Leider nur für eingefleischte Kosmeer-Fans empfehlenswert
Das Herz der SonneNachdem ich sowohl das erste, "Weit über der smaragdgrünen See" als auch das zweite "Handbuch für den genügsamen Zauberer" der Secret Projects von Brandon Sanderson mit so viel Spaß gelesen habe, habe ...
Nachdem ich sowohl das erste, "Weit über der smaragdgrünen See" als auch das zweite "Handbuch für den genügsamen Zauberer" der Secret Projects von Brandon Sanderson mit so viel Spaß gelesen habe, habe ich mir gespannt auch sein neustes Sci-Fie-Projekt angefragt, das das vierte und letzte Projekt seiner einjährigen Crowdfunding-Kampagne darstellt. Da die Geschichte im umfangreichen Kosmeer-Umfeld des Autors spielt, habe ich vorab extra überprüft, ob es sich hierbei um ein Standalone handelt, das auch unabhängig gelesen werden kann. Die Vermarktung sagte ja, also habe ich das Buch bestellt. Extrem spannende, aber ebenso verwirrende 464 Seiten später kann ich nun jedoch mit Sicherheit feststellen, dass Kosmeer-Neulinge dringend die Finger von "Das Herz der Sonne" lassen sollten. Eine Zusammenfassung meines sehr gemischten Leseeindrucks.
Bevor ich meinen leider sehr gemischten Leseeindruck begründe, noch einige Worte zur Gestaltung. Das Cover zeigt vor dem Hintergrund eines blauen Nachthimmels eine Figur, die mit wallendem Umhang auf einem Fels inmitten von Lava steht und in Richtung einer schwebenden Stadt blickt. Damit passen die Motive schonmal sehr gut zur Handlung und die Gesamtkomposition mit großem geschwungenen Titel und Autorenname reiht sich gut in die Gestaltung der anderen deutschen Kosmeer-Cover des Verlags ein. Im Vergleich zum spritzigen, modernen Originalcover wirkt die deutsche Ausgabe aber leider ein wenig fad und einfallslos. Lässt man die schwebende Stadt und den Umhang hier weg, könnte es sich bei dem Cover problemlos auch um einen historischen Roman handeln. Noch trauriger finde ich allerdings die Tatsache, dass die Illustrationen, die es dem Vorwort und Rezensionen zufolge in der Originalausgabe gab, hier nicht übernommen wurden. Nur in den beiden Innenklappen sind jeweils zwei Illustrationen zu sehen. Gerade die detailreiche Ausgestaltung hat mir an den anderen Secret Projects so gut gefallen, weshalb ich mich frage, wieso das hier weglassen wurde. Leider gibt es dafür auch sehr viele Fehler in der ersten Auflage, die bei einem Titel dieses Kalibers eher vermeidbar sind.
Erster Satz: "Nomad wachte unter den Verdammten auf."
Das Buch beginnt damit, dass die Hauptfigur mitten in einer Hinrichtung zu Bewusstsein kommt. Auf einem fremden Planeten, umgeben von Verdammten, die dem Feuer einer magischen Sonne ausgesetzt werden, ohne Chance, deren tödlichen Strahlen zu entkommen... kein guter Start in den Tag für den Weltenwanderer Nomad. Nur mit Ach und Krach schafft er es, sich rechtzeitig auf ein Flugobjekt zu retten und landet damit in einem komplexen Konflikt zwischen Einheimischen und dem totalitären Zunderkönig, die auf der Flucht vor dem Sonnenaufgang um den Planeten fliegen und um knappe Ressourcen kämpfen. Soweit so spannend.
Allerdings habe ich mich - entschuldigt den dramatischen Vergleich - bereits nach wenigen Sätzen ähnlich wie Nomad hilflos auf einem fremden Planeten ausgesetzt und verloren gefühlt. Denn ich hatte nicht nur annähernd das Gefühl, ausreichend Informationen zur Verfügung zu haben, um dieser Geschichte folgen zu können. Der anfängliche Eindruck der ersten 200 Seiten war also vor allem von seeehr vielen Fragen geprägt. Wer ist Nomad? Warum und vor wem flieht er? Was ist diese Nachtbrigade, die ihn verfolgt? Was genau ist sein sogenanntes Tormentum, der ihn daran hindert, andere anzugreifen, und woher kommt dieses? Was ist der Dämmerungssplitter? Wer ist sein Mentor Schelm? Was ist diese körperlose Stimme in Nomads Kopf und was verbindet sie? Wie funktioniert sein magisches Metallwerkzeug? Was ist Investitur? Was sind die Regeln dieses Magiesystems? Was ist Roschar, Alethi und warum zum Teufel haben die Figuren alle so seltsame Namen?!?
"Das ist ein bemerkenswerter Anblick, sagt der Ritter voller Ehrfurcht. Nichts als Wasser und Steine, aber in einer Menge, die das alles zur Schönheit werden lässt. Erstaunlich. Warum hassen wir es eigentlich noch mal, diese Welten zu bereisen?" "Weil wir gejagt werden?" "Ja, natürlich, stimmt. Aber ... ich wünschte, wir könnten öfter eine Pause einlegen und die Aussicht genießen."
Als geübter Fantasy-Leser kann man sich Teile der Antworten mit der Zeit und durch spärliche Informationen zusammenreimen, aber selbst dann blieb mir zu viel unklar, um die Geschichte wirklich genießen zu können. Zwar startet mit Nomads Ankunft auf dem Planeten Canticum grundsätzlich ein neuer Handlungsstrang, es fehlten mir allerdings generell Erklärungen zum allgemeinen Worldbuilding, zur Natur der vorkommenden Magie und den Rahmenbedingungen des Multiversums, um wirklich zu verstehen, was hier genau passierte. Auch die Hauptfigur Nomad sowie sein unsichtbarer Sidekick Auxilium und der gröbere Handlungsrahmen ihrer gemeinsamen Flucht vor der Nachtbrigarde werden hier nie wirklich eingeführt, was für mich natürlich auch den Zugang zu diesen Figuren stark verkomplizierte. "Das Herz der Sonne" liest sich ganz so, als würde der Autor davon ausgehen, dass man all diese Informationen bereits hat und er sich diese zugunsten des schnellen Erzähltempos sparen kann. Ich gehe also mal davon aus, dass diese in einem vorherigen Teil einer der Kosmeer-Reihen zu finden sind, der mir natürlich gefehlt hat. Kein Wunder also, dass das Buch für mich extrem frustrierend zu lesen war.
Doch es sind nicht nur fehlende Informationen, die verwirren, sondern auch die vielen kleinen Anspielungen, mit denen der Autor nur so um sich wirft. Im Vorwort schreibt er, das Buch als Geschenk an seine treuen Kosmeer-Fans geschrieben zu haben, was erklärt, weshalb er hier laufend Bezug zu Figuren, Welten und Geschehnissen nennt, bei denen bei mir natürlich nichts geklingelt hat. Rückblickend habe ich nun ein paar englischsprachige Rezensionen gefunden, die warnen, das Buch nur dann zu lesen, wenn man mindestens die Sturmlicht-Chroniken des Autors ebenfalls gelesen hat. Dieser Empfehlung kann ich mich nun nur ausdrücklich anschließen und ärgere mich gleichzeitig ein bisschen, dass der deutsche Verlag dies nicht ebenfalls deutlich gemacht hat. Denn so habe ich in der ersten Hälfte alle paar Kapitel mit dem Gedanken gespielt, das Buch einfach aufzugeben und etwas anderes zu lesen.
"Er war der Regen, der der plötzlich von seiner Wolke befreit war und in den Himmel strebte. Er war der Blitz, der vor Begeisterung, sich bewegen zu können, mit rasenden Splittern durch den leeren Raum fuhr. Er war der Donner, der dann hallte, wenn man es nicht erwartete, und die Luft mit seinem Rhythmus verzerrte. Er war der Sturm. Er fiel auf fremde Länder herab und war doch derselbe wie immer."
Weshalb hab ich das Buch also trotzdem zu Ende gelesen? Naja, ganz einfach: Es ist immer noch ein Brandon-Sanderson-Roman und deshalb trotz allem gewohnt spannend, originell und interessant erzählt! Zunächst ist das einfallsreiche Setting hervorzuheben, in das die Handlung eingebettet ist. Canticum ist ein Planet, auf dem alles Leben durch die extreme Kraft der Sonne ständig zerstört und im Anschluss nach Weiterziehen der Sonne neu erschaffen wird, sodass die Bewohner auf fliegenden Städten ständig vor der Sonne fliehen müssen. Wir begleiten die Figuren über einen Tag und eine Rotation um den gesamten Planeten und sehen die unterschiedlichen Phasen, die den lebensfeindlichen Zyklus aus Zerstörung und Wiedergeburt bilden. Zunächst kommt der Sonnenaufgang, der alles in Brand setzt und die Erde zum Schmelzen bringt, daraufhin folgt ein Mahlstrom, in dem die Erde rasend schnell abkühlt und daraufhin im Schatten und Regen zu wachsen beginnt, bevor die nächste Dämmerung wieder aufzieht. Was dies für das Leben der Menschen, deren Gesellschaft und Technik, aber auch das Ökosystem, die Geologie und das Wetter des Planeten bedeutet, wird dabei in vielen interessanten Gedankenspielen dargelegt.
"Wahrheit und Fantasie mischen sich in fast allen Geschichten, Einkehr", sagte er. "Insbesondere in den alten. Man kann die Fantasie nicht weglassen, ohne dabei auch die Wahrheit abzuwürgen."
Zusätzlich zu diesem sehr starken Science-Fiction-Anteil entrollt der Autor hier einen Fantasy-Konflikt zwischen dem magischen Zunderkönig, der mit seinen zombieartigen Verkohlten die Welt beherrschen will und der freien Stadt Biike, die sich ihm seit Generationen widersetzt. Staubige, schlammige Schlachten auf klapprigen Schweberädern, zwischen fliegenden Städten auf der Flucht vor der Sonne - der Gesamtplot enthält dabei noch eine ordentliche Portion moderner Western-Vibes, die an die Mad Max Filme erinnern. Passend zu der ewigen Rotation des Planeten, dem Leben in ständiger Bewegung der Bewohner und der dauerhaften Flucht der Hauptfigur, steht auch die Handlung dabei niemals still. "Das Herz der Sonne" ist mit einer extrem hoher Actiondichte ausgerollt, sodass man kaum eine Sekunde zu Atem kommt, so schnell geschehen die Dinge hier hintereinander. Eine brenzlige Situation geht in die nächste über, sodass so oder so kaum Zeit für Figurenentwicklung oder Erklärungen bleibt. Im Zusammenspiel mit den mir persönlich fehlenden Informationen blieb mir also nichts anders übrig, als wie bei einem hirnlosen Actionfilm einfach meinen Kopf auszuschalten und blind der wilden Handlung zu folgen. So konnte ich zwar halbwegs im Sattel bleiben, die vielen gutdurchdachten Feinheiten, die Sandersons Bücher ausmachen, aber gar nicht genießen. So lande ich bei einer subjektiv eher niedrigen Bewertung, obwohl ich das Buch qualitativ für deutlich besser halte.
Fazit:
Trotz spannendem Setting und actionreicher Erzählweise ist "Das Herz der Sonne" leider nur für eingefleischte Kosmeer-Fans empfehlenswert. Als Neuling im Kosmeer wird man von den zahlreichen Anspielungen, den fehlenden Informationen zu den Figuren und dem unklaren Worldbuilding zu leicht überwältigt und verwirrt.