respekt behandelt werden. (…) Sie müssen wissen, dass wir uns wehren können.“ Leider geht die Autorin mit ihnen besonders verschwenderisch um, sodass wir uns von vielen sehr schnell schon wieder verabschieden müssen.


"Das war die Nacht, in der sich unser Leben änderte. Die Nacht, in der König Saran die Angehörigen meines Volkes aufhängen ließ, damit es die ganze Welt sah. Eine Kriegserklärung an die Maji von heute und morgen. Die Nacht, als die Magie starb. Die Nacht, in der wir alles verloren."


Mit Zélie haben wir eine starke Hauptprotagonistin, deren Innenleben sehr von Angst und Hass auf das Königshaus von Orïsha und vor allem König Saran geprägt ist. Seit dieser ihre Mutter und alle anderen Maji ermorden ließ muss sie ständig auf der Hut sein und mit ihrer Familie gegen die Anfeindungen wegen ihres Aussehens und gegen die hohen Steuern ankämpfen. Als ihr die Prinzessin Amari zufällig über den Weg läuft und sie ihr hilft, eine magische Schriftrolle zu entwenden, erwacht in ihr die Magie ihrer Mutter, die Magie einer Seelenfängerin und nichts ist mehr wie zuvor. Als sie hört, dass sie die einzige ist, die ein Ritual durchführen kann, um die Magie zurückzubringen und die Divînés ein für alle Mal aus der Unterdrückung und Sklaverei zu befreien, ist sie sich nicht sicher, ob sie diese Rolle wirklich erfüllen kann.
An ihrer Seite stehen unverrückbar ihr Bruder Tzain und ihre Löwenesse Nailah, die ihr zugleich Reittier, Beschützerin und Freundin ist.

Amari führt als Tochter von König Saran ein ganz anderes Leben. Doch als sie mit ansieht wie ihr Vater ihre beste Freundin Binta ermordet, kann sie ihr eingeschränktes Leben im Palast nicht länger ertragen und flieht. Von der schwachen, verwöhnten Prinzessin bis zur selbstbewussten Kämpferin und Rebellion macht sie eine umfassende Entwicklung durch.


"Ehre und Pflichterfüllung. Sein Leitspruch klingt mir in den Ohren.
Mein Vater.
Ihr König.
Die Ursache all dieses Leids.
(…) Als ich Zélie ansehe, bekomme ich endlich die Antwort auf die Frage, die ich Angst hatte zu stellen. Ich bin nicht wie Vater. So ein König will ich nicht sein."



Als vierter im Bunde bekommen wir ihren Bruder Inan, den Thronfolger von Orïsha präsentiert, der seinem Vater Saran hörig ist, bis er selbst beginnt, Magie zu entwickeln und ein wunderschönes und beeindruckendes Mädchen ihn zum Umdenken bringt...


"Es wird ein neues Orïsha." Inan wird ruhiger. "Unser Orïsha. Ohne Kämpfe. Ohne Krieg. Nur Frieden." (…) "Zusammen wären wir unschlagbar. Ein Gespann, wie es Orïsha noch nie gesehen hat."


Die Story schreitet, nein rennt, mit den Sprüngen einer Löwenesse voran und gipfelt am Ende in einem explosiven und sehr emotionalen Showdown, der mich noch einmal mitriss, beeindruckte, am Ende aber wütend zurückließ. Wütend deshalb weil Tomi Adeyemi uns so ein Ende vorsetzt wo doch erst frühestens nächstes Jahr eine Fortsetzung erscheint - wirklich mies von ihr! Eine sehr gute Neuigkeit hingegen ist aber, dass die Filmrechte schon verkauft sind und der Film sogar schon produziert wird. Eine Verfilmung dieses umfassenden, kunterbunten und sehr lebendigen Romans kann ich mir wunderbar vorstellen - ich kann es kaum erwarten, diese schillernde Welt mit ihren starken Helden auch außerhalb meiner Fantasie zu sehen.


"Man darf kein ganzes Volk wegen der Vergehen einiger weniger versklaven."


Fazit:


Ein berührender, aufrüttelnder Hintergrund von politischer Relevanz und ein lebendiges, unverbrauchtes Setting inspiriert von der Kultur und den Mythen Westafrikas treffen auf eine eher gewöhnliche Handlung mit vielen Fantasy-Klischees.
Beeindruckend intensiv, exotisch-kunterbunt und absolut authentisch werden Themen wie Unschuld, Zerbrechlichkeit, Macht, innere Stärke, Glaube und Vertrauen, Unterdrückung Demütigung und Respekt in einem mitreißenden Auftakt vereint.

Mit Ausbaupotential aber definitiv lesenswert!

Veröffentlicht am 29.01.2019

Beeindruckend intensiv, exotisch-kunterbunt und absolut authentisch!

Children of Blood and Bone
0

"Wir alle sind Kinder von Blut und Bein.
Und genau wie Zélie und Amari haben wir die Macht, etwas gegen das Böse in unserer Welt zu tun.
Viel zu lange sind wir in die Knie gezwungen worden.
Erheben wir ...

"Wir alle sind Kinder von Blut und Bein.
Und genau wie Zélie und Amari haben wir die Macht, etwas gegen das Böse in unserer Welt zu tun.
Viel zu lange sind wir in die Knie gezwungen worden.
Erheben wir uns.“

Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem Protagonisten aus dem Buch sondern von der Autorin selbst. Denn in ihrem Nachwort bezieht sie sich auf den Rassismus, die Ungerechtigkeiten und die Unterdrückung gegenüber Afroamerikanern, die in der USA leider immer noch vorherrschen und gibt an, das Buch in den Tagen geschrieben zu haben, als sie Tag für Tag in den Nachrichten sah, wie wehrlose und unschuldige Schwarze von der Polizei erschossen wurden und das keinerlei Konsequenzen hatte.

"Beim Schreiben dieses Buches habe ich viele Tränen vergossen. Beim Überarbeiten noch einmal. Auch wenn Löwenessen und heilige Rituale ins Reich der Phantasie gehören, sind der Schmerz, die Angst und das Leid in diesem Buch echt."

Das schreibt Tomi Adeyemi zu Beginn ihres Nachworts und dass dieser Schmerz echt ist, spürt man als Leser auch. Man kann diesen Roman also durchaus als Kampfansage gegen Rassismus und Unterdrückung aber vor allem gegen die Ignoranz der Menschen lesen. Und auch wenn das nicht die einzige Bedeutungsebene dieses Romans umfasst finde ich es doch wichtig, das im Hinterkopf zu haben, während man diese Geschichte liest.

Erster Satz: „Wähl mich!“

Das hat dieses wundervolle Cover zu mir gesagt als ich durch die Neuerscheinungen der letzten Monate gestöbert bin und überlegt habe, was ich als nächstes lesen will. Mit dem Mädchen mit der wunderschönen, dunklen Haut, den wallenden, weißen Haaren und dem stechenden Blick wurde das wohl passendste Motiv überhaupt gefunden, was grafisch wunderschön umgesetzt wurde. Die starken Kontraste der weißen Haare zum Hintergrund, zum Titel und zur Hautfarbe des Mädchens sowie die farbigen Akzente bereiten gut auf die ausdrucksstarke, kraftvolle und exotische Geschichte vor, die sich zwischen den Buchdeckeln verbirgt. Auch unter dem Umschlag ist das Buch wundervoll gestaltet: die nackten Buchdeckel sind mit goldenen Symbolen verziert und die Innenseiten zeigen eine Karte von Orïsha. Neben einer Übersicht über die Maji-Clans finden sich 85 wundervoll verzierte Kapitelanfänge, ein Prolog, ein Epilog, die Anmerkungen der Autorin und eine siebenseitige (!) Danksagung auf den 624 Seiten.


„Mut kann im Verborgenen wachsen, sagte sie damals. Tapferkeit in der Dunkelheit erblühen.“


Tomi Adeyemi entführt gleich von der ersten Seite an in eine bunte, lebendige Welt inspiriert von der Kultur und den Mythen Westafrikas. Neben viel Fantasie und innovativen Ideen steckt also auch eine Menge Wahrheit im Setting. Das Land Orïsha, wurde nach den Orïshas benannt, den Göttern und Göttinnen der Yoruba-Religion, welche wiederum den Namen für die Sprache der Maji bereitgestellt hat. Die Meere und Berge tragen die Namen ihrer verstorbenen Großeltern, auch Essen, Klima und Kleidung erinnern stark an die Westafrikanische Kultur. Ansonsten ist die Welt frei erfunden und erzählt die Geschichte eines unterdrückten Volks, den Maji und ihren Kindern, den Divînés. Einst gab es zehn verschiedene Maji-Clans in Orïsha, die die mit unterschiedlichen Gaben gesegnet waren und in direkter Verbindung mit der Himmelsmutter und ihren Göttern Magie üben konnten. Doch aus Hass und Machtgier des herrschenden Königs Saran wurde aus Angst vor der Magie der Maji in der sogenannten Blutnacht die Ermordung aller erwachsenen Magienutzer veranlasst, was die Magie verschwinden ließ und die Divînés zu Waisen machte. Auf sich alleingestellt wandern viele der Kinder, ihrer magischen Zukunft und ihrer Würde beraubt in Arbeitslager und müssen in ständigem Angst und Schrecken vor der Willkür der privilegierten Kosidán, also der Menschen ohne magisches Talent und der Unterdrückung des Regimes leben. Ihr einst stolzes Erbe, ausgedrückt durch ihre weißen Haare und ihre dunkle Haut, ist nun ein Zeichen der Schande und des Schmerzes geworden.


"Wir sind das Volk, das die Gefängnisse füllt, das vom König als Zwangsarbeiter missbraucht wird. Das Volk, das die Bewohner von Orïsha aus ihren Gesichtszügen verbannen möchten. Sie ächten uns, als wären weißes Haar und frühere magische Kräfte ein gesellschaftlicher Makel. Mama erzählte immer, dass weißes haar einmal das Zeichen der Mächte von Himmel und Erde gewesen sei. Es kündete von Schönheit, Tugend und Liebe, und zeigte, dass wir vor den Göttern gesegnet waren. Doch dann änderte sich alles und plötzlich galt die Magie als Verbrechen. Unsere Abstammung wurde zu einer Last und einer Gefahr."


Vor diesem Hintergrund, der der Geschichte einen exotischen Touch gibt und sehr frisch, authentisch und absolut unverbraucht daherkommt, entfaltet sich die spannende Geschichte um Zélie, die in der Blutnacht ihre Mutter verloren hat und in der seither ein namenloser Zorn brodelt, der nur darauf wartet von den Göttern in die richtige Richtung gelenkt zu werden; um Zélies Kosidán-Bruder, der sie vor allem Übel auf der Welt beschützen will; um die Prinzessin Amari, die sich der Unrechtsherrschaft ihres Vaters bewusst wird, als dieser ihre beste Freundin ermorden lässt und mit einem wichtigen Artefakt aus ihrem goldenen Käfig flieht und um den Prinzen Inan, der sich zwischen der Ehre und Pflichterfüllung seinem Vater gegenüber und seinem Drang, das Richtige zu tun entscheiden muss. Gerade zu Beginn ist es recht schwierig, über die ganzen fremdartigen Begriffe, also Namen, Titel, Gottheiten, etc. einen Überblick zu behalten, doch da der Handlungsverlauf nicht unbedingt neuartig und bahnbrechend ist, macht sich die Exotik des Settings durchaus bezahlt. Denn auch wenn die Geschichte dem typischen Fantasy-Aufbau eines Auftaktromans folgt (die starke, vom Schicksal gebeutelte Protagonistin wird zur Galionsfigur einer Revolution auserkoren, versucht mit Hilfe von Freund und Feind essentiell wichtige Artefakte zusammenzutragen, scheitert aber immer wieder und bezwingt schließlich scheinbar unüberwindbare Hindernisse und entdeckt ihre einzigartige, magische Begabung) schafft es der Roman, sich von der Masse abzuheben und hält noch sehr viel Potential bereit.

"Spuren.
Sie war hier.
Sie ist ganz in der Nähe.
Ich habe sie fast eingeholt.
Töte sie, trommelt mein Herz. Ich kralle die Finger in den Abhang. Töte das Mädchen. Vernichte die Magie. Wenn sie endlich in meiner Gewalt ist, wird sich das alles gelohnt haben. Ich werde mir mein Königreich zurückholen."


Besonders durch das rasante Erzähltempo und den bildhaften, fesselnden und leidenschaftlichen Schreibstil Tomi Adeyemis können die leichten Logiklücken und die arg gewollt wirkende Liebesgeschichte(n) ausgeglichen werden. So wird das eher mittelalterlich geprägte Setting immer wieder durch seltsame Dinge wie Motorboote oder Brandbomben unterbrochen, die sich mir in dem Zusammenhang mit Schwertern und Kutschen nicht ganz erschlossen. Außerdem werden hier gleich zwei Liebesgeschichten entwickelt, wobei die eine ja ganz authentisch wirkt und sehr zart bleibt, die andere aber viel zu schnell von purem Hass zur großen Liebe wechselt und mich dabei ein wenig ratlos zurückließ. Die Art und Weise, wie die Autorin hier kraftvoll und zornig durch den Schmerz ihrer Protagonisten anklagend die Stimme erhebt und dabei bei einem lockeren und flüssigen Stil bleibt, der nie gezwungen oder übertrieben wirkt, hat mir jedoch sehr gut gefallen. Durch magische Träume, Visionen, spirituelle Begegnungen mit Göttern und die aufkeimende Liebesbeziehung(en) kommt noch eine atmosphärische Note hinzu, die sich wunderbar in den berührenden, majestätischen Grundton einfindet.


"Ihr Geist fährt durch mich wie ein Blitz aus einer Gewitterwolke. Es ist mehr als das Gefühl, richtig atmen zu können. Es ist der Inbegriff des Lebens. "Èmí àwon tí ó sùn - " Leise murmele ich die ersten Worte der Beschwörungsformel und werde mit einem noch nie dagewesenen Rausch belohnt. Mit der Kraft des Sonnensteins könnte ich Hunderte von Toten zum Leben erwecken. Ich könnte eine unaufhaltsame Armee befehligen. (…) Oya leuchtet in meinem Geist wie eine Fackel im Dunkeln. Reglos steht die Göttin da, doch es ist, als würde die ganze Welt in ihrer Nähe beben. Ein siegesgewisses Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus."


Neben der politischen Relevanz, die man in der Geschichte sehen kann oder eben nicht, geht es ganz klar um Themen wie Unschuld, Zerbrechlichkeit, Macht, innere Stärke, Glaube und Vertrauen, Unterdrückung Demütigung und Respekt, was durch die starken Protagonisten eindrücklich vermittelt wird. Die vier Hauptprotagonisten, die außer Tzain abwechselnd aus ihrer Perspektive berichten, werden dabei durch etliche liebenswerte (und auch sehr hassenswerte) Nebencharaktere unterstützt, die bunter und lebendiger nicht sein könnten. Da wäre die mutige und weise Lehrerin und Seherin Mama Agba, die ihre Schülerinnen lehrt, "Kriegerinnen im Garten zu sein, damit ihr nie Gärtnerinnen im Krieg werden müsst.". Oder die junge Zulaihka, die sich eine eigene Utopie aufgebaut hat und für ihre Gastfreundschaft bitter bezahlen muss. Lekan, der sein Leben für den Traum einer besseren Welt gibt oder Tzains und Zélies Vater, der nach dem Tod seiner Frau zerbrach aber seinen Kindern mit auf den Weg gibt: "Solange wir keine Magie haben, werden wir niemals mit Respekt behandelt werden. (…) Sie müssen wissen, dass wir uns wehren können.“ Leider geht die Autorin mit ihnen besonders verschwenderisch um, sodass wir uns von vielen sehr schnell schon wieder verabschieden müssen.


"Das war die Nacht, in der sich unser Leben änderte. Die Nacht, in der König Saran die Angehörigen meines Volkes aufhängen ließ, damit es die ganze Welt sah. Eine Kriegserklärung an die Maji von heute und morgen. Die Nacht, als die Magie starb. Die Nacht, in der wir alles verloren."


Mit Zélie haben wir eine starke Hauptprotagonistin, deren Innenleben sehr von Angst und Hass auf das Königshaus von Orïsha und vor allem König Saran geprägt ist. Seit dieser ihre Mutter und alle anderen Maji ermorden ließ muss sie ständig auf der Hut sein und mit ihrer Familie gegen die Anfeindungen wegen ihres Aussehens und gegen die hohen Steuern ankämpfen. Als ihr die Prinzessin Amari zufällig über den Weg läuft und sie ihr hilft, eine magische Schriftrolle zu entwenden, erwacht in ihr die Magie ihrer Mutter, die Magie einer Seelenfängerin und nichts ist mehr wie zuvor. Als sie hört, dass sie die einzige ist, die ein Ritual durchführen kann, um die Magie zurückzubringen und die Divînés ein für alle Mal aus der Unterdrückung und Sklaverei zu befreien, ist sie sich nicht sicher, ob sie diese Rolle wirklich erfüllen kann.
An ihrer Seite stehen unverrückbar ihr Bruder Tzain und ihre Löwenesse Nailah, die ihr zugleich Reittier, Beschützerin und Freundin ist.

Amari führt als Tochter von König Saran ein ganz anderes Leben. Doch als sie mit ansieht wie ihr Vater ihre beste Freundin Binta ermordet, kann sie ihr eingeschränktes Leben im Palast nicht länger ertragen und flieht. Von der schwachen, verwöhnten Prinzessin bis zur selbstbewussten Kämpferin und Rebellion macht sie eine umfassende Entwicklung durch.


"Ehre und Pflichterfüllung. Sein Leitspruch klingt mir in den Ohren.
Mein Vater.
Ihr König.
Die Ursache all dieses Leids.
(…) Als ich Zélie ansehe, bekomme ich endlich die Antwort auf die Frage, die ich Angst hatte zu stellen. Ich bin nicht wie Vater. So ein König will ich nicht sein."



Als vierter im Bunde bekommen wir ihren Bruder Inan, den Thronfolger von Orïsha präsentiert, der seinem Vater Saran hörig ist, bis er selbst beginnt, Magie zu entwickeln und ein wunderschönes und beeindruckendes Mädchen ihn zum Umdenken bringt...


"Es wird ein neues Orïsha." Inan wird ruhiger. "Unser Orïsha. Ohne Kämpfe. Ohne Krieg. Nur Frieden." (…) "Zusammen wären wir unschlagbar. Ein Gespann, wie es Orïsha noch nie gesehen hat."


Die Story schreitet, nein rennt, mit den Sprüngen einer Löwenesse voran und gipfelt am Ende in einem explosiven und sehr emotionalen Showdown, der mich noch einmal mitriss, beeindruckte, am Ende aber wütend zurückließ. Wütend deshalb weil Tomi Adeyemi uns so ein Ende vorsetzt wo doch erst frühestens nächstes Jahr eine Fortsetzung erscheint - wirklich mies von ihr! Eine sehr gute Neuigkeit hingegen ist aber, dass die Filmrechte schon verkauft sind und der Film sogar schon produziert wird. Eine Verfilmung dieses umfassenden, kunterbunten und sehr lebendigen Romans kann ich mir wunderbar vorstellen - ich kann es kaum erwarten, diese schillernde Welt mit ihren starken Helden auch außerhalb meiner Fantasie zu sehen.


"Man darf kein ganzes Volk wegen der Vergehen einiger weniger versklaven."


Fazit:


Ein berührender, aufrüttelnder Hintergrund von politischer Relevanz und ein lebendiges, unverbrauchtes Setting inspiriert von der Kultur und den Mythen Westafrikas treffen auf eine eher gewöhnliche Handlung mit vielen Fantasy-Klischees.
Beeindruckend intensiv, exotisch-kunterbunt und absolut authentisch werden Themen wie Unschuld, Zerbrechlichkeit, Macht, innere Stärke, Glaube und Vertrauen, Unterdrückung Demütigung und Respekt in einem mitreißenden Auftakt vereint.

Mit Ausbaupotential aber definitiv lesenswert!