Ein Buch voller genialer Gegensätze: Duft oder Gestank, Genie oder Mörder?
Das ParfumAllgemeines:
Titel: Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders
Autor: Patrick Süßkind
Verlag: Diogenes (1994)
Seitenzahl: 336 Seiten
ISBN-10: 3257228007
ASIN: B009GGWFUM
ISBN-13: 978-3257228007
Preis: ...
Allgemeines:
Titel: Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders
Autor: Patrick Süßkind
Verlag: Diogenes (1994)
Seitenzahl: 336 Seiten
ISBN-10: 3257228007
ASIN: B009GGWFUM
ISBN-13: 978-3257228007
Preis: 14,90€ (Gebundene Ausgabe)
12€ (Taschenbuch)
9,99€ (Kindle-Edition)
Inhalt:
"Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte. Seine Geschichte soll hier erzählt werden. Er hieß Jean-Baptiste Grenouille, und wenn sein Name im Gegensatz zu den Namen anderer genialer Scheusale, wie etwa de Sades, Saint-Justs, Fouchés, Bonapartes usw., heute in Vergessenheit geraten ist, so sicher nicht deshalb, weil Grenouille diesen berühmteren Finstermännern an Selbstüberhebung, Menschenverachtung, Immoralität, kurz an Gottlosigkeit nachgestanden hätte, sondern weil sich sein Genie und sein einziger Ehrgeiz auf ein Gebiet beschränkte, welches in der Geschichte keine Spuren hinterlässt: auf das flüchtige Reich der Gerüche."
Diskussion:
Mittlerweile ist "Das Parfum" ja zu einem Werk von Weltliteratur geworden, dass nicht nur an Schulen sondern auch an Unis akribisch untersucht und in seine Bestandteile zerlegt wird, so wie Grenouille das mit den Düften tut. Ich halte von dieser sezierenden Herangehensweise nichts da ich finde, dass ein Buch immer ganzheitlich wirken muss - so wie auch ein Duft. Gerade aus diesem Grund will ich im Rahmen der Klassiker Challenge ganz unvoreingenommen an Klassiker herangehen und sie lesen wie eine zu bewertenden Geschichte mit Schwächen und Stärken und nicht wie ein glorifiziertes Meisterwerk, welches es nicht zu bewerten sondern nur zu verstehen gilt.
Entgegen meiner Erwartung, es hier mit einem schwer zu lesenden, veralteten Sprachstil zu tun zu haben, bin ich erstaunlich schnell in die Geschichte hineingekommen, welche wunderbar bildreich, metaphorisch und vor allem höchst lebendig erzählt wird. Dabei sind die Schilderungen an manchen Stellen derb, grausam; an anderen wiederum filigran, zart und umschmeichelnd - eben wechselhaft wie die Gestalt der Gerüche - mal ein übelkeitserregender Gestank, mal ein sanfter, lieblicher Duft. Auch wenn ich also immer mal wieder über Wörter gestolpert bin, die man nicht unbedingt kennen muss und mich in einem der vielen endlose Schachtelsätze verloren habe, die sich manchmal bis über eine ganze Seite erstrecken, muss ich doch meinen Hut vor der virtuosen Erzählkunst Patrick Süskinds ziehen, welche mich ein ums andere Mal sprachlos zurückgelassen hat. Im Laufe der Geschichte, die wir von einem auktorialen Erzähler präsentiert bekommen, sind mir auch immer wieder subtile Ironie, leise Andeutungen von Gesellschaftskritik und einer Parodie auf die Aufklärung, Anflüge von märchenhaften Vergleichen aufgefallen, sowie Anlehnungen an die Schöpfungsgeschichte oder Größen der Weltliteratur wie Goethes "Faust" oder "Der Zauberlehrling". Alles in allem also genug Futter für übereifrige Literaturstudenten aber subtil genug um den durchschnittlichen Leser nicht zu verwirren.
"Da gebot der Große Grenouille Einhalt dem Regen. Und es geschah. Und er schickte die milde Sonne seines Lächelns über das Land, worauf sich mit einem Schlag die millionenfache Pracht der Blüten erschloss, von einem Ende des Reichs bis zum anderen, zu einem einzigen bunten Teppich, geknüpft aus Myriaden von köstlichen Duftbehältern. Und der Große Grenouille sah, dass es gut war, sehr, sehr gut. (...) Also sprach der Große Grenouille und segelte, während das einfache Duftvolk unter ihm freudig tanzte und feierte, mit weitausgespannten Flügeln von der goldenen Wolke herab über das nächtliche Land seiner Seele nach Haus in sein Herz."
Der wohl einzig wichtige Protagonist dieser Geschichte ist der geniale Parfümeur, widerborstige "Zeck" und kaltblütige Mörder Jean-Baptiste Grenouille. Alle anderen Charaktere sind bloß episodenhaft wichtig für die Handlung und verschwinden nach ihrem kurzen Auftritt häufig in das Reich der Toten. Und obwohl Grenouille von Anfang an als "eine der genialsten und abscheulichsten Gestalten" der Epoche charakterisiert wird und durch den Titel schon gleich seine kommenden Morde im Raum stehen wird er vom Autor vielfältiger und schillernder gezeigt, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.
Bei aller Dummheit und Grobheit, die dem ungebildeten Grenouille nachgesagt wird hat er eine hervorstechende, wundersame Gabe in die Wiege gelegt bekommen. den absoluten Geruchssinn. Seine Nase vermag alles und jeden wahrzunehmen, jeden erdenklichen und abwegigen Dufthauch oder Gestank auf dieser Erde, welchen er in seine Bestandteile aufspaltet und tief in seinem Inneren verwahrt. Von einer Kindesmörderin unter einem versifften Marktstand geboren wandert der Junge Grenouille von Amme zu Amme, über das Waisenhaus von Madame Gaillard, bis zum Gerber Grimal. In den ersten Jahren seines Lebens wird der Junge nur herumgeschubst, ungeliebt weitergereicht und als abstoßend, verschlagen und unheimlich charakterisiert. Auf seinen Jagdzügen durch das Brodem von Paris findet er seine einzige Freiheit darin, neue Gerüche zu entdecken. Doch auch wenn er als debil und nur auf seine Gerüche fixiert erscheint, erkennt man bald, dass in ihm eine nicht zu unterschätzende Intelligenz verborgen liegt, wenn es darum geht, seine Ziele zu erreichen. So reicht es ihm bald nicht mehr aus, Gerüche nur wahrnehmen und in seinen Fantasien zusammenbringen zu können - er will auch handfest mit ihnen experimentieren und sie erfahrbar machen. Das bringt ihn schließlich zum in die Jahre gekommenen Parfümeur Baldini, der ihn nach anfänglichen Zweifeln zu sich als Lehrling nimmt. Jean-Baptiste erfindet für den alten Parfümeur viele verschiedene Düfte und erlernt von ihm im Gegenzug die wichtigsten Strategien um Düfte einzufangen und herzustellen: das Aufschreiben der Duftformeln, die Kunst des Seifenkochens aus Schweinefett, des Handschuhnähens, des Pudermischens und des Destillieren von Gerüchen. Aber das Destillieren von Gerüchen reicht Grenouille nicht, denn nicht alle Gerüche lassen sich mit diesem Verfahren festhalten. Also verlässt er Baldini und lebt erst einige Jahre auf dem Berg Plomb du Cantal. Dort erkennt er, dass er selbst keinen Geruch besitzt, was ihn verstört und verängstigt. Das höchste seiner Ziele ist es nun, sich einen eigenen Geruch zu kreieren, wofür er in der Stadt Grasse andere Arten, einen Duft festzuhalten erlernen muss. Und als er dort auf ein Mädchen mit dem wunderschönsten Eigengeruch trifft, den er jemals gerochen hat, wächst in ihm eine ganz andere Idee: um voll und ganz geliebt zu werden will er sich ihren Duft aneignen und zu dem vollkommensten und schönsten Parfüm verarbeiten, welches je ein Mensch gerochen hat...
"Hunderttausend Düfte schienen nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das höhere Prinzip, nach dessen Vorbild sich die anderen ordnen mussten. Er war die reine Schönheit."
Das Grenouille für sein höheres Ziel zum Mörder wird tut der seltsamen Sympathie und dem leisen Mitleid, dass durch die Geschichte hinweg in mir für ihn geweckt wurde, gruseliger Weise keinen Abbruch. Ist er noch so krank und abstoßend - er bleibt unsere Identifikationsfigur und der Mittelpunkt der Geschichte. Viele Gedankengänge erkennen wir Leser wieder, seine Suche nach seinem eigenen Geruch, nach sich selbst, sein Drang, geliebt und verehrt zu werden - all das wird den meisten Lesern nicht fremd sein. Und so wird die Annäherung an diesen ambivalenten Charakter zu einem wackligen Balanceakt zwischen Abscheu und Bewunderung für den Mörder und das Genie Grenouille.
Die Handlung fußt hier eigentlich nur auf der Lebensgeschichte des Protagonisten, ist dabei aber keineswegs arm an Wendungen, Spannung und etlichen Kuriositäten. Während wir Grenouille durch sein Leben begleiten blitzen immer wieder andere Facetten des Romans ans Licht: mal mutet die Geschichte eher wie ein Kriminalroman an, dann wir es mehr zum Roadnovel, dann zum Psychothriller mit Horrorelementen, bevor wieder das Gesellschaftsbild eines historischen Romans in den Vordergrund rückt. Und gerade dieser Wechsel der Handlung, die verschiedenen Darstellungsweisen der Episoden Grenouilles Leben, welche wohl jeden Versuch, das Werk in ein genaues Genre einordnen zu wollen, zum scheitern verurteilen, machen dieses Buch so spannend. In gut recherchierten 320 Seiten stellt Süskind das Frankreich des 18. Jahrhunderts, die facettenreiche und viel z stiefmütterlich behandelte Welt der Düfte und die Entwicklung der psychischen Befindlichkeiten eines ungewollten Kindes, das hinter der Maske eines hochbegabten Parfümeurs zum berechnenden Serienmörder wird, in spannender und unterhaltsamer Weise dar.
Fazit:
"Das Parfum" ist ein Buch voller genialer Gegensätze: es ekelt, es erschreckt, es fasziniert, es widert an, es begeistert, es erregt...
Ich denke, die Literaturbranche stimmt mir zu, wenn ich diesen Roman als Klassiker betitle, wer immer es jedoch in welcher Absicht auch immer liest, wird in der Vielseitigkeit der Geschichte ganz unterschiedliche Ansätze und Andeutungen finden und nicht zuletzt durch die wundervolle Sprache unterhalten werden.