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Veröffentlicht am 10.12.2018

Eine ausdrucksstarke Romanze!

Idol - Gib mir dein Herz
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Nach dem ersten Teil "Idol - Gib mir die Welt", in dem wir für kurze Zeit Teil der verrückten, düsteren, lockenden Rock-Welt der Band Kill John werden und die Kraft des Rhythmus´, die Dynamik der Massen ...

Nach dem ersten Teil "Idol - Gib mir die Welt", in dem wir für kurze Zeit Teil der verrückten, düsteren, lockenden Rock-Welt der Band Kill John werden und die Kraft des Rhythmus´, die Dynamik der Massen und allgemein die Macht der Musik, die Leidenschaft, die Harmonie, spüren dürfen, war mir klar, dass ich auch mit dem zweiten Teil wieder in dieses Universum zurückkehren will. Und dieser Teil hat, was dem ersten Teil ein bisschen gefehlt hat: ein durchgängiger roter Faden. Anstatt von riesigen Zeitsprünge ist alles recht kompakt zusammen gehalten und wir dürfen dabei zusehen, wie sich zwischen den beiden Protagonisten eine Anziehungskraft entwickelt, die auch beim Leser spürbar wird und dem ein oder anderen amüsanten Wortgefecht beiwohnen. Da keiner der beiden Protagonisten ein Musiker ist, fällt die schön poetische und kraftvolle Darstellung der Musik leider weg und es geht stattdessen mehr um den großen Organisationsaufwand und das viele Personal hinter einer Band.

Das Cover ist in Farbgebung und Formatierung dem ersten Teil angepasst, hat aber meiner Meinung nach eine ganz andere Ausstrahlung. Um es mal vorsichtig zu formulieren: das ist eines dieser Bücher, bei denen ich das Cover in einer U-Bahn sehr gerne verdecken würde, da es doch sehr eindeutig verrät, worum es geht. Während das Cover von Band 1 noch bunt, schillernd, glamourös und sexy war, dabei aber nicht viel verraten hat und wir nur einen dunklen Umriss im hellen Durcheinander aus Nebel, Scheinwerferlicht und Schattenspielen gesehen haben, finde ich das Motiv, der Typ im Anzug hier irgendwie billig. Ich mag es absolut nicht, wenn mir Bilder die Vorstellung eines Charakters verderben. Ich finde alles am Cover schreit: erotischer Milliardärroman - was es streng genommen auch ist, aber da kann man sich im New Adult Genre schon etwas Gehobeneres ausdenken finde ich )

Erster Satz: "Kennen Sie diese Leute, die einfach immer Glück zu haben scheinen?"


Auch wenn Sophie Darling eigentlich nicht zu diesen Leuten gehört, denen immer alles zufliegt, wird sie auf ihrem Flug nach London in die erste Klasse versetzt. Was ihr aber zuerst wie eine Chance auf einen gemütlichen Flug erscheint, wird bald vernichtet, als sie ihren Sitznachbar kennenlernt: einen steinreichen, verklemmten Charmebolze (ironisch gemeint) mit Flugangst. Mit ihrer fröhlichen extrovertierten Art nimmt sie sich kein Blatt vor den Mund und beschließt, dem attraktiven aber eiskalten Mann gehörig auf die Nerven zu gehen. Dass der Sonnenschein ihr zukünftiger Chef und Manager der Band Kill John ist, ahnt sie noch nicht, genauso wenig, wie dass die beiden lange noch nicht fertig miteinander sind...

„Ich sitze neben der Frau fest, die offenbar an einem unheilbaren Fall von verbalem Durchfall leidet.“
„Sagt der Mann mit sozialer Verstopfung.“
Er erstarrt und reißt die Augen auf. Und dann entfährt ihm ein unterdrücktes Schnauben, das sich in ein ersticktes Lachen verwandelt. "Herrgott." Er zwickt sich in den Nasenrücken und ringt um Fassung. "Ich bin verflucht." Ich lächle. "Schon gut." Ich tätschle seinen Unterarm. "In etwa sieben Stunden wird alles vorbei sein."


Eigentlich ist das ein total typisches, vorhersehbares Buch: ein Mann Typ "sexy, unglaublich gutaussehend, mächtig, reich und mit Problemen belastet" und eine Frau Typ "sehr hübsch, offenherzig, gewillt seine Mauern zu durchbrechen und natürlich mit noch mehr Problemen belastet" treffen sich und -booommm- Anziehungskraft, Intrigen und jede Menge Drama. Ja ich kenne dieses Erfolgskonzept und doch falle ich jedes Mal aufs Neue wieder darauf rein. Schon im ersten Kapitel war ich fasziniert von der Kombination aus "Sonnenschein" und "Plappermäulchen", wie sich die beiden bald nennen, die in witzigen Wortgefechten endet. Sophie trägt ihr Herz auf der Zunge und redet ohne Punkt und Komma und lockt Gabriel damit immer mehr aus seiner Reserve, was sehr amüsant mit anzusehen ist. Das ist eigentlich schon der ganze Inhalt des Buches. Die beiden treffen in vielen ähnlichen Szenen immer wieder aufeinander und werden mit ihrer Anziehungskraft konfrontiert während scheinbare Probleme im Weg zu ihrem Glück stehen. Mit den vielen Wiederholungen ähnlicher Szenen und manchen kleinen Logiklücken ist der Plot keineswegs ein Meisterwerk, trotzdem habe ich das Prickeln von Anfang an gespürt und konnte nicht mehr aufhören zu lesen. Auch durch den stetigen Perspektivenwechsel und die vielen spannenden Nebencharaktere blieb die Geschichte immer spannend.

Sophie Darling ist neue Marketing-Beauftragte der Rockband Kill John, was anfangs für viele Konflikte sorgt. Denn sie ist ausgerechnet die Paparazza, die die Bilder geschossen hat, die Jax´ Selbstmordversuch öffentlich gemacht haben. In der Liebe hatte sie nie Glück und hat sich auf den neuen Job eigentlich nur eingelassen, um aus ihrem alten Umfeld entfliehen zu können. Auch wenn mir bei ihr ein wenig der Hintergrund gefehlt hat und mir ihre genaue Aufgabe und Wichtigkeit im Kill-John-Team nicht ganz klar geworden ist, ist sie mir mit ihrer offenen und ironischen Art ans Herz gewachsen.

"Ich schaue ihr in die Augen und verspüre erneut dieses seltsame Gefühl, wie ein Schlag direkt unter meine Rippen. Schmerz, Verbitterung, Reue, Zärtlichkeit, es ist eine Mischung aus all diesen Empfindungen, was es schwierig macht, sich für eine zu entscheiden. Ich will ihr sagen, dass es mir leid tut, dass ich sie verletzt habe. Ich will sie wegschicken, damit ich dieses Unbehagen nicht verspüren muss. Sie ist gefährlich, weil ich sie nicht kontrollieren kann. Und sie ist absolut schön, wie geschmolzenes Glas, das einen in Versuchung führt, es zu berühren, obwohl man weiß, dass man sich daran verbrennen wird."

Gabriel Scott ist eigentlich das genaue Gegenteil von Sophie: zwar super heiß und unverschämt attraktiv, aber leider auch ein griesgrämiger, introvertierter Eisklotz. Seitdem er seine Mutter verloren hat und auf der Straße gelandet war, versucht er niemanden an sich ranzulassen, was bei Sophie nur mäßig funktioniert. Auch wenn sein Charakter eigentlich innerhalb der Geschichte ganz gut funktioniert hat, fand ich seine Kampf-Vergangenheit ein wenig fragwürdig, genau wie seine 6 Häuser auf der ganzen Welt und die Tatsache dass er in so jungen Jahren schon eine so wichtige Stellung einnimmt. Vielleicht minimal unrealistisch... aber ich bin sowieso kein besonderer Fan des aktuellen Milliardärhypes. Da sind mir die altmodischen Prinz-Geschichten lieber - da kommt das Mädel zwar auch fast immer schlecht weg, das ist aber wenigstens auf das Alter der Geschichten zu schieben... Besonders ironisch fand ich eine Stelle, in der sich die Bandmitglieder über Geschichten über "Pythonschwänze" und "Muschiflüsterer" beschweren, wodurch die Frauen, die sie lesen total unrealistische Anforderungen bekommen, die echte Männer gar nicht erfüllen können - das hätte sich die Autorin ja mal selbst zu Herzen nehmen können, ich mein ja nur...

"Er lächelt. Er steht wie eine wunderschöne Statue in den Schatten und wirkt unantastbar. Wie ein Fels. Aber dieses Lächeln ist mein Verderben. Darin liegt die gesamte Freude der Menge. Es spiegelt meine Begeisterung und Aufregung wider. Er weiß, was ich empfinde. Er weiß es, weil er es unglaublicherweise ebenfalls empfindet. Mir wird klar, dass er diesen Teil seines Lebens liebt, er hat es nur noch nie gezeigt. Jetzt lässt er es mich sehen. Das ist der Mann hinter dem Vorhang."


Der Schreibstil ist mal wieder sehr flüssig und locker, was mir gut gefällt, an manchen Stellen waren mir die Formulierungen aber wieder viel zu derb (könnte vielleicht an der Übersetzung liegen). Auch der Witz und Humor, der den Umgang der Protagonisten Großteils prägt hat, trägt viel dazu bei, die Lesestimmung zu verbessern. In Zusammenspiel mit der sich leise entwickelnden Beziehung der Protagonisten hat die wilde Mischung aus Verführung, Anziehungskraft, Scheinwerferlicht, Musik, Sinnlichkeit, Reichtum neben den Schattenseiten der Berühmtheit wie Groupies, Drogen, Paparazzi, Abhängigkeit vom Plattenvertrag, die in schnellem Tempo immer wieder gegenüber gestellt werden, die mitreißende Wirkung des Romans ausgemacht. Sehr schön war auch wieder, nebenher etwas von der Band mitzubekommen und liebgewonnene Charaktere wiederzusehen. Die Band, die Musik und das ganze Feeling, das in Band 1 zu spüren war, sind hier leider ein wenig kurz gekommen. Aber im nächsten Band um Jax wird das vielleicht wieder anders sein...

„Irgendwo, über dem Atlantik, in zehntausend Metern Höhe, hat sie sich an mich geschmiegt und mein Herz hat beschlossen, ihren Duft, den Klang ihrer Stimme und das Gefühl ihrer Haut mit Geborgenheit gleichzusetzen.“


Das Ende empfand ich dann wieder als ein wenig überzogen, zuerst im negativen Sinne und dann im positiven. Wer es gelesen hat, weiß vielleicht was ich meine. Ich verstehe einfach nicht, warum es Autoren nicht einfach bei einem langsam auslaufenden Ende belassen können, wenn die Handlung nicht anderes hergibt. Aber stattdessen muss ein heftiger Drop inszeniert und danach ein riesiges Happy End mit Flughafenszene und Heiratsantrag inszeniert werden, seufz. Ich weiß gar nicht, warum ich dieses Genre überhaupt noch lese, wenn ich mich durchgängig darüber aufrege. Ah ja richtig, wegen des unglaublichen Unterhaltungswerts


Fazit:

Eine ausdrucksstarke Romanze, die vor allem durch den wilden Mix aus Verführung, Anziehungskraft, Scheinwerferlicht, Musik, Humor und Extravaganz besticht. Sehr unterhaltsam aber leider mit einigen Schwächen in der Konzeption - Freunde des Genres werden voll auf ihre Kosten kommen!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine wundervoll absurde Geschichte!

Wie Eulen in der Nacht
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In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die ...

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die mit ihrer düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, definitiv einem Wunder nahe kommt. Nachdem ich die "Ravenboys-Reihe" und "Nach dem Sommer" der Autorin schon gelesen und geliebt habe, hatte ich natürlich recht hohe Erwartungen an die Geschichte (auch wenn ich wirklich versucht habe, es neutral anzugehen), welche jedoch rückblickend auf jeden Fall erfüllt wurden auch wenn ich die Kritikpunkte meiner Vorrezensenten durchaus nachvollziehen kann!


"Jedes Soria Wunder hatte dasselbe Ziel: den Geist zu heilen. Das hatte sich Daniel Soria n der vergangenen Nacht immer wieder vorgehalten. Seine Lage war keine Strafe, sagte er sich. Diese Lage war ein Wunder. Aber sie fühlte sich nicht wie ein Wunder an."


Das Cover ist -wie eigentlich alle Stiefvater-Romane- ein wirklicher Blickfall und einfach besonders! Als ich das englische Originalcover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in es verliebt so wie Pete in die Wüste. Und als ich die dann deutsche Ausgabe entdeckt und gesehen habe, dass sich dieses kaum vom Original unterscheidet, war ich wirklich glücklich und wusste: das muss ich im Regal stehen haben! Mit der kräftigen türkis-blauen Hintergrundfarbe und dem komplementären Orange der Sonne sticht die Komposition schon durch ihre Farben ins Auge. Zusammen mit den verschnörkelten Rosenranken und der weißen Eule wird dann die inhaltliche Passung gewährleistet. Der weiße, prominente Titel passt ebenfalls gut, auch wenn mir der englische Titel "All the Crooked Saints" viel besser gefällt. Ich kann aber durchaus verstehen, warum der Verlag den Titel nicht direkt übersetzt hat, das würde auf Deutsch eher komisch als mystisch klingen. Mit den rosenbedruckten Leselaschen, dem grell-orangenen Buchschnitt und den Rosenranken an jedem Kapitelbeginn wird die wunderbare Gestaltung noch abgerundet!

Erster Satz: "Nach Einbruch der Dunkelheit ist ein Wunder sehr weit zu hören."

Mit diesem Satz steigen wir eine dunkle Wüstennacht im Jahr 1962 ein, in der die Luft vor Wunder und Radiowellen nur so knistert und Eulen aufgeregt herumflattern. Wir lernen die drei Soria-Cousins Beatriz, Daniel und Joaquin kennen, die Radiowellen ihres Piratensenders von einem alten Lastwagen aus in die einsame Wüste schicken, in der Pete Wyatt und Tony DiRisio gerade auf das Örtchen Bicho Raro zuhalten - Tony weil er dringend ein Wunder braucht und Pete weil ihm eben jenen Lastwagen versprochen wurde. Klingt skurril? Dann wartet ab was passiert als einer er beiden Neuankömmlingen durch sein erstes Wunder zum Riese wird, ein Mädchen beschließt, in die Wüste zu laufen und der Heilige von Bicho Raro, aus Liebe seine eigene Dunkelheit über sich bringt. Denn die Sorias bieten zwar schon seit Jahrhunderten verlorenen Seelen an, ein Wunder an ihnen zu vollziehen und ihre Dunkelheit für sie sichtbar zu machen, doch den zweiten Teil des Wunders - die Bewältigung ihrer Dunkelheit - müssen sie ganz alleine hinbekommen. Und wer sich diesem uralten Gesetz widersetzt und sich in ein fremdes Wunder einmischt, der bringt selbst eine Dunkelheit über sich. Und wenn die Sorias eines wissen dann dass mit Wundern und der Dunkelheit genauso wenig zu spaßen ist wie mit Antonia Sorias tollwütigen Hunden...


"Trägst du die Dunkelheit in dir?" "Ja", antwortete Tony. "Und willst du davon befreit werden?" (…) "Ja." Draußen begannen Eulen mit den Flügeln zu schlagen und zu schreien. Virginia-Uhus riefen. Kreischeulen schrillten. Die Schleiereulen gaben ihr metallisch klingendes Fauchen von sich. Streifenkäuzchen miauten. Brillenkäuze bellten hohl. Sperlingskäuze piepsten. Die Elfenkäuze lachten nervös. Der misstönende Lärm schwoll an, und die Luft wurde immer noch wundersamer. Daniel schlug die Augen auf. Die Dunkelheit begann hervorzutreten."


Erstmal muss ich gestehen, dass mich das Buch anfangs gar nicht so fesseln konnte. Die Geschichte plätscherte dahin, die Stimmung der 60er Jahre in Amerika wurde zwar gut transportiert, durch die vielen unterschiedliche Charaktere und die skurrilen Handlungssprünge ist es aber erstmal schwierig in die Handlung einzusteigen. Dass Maggie Stiefvater wieder bei jedem Kapitel zu der Sicht eines anderen Hauptcharakters springt, der seine Gedanken, Gefühle, Taten und Erlebnisse als personaler Er-Erzähler wiedergeben kann macht das natürlich auch nicht einfacher. Nach 3 Kapiteln war ich jedoch in der Geschichte angekommen und der Lesespaß konnte losgehen als ich den roten Faden gefunden hatte: eine eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy mit Spiritualität, Märchen, Roadnovel, Bewältigungsgeschichte und einer guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Teilweise ist die Geschichte wirklich sehr skurril und abgedreht, aber genau das macht sie eben aus, sodass mir das Buch bald mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten erschien und ich aufs Neue von Stiefvaters Ideenreichtum verzaubert war.


"Wunder wie etwas zu behandeln, dass der Logik gehorchte, führte dazu, dass man sie nicht mehr so unheimlich fand, und das machte sie nicht nur noch gefährlicher, sondern auch weniger heilig und daher weniger bedeutsam. Diese Überzeugung ist recht verbreitet, aber sie tut sowohl der Wissenschaft als auch der Religion keinen Gefallen. Indem wir Dinge, die wir fürchten und nicht verstehen der Religion zuweisen, und die Dinge, die wir verstehen und kontrollieren können der Wissenschaft, berauben wir die Wissenschaft ihres künstlerischen Ausdrucks und die Religion ihrer Wandlungsfähigkeit."


Der geringe Umfang und die niedrige Handlungsdichte wird neben aberwitzige Drehungen und Wendungen vor allem durch den wundervollen Schreibstil der Autorin wettgemacht. Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei verwendet sie hier besonders viele Metaphern und schöne Sinnbildern über Dunkelheit, Einsamkeit und Ängste, womit sie wunderschöne Botschaften und Anspielungen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen schafft. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch!


"Es war sehr still. Niemand hätte sie gesehen, wenn die Wüste nicht gewesen wäre. Doch als die Wüste Pete Wyatt ein Liebeslied singen hörte, merkte sie auf. Als sie Pete singen hörte, ließ sie also Wind um die beiden aufwirbeln, bis die Brise wie safte Streicher klang. Sie hörte Pete singen und ließ die Luft um jeden Stein und jede Pflanze kühler werden, bis all das seine Stimme harmonisch begleitete. Sie hörte Pete singen und trieb die Heuschrecken Colorados dazu an, leise Bläser zu imitieren, und sie ließ den Boden unter Bicho Raro sanft erbeben, sodass Sand und Staub den Takt schlugen, im Rhythmus des unvollständigen Herzens in Pete Wyatts Brust."


Zu der eher düsteren Atmosphäre passt das tolle Setting des Wüstenörtchen Bicho Raro perfekt. Die kleine Ansammlung an Häusern mitten in der erbarmungslosen Wüste Colorados schreit förmlich: "Wunderlich" und mit vielen kleinen Details wird dieser sonderbare Ort lebendig. Eine Wüste, die sich verliebt, ein Kampfhahn, der endlich Frieden mit sich selbst schließt, schwarze Rosen, die sich einfach nicht züchten lassen wollen und eine Scheune, die beim 100sten Stupsen des Windes in sich zusammen gefallen ist, Radiowellen, die sich aus versehen nach Skandinavien verirren - auf solche Ideen kommt wirklich nur Maggie Stiefvater und auch nur sie bekommt es hin, die nachdenklich-melancholisch-gefärbte Atmosphäre gekonnt an den richtigen Stellen durch ihren trockenen Humor aufzulockern und mich so das ein oder andere Mal zum Grinsen zu bringen.


"Pete war auf der Stelle verliebt. Dieser befremdlichen kalten Wüste ist es gleich, ob man in ihr lebt oder stirbt, aber er verliebte sich trotzdem in sie. Er hatte nicht geahnt, dass irgendein Ort so rau und so unmittelbar sein konnte, so dicht an der Oberfläche. Sein schwaches Herz spürte die Gefahr sehr wohl, konnte jedoch nicht widerstehen. Er verliebte sich so heftig, dass selbst diese Wüste es bemerkte. (…) Und die Wüste, so wenig mitfühlend oder gar sentimental, war gerührt, und zum ersten Mal seit langer Zeit erwiderte sie eines Menschen Liebe."


Der letzte Puzzlestein sind dann die Charaktere. Diese sind hier sehr tiefgründig und mit viel Potential angelegt, werden durch den geringen Umfang der Geschichte und der aberwitzigen Zahl an verschiedenen Protagonisten zum Teil leider nur grob gestreift. Durch die total durchgedrehten Eingangsworte zu jedem Charakter, in dem wir seinen sehnlichsten Wunsch und seine tiefste Angst erfahren (unten zwei Beispiele dazu, wirklich zum totlachen). Neben der schrägen Familie Soria und all ihren Entfernten Verwandtschaftsgraden muss man sich auch die Namen und Wunder der etlichen Pilger merken, die in Bicho Raro festsitzen und auf ihr zweites Wunder warten. Da wären zum einen das entfremdete Paar Antonia und Francisco Soria, die eine immer wütend, der andere immer in seinem Gewächshaus, der immer arbeitende Michael Soria, die immer ängstliche Judith Soria und ihr Macho-Mann Eduardo Soria, Daniel und Beatriz Cousin Joaquin Soria, der mittels Funkpiraterie eine Karriere als Radio-DJ "Diablo Diablo" starten will, Daniel Soria, der heiligste Soria, der die Wunder durchführen darf und natürlich Beatriz Soria höchstselbst, die scheinbar keine Gefühle hat, gerne Gefühle von oben betrachtet, erst Angst hat wenn diese begründet und berechtigt ist und sich mit ihrem Vater nur über eine erfundene Geheimsprache unterhält.
Dazu kommt der junge Pete, der nicht als Pilger nach Bicho Raro gekommen ist, sondern vor seiner gescheiterten Karriere beim Militär und seinem Loch im Herzen flieht und sich hier einen Lastwagen durch Arbeit verdienen will.
Und natürlich die Pilger, die alle ihre Lektion zu lernen haben: Die durch eine Riesenschlange aneinandergefesselten Zwillinge, die sich zusammen schließen müssen um getrennt sein zu können, der Radio-Riese Tony, der verstehen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, die eigene Größe dazu zu nutzten, die Stimme eines anderen hochzuhalten, damit sie ein wenig lauter zu hören ist, die weinenden Marisita, deren ewige Regenwolken verhindern, dass die Monarchfalter auf ihrem Hochzeitskleid davonfliegen muss lernen, sich selbst zu verzeihen... Wir bekommen hier viele verschiedene Arten von Lebenskrisen und Bewältigungsstrategien auf fantastische Art und Weise vorgesetzt und können als Essenz mitnehmen: jede Dunkelheit kann bekämpft werden und je schneller man sich dieser bewusst wird, desto effektiver kann man sie loswerden!


"Das wollte Judith: zwei Goldzähne, wo sie niemand sehen würde, aber sie immer wüsste, dass sie da wären. Und dies fürchtete sie: vor Arztterminen, gleich welcher Art, Formulare ausfüllen zu müssen. (…) Das wollte Eduardo: dass Sänger mitten im Lied innehielten, weil sie lachen musste.
Und dies fürchtete er: dass sich Katzen auf sein Gesicht legen und ihn im Schlaf ersticken."


Insgesamt also eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft.
Und so nimmt diese wundervolle Geschichte voller Kreativität, Dunkelheit, Wahrheit, Liebe, Heilige und Wunder ihren Lauf und gipfelt am Ende in einem epischen Finale!


"Eine Wolke von Emotionen ballte sich um das Radio in Eduardos Pick-Up: Entsetzen, Wut, Freude, Stolz und schließlich, als Eulen die Pilger zu umkreisen begannen, Sorge. Ungewirkte Wunder hingen dick in der Luft und machten die Vögel ganz verrückt. Sie kreischten und sausten durch die Luft, dass die Federn stoben. Die Pilger steckten voller zweiter Wunder und die Sorias voller erster."



Fazit:


Die Kraft des Übernatürlichen, eines Wunders wird genauso eindrücklich geschildert wie die Kraft der Liebe, des Muts und der Freundschaft, sodass diese Geschichte trotz ihrer skurrilen Handlung doch so nah an der Wirklichkeit ist, dass sie mich tief berühren und mir einiges mitgeben konnte.
Mit der düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, kommt der Roman definitiv selbst einem kleinen Wunder nahe!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine wundervoll absurde Geschichte!

Wie Eulen in der Nacht
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Allgemeines:

Titel: Wie Eulen in der Nacht
Autor: Maggie Stiefvater
Verlag: Knaur (2. November 2018)
Genre: Fantasy
ASIN: B07BWD1545
ISBN-10: 3426522829
ISBN-13: 978-3426522820
Seitenzahl: 304 Seiten
Originaltitel: ...

Allgemeines:

Titel: Wie Eulen in der Nacht
Autor: Maggie Stiefvater
Verlag: Knaur (2. November 2018)
Genre: Fantasy
ASIN: B07BWD1545
ISBN-10: 3426522829
ISBN-13: 978-3426522820
Seitenzahl: 304 Seiten
Originaltitel: All the Crooked Saints
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
14,99€ (Broschiert)
Link: Hier klicken!



Inhalt:
Jeder träumt von einem Wunder, aber nicht jeder ist bereit dafür.
Wem nur noch ein Wunder helfen kann, der findet stets seinen Weg in die Wüste Colorados und zur außergewöhnlichen Familie Soria. Doch die Wunder der Sorias sind unberechenbar und wer sie aus eigener Kraft nicht vollenden kann, zahlt einen hohen Preis.
Auch Daniel Soria bewirkt diese Wunder mit der Ernsthaftigkeit und Hingabe, die es braucht. Doch dann bricht er die wichtigste Regel seiner Familie: Er mischt sich in ein Wunder ein. Dadurch entfesselt er eine Magie, die seinen Tod bedeuten könnte.

Bewertung:
In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die mit ihrer düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, definitiv einem Wunder nahe kommt. Nachdem ich die "Ravenboys-Reihe" und "Nach dem Sommer" der Autorin schon gelesen und geliebt habe, hatte ich natürlich recht hohe Erwartungen an die Geschichte (auch wenn ich wirklich versucht habe, es neutral anzugehen), welche jedoch rückblickend auf jeden Fall erfüllt wurden auch wenn ich die Kritikpunkte meiner Vorrezensenten durchaus nachvollziehen kann!

"Jedes Soria Wunder hatte dasselbe Ziel: den Geist zu heilen. Das hatte sich Daniel Soria n der vergangenen Nacht immer wieder vorgehalten. Seine Lage war keine Strafe, sagte er sich. Diese Lage war ein Wunder. Aber sie fühlet sich nicht wie ein Wunder an."


Das Cover ist -wie eigentlich alle Stiefvater-Romane- ein wirklicher Blickfall und einfach besonders! Als ich das englische Originalcover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in es verliebt so wie Pete in die Wüste. Und als ich die dann deutsche Ausgabe entdeckt und gesehen habe, dass sich dieses kaum vom Original unterscheidet, war ich wirklich glücklich und wusste: das muss ich im Regal stehen haben! Mit der kräftigen türkis-blauen Hintergrundfarbe und dem komplementären Orange der Sonne sticht die Komposition schon durch ihre Farben ins Auge. Zusammen mit den verschnörkelten Rosenranken und der weißen Eule wird dann die inhaltliche Passung gewährleistet. Der weiße, prominente Titel passt ebenfalls gut, auch wenn mir der englische Titel "All the Crooked Saints" viel besser gefällt. Ich kann aber durchaus verstehen, warum der Verlag den Titel nicht direkt übersetzt hat, das würde auf Deutsch eher komisch als mystisch klingen. Mit den rosenbedruckten Leselaschen, dem grell-orangenen Buchschnitt und den Rosenranken an jedem Kapitelbeginn wird die wunderbare Gestaltung noch abgerundet!
Erster Satz: "Nach Einbruch der Dunkelheit ist ein Wunder sehr weit zu hören."
Mit diesem Satz steigen wir eine dunkle Wüstennacht im Jahr 1962 ein, in der die Luft vor Wunder und Radiowellen nur so knistert und Eulen aufgeregt herumflattern. Wir lernen die drei Soria-Cousins Beatriz, Daniel und Joaquin kennen, die Radiowellen ihres Piratensenders von einem alten Lastwagen aus in die einsame Wüste schicken, in der Pete Wyatt und Tony DiRisio gerade auf das Örtchen Bicho Raro zuhalten - Tony weil er dringend ein Wunder braucht und Pete weil ihm eben jenen Lastwagen versprochen wurde. Klingt skurril? Dann wartet ab was passiert als einer er beiden Neuankömmlingen durch sein erstes Wunder zum Riese wird, ein Mädchen beschließt, in die Wüste zu laufen und der Heilige von Bicho Raro, aus Liebe seine eigene Dunkelheit über sich bringt. Denn die Sorias bieten zwar schon seit Jahrhunderten verlorenen Seelen an, ein Wunder an ihnen zu vollziehen und ihre Dunkelheit für sie sichtbar zu machen, doch den zweiten Teil des Wunders - die Bewältigung ihrer Dunkelheit - müssen sie ganz alleine hinbekommen. Und wer sich diesem uralten Gesetz widersetzt und sich in ein fremdes Wunder einmischt, der bringt selbst eine Dunkelheit über sich. Und wenn die Sorias eines wissen dann dass mit Wundern und der Dunkelheit genauso wenig zu spaßen ist wie mit Antonia Sorias tollwütigen Hunden...


"Trägst du die Dunkelheit in dir?" "Ja", antwortete Tony. "Und willst du davon befreit werden?" (…) "Ja." Draußen begannen Eulen mit den Flügeln zu schlagen und zu schreien. Virginia-Uhus riefen. Kreischeulen schrillten. Die Schleiereulen gaben ihr metallisch klingendes Fauchen von sich. Streifenkäuzchen miauten. Brillenkäuze bellten hohl. Sperlingskäuze piepsten. Die Elfenkäuze lachten nervös. Der misstönende Lärm schwoll an, und die Luft wurde immer noch wundersamer. Daniel schlug die Augen auf. Die Dunkelheit begann hervorzutreten."


Erstmal muss ich gestehen, dass mich das Buch anfangs gar nicht so fesseln konnte. Die Geschichte plätscherte dahin, die Stimmung der 60er Jahre in Amerika wurde zwar gut transportiert, durch die vielen unterschiedliche Charaktere und die skurrilen Handlungssprünge ist es aber erstmal schwierig in die Handlung einzusteigen. Dass Maggie Stiefvater wieder bei jedem Kapitel zu der Sicht eines anderen Hauptcharakters springt, der seine Gedanken, Gefühle, Taten und Erlebnisse als personaler Er-Erzähler wiedergeben kann macht das natürlich auch nicht einfacher. Nach 3 Kapiteln war ich jedoch in der Geschichte angekommen und der Lesespaß konnte losgehen als ich den roten Faden gefunden hatte: eine eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy mit Spiritualität, Märchen, Roadnovel, Bewältigungsgeschichte und einer guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Teilweise ist die Geschichte wirklich sehr skurril und abgedreht, aber genau das macht sie eben aus, sodass mir das Buch bald mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten erschien und ich aufs Neue von Stiefvaters Ideenreichtum verzaubert war.


"Wunder wie etwas zu behandeln, dass der Logik gehorchte, führte dazu, dass man sie nicht mehr so unheimlich fand, und das machte sie nicht nur noch gefährlicher, sondern auch weniger heilig und daher weniger bedeutsam. Diese Überzeugung ist recht verbreitet, aber sie tut sowohl der Wissenschaft als auch der Religion keinen Gefallen. Indem wir Dinge, die wir fürchten und nicht verstehen der Religion zuweisen, und die Dinge, die wir verstehen und kontrollieren können der Wissenschaft, berauben wir die Wissenschaft ihres künstlerischen Ausdrucks und die Religion ihrer Wandlungsfähigkeit."


Der geringe Umfang und die niedrige Handlungsdichte wird neben aberwitzige Drehungen und Wendungen vor allem durch den wundervollen Schreibstil der Autorin wettgemacht. Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei verwendet sie hier besonders viele Metaphern und schöne Sinnbildern über Dunkelheit, Einsamkeit und Ängste, womit sie wunderschöne Botschaften und Anspielungen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen schafft. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch!


"Es war sehr still. Niemand hätte sie gesehen, wenn die Wüste nicht gewesen wäre. Doch als die Wüste Pete Wyatt ein Liebeslied singen hörte, merkte sie auf. Als sie Pete singen hörte, ließ sie also Wind um die beiden aufwirbeln, bis die Brise wie safte Streicher klang. Sie hörte Pete singen und ließ die Luft um jeden Stein und jede Pflanze kühler werden, bis all das seine Stimme harmonisch begleitete. Sie hörte Pete singen und trieb die Heuschrecken Colorados dazu an, leise Bläser zu imitieren, und sie ließ den Boden unter Bicho Raro sanft erbeben, sodass Sand und Staub den Takt schlugen, im Rhythmus des unvollständigen Herzens in Pete Wyatts Brust."


Zu der eher düsteren Atmosphäre passt das tolle Setting des Wüstenörtchen Bicho Raro perfekt. Die kleine Ansammlung an Häusern mitten in der erbarmungslosen Wüste Colorados schreit förmlich: "Wunderlich" und mit vielen kleinen Details wird dieser sonderbare Ort lebendig. Eine Wüste, die sich verliebt, ein Kampfhahn, der endlich Frieden mit sich selbst schließt, schwarze Rosen, die sich einfach nicht züchten lassen wollen und eine Scheune, die beim 100sten Stupsen des Windes in sich zusammen gefallen ist, Radiowellen, die sich aus versehen nach Skandinavien verirren - auf solche Ideen kommt wirklich nur Maggie Stiefvater und auch nur sie bekommt es hin, die nachdenklich-melancholisch-gefärbte Atmosphäre gekonnt an den richtigen Stellen durch ihren trockenen Humor aufzulockern und mich so das ein oder andere Mal zum Grinsen zu bringen.


"Pete war auf der Stelle verliebt. Dieser befremdlichen kalten Wüste ist es gleich, ob man in ihr lebt oder stirbt, aber er verliebte sich trotzdem in sie. Er hatte nicht geahnt, dass irgendein Ort so rau und so unmittelbar sein konnte, so dicht an der Oberfläche. Sein schwaches Herz spürte die Gefahr sehr wohl, konnte jedoch nicht widerstehen. Er verliebte sich so heftig, dass selbst diese Wüste es bemerkte. (…) Und die Wüste, so wenig mitfühlend oder gar sentimental, war gerührt, und zum ersten Mal seit langer Zeit erwiderte sie eines Menschen Liebe."


Der letzte Puzzlestein sind dann die Charaktere. Diese sind hier sehr tiefgründig und mit viel Potential angelegt, werden durch den geringen Umfang der Geschichte und der aberwitzigen Zahl an verschiedenen Protagonisten zum Teil leider nur grob gestreift. Durch die total durchgedrehten Eingangsworte zu jedem Charakter, in dem wir seinen sehnlichsten Wunsch und seine tiefste Angst erfahren (unten zwei Beispiele dazu, wirklich zum totlachen). Neben der schrägen Familie Soria und all ihren Entfernten Verwandtschaftsgraden muss man sich auch die Namen und Wunder der etlichen Pilger merken, die in Bicho Raro festsitzen und auf ihr zweites Wunder warten. Da wären zum einen das entfremdete Paar Antonia und Francisco Soria, die eine immer wütend, der andere immer in seinem Gewächshaus, der immer arbeitende Michael Soria, die immer ängstliche Judith Soria und ihr Macho-Mann Eduardo Soria, Daniel und Beatriz Cousin Joaquin Soria, der mittels Funkpiraterie eine Karriere als Radio-DJ "Diablo Diablo" starten will, Daniel Soria, der heiligste Soria, der die Wunder durchführen darf und natürlich Beatriz Soria höchstselbst, die scheinbar keine Gefühle hat, gerne Gefühle von oben betrachtet, erst Angst hat wenn diese begründet und berechtigt ist und sich mit ihrem Vater nur über eine erfundene Geheimsprache unterhält.
Dazu kommt der junge Pete, der nicht als Pilger nach Bicho Raro gekommen ist, sondern vor seiner gescheiterten Karriere beim Militär und seinem Loch im Herzen flieht und sich hier einen Lastwagen durch Arbeit verdienen will.
Und natürlich die Pilger, die alle ihre Lektion zu lernen haben: Die durch eine Riesenschlange aneinandergefesselten Zwillinge, die sich zusammen schließen müssen um getrennt sein zu können, der Radio-Riese Tony, der verstehen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, die eigene Größe dazu zu nutzten, die Stimme eines anderen hochzuhalten, damit sie ein wenig lauter zu hören ist, die weinenden Marisita, deren ewige Regenwolken verhindern, dass die Monarchfalter auf ihrem Hochzeitskleid davonfliegen muss lernen, sich selbst zu verzeihen... Wir bekommen hier viele verschiedene Arten von Lebenskrisen und Bewältigungsstrategien auf fantastische Art und Weise vorgesetzt und können als Essenz mitnehmen: jede Dunkelheit kann bekämpft werden und je schneller man sich dieser bewusst wird, desto effektiver kann man sie loswerden!


"Das wollte Judith: zwei Goldzähne, wo sie niemand sehen würde, aber sie immer wüsste, dass sie da wären. Und dies fürchtete sie: vor Arztterminen, gleich welcher Art, Formulare ausfüllen zu müssen. (…) Das wollte Eduardo: dass Sänger mitten im Lied innehielten, weil sie lachen musste.
Und dies fürchtete er: dass sich Katzen auf sein Gesicht legen und ihn im Schlaf ersticken."


Insgesamt also eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft.
Und so nimmt diese wundervolle Geschichte voller Kreativität, Dunkelheit, Wahrheit, Liebe, Heilige und Wunder ihren Lauf und gipfelt am Ende in einem epischen Finale!


"Eine Wolke von Emotionen ballte sich um das Radio in Eduardos Pick-Up: Entsetzen, Wut, Freude, Stolz und schließlich, als Eulen die Pilger zu umkreisen begannen, Sorge. Ungewirkte Wunder hingen dick in der Luft und machten die Vögel ganz verrückt. Sie kreischten und sausten durch die Luft, dass die Federn stoben. Die Pilger steckten voller zweiter Wunder und die Sorias voller erster."



Fazit:

Die Kraft des Übernatürlichen, eines Wunders wird genauso eindrücklich geschildert wie die Kraft der Liebe, des Muts und der Freundschaft, sodass diese Geschichte trotz ihrer skurrilen Handlung doch so nah an der Wirklichkeit ist, dass sie mich tief berühren und mir einiges mitgeben konnte.
Mit der düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, kommt der Roman definitiv selbst einem kleinen Wunder nahe!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine wundervoll absurde Geschichte!

Wie Eulen in der Nacht
1

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die ...

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die mit ihrer düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, definitiv einem Wunder nahe kommt. Nachdem ich die "Ravenboys-Reihe" und "Nach dem Sommer" der Autorin schon gelesen und geliebt habe, hatte ich natürlich recht hohe Erwartungen an die Geschichte (auch wenn ich wirklich versucht habe, es neutral anzugehen), welche jedoch rückblickend auf jeden Fall erfüllt wurden auch wenn ich die Kritikpunkte meiner Vorrezensenten durchaus nachvollziehen kann!


"Jedes Soria Wunder hatte dasselbe Ziel: den Geist zu heilen. Das hatte sich Daniel Soria n der vergangenen Nacht immer wieder vorgehalten. Seine Lage war keine Strafe, sagte er sich. Diese Lage war ein Wunder. Aber sie fühlte sich nicht wie ein Wunder an."


Das Cover ist -wie eigentlich alle Stiefvater-Romane- ein wirklicher Blickfall und einfach besonders! Als ich das englische Originalcover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in es verliebt so wie Pete in die Wüste. Und als ich die dann deutsche Ausgabe entdeckt und gesehen habe, dass sich dieses kaum vom Original unterscheidet, war ich wirklich glücklich und wusste: das muss ich im Regal stehen haben! Mit der kräftigen türkis-blauen Hintergrundfarbe und dem komplementären Orange der Sonne sticht die Komposition schon durch ihre Farben ins Auge. Zusammen mit den verschnörkelten Rosenranken und der weißen Eule wird dann die inhaltliche Passung gewährleistet. Der weiße, prominente Titel passt ebenfalls gut, auch wenn mir der englische Titel "All the Crooked Saints" viel besser gefällt. Ich kann aber durchaus verstehen, warum der Verlag den Titel nicht direkt übersetzt hat, das würde auf Deutsch eher komisch als mystisch klingen. Mit den rosenbedruckten Leselaschen, dem grell-orangenen Buchschnitt und den Rosenranken an jedem Kapitelbeginn wird die wunderbare Gestaltung noch abgerundet!

Erster Satz: "Nach Einbruch der Dunkelheit ist ein Wunder sehr weit zu hören."

Mit diesem Satz steigen wir eine dunkle Wüstennacht im Jahr 1962 ein, in der die Luft vor Wunder und Radiowellen nur so knistert und Eulen aufgeregt herumflattern. Wir lernen die drei Soria-Cousins Beatriz, Daniel und Joaquin kennen, die Radiowellen ihres Piratensenders von einem alten Lastwagen aus in die einsame Wüste schicken, in der Pete Wyatt und Tony DiRisio gerade auf das Örtchen Bicho Raro zuhalten - Tony weil er dringend ein Wunder braucht und Pete weil ihm eben jenen Lastwagen versprochen wurde. Klingt skurril? Dann wartet ab was passiert als einer er beiden Neuankömmlingen durch sein erstes Wunder zum Riese wird, ein Mädchen beschließt, in die Wüste zu laufen und der Heilige von Bicho Raro, aus Liebe seine eigene Dunkelheit über sich bringt. Denn die Sorias bieten zwar schon seit Jahrhunderten verlorenen Seelen an, ein Wunder an ihnen zu vollziehen und ihre Dunkelheit für sie sichtbar zu machen, doch den zweiten Teil des Wunders - die Bewältigung ihrer Dunkelheit - müssen sie ganz alleine hinbekommen. Und wer sich diesem uralten Gesetz widersetzt und sich in ein fremdes Wunder einmischt, der bringt selbst eine Dunkelheit über sich. Und wenn die Sorias eines wissen dann dass mit Wundern und der Dunkelheit genauso wenig zu spaßen ist wie mit Antonia Sorias tollwütigen Hunden...


"Trägst du die Dunkelheit in dir?" "Ja", antwortete Tony. "Und willst du davon befreit werden?" (…) "Ja." Draußen begannen Eulen mit den Flügeln zu schlagen und zu schreien. Virginia-Uhus riefen. Kreischeulen schrillten. Die Schleiereulen gaben ihr metallisch klingendes Fauchen von sich. Streifenkäuzchen miauten. Brillenkäuze bellten hohl. Sperlingskäuze piepsten. Die Elfenkäuze lachten nervös. Der misstönende Lärm schwoll an, und die Luft wurde immer noch wundersamer. Daniel schlug die Augen auf. Die Dunkelheit begann hervorzutreten."


Erstmal muss ich gestehen, dass mich das Buch anfangs gar nicht so fesseln konnte. Die Geschichte plätscherte dahin, die Stimmung der 60er Jahre in Amerika wurde zwar gut transportiert, durch die vielen unterschiedliche Charaktere und die skurrilen Handlungssprünge ist es aber erstmal schwierig in die Handlung einzusteigen. Dass Maggie Stiefvater wieder bei jedem Kapitel zu der Sicht eines anderen Hauptcharakters springt, der seine Gedanken, Gefühle, Taten und Erlebnisse als personaler Er-Erzähler wiedergeben kann macht das natürlich auch nicht einfacher. Nach 3 Kapiteln war ich jedoch in der Geschichte angekommen und der Lesespaß konnte losgehen als ich den roten Faden gefunden hatte: eine eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy mit Spiritualität, Märchen, Roadnovel, Bewältigungsgeschichte und einer guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Teilweise ist die Geschichte wirklich sehr skurril und abgedreht, aber genau das macht sie eben aus, sodass mir das Buch bald mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten erschien und ich aufs Neue von Stiefvaters Ideenreichtum verzaubert war.


"Wunder wie etwas zu behandeln, dass der Logik gehorchte, führte dazu, dass man sie nicht mehr so unheimlich fand, und das machte sie nicht nur noch gefährlicher, sondern auch weniger heilig und daher weniger bedeutsam. Diese Überzeugung ist recht verbreitet, aber sie tut sowohl der Wissenschaft als auch der Religion keinen Gefallen. Indem wir Dinge, die wir fürchten und nicht verstehen der Religion zuweisen, und die Dinge, die wir verstehen und kontrollieren können der Wissenschaft, berauben wir die Wissenschaft ihres künstlerischen Ausdrucks und die Religion ihrer Wandlungsfähigkeit."


Der geringe Umfang und die niedrige Handlungsdichte wird neben aberwitzige Drehungen und Wendungen vor allem durch den wundervollen Schreibstil der Autorin wettgemacht. Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei verwendet sie hier besonders viele Metaphern und schöne Sinnbildern über Dunkelheit, Einsamkeit und Ängste, womit sie wunderschöne Botschaften und Anspielungen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen schafft. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch!


"Es war sehr still. Niemand hätte sie gesehen, wenn die Wüste nicht gewesen wäre. Doch als die Wüste Pete Wyatt ein Liebeslied singen hörte, merkte sie auf. Als sie Pete singen hörte, ließ sie also Wind um die beiden aufwirbeln, bis die Brise wie safte Streicher klang. Sie hörte Pete singen und ließ die Luft um jeden Stein und jede Pflanze kühler werden, bis all das seine Stimme harmonisch begleitete. Sie hörte Pete singen und trieb die Heuschrecken Colorados dazu an, leise Bläser zu imitieren, und sie ließ den Boden unter Bicho Raro sanft erbeben, sodass Sand und Staub den Takt schlugen, im Rhythmus des unvollständigen Herzens in Pete Wyatts Brust."


Zu der eher düsteren Atmosphäre passt das tolle Setting des Wüstenörtchen Bicho Raro perfekt. Die kleine Ansammlung an Häusern mitten in der erbarmungslosen Wüste Colorados schreit förmlich: "Wunderlich" und mit vielen kleinen Details wird dieser sonderbare Ort lebendig. Eine Wüste, die sich verliebt, ein Kampfhahn, der endlich Frieden mit sich selbst schließt, schwarze Rosen, die sich einfach nicht züchten lassen wollen und eine Scheune, die beim 100sten Stupsen des Windes in sich zusammen gefallen ist, Radiowellen, die sich aus versehen nach Skandinavien verirren - auf solche Ideen kommt wirklich nur Maggie Stiefvater und auch nur sie bekommt es hin, die nachdenklich-melancholisch-gefärbte Atmosphäre gekonnt an den richtigen Stellen durch ihren trockenen Humor aufzulockern und mich so das ein oder andere Mal zum Grinsen zu bringen.


"Pete war auf der Stelle verliebt. Dieser befremdlichen kalten Wüste ist es gleich, ob man in ihr lebt oder stirbt, aber er verliebte sich trotzdem in sie. Er hatte nicht geahnt, dass irgendein Ort so rau und so unmittelbar sein konnte, so dicht an der Oberfläche. Sein schwaches Herz spürte die Gefahr sehr wohl, konnte jedoch nicht widerstehen. Er verliebte sich so heftig, dass selbst diese Wüste es bemerkte. (…) Und die Wüste, so wenig mitfühlend oder gar sentimental, war gerührt, und zum ersten Mal seit langer Zeit erwiderte sie eines Menschen Liebe."


Der letzte Puzzlestein sind dann die Charaktere. Diese sind hier sehr tiefgründig und mit viel Potential angelegt, werden durch den geringen Umfang der Geschichte und der aberwitzigen Zahl an verschiedenen Protagonisten zum Teil leider nur grob gestreift. Durch die total durchgedrehten Eingangsworte zu jedem Charakter, in dem wir seinen sehnlichsten Wunsch und seine tiefste Angst erfahren (unten zwei Beispiele dazu, wirklich zum totlachen). Neben der schrägen Familie Soria und all ihren Entfernten Verwandtschaftsgraden muss man sich auch die Namen und Wunder der etlichen Pilger merken, die in Bicho Raro festsitzen und auf ihr zweites Wunder warten. Da wären zum einen das entfremdete Paar Antonia und Francisco Soria, die eine immer wütend, der andere immer in seinem Gewächshaus, der immer arbeitende Michael Soria, die immer ängstliche Judith Soria und ihr Macho-Mann Eduardo Soria, Daniel und Beatriz Cousin Joaquin Soria, der mittels Funkpiraterie eine Karriere als Radio-DJ "Diablo Diablo" starten will, Daniel Soria, der heiligste Soria, der die Wunder durchführen darf und natürlich Beatriz Soria höchstselbst, die scheinbar keine Gefühle hat, gerne Gefühle von oben betrachtet, erst Angst hat wenn diese begründet und berechtigt ist und sich mit ihrem Vater nur über eine erfundene Geheimsprache unterhält.
Dazu kommt der junge Pete, der nicht als Pilger nach Bicho Raro gekommen ist, sondern vor seiner gescheiterten Karriere beim Militär und seinem Loch im Herzen flieht und sich hier einen Lastwagen durch Arbeit verdienen will.
Und natürlich die Pilger, die alle ihre Lektion zu lernen haben: Die durch eine Riesenschlange aneinandergefesselten Zwillinge, die sich zusammen schließen müssen um getrennt sein zu können, der Radio-Riese Tony, der verstehen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, die eigene Größe dazu zu nutzten, die Stimme eines anderen hochzuhalten, damit sie ein wenig lauter zu hören ist, die weinenden Marisita, deren ewige Regenwolken verhindern, dass die Monarchfalter auf ihrem Hochzeitskleid davonfliegen muss lernen, sich selbst zu verzeihen... Wir bekommen hier viele verschiedene Arten von Lebenskrisen und Bewältigungsstrategien auf fantastische Art und Weise vorgesetzt und können als Essenz mitnehmen: jede Dunkelheit kann bekämpft werden und je schneller man sich dieser bewusst wird, desto effektiver kann man sie loswerden!


"Das wollte Judith: zwei Goldzähne, wo sie niemand sehen würde, aber sie immer wüsste, dass sie da wären. Und dies fürchtete sie: vor Arztterminen, gleich welcher Art, Formulare ausfüllen zu müssen. (…) Das wollte Eduardo: dass Sänger mitten im Lied innehielten, weil sie lachen musste.
Und dies fürchtete er: dass sich Katzen auf sein Gesicht legen und ihn im Schlaf ersticken."


Insgesamt also eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft.
Und so nimmt diese wundervolle Geschichte voller Kreativität, Dunkelheit, Wahrheit, Liebe, Heilige und Wunder ihren Lauf und gipfelt am Ende in einem epischen Finale!


"Eine Wolke von Emotionen ballte sich um das Radio in Eduardos Pick-Up: Entsetzen, Wut, Freude, Stolz und schließlich, als Eulen die Pilger zu umkreisen begannen, Sorge. Ungewirkte Wunder hingen dick in der Luft und machten die Vögel ganz verrückt. Sie kreischten und sausten durch die Luft, dass die Federn stoben. Die Pilger steckten voller zweiter Wunder und die Sorias voller erster."



Fazit:


Die Kraft des Übernatürlichen, eines Wunders wird genauso eindrücklich geschildert wie die Kraft der Liebe, des Muts und der Freundschaft, sodass diese Geschichte trotz ihrer skurrilen Handlung doch so nah an der Wirklichkeit ist, dass sie mich tief berühren und mir einiges mitgeben konnte.
Mit der düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, kommt der Roman definitiv selbst einem kleinen Wunder nahe!

Veröffentlicht am 04.11.2018

Ehrlich, berührend und als Parabel an die Kraft der Wunder lesbar!

Die kleinen Wunder von Mayfair
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Schon als ich das Cover das allererste Mal sah, wusste ich, dass ich an diesem Buch nicht vorbeikommen werde. Ich dachte: Wenn diese Geschichte nur annährend so liebevoll und detailreich gestaltet ist ...

Schon als ich das Cover das allererste Mal sah, wusste ich, dass ich an diesem Buch nicht vorbeikommen werde. Ich dachte: Wenn diese Geschichte nur annährend so liebevoll und detailreich gestaltet ist und mich auf den ersten Blick verzaubern kann, dann ist sie auf gutem Weg, eines meiner Jahreshighlights zu werden. Und ich habe rechtbehalten! "Die kleinen Wunder von Mayfair" hat zwar auch überraschend düstere Seiten, ist aber vor allem eine Geschichte, die Mut macht, zum Nachdenken anregt und in die kindliche Freude und das unschuldige Staunen zurückversetzt, die wir alle viel zu sehr aus unseren Leben verbannt haben.

"Einem Menschen können die schrecklichsten Dinge zustoßen, aber er wird sich nie verlieren, wenn er sich immer daran erinnert, dass er einmal ein Kind war."

Das Cover lässt den Leser einen kurzen Blick durch die geschwungenen Tore des Emporiums, hinein in eine fantastische Welt voller magischem Spielzeig erhaschen und weckte in mir sofort den Wunsch, das Buch zu lesen. Eingerahmt von golden-verzierten Säulen, strahlenden Lampen und den zarten Eiskristallen des ersten Frosts sehen wir den Titel in geschwungenen, goldenen Lettern sehen, während zentrale Motive wie die emsige Spielzeuglock, die eleganten Ballerinas und die allen-empirischen-Gesetzten-trotzenden Luftschiffe die magische Stimmung zum Greifen nah machen. Auf der Rückseite des Einbandes ist die Zeitungsannonce zu sehen, auf deren Ausschreiben sich Cathy auf den Weg in eine neue Welt, in ein neues Leben macht. Auch innerhalb der Buchdeckel versetzt die wundervolle Gestaltung mit angedeuteten Treppen, Schachbrettfußboden, kufenlosen Schaukelpferden und strammen Spielzeugsoldaten in das zauberhafte Setting des Emporiums. Das goldene Lesebändchen und die filigranen, Abschnittteilenden Schneeflocken vervollständigen das Bild noch. Einzig der Titel - eigentlich sehr wohlklingend und auch nicht wirklich unpassend - umfasst für mich nur der erste Teil der Geschichte und lässt zusammen mit dem Cover ein viel spielerischer, nostalgischer Eindruck der Geschichte entstehen, als eigentlich angebracht wäre. Der Originaltitel "The Toymakers" ist da ein wenig einprägsamer, konkreter und passender.

Erster Satz: "Das Emporium öffnet seine Tore am Tag des ersten Winterfrosts."

Schon mit dem eröffnenden Prolog, dessen ganze Bedeutung wir erst später verstehen, werden wir an den ungewöhnlichen Schauplatz der Geschichte geführt: Papa Jacks Emporium – eine Welt voller Wunder und Magie in der vom ersten Frost Anfang November bis zum ersten erblühten Schneeglöckchen Kinderträume wahr werden und Erwachsene einen kurzen Rückblick in ihre eigene Kindheit erhaschen können. Durch die Augen der 16-jährigen Cathy, die auf der Suche nach einer Bleibe für sie und ihr ungeborenes Kind durch eine Zeitungsannonce auf den Spielzeugladen in London stößt, können wir Einblick in die neue und magische Welt erhalten, in der alles möglich scheint: treue Patchworkhunde, revolutionierende Spielzeugsoldaten, fliegende Schlösser, unendliche Kisten, papierne Fertigbäume, Pfeifenreinigervögel und ... die große Liebe.

"Davonlaufen war ganz anders als in Büchern. Niemand versuchte, einen aufzuhalten. Niemand jagte einem hinterher. Was die Leute nicht verstanden, war, dass man wissen musste, wovor man davonlief. Meist floh man nicht vor Müttern, Vätern, Ungeheuern oder Bösewichten, sondern vor der Stimme im Kopf, die einem sagte: Bleib wo du bist. Alles wird wieder gut. (…) Denn der Welt war es egal, ob eine Tochter mehr oder weniger von zu Hause weglief. Sie hatte diese Geschichte schon zu oft erlebt."

Denn neben Papa Jack, dem geheimnisvollen, hünenhaften Spielzeugmachermeister mit der leisen, flüsternden Stimme und den traurigen Augen, der die Spielzüge in seinen Regalen zum Leben erweckt, sind es seine Söhne Kaspar und Emil, die Cathy mit ihrer Fürsorge und ihren fantastischen Ideen beeindrucken. Immer darauf bedacht, es besser als der andere zu machen eifern sie um neue Ideen, entwickeln über die Sommermonate neue Spielzeuge, während sie stundenlang Schlachten mit Spielzeugsoldaten austragen - der "Lange Krieg". Während Emil ein hervorragender Handwerker ist und seine Holzsoldaten ein Wunderwerk der Technik sind, genau wie die schwebenden Wolkenschlösser und faltbaren Burgen - solide, verlässlich, fleißig, berechenbar -, scheint Kaspar ihm immer ein Schritt voraus zu sein. Denn seine Spielzeuge bergen wie die von Papa Jack wahre Rätsel und immer wieder gelingt ihm das Unglaubliche, wodurch Emils Ehrgeiz und seine Selbstzweifel weiter angestachelt werden. Auch auf Cathy weitet sich der endlose Konkurrenzkampf zwischen den beiden aus und beide sind schnell bereit, sie auch nach der Saison zu verstecken. So findet sie in einem kleinen Spielhaus in der Verkaufshalle ein Zuhause und mit ihrer heranrückenden Geburt und der Annäherung an die beiden Brüder rückt auch ihre Entscheidung zwischen den beiden immer näher. Doch sie ahnt nicht, dass sie damit das Gleichgewicht zwischen den beiden zerstören wird und unter dem Damoklesschwert des heranrückenden Ersten Weltkriegs die Magie des Emporiums zu bröckeln beginnt...

"Nur Kinder wissen, warum der eine Tag eine Ewigkeit dauern kann, während der andere in einem Wimpernschlag vergeht. Ja, in Papa Jacks Emporium ticken die Uhren anders. Ganz egal, ob man tagsüber kommt oder abends, hier findet man einen Ort, der ganz nach seinem eigenen Rhythmus lebt und wer genau hinhört, kann ihn vielleicht sogar hören..."

Zu Beginn ist die Geschichte vor allem ein magisches Abenteuer voller anrührender Nostalgie, doch dann verliert sie plötzlich ihre Leichtigkeit, als der "Lange Krieg" vom Spielzeugteppich in die Schlachtfelder des ersten Weltkriegs verlegt wird und spielerische Auseinandersetzungen durch heftigere, reale ausgetauscht werden. Schleichend wird das Emporium seiner Magie berauben, sodass der Kontrast zwischen der heimeligen Atmosphäre des Spielzeugladens und der Grausamkeit der Welt langsam kleiner wird und die bittere Realität auch ins Emporium Einzug hält. Wir schlagen somit eine ganz andere Richtung ein, als ich von der Geschichte erwartet hatte und mit der Zeit bekommt die Geschichte immer mehr Facetten, immer mehr Tiefe, es wird immer mehr Schmerz und immer mehr Leid der Protagonisten zwischen all den zur Gewohnheit gewordenen Ungewöhnlichkeiten sichtbar. Ich hatte mit einer zauberhaften Fantasy Geschichte rund um Weihnachten gerechnet, doch dann schlägt die Realität zu und der Krieg bricht aus und so finden wir Leser uns irgendwann auch auf der Suche nach der außergewöhnlichen und ganz alltäglichen Magie wieder, die uns und der Geschichte irgendwann auf dem Weg während des Krieges abhanden gekommen zu sein scheint. Doch während viele Leser darüber enttäuscht sind, sehe ich genau darin die Stärke des Romans: neben all dem Außergewöhnlichen, der Liebe und der Magie ist der Roman doch überraschend voll mit dem Ernst des Lebens, Leid, Verlust, Krieg, Rivalität und Überlebenskampf eines untergehenden Ladens - ehrlich, berührend und als einzige Parabel an die Kraft der Wunder lesbar.

"Das war das Los des jüngeren Bruders. Manchmal wünschte er sich, es gäbe einen Weg wie er Kaspar ein- oder gar überholen könnte - sodass Kaspar, und sei es nur für einen Augenblick, zu ihm aufsehen, seine Erfindungen bewundern, sich abends in seine Werkstatt zurückziehen und hoffen, nein, davon träumen würde, dass er eines Tages auch so nah dran sein würde, ähnliche Wunder zu vollbringen wie ihr Vater. Doch das war ein schrecklicher Gedanke. (…) Das kleine Mädchen strahlte und klatschte beim Anblick der anmutigen Bewegungen in die Hände, woraufhin aus den Gängen noch mehr Kinder herbeieilten, um zu erfahren, was es zu sehen gab. Ja, sollte Kaspar sich doch zusammenträumen, was er wollte; das war die wahre Magie des Emporiums - die ganz alltägliche Magie spielender Kinder."

Diese Entwicklung geht mit vielen Sprüngen und Lücken in der Handlung einher, die nötig sind, da wir Cathy und das Emporium über 47 Jahre lang, von 1906 bis 1953 durch Höhen und Tiefen begleiten. Dabei wird leider viel Potential liegen gelassen, viele Ansätze für neue Geschichten ignoriert und wir huschen in Eile an einer Unzahl an verschiedenen Geschichten vorbei, die alle noch darauf warten, erzählt zu werden. Es werden viel zu viele Teile des Emporiums und des Lebens der Charaktere der Vorstellung des Lesers überlassen und so würde ich mich freuen, wenn sich Robert Dinsdale eines Tages dazu entscheidet, in die Welt des Emporiums zurückzukehren. Zu viele Geheimgänge sind noch zu entdecken, neue Erfindungen zu bestaunen, die Hintergrundgeschichten der zahllosen Helfer zu erzählen, die Liebe zwischen Kaspar und Cathy noch zu entwickeln und das Aufwachsen ihres Kinds Martha genauer zu beobachten.

"Kurze Erinnerungen an glücklichere Tage blitzten vor ihrem inneren Auge auf. (…) Alltägliche Magie. All die Wunder um sie herum, all die Dinge, die Papa Jacks Schöpfungen tun konnten, und doch: Wie viel mächtiger war diese ganz gewöhnliche Magie?"

So farbenfroh und berührend die Geschichte mit all ihren kreativen Ideen, Einfällen, Erfindungen und Schauplätzen auch ist, der Schreibstil ist dabei eher ruhig und zurückhaltend. Zwar bekommen wir immer wieder detaillierte, manchmal fast ausschweifende Beschreibungen zu lesen, insgesamt dominieren aber doch kluge Aussagen und atmosphärische Kniffe vor einer blühenden Handlung. Dass Atmosphäre hier klar vor Spannung gestellt wird, muss man erstmal akzeptieren und sich darauf einlassen. Ich habe in vielen Rezensionen anderer Leser gelesen, dass sie die Handlung zu sprunghaft, langatmig und die Atmosphäre zu düster fanden, um sich in die Tiefen dieser Geschichte hinabbegeben zu können, doch ich finde, dass wir es hier mit einem atmosphärischen Wandel zu tun haben, der für alles andere entschuldigt: vom kindlichen Staunen Cathys ausgehend, dem langen, spielerischen Krieg zweier Jungen, die im Herzen noch Kinder sind und nicht aufhören können, sich immer wieder gegenseitig auszustechen und zu bekämpfen, wenden wir uns immer mehr dem Ernst und der Verantwortung des Erwachsenwerdens zu, was mit weniger Magie und mehr Problemen einhergeht. Durch die Schatten des Krieges, wird die Geschichte dann immer düsterer, melancholischer mit seltenen Lichtblicken, während sich die Protagonisten wieder in ihre Kindheit zurücksehnen, das Gefühl aber nicht erhaschen können da das Schicksal immer wieder dazwischenfunkt, bevor wir am Ende mit süßer Freude belohnt werden, als die Protagonisten endlich wieder zur Magie und den alten Wundern zurückfinden.

"Ihr Emporium ist ein Ort, an dem man sich vor der Welt da draußen verstecken kann, eine Welt, in der schreckliche Dinge geschehen. Ihr Emporium ist ein Zuhause für Menschen, die eins brauchen. Menschen wie Sie, wie ich..."

Wir erleben hier also ein ganzes Leben voller Zweifel, Umkehr, Liebe, Hass, Erwachsenwerden, Kind-bleiben-wollen und Hass für den Krieg - ein ganzes Leben, gelebt in Mitten der spielzeugvernarrten und hoffnungsbedürftigen Kriegsgeneration, die durch den Ersten Weltkrieg viel zu früh um ihre Kindheit gebracht wurde. Wir erleben mit, wie die Grausamkeiten des Krieges die kindlichen Fantasien von stolzen und mutigen Soldaten, die in die Schlacht zogen um ihr Vaterland zu verteidigen, zerstören und auch die überzeugtesten Patrioten verstehen: am Ende des Krieges bleibt nur Tod, Zerstörung und Schmerz übrig und das Gefühl, einfach wieder ein Kind sein zu wollen.

"Wir haben das Feuer noch in der Nacht erwidert, Papa. Ich habe meine ersten Männer getötet. Sag also nicht, dass ein Deutscher je nach meinem Geschmack sein könnte"
Woraufhin Papa Jack schlicht geantwortet hatte:
"Vergiss nie - früher haben auch diese Männer mit Spielsachen gespielt."

So kann das ganze Buch als Hommage gegen den Krieg gelesen werden. Die zerstörerische Wirkung zweier im Herzen Kinder gebliebene Männern mit einzigartigen magischen Talenten in stetiger Rivalität um die Erfindungen magischsten Spielzeug, um Cathys alleinige Zuneigung und das alleinige Erbe des Emporiums gefangen in einem langen Krieg gegeneinander; die Idee mit den Spielzeugsoldaten, die plötzlich Frieden schließen, sich lernen sich gegenseitig aufzuziehen und darüber zu einem neuen Maß an Intelligenz und Empfindsamkeit gelangen; die tragische Geschichte von Papa Jack, der seinen Sohn nicht vor dem bewahren konnte, was er selbst durchstehen musste - all das sind Motive dieser Geschichte, die um das große Thema "Krieg und Frieden" kreisen und diesen Roman zu weitaus mehr machen als "nur" eine magische Weihnachtsgeschichte über verlorene Kindheitsträume.

"Mein Vater war ein einfacher Mann. Mein Vater war ein großer Mann. Und mein Vater war meine ganze Welt. (…) Die Arbeit unseres Vaters lebt weiter, solange es das Emporium gibt. Solange wir weiter Spielzeug herstellen. Solange wir...", seine Stimme drohte zu versagen, dich er riss sich zusammen, "die Magie in der Welt bewahren und nie vergessen, dass wir selbst einmal Kinder waren. Solange wir die Welt, Spielzeug für Spielzeug, zu einem besseren Ort machen."

Ein weiteres Herzstück dieses Buches sind die treffend gezeichneten Charaktere, die mir trotz detaillierter Beschreibungen und intensiven Gefühlen immer ein Rätsel bleiben werden. Das ist, was ebenfalls viele Rezensenten vor mir scharf kritisiert haben: auch wenn wir die Protagonisten so lange begleiten, ist es, als könnten wir sie nur aus der Ferne beobachten und zwar eine Verbindung zu ihnen aufbauen, sie aber nie gänzlich verstehen. Auch wenn mir lesernahe Protagonisten eigentlich wichtig sind und ich diese Kritik durchaus verstehen kann, macht diese Distanz auch einen Teil der geheimnisvollen, besonderen Ausstrahlung des Buches aus und an manchen Stellen dachte ich fast, dass dieser entfernte Blickwinkel und das manchmal fast schon unverantwortliche Auslassen von für den Leser wichtigen Szenen (zum Beispiel die Hochzeit von Kaspar und Cathy oder ihr Wiedersehen mit ihrer Familie) von Robert Dinsdale gewollt ist - genau wie seine unglaublich hinterlistige Art und Weise, unsere geschundenen Leserherzen mit neuen Gemeinheiten für die Protagonisten zu quälen...

"Ich habe dich Truhen brauen sehen, die von innen größer sind, als von außen. Ich habe hier drin mir Schutz gesucht, als es draußen Papierbäume geregnet hat. Du verwandelst Dinge, Kaspar, warum dann auch nicht dich selbst?"

Allgemein denke ich aber jetzt nachdem ich den Roman gelesen habe, dass man einfach alle Erwartungen über Bord werfen und sich auf die Geschichte einlassen muss. Dann wird man in die magische Welt des Emporiums mitgenommen und erlebt die tragisch-schöne Geschichte wundersam zusammengefügter Schicksale, die durch ihren Glauben an Wunder verbunden sind und alle unter der grausamen Realität zu leiden haben. Und mit Sirius, dem treuen Patchworkhund, der die Spielzeugmacher schon seit dem Beginn ihres Lebens begleitet ist es wie mit dem Rest der Geschichte: obwohl er am Anfang nicht mehr als ein Wunderwerk der Ingenieurskunst ist, wird Stück für Stück ein echter, lebendiger Hund aus ihm. Was ich damit sagen möchte ist, dass aus dieser Geschichte in ihrer Gesamtheit Stück für Stück mehr wird und dieses "Mehr" hat mich tief beeindruckt. Ob nun bei den revolutionierenden Spielzeugsoldaten, den Patchworkpegasussen und dem Wolkenschloss echte Zauberei oder "nur" Geschicklichkeit im Spiel ist, ist im Endeffekt es egal - der Roman hat eine magische Wirkung und die Magie des Spielens, die so anrührend beschrieben wird, bringt etwas in uns zum Vorschein, dass wir fast vergessen haben: Als Kinder stecken wir so viel Fantasie und Herzblut in unser Spielzeug, dass es lebendig wird und selbst als rational denkende Erwachsene können wir uns eine Scheibe davon abschneiden und uns stolz zurückerinnern, wie leidenschaftlich wir lieben konnten als wir klein waren - und zu diesem Vertrauen und Glauben an Wunder zurückfinden.

"Ein Spielzeug kann kein Leben retten, aber eine Seele.
Wie viele Seelen hatte Jekabs gerettet?"

Fazit:

Die tragisch-schöne Geschichte wundersam zusammengefügter Schicksale hat neben all dem Außergewöhnlichen, der Liebe und der Magie auch überraschend düstere Seiten, ist aber vor allem eine Geschichte, die Mut macht, zum Nachdenken anregt und in die kindliche Freude und das unschuldige Staunen zurückversetzt, die wir alle viel zu sehr aus unseren Leben verbannt haben.
Ehrlich, berührend und als einzige Parabel an die Kraft der Wunder lesbar - ein Roman für junggebliebene Erwachsene und für solche, die an die alltäglichen Wunder des Lebens glauben!