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Veröffentlicht am 25.02.2018

1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur.

Die Känguru-Chroniken (Känguru 1)
1

Allgemeines:

Titel: Die Känguru-Chroniken
Autor: Marc-Uwe Kling
Verlag: Hörbuch Hamburg (13. Juli 2012)
Genre: Kabarett
Dauer: 291 Minuten
ISBN-10: 3869091088
ISBN-13: 978-3869091082
Preis: 8,21€ (Audio-CD)
(auch ...

Allgemeines:

Titel: Die Känguru-Chroniken
Autor: Marc-Uwe Kling
Verlag: Hörbuch Hamburg (13. Juli 2012)
Genre: Kabarett
Dauer: 291 Minuten
ISBN-10: 3869091088
ISBN-13: 978-3869091082
Preis: 8,21€ (Audio-CD)
(auch als Taschenbuch oder Kindle-Edition für 9,99€ erhältlich)
Weitere Bände: Das Känguru-Manifest;
Die Känguru-Offenbarung


Inhalt:

Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken berichten von den Abenteuern und Wortgefechten des Duos. Und so bekommen wir endlich Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: War das Känguru wirklich beim Vietcong? Und wieso ist es schnapspralinensüchtig? Könnte man die Essenz des Hegelschen Gesamtwerkes in eine SMS packen? Und wer ist besser: Bud Spencer oder Terence Hill?


Bewertung:

Nachdem ich schon sooo viel über dieses Hörbuch gehört habe, musste ich es mir einfach mal selbst anhören. Meine Mutter hat mir die ganze Hörbuch-Reihe zu Weihnachten geschenkt, also hab ich über die letzten Monate immer mal wieder reingehört und mir mit jedem der witzigen Kapiteln mein Alltag versüßen lassen. Wer diese Geschichte nicht kennt, hat nicht gelebt!


"Schnapspralinen und Aschenbecher für Alle!
-Mit freundlichem Pioniergruß
Jüdisch-Bolschewistische Weltverschwörung e.V.-"


Die Geschichte beginnt mit einem ganz normalen Tag in Marc-Uwes Leben. Noch weiß er nicht, dass sich sein Leben grundlegend verändern wird, just in dem Moment als er die Tür öffnet und davor ein Känguru steht. Wenn er gewusst hätte, wie viel Spaß er haben, Probleme er bekommen und bescheuerte Idee er stoßen würde, nachdem er dem Känguru die Tür geöffnet hat, wäre er wohl einfach auf seiner Couch sitzen geblieben. Ein Glück hat er das nicht getan, denn sonst wäre uns diese witzige Geschichte durch die Lappen gegangen...
Als er öffnet steht ein Känguru vor ihm und teilt ihm mit, dass es gegenüber eingezogen ist und sich Eierkuchen machen wollte, jedoch vergessen hat Eier zu kaufen. Keine Sekunde später klingelt es wieder. Milch fehlt auch noch. Und ein Rührgerät. Und eine Schüssel und allgemein auch der Herd und ob er etwas zum Befüllen der Eierkuchen hätte? Nein, dann muss er wohl etwas besorgen. Zum Beispiel Hack. Aber nicht von Lidl, da sind die Arbeitsbedingungen so schlecht. Und ehe der Protagonist sich versieht ist das schnapspralinenfressende Känguru sein neuer Mitbewohner.

"Kannst du heute mal bezahlen?", fragt das Känguru nach dem Essen. "Heute?", frage ich. "Mal?", frage ich. "Ich muss immer bezahlen, weil du
nie Geld mitnimmst."
"Tja", sagt das Känguru lächelnd. "So ist das in der Welt. Der eine hat den
Beutel, der andere hat das Geld."


Klingt abgedreht? Ist es definitiv. Aber dennoch ist diese witzige, unkonventionelle Geschichte ein absolutes Meisterwerk, nicht nur weil sie die wirklich wichtigen Fragen des Lebens anspricht, wie zum Beispiel: warum verdirbt Schmelzkäse nicht, warum ist das Gespenst des Kommunismus so schüchtern und weshalb haben Pferde eigentlich nicht die Weltherrschaft an sich gerissen? Nein, es ist auch voll von Weisheit, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringt: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere." Na wenn das mal nicht eine bahnbrechende Erkenntnis ist...


"Kurz gesagt: Es ist nur der Schein einer Wahl, oder um den offiziellen Terminus zu verwenden: Ein Wahlschein"


Die Erfolgsformel: 1 Poetry-Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Im Laufe der Geschichte, die episodenhaft geschrieben ist und keine große zusammenhängende Handlung hat, konnte ich mir bald genau wie Marc-Uwe Kling nicht mehr vorstellen, ohne das Känguru zu leben. Von seiner überraschenden Einquartierung bei Marc-Uwe und mit jeder abgefahrenen Situation mehr, hat es sich mehr in mein Herz geschlichen und mir immer wieder Lacher entlockt. Auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen machen es uns leicht ein zusammenhängendes Bild zu sehen.


"Ah Englisch ist doch die Sprache der Dummen!"
"Oh excuse me, do you speak English? Haben sie ihre human resources schon geprieft, dass sie wegen den shareholders outgesourced und lohngedumped werden? Oh by the way: the senior-assistant-manager-director soll doch bitte den head-of-saubermachig updaten, dass ich beim brainstorming ins mainsoffice gevomitted habe."

Auch wenn man das aufgrund der bissigen, abgedrehten und manchmal auch sinnlosen Handlung nicht erwarten würde, trieft diese Geschichte nur so von Gesellschaftskritik und Realsatire, was sie zur Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau macht. Auch wenn Kinder dieser Geschichte bestimmt viele witzigen Stellen abgewinnen können, sind die Witze vor allem für Erwachsene geschrieben, denn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft sind fast Voraussetzung, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen.


"Es gibt Fischstäbchen.
"Ich ess keinen Fisch", sage ich.
"Kannste ruhig essen", sagt das Känguru. "Is eh Hähnchen."
"Was?" frage ich....."


Aufgrund der episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung einige Szenen aus der Chronik zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen.

So nimmt er uns mit zu einem ein Ausflug ins Dunkelrestaurant....
"Vor meinen Augen explodierte die Sonne.
"AAAAAAHHH!" schreie ich. "Ich bin blind, du hast mich blind gemacht!"
Erbost nimmt der Kellner dem Känguru die High-Energy Taschenlampe weg."


... lässt das Känguru seine abzockende Zahlfaulheit immer wieder kommunistisch begründen...
"Mein", "Dein",... Das sind doch bürgerliche Kategorien!"

... nimmt uns hautnah zu einem Angriff durchgedrehter Soziologen mit, die die Umfragen stelle wie zum Beispiel:
"Wie bewerten sie die derzeitige Wirtschaftslage?
⏺Ja
⏺Nein
⏺ Vielleicht
⏺Nur ficken"


... lehrt uns, dass Ikea ein "Individualitätsraubenderrammschherstellendergewerkschaftsfeindlicherausbeuterischerscheißkonzern" ist...

... oder stellt philosophische Überlegungen zum Thema Schmelzkäse an:
"Irgendwann wird die Welt von Schmelzkäse beherrscht und wir alle werden unter einer Schicht von Schmelzkäse begraben werden und... OH MEIN GOTT!!! Der Mond! Ist der nicht aus Käse?!"

Angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und dem schonungslosen schwarzem Humor, musste ich immer wieder aus tiefster Seele loslachen und habe damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich gezogen. Allgemein scheint das Hören dieser Geschichte mein Denken beeinflusst zu haben, so ertappe ich mich manchmal selbst, wie ich ganz in Känguru Manier sage: "Das darf doch nicht Warzenschwein!" Mein persönlicher Tipp für die Geschichte also: Gleich im Doppelpack kaufen und der besten Freundin/ dem besten Freund zum Hören geben, damit man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann und der die ständigen Anspielungen versteht, wenn sie im Alltag allfallartig aus einem herausbrechen.

Mark Uwe, der hier einfach nur sich selbst darstellt und sich als fauler Kleinkünstler porträtiert bekommt durch das Zusammenleben mit dem Känguru kreativen Aufschwung und sieht sich ein ums andere Mal dazu inspiriert eines seiner unglaublich tiefsinnigen Gedichte zu psalmodieren:

"Kennen sie Deutschland?
Im Süden die Berge,
Im Norden das Meer
Und dazwischen:
Teer.
Aber gibt es wirklich nur Teer?
Nein da gibt´s ja noch mehr!
Ja Genau!
Stau. "

Man muss das vorlaute Beuteltier einfach lieben! Manchmal erscheint es wie ein vorlautes störrisches Kind, dann gibt es Dinge von sich, die eher nach weisem Sensei klingen und danach ist es einfach ein skurriler, tierischer bester Freund. Es traut sich Dinge zu sagen und zu tun, die so mancher von uns schon immer mal machen wollte: Regeln beim Monopoly einfach ändern, aufdringliche Terrier quer durch den Park kicken und Nazis umboxen - das Känguru weiß ganz genau was es will und ist dabei immer konsequent inkonsequent. Es ist süchtig nach Schnapspralinen, Bud Spencer Filmen, Nirwana, Fußnoten, Wortspielen und falschen Zitaten. So quält das Känguru ein ums andere mal den armen Marc-Uwe mit lauter fiesen Wortverdrehungen, die dessen Sinn für Sprachästhetik aufs Äußerste strapazieren...

"Was willst du von mir?", frage ich gequält.
"Wo hast du die Schnapspralinen versteckt?"
"Die habe ich nicht versteckt, die sind alle."
"Gut, Knut", sagt das Känguru. "Du lässt mir keine andere Wahl ... Wo sind die Prapsschnalinen?" "Ich weiß nicht", stöhne ich. "Lüge das Teutelbier nicht an! Wo sind die Prapsschnalinen?"
"Hör auf die Wegstaben zu verbuchseln!"


Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lachen und die Anzahl an kreativen Wortspielen, die Mark-Uwe Kling im Laufe der Geschichte einfallen hat mich wirklich demütig werden lassen. Bekannte Witze wie "Du denkst vielleicht du bist hart, aber ich bin Herta!" oder philosophische Lebensweisheiten wie "Habt ihr schon Mal darüber nachgedacht dass es von uninformiert kein weiter weg zu uniformiert ist..." kommen einfach und fließend in den Dialogen unter.

Wenn man die ganzen CDs alle auf einen Rutsch hört, werden dem aufmerksamen Hörer bald Parallelen im Aufbau und Verlauf der Szenen auffallen. Natürlich ist auch auf fast 300 Minuten mal der ein oder andere Witz dabei, der doppelt erscheint. Dass es aber trotzdem immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen und peppt die kurzen Kapitel mit Einschüben aus dem Manifest des Kängurus "Opportunismus und Repression" auf.

"...Erinnerungslücke
Der Rest des Kapitels wurde auf anwaltliches Anraten hin entfernt."

Ich werde diese Geschichte definitiv meinem gesamten Freundeskreis schenken, sie immer und immer wieder hören und mir natürlich auch die beiden Folgebände zu legen.


Fazit:

Die Erfolgsformel: 1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Diese witzige, unkonventionelle und definitiv skurrile Geschichte ist ein absolutes Meisterwerk voller Situationskomik und Gesellschaftskritik!

Veröffentlicht am 24.02.2018

Nicht besonders "Special"-mäßig...

Ugly – Pretty – Special 3: Special - Zeig dein wahres Gesicht
0

Allgemeines:

Titel: Special - Zeig dein wahres Gesicht
Autor: Scott Westerfeld
Verlag: Carlsen (Februar 2011)
Genre: Dystopie
Seitenzahl: 384 Seiten
ISBN-10: 3551310084
ISBN-13: 978-3551310088
ASIN: ...

Allgemeines:

Titel: Special - Zeig dein wahres Gesicht
Autor: Scott Westerfeld
Verlag: Carlsen (Februar 2011)
Genre: Dystopie
Seitenzahl: 384 Seiten
ISBN-10: 3551310084
ISBN-13: 978-3551310088
ASIN: B01EHV1WCC
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 12 - 15 Jahre
Preis: 7,99€ (Kindle-Edition)
8,99€ (Taschenbuch)
Weitere Bände: Ugly - Verlier nicht dein Gesicht;
Pretty - Erkenne dein Gesicht


Inhalt:

Eine neue Operation hat Tally endgültig zu etwas Besonderem gemacht. Jetzt ist sie beängstigend schön, gefährlich stark, pfeilschnell - eine Special, geschaffen, um die Uglies und Pretties unter Kontrolle zu halten. Als Rebellen aus Smoke in der Stadt auftauchen, soll Tally ihre Loyalität beweisen und den Unterschlupf der Smokies aufspüren. Doch der Weg dorthin steckt voller Überraschungen und Erinnerungen. Denn einst war Tally selbst eine Smokey...


Bewertung:

Nach dem enttäuschenden zweiten Teil war ich schon kurz davor, die Reihe ganz aufzugeben, dieser letzte Teil konnte mich im aller letzten Moment dann doch noch ein wenig überzeugen. Kein Meisterwerk der Literatur, das steht außer Frage, dennoch würde ich die Geschichte nach diesem Teil nun doch teilweise weiterempfehlen.

Das Cover zeigt ebenso wie das des ersten und des zweiten Teiles ein Mädchengesicht in Zoomaufnahme. Nachdem das Ugly-Gesicht des ersten Teiles einem Püppchen-Aussehen mit großen Augen, glatter Haut und perfekter Symmetrie gewichen ist, stellt dieses Cover nun Tallys Äußeres als Special da. Auch wenn ich mir diese noch ein wenig besonderer und furchteinflößender vorgestellt hatte, finde ich dass die präsentierten Elemente ganz wunderbar passen. Die dunklen, mit Kajalstift umrundeten Augen, die Tätowierungen, der stechende Blick, all das zeigt, dass Tally nun über ihr Pretty-Dasein hinweggekommen ist. Im Nachhinein betrachtet finde ich auch die Farbgebung der einzelnen Coverbilder sehr interessant. Trotz dass sie eigentlich immer ein ähnliches Motiv zeigen unterscheiden sie sich durch den Farbstich vollkommen in der Atmosphäre. Der grünliche Ton des ersten Bandes lässt das Gesicht hässlicher werden, der Pink-Stich des zweiten verkörpert die zarten Prettys und das eisige Blau hier zeigt die schonungslose Gefühlskälte der Specials, mit der wir hier konfrontiert werden. Insgesamt passen also alle Cover und natürlich auch die Titel wunderbar zusammen - von einer Jugendbuchreihe kann man eigentlich fast nicht mehr erwarten.


Erster Satz: "Die sechs Hubbretter bewegten sich zwischen den Bäumen mit der blitzenden Eleganz von Spielkarten, die flach und wirbelnd über den Tisch geworfen wurden."


Nachdem sich Tally durch viel Schmerz und Mühe von ihrem Pretty-Denken befreit hat und wieder ganz sie selbst geworden ist, macht eine erneute Operation ihre neue Selbstbeherrschung gleich wieder zunichte. Abermals unter dem Messer gelandet wacht sie als Special auf: eine lebendige Monster-Maschine mit Zähnen und Fingernägeln, die härter sind wie Stahl, super leichten und unzerstörbaren Keramikknochen, gestählte Muskeln aus flexiblen Fasern, perfekt geschärften Sinnen und allerlei technischen Spielereien wie Microchips und Hautantennen - sie ist eine menschliche Waffe. Als Teil der Schlitzer-Clique, der unter anderem auch Shay und Fausto angehören, ihre ehemaligen Krim-Freunde, steht sie nun unter dem Kommando der "besonderen Umstände", geleitet von Antagonistin Dr. Cable und kennt nur ein Ziel: New Smoke zu finden und zu zerstören. Das einzige, was Tallys neuen, eiskalten Schleier durchbricht, den die Operation durch erneute Gehirnpfuschs über ihre Realität gelegt hat, ist ihre Sorge um Zane, welcher nach seinem Gehirnschaden ständig in Gefahr schweben zu droht. Doch gerade als Zane sich mit einigen anderen auf den Weg nach New Smoke macht, muss Tally sich wieder fragen, wem ihre Loyalität gehört und auf dem beschwerlichen Weg durch die Wildnis muss sie sich einmal mehr fragen, was sie ist und wer sie sein will...


"Blut um Blut" Als der Schmerz sie durchjagte, spürte Tally, wie zum ersten Mal an diesem Tag ihr Denken eisig wurde. Sie konnte ihre Zukunft sehen, einen geraden Pfad ohne weitere Umkehrungen oder Verwirrungen. Sie hatte dagegen gekämpft, Ugly zu sein, und sie hatte sich dagegen gewehrt, Pretty zu sein, aber das war jetzt vorbei - von nun an wollte sie nur noch Special sein."


Zu Beginn habe ich mir mal wieder maßlos aufgeregt, weil auch die Handlung dieses Teiles wie eine exakte Neuauflage des vorangegangenen Plots zu sein schien: wieder eine manipulative Operation, darauffolgend eine lange Periode des Alltags im neuen Zustand, dicht gefolgt von einer beschwerlichen Reise durch die Wildnis, natürlich sogar wieder auf einem Hubbrett. Sehr lahm ist auch, dass sich Tally erst an die neue Operation gewöhnen muss und mit dem Special-Dasein eine neue grausame Form der Gehirnwäsche einhergeht, die ihren Blick auf die Realität abermals verfälscht, sodass sie einige dumme Entscheidungen trifft und die Nerven des Leser mal wieder stark strapaziert. Auf den ersten 100 Seiten hatte ich das Gefühl einfach noch einmal genau dasselbe zu lesen, was mir die Reihe zuvor schon vorgesetzt hatte. Wie eine Art vorgekauter, halbverdauter Brei, den ich jetzt nochmals essen musste, kam mir die Handlung vor, um das mal bildlich auszudrücken. Obwohl eigentlich immer etwas passiert, floss das Geschehen einfach so an mir vorbei und konnte mich einfach nicht erreichen.


"Das hier war besser als prickelnd zu sein, genauso wie Dr. Cable es ihr einst versprochen hatte. Tallys Sinne standen in Flammen, aber ihr Denken blieb davon unberührt und beobachtete ihre Empfindungen, ohne sich von ihnen überwältigen zu lassen. Sie war nicht Zufall, sie war überdurchschnittlich... fasst nicht mehr menschlich. Und sie war erschaffen worden, um die Welt zu retten."


Zum Glück schaffte es das Buch dann aber nach etwa der Hälfte der Seiten doch endlich, die Fesseln der Langweile zu zerreißen, indem sie endlich den schon zuvor gesteckten Rahmen verlässt und eine andere Stadt, ein Krieg und die Zukunft der ganzen Menschheit mit einfließen. Als Tallys Kampfgeist endlich wieder geweckt wird, verliert der pure Actionstreifen endlich die spielerische Seite und es kommt ein wenig Ernst auf, mit dem sich die Atmosphäre von naivem Rebellionsgeist endlich in eine dunklere, düster-bedrohlichere Stimmung ändert. Das politische System zeigt endlich offen die gnadenlose Präzision, mit der es ohne die geringste Achtung vor Persönlichkeitsrechten und Individualität gegen alles vorgeht, was nicht in ihr Raster passt.

Auch wenn ich mir diese Entwicklung schon viel früher gewünscht hätte und sie ein wenig plötzlich so im letzten Sechstel der ganzen Reihe auftrat, konnte mich die Handlung durch etliche Wendungen und Gänsehautmomenten nochmal richtig fesseln. Endlich wird das durchschaubare Muster unterbrochen und wir Leser müssen wirklich mit bangen. Auch das Gefühlschaos, das Tally durchlebt, fügt sich hier viel logsicher und besser ausgearbeitet in die Handlung mit ein und einige neue Ideen lassen die originelle Seite dieser dystopischen Welt noch einmal hervorblitzen.


"Salzgeschmack fand seinen Weg auf Tallys Lippen, eine Erinnerung an den letzten bitteren Kuss am Meeresufer. [...] Das letzte Mal das sie mit ihm gesprochen hatte, der Test bei dem sie versagt, bei dem sie ihn zurückgestoßen hatte. [...] Langsam und wunderschön kam ihr die Erinnerung vor - als hätte sie diesen Kuss einfach dauern und dauern lassen ..."


Einzig der Schreibstil, der auch hier wieder schlicht und oberflächlich ist, konnte mich selbst hier nicht mehr überzeugen. Wieder haben mir hirnlose Wortwiederholungen den letzten Nerv geraubt. Wo vorher in Pretty-Sprach ständig von "prickelnd" und "verpfuscht" die Rede war, zeigen hier neue Modewörter und eintönige Ausdrücke, dass auch die Specials eigentlich nur besonders starke Pretties sind, deren Denken ebenfalls beeinflusst ist. Wer würde sonst in fast jeden Satz die Worte "eisig", "Zufall", "Blubberkopf" oder "besonders" mit einfädeln, auch wenn es eigentlich gar keinen Sinn macht? Ich hoffe doch wirklich, dass das von der Übersetzung herrührt und der Autor selbst das nicht so beabsichtigt hat...


"Die Menge sprang im Rhythmus der Musik auf und ab. Tally spürte, wie ihr Herz schneller schlug, sie staunte darüber, wie mühelos Shay alle mitgerissen hatte. (...) Das war nicht wir ihre dummen Streiche zu Ugly-Zeiten, das hier war Magie. Die Magie der Specials. (...) Es kam nicht darauf an, wie jemand aussah. Was zählte war die Haltung, das Selbstbild. Stärke und Reflexe machten nur einen Teil davon aus - Shay wusste einfach, dass sie etwas Besonderes war, also war sie das auch."


Tallys Charakterentwickelung hat mir hier ebenfalls viel besser gefallen als zuvor. Man kann sehr gut mit verfolgen wie sie kämpft, gegen sich selbst, gegen die ganze Welt. Auf der einen Seite ist da die emotionslose Kaltblütigkeit der Specials, die ihr mehr oder weniger durch die Adern fließt, die sie euphorisch, leicht reizbar, risikofreudig und psychotisch labil macht. Immer wieder scheinen jedoch Überbleibsel ihrer Gefühle, die sie in ihren anderen Daseinszuständen zuvor geprägt haben, durch. Ich fand es sehr authentisch, wie sie immer wieder Rückfälle hat, sich dann aber schließlich doch wieder freikämpfen kann. Denn das ist das wirklich Besondere an ihr. Nicht ihr Aussehen oder ihre Special-Fähigkeiten: das sensible Mädchen, das in ihren wechselnden Hüllen steckt und das versucht, trotz ständiger Seitenwechsel, Operationen und Gehirnwäsche, sie selbst zu bleiben!


"Ich muss nicht geheilt werden. So wenig wie ich mich schneiden muss, um zu fühlen oder zu denken. Von jetzt an wird niemand außer mir mein Denken umpolen."


Andere Charaktere gehen hier wieder sehr unter, sodass sich positive wie negative Aspekte ungefähr die Wage halten. Sehr spannend fand ich die seltsame Hassliebe zwischen Shay und Tally, die eigentlich immer recht undurchsichtig bleibt während die beiden von Freundinnen zu Feindinnen werden und dabei jede erdenkliche Konstellation ausschöpfen: Verräterin, Chefin, Jägerin, Verbündete. Irgendwie wird nie wirklich klar, was mit den beiden wirklich los ist und das hat mir sehr gut gefallen. Wie sich die im letzten Teil zwanghaft aufgebaute Dreiecksbeziehung auflöst, war meiner Meinung nach jedoch wirklich kläglich. Allein die bloße Existenz dieser seltsamen David-Tally-Zane-Konstellation war eigentlich schon unnötig. Entweder der Autor hätte David im ersten Teil einfach nur ein guter Freund werden lassen, oder die seltsame Pretty-Romanze mit Zane hätte schneller abgetan werden sollen. Schlussendlich macht es sich der Autor sehr leicht und wählt einen Ausgang für die Geschichte, bei dem sich Tally in keinster Weise entscheiden muss. Das hätte man eleganter regeln können.


"Du bringst alle in Ordnung" (...) Er lächelte. "Die Welt ändert sich, Tally. Und dafür hast du gesorgt." Sie riss sich los und schwieg für eine Weile. (...) Für Tally Youngblood war der Krieg schon gekommen und gegangen und hatte eine rauchende Ruine hinterlassen. Sie konnte nicht alles in Ordnung bringen, ganz einfach weil der einzige Mensch, der ihr wichtig war, nicht mehr in Ordnung gebracht werden konnte."



Sowieso beruht das ganze Ende auf einer Menge Zufälle und erscheint im Allgemeinen recht schnell und konstruiert. Da ich aber schon gar nicht mehr mit einem nur halbwegs epischen Abschluss gerechnet hatte, war ich eigentlich ganz zufrieden mit dem Schluss, auf den er Autor die Geschichte gebracht hat. Auch wenn die Moral mal wieder wie mit dem Vorschlaghammer rüber gebracht wird und wie auch zuvor immer sehr plump erscheint, werden eigentlich alle wichtigen Handlungsstränge zu einem akzeptablen Ende geführt, sodass die Geschichte hier abgeschlossen ist. Einige wenige offene Fragen können ja im Extraband "Extra- Wer kennt dein Gesicht " geklärt werden, welchen ich aber bestimmt nicht lesen werde, da er eine neue Protagonistin verfolgt.



Fazit:

Besonders "Special"-mäßig ist dieses Finale nicht, aber dennoch ein würdiger Abschluss einer recht unterhaltsamen aber doch recht oberflächlichen Trilogie, die sehr viel Potential verschenkt hat!

Veröffentlicht am 24.02.2018

Nicht besonders "Special"-mäßig...

Ugly – Pretty – Special 3: Special - Zeig dein wahres Gesicht
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Allgemeines:

Titel: Special - Zeig dein wahres Gesicht
Autor: Scott Westerfeld
Verlag: Carlsen (Februar 2011)
Genre: Dystopie
Seitenzahl: 384 Seiten
ISBN-10: 3551310084
ISBN-13: 978-3551310088
ASIN: ...

Allgemeines:

Titel: Special - Zeig dein wahres Gesicht
Autor: Scott Westerfeld
Verlag: Carlsen (Februar 2011)
Genre: Dystopie
Seitenzahl: 384 Seiten
ISBN-10: 3551310084
ISBN-13: 978-3551310088
ASIN: B01EHV1WCC
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 12 - 15 Jahre
Preis: 7,99€ (Kindle-Edition)
8,99€ (Taschenbuch)
Weitere Bände: Ugly - Verlier nicht dein Gesicht;
Pretty - Erkenne dein Gesicht


Inhalt:

Eine neue Operation hat Tally endgültig zu etwas Besonderem gemacht. Jetzt ist sie beängstigend schön, gefährlich stark, pfeilschnell - eine Special, geschaffen, um die Uglies und Pretties unter Kontrolle zu halten. Als Rebellen aus Smoke in der Stadt auftauchen, soll Tally ihre Loyalität beweisen und den Unterschlupf der Smokies aufspüren. Doch der Weg dorthin steckt voller Überraschungen und Erinnerungen. Denn einst war Tally selbst eine Smokey...


Bewertung:

Nach dem enttäuschenden zweiten Teil war ich schon kurz davor, die Reihe ganz aufzugeben, dieser letzte Teil konnte mich im aller letzten Moment dann doch noch ein wenig überzeugen. Kein Meisterwerk der Literatur, das steht außer Frage, dennoch würde ich die Geschichte nach diesem Teil nun doch teilweise weiterempfehlen.

Das Cover zeigt ebenso wie das des ersten und des zweiten Teiles ein Mädchengesicht in Zoomaufnahme. Nachdem das Ugly-Gesicht des ersten Teiles einem Püppchen-Aussehen mit großen Augen, glatter Haut und perfekter Symmetrie gewichen ist, stellt dieses Cover nun Tallys Äußeres als Special da. Auch wenn ich mir diese noch ein wenig besonderer und furchteinflößender vorgestellt hatte, finde ich dass die präsentierten Elemente ganz wunderbar passen. Die dunklen, mit Kajalstift umrundeten Augen, die Tätowierungen, der stechende Blick, all das zeigt, dass Tally nun über ihr Pretty-Dasein hinweggekommen ist. Im Nachhinein betrachtet finde ich auch die Farbgebung der einzelnen Coverbilder sehr interessant. Trotz dass sie eigentlich immer ein ähnliches Motiv zeigen unterscheiden sie sich durch den Farbstich vollkommen in der Atmosphäre. Der grünliche Ton des ersten Bandes lässt das Gesicht hässlicher werden, der Pink-Stich des zweiten verkörpert die zarten Prettys und das eisige Blau hier zeigt die schonungslose Gefühlskälte der Specials, mit der wir hier konfrontiert werden. Insgesamt passen also alle Cover und natürlich auch die Titel wunderbar zusammen - von einer Jugendbuchreihe kann man eigentlich fast nicht mehr erwarten.


Erster Satz: "Die sechs Hubbretter bewegten sich zwischen den Bäumen mit der blitzenden Eleganz von Spielkarten, die flach und wirbelnd über den Tisch geworfen wurden."


Nachdem sich Tally durch viel Schmerz und Mühe von ihrem Pretty-Denken befreit hat und wieder ganz sie selbst geworden ist, macht eine erneute Operation ihre neue Selbstbeherrschung gleich wieder zunichte. Abermals unter dem Messer gelandet wacht sie als Special auf: eine lebendige Monster-Maschine mit Zähnen und Fingernägeln, die härter sind wie Stahl, super leichten und unzerstörbaren Keramikknochen, gestählte Muskeln aus flexiblen Fasern, perfekt geschärften Sinnen und allerlei technischen Spielereien wie Microchips und Hautantennen - sie ist eine menschliche Waffe. Als Teil der Schlitzer-Clique, der unter anderem auch Shay und Fausto angehören, ihre ehemaligen Krim-Freunde, steht sie nun unter dem Kommando der "besonderen Umstände", geleitet von Antagonistin Dr. Cable und kennt nur ein Ziel: New Smoke zu finden und zu zerstören. Das einzige, was Tallys neuen, eiskalten Schleier durchbricht, den die Operation durch erneute Gehirnpfuschs über ihre Realität gelegt hat, ist ihre Sorge um Zane, welcher nach seinem Gehirnschaden ständig in Gefahr schweben zu droht. Doch gerade als Zane sich mit einigen anderen auf den Weg nach New Smoke macht, muss Tally sich wieder fragen, wem ihre Loyalität gehört und auf dem beschwerlichen Weg durch die Wildnis muss sie sich einmal mehr fragen, was sie ist und wer sie sein will...


"Blut um Blut" Als der Schmerz sie durchjagte, spürte Tally, wie zum ersten Mal an diesem Tag ihr Denken eisig wurde. Sie konnte ihre Zukunft sehen, einen geraden Pfad ohne weitere Umkehrungen oder Verwirrungen. Sie hatte dagegen gekämpft, Ugly zu sein, und sie hatte sich dagegen gewehrt, Pretty zu sein, aber das war jetzt vorbei - von nun an wollte sie nur noch Special sein."


Zu Beginn habe ich mir mal wieder maßlos aufgeregt, weil auch die Handlung dieses Teiles wie eine exakte Neuauflage des vorangegangenen Plots zu sein schien: wieder eine manipulative Operation, darauffolgend eine lange Periode des Alltags im neuen Zustand, dicht gefolgt von einer beschwerlichen Reise durch die Wildnis, natürlich sogar wieder auf einem Hubbrett. Sehr lahm ist auch, dass sich Tally erst an die neue Operation gewöhnen muss und mit dem Special-Dasein eine neue grausame Form der Gehirnwäsche einhergeht, die ihren Blick auf die Realität abermals verfälscht, sodass sie einige dumme Entscheidungen trifft und die Nerven des Leser mal wieder stark strapaziert. Auf den ersten 100 Seiten hatte ich das Gefühl einfach noch einmal genau dasselbe zu lesen, was mir die Reihe zuvor schon vorgesetzt hatte. Wie eine Art vorgekauter, halbverdauter Brei, den ich jetzt nochmals essen musste, kam mir die Handlung vor, um das mal bildlich auszudrücken. Obwohl eigentlich immer etwas passiert, floss das Geschehen einfach so an mir vorbei und konnte mich einfach nicht erreichen.


"Das hier war besser als prickelnd zu sein, genauso wie Dr. Cable es ihr einst versprochen hatte. Tallys Sinne standen in Flammen, aber ihr Denken blieb davon unberührt und beobachtete ihre Empfindungen, ohne sich von ihnen überwältigen zu lassen. Sie war nicht Zufall, sie war überdurchschnittlich... fasst nicht mehr menschlich. Und sie war erschaffen worden, um die Welt zu retten."


Zum Glück schaffte es das Buch dann aber nach etwa der Hälfte der Seiten doch endlich, die Fesseln der Langweile zu zerreißen, indem sie endlich den schon zuvor gesteckten Rahmen verlässt und eine andere Stadt, ein Krieg und die Zukunft der ganzen Menschheit mit einfließen. Als Tallys Kampfgeist endlich wieder geweckt wird, verliert der pure Actionstreifen endlich die spielerische Seite und es kommt ein wenig Ernst auf, mit dem sich die Atmosphäre von naivem Rebellionsgeist endlich in eine dunklere, düster-bedrohlichere Stimmung ändert. Das politische System zeigt endlich offen die gnadenlose Präzision, mit der es ohne die geringste Achtung vor Persönlichkeitsrechten und Individualität gegen alles vorgeht, was nicht in ihr Raster passt.

Auch wenn ich mir diese Entwicklung schon viel früher gewünscht hätte und sie ein wenig plötzlich so im letzten Sechstel der ganzen Reihe auftrat, konnte mich die Handlung durch etliche Wendungen und Gänsehautmomenten nochmal richtig fesseln. Endlich wird das durchschaubare Muster unterbrochen und wir Leser müssen wirklich mit bangen. Auch das Gefühlschaos, das Tally durchlebt, fügt sich hier viel logsicher und besser ausgearbeitet in die Handlung mit ein und einige neue Ideen lassen die originelle Seite dieser dystopischen Welt noch einmal hervorblitzen.


"Salzgeschmack fand seinen Weg auf Tallys Lippen, eine Erinnerung an den letzten bitteren Kuss am Meeresufer. [...] Das letzte Mal das sie mit ihm gesprochen hatte, der Test bei dem sie versagt, bei dem sie ihn zurückgestoßen hatte. [...] Langsam und wunderschön kam ihr die Erinnerung vor - als hätte sie diesen Kuss einfach dauern und dauern lassen ..."


Einzig der Schreibstil, der auch hier wieder schlicht und oberflächlich ist, konnte mich selbst hier nicht mehr überzeugen. Wieder haben mir hirnlose Wortwiederholungen den letzten Nerv geraubt. Wo vorher in Pretty-Sprach ständig von "prickelnd" und "verpfuscht" die Rede war, zeigen hier neue Modewörter und eintönige Ausdrücke, dass auch die Specials eigentlich nur besonders starke Pretties sind, deren Denken ebenfalls beeinflusst ist. Wer würde sonst in fast jeden Satz die Worte "eisig", "Zufall", "Blubberkopf" oder "besonders" mit einfädeln, auch wenn es eigentlich gar keinen Sinn macht? Ich hoffe doch wirklich, dass das von der Übersetzung herrührt und der Autor selbst das nicht so beabsichtigt hat...


"Die Menge sprang im Rhythmus der Musik auf und ab. Tally spürte, wie ihr Herz schneller schlug, sie staunte darüber, wie mühelos Shay alle mitgerissen hatte. (...) Das war nicht wir ihre dummen Streiche zu Ugly-Zeiten, das hier war Magie. Die Magie der Specials. (...) Es kam nicht darauf an, wie jemand aussah. Was zählte war die Haltung, das Selbstbild. Stärke und Reflexe machten nur einen Teil davon aus - Shay wusste einfach, dass sie etwas Besonderes war, also war sie das auch."


Tallys Charakterentwickelung hat mir hier ebenfalls viel besser gefallen als zuvor. Man kann sehr gut mit verfolgen wie sie kämpft, gegen sich selbst, gegen die ganze Welt. Auf der einen Seite ist da die emotionslose Kaltblütigkeit der Specials, die ihr mehr oder weniger durch die Adern fließt, die sie euphorisch, leicht reizbar, risikofreudig und psychotisch labil macht. Immer wieder scheinen jedoch Überbleibsel ihrer Gefühle, die sie in ihren anderen Daseinszuständen zuvor geprägt haben, durch. Ich fand es sehr authentisch, wie sie immer wieder Rückfälle hat, sich dann aber schließlich doch wieder freikämpfen kann. Denn das ist das wirklich Besondere an ihr. Nicht ihr Aussehen oder ihre Special-Fähigkeiten: das sensible Mädchen, das in ihren wechselnden Hüllen steckt und das versucht, trotz ständiger Seitenwechsel, Operationen und Gehirnwäsche, sie selbst zu bleiben!


"Ich muss nicht geheilt werden. So wenig wie ich mich schneiden muss, um zu fühlen oder zu denken. Von jetzt an wird niemand außer mir mein Denken umpolen."


Andere Charaktere gehen hier wieder sehr unter, sodass sich positive wie negative Aspekte ungefähr die Wage halten. Sehr spannend fand ich die seltsame Hassliebe zwischen Shay und Tally, die eigentlich immer recht undurchsichtig bleibt während die beiden von Freundinnen zu Feindinnen werden und dabei jede erdenkliche Konstellation ausschöpfen: Verräterin, Chefin, Jägerin, Verbündete. Irgendwie wird nie wirklich klar, was mit den beiden wirklich los ist und das hat mir sehr gut gefallen. Wie sich die im letzten Teil zwanghaft aufgebaute Dreiecksbeziehung auflöst, war meiner Meinung nach jedoch wirklich kläglich. Allein die bloße Existenz dieser seltsamen David-Tally-Zane-Konstellation war eigentlich schon unnötig. Entweder der Autor hätte David im ersten Teil einfach nur ein guter Freund werden lassen, oder die seltsame Pretty-Romanze mit Zane hätte schneller abgetan werden sollen. Schlussendlich macht es sich der Autor sehr leicht und wählt einen Ausgang für die Geschichte, bei dem sich Tally in keinster Weise entscheiden muss. Das hätte man eleganter regeln können.


"Du bringst alle in Ordnung" (...) Er lächelte. "Die Welt ändert sich, Tally. Und dafür hast du gesorgt." Sie riss sich los und schwieg für eine Weile. (...) Für Tally Youngblood war der Krieg schon gekommen und gegangen und hatte eine rauchende Ruine hinterlassen. Sie konnte nicht alles in Ordnung bringen, ganz einfach weil der einzige Mensch, der ihr wichtig war, nicht mehr in Ordnung gebracht werden konnte."



Sowieso beruht das ganze Ende auf einer Menge Zufälle und erscheint im Allgemeinen recht schnell und konstruiert. Da ich aber schon gar nicht mehr mit einem nur halbwegs epischen Abschluss gerechnet hatte, war ich eigentlich ganz zufrieden mit dem Schluss, auf den er Autor die Geschichte gebracht hat. Auch wenn die Moral mal wieder wie mit dem Vorschlaghammer rüber gebracht wird und wie auch zuvor immer sehr plump erscheint, werden eigentlich alle wichtigen Handlungsstränge zu einem akzeptablen Ende geführt, sodass die Geschichte hier abgeschlossen ist. Einige wenige offene Fragen können ja im Extraband "Extra- Wer kennt dein Gesicht " geklärt werden, welchen ich aber bestimmt nicht lesen werde, da er eine neue Protagonistin verfolgt.



Fazit:

Besonders "Special"-mäßig ist dieses Finale nicht, aber dennoch ein würdiger Abschluss einer recht unterhaltsamen aber doch recht oberflächlichen Trilogie, die sehr viel Potential verschenkt hat!

Veröffentlicht am 23.02.2018

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch.

Die erstaunliche Familie Telemachus
0

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: 544 Seiten
Preis: 16,99€ (Kindle-Edition)
24€ (gebundene Ausgabe)




Inhalt:

Auf den ersten Blick ist Matty Telemachus ein typischer vierzehnjähriger Junge mit den typischen Problemen eines vierzehnjährigen Jungen. Aber Matty ist alles andere als normal und seine Familie ist es schon gar nicht. Als Matty entdeckt, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, macht er sich auf die Suche nach dem lange gehegten Familiengeheimnis: Sind seine Verwandten wirklich Medien, beherrschen sie Telepathie, Telekinese und vielleicht noch andere Kräfte?


Bewertung:

Dieses Buch ist ganz unverhofft in meinem Briefkasten gelandet, ohne dass ich mich daran erinnern konnte, es angefragt zu haben, doch vom Klapptext neugierig geworden habe ich mich gleich ans Lesen gemacht. Wie dieses Buch zu mir gefunden hat, ist mir genau wie die ganze Geschichte ein Rätsel. Es war nicht zu 100% mein Fall, die schräge, eigenwillige Geschichte hat jedoch überraschenden Charme und entführt zur erstaunlichsten, exzentrischsten und unkonventionellsten Familie, die die Leserwelt jemals gesehen hat: die erstaunliche Familie Telemachus.


"Für sie gab es keine Grenzen. Nichts konnte sie aufhalten, bis auf eines. Die Zeit."


Schon das Cover (rechts) ist alles andere als langweilig und gewöhnlich. Vor einer grauenhaft orangenen Tropfentapete hängen etliche peinliche Bilder der Familienmitglieder Telemachus. Maureen, Metty, Teddy, Frankie, eventuell Irene und ein Junge der vielleicht Buddy sein könnte - durchaus originell wenn auch nach meinem Geschmack nicht wirklich optisch ansprechend. Der Farbverlauf der Tapete, die nach unten immer heller wird, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt auf den Titel, der wunderbar zur Geschichte passt. Im Gegensatz dazu ist das amerikanische Original (links) eher schnörkellos und klar. Ebenfalls zusehen sind Familienbilder und eine blaue, gepunktete Tapete, Matty steht aber klar im Mittelpunkt und die ganze Gestaltung ist farblich weniger aufdringlich. Trotzdass mir die Originalgestaltung besser gefällt, finde ich, dass die deutsche Gestaltung von der Atmosphäre gesehen besser zum Buch passt, da der Fokus auf der ganzen Familie liegt.
Den Klapptext finde ich nicht ganz so gelungen, auch wenn er Lust darauf macht, zum Roman zu greifen. Er legt meiner Meinung nach zu viel Wert auf Matty und seiner "Suche" nach dem Familiengeheimnis, welche nach ungefähr 20 Seiten beendet ist. Die eigentliche Handlung des Buches wird nicht erwähnt. Interessant wenn auch ein wenig verwirrend, fand ich die Zeichen, die den Kapiteln untergeordnet sind und den Wechsel der Erzählperspektive ankündigen. Jeder Charakter hat sein Zeichen, den genauen Grund und Zusammenhang davon habe ich aber nicht ganz verstanden.


Erster Satz: "Zum ersten mal verließ Matty Telemachus seinen Körper im Sommer 1995, als er vierzehn Jahre alt war."


Mit einer recht peinlichen wie verwirrenden Szenen für alle Beteiligten beginnt die Geschichte der erstaunlichsten Familie der Geschichte. Der pubertierende Telemachus-Sohn Matty macht eine äußerst verstörende Erfahrung, über die er zunächst mit niemandem reden will: als er heimlich seine zwei Jahre ältere Cousine Mary Alice beobachtet findet er sich plötzlich schwebend an der Zimmerdecke wieder - er hat seine erste außerkörperliche Erfahrung, eine Astralreise. Inmitten einer Familie voller Potential und Begabungen keine außergewöhnliche Neuigkeit. Aber als seltsame Typen von der Regierung auftauchen und auch Drohungen von dubiosen Mafiosi ausgesprochen werden, muss Matty erfahren, dass hinter der Fassade der erstaunlichen Familie Telemachus noch mehr steckt, als ihre besonderen Gaben, mit denen sie es zu Ruhm und Reichtum hätten bringen können, wenn nicht „der sagenhafte Archibald“ ihren Auftritt in der Mike Douglas Show in den siebziger Jahren ruiniert hätte. Dass in allen Telemachusse (oder Telemachi? ) mehr schlummert, als ein unkontrollierter Haufen an Außenseitern, Versagern, Spieler, Singles und Aufschneidern. Denn für alle, die sich ihnen in den Weg stellen wird Irene einen besonderen Satz bereithalten:


"Wir sind die Erstaunliche Familie Telemachus, du Mistkerl. Und du bist am Arsch."


Bevor die verzwickte Geschichte über Gangster-Nicks in zwei verschiedenen Generationen, habgierigen Regierungsagenten und eiskalte Schlägertypen losgeht, werden wir in einem sehr schleichenden Anfang allen Charakteren vorgestellt. Zuerst habe ich mich ein kleines bisschen gelangweilt, denn auch wenn der Roman von Anfang an eine gewisse Sogwirkung auf mich hatte, habe ich vergeblich die Handlung unter all dem kunterbunten Chaos gesucht, welches später kunstvoll undurchsichtig zu einem Ganzen verwoben wird.


"Alles wird großartig." "Für mich muss es gar nicht großartig sein", sagte Loretta. "Für mich musst du nicht großartig sein. Du musst nur da sein."


Vor allem die interessante, wenn auch gewöhnungsbedürftige Erzählweise des Romans hat mir den Einstieg zusätzlich erschwert. Anstatt eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse abzuspulen werden hier des Öfteren Szenen scheinbar ohne weiteren Zusammenhang eingeworfen, als Erzählung der anderen Familienmitglieder an den unwissenden Matty, als schmerzhafte oder glückliche Erinnerungen oder als Ausblick, was am nächsten Tag passieren wird: die richtige Reihenfolge scheint hier eher zweitrangig zu sein während vor allem Buddys Szenen Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft wild durchmischen. Manchmal werden auch ganze Szenen und Geschichten mehrere Male aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichem Fokus erzählt. Bei der Handlungsdarstellung setzt der Autor also genau wie bei seinen Charakteren auf die Summe der Einzelteile. Als sich aus den vielen Bruchstücken endlich ein sinnvolles Bild zusammensetzt, welches viele Fragen aufwirft, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.


"Du kannst nicht aufgeben", sagte Frankie. "Du bist ein Telemachus. Wir geben nicht auf!" "Ich weiß, ich weiß." Doch war das Aufhaben nicht das, wofür sie vor allem anderen bekannt waren? Die Erstaunliche Familie Telemachus war von der Bühne in die Mittelmäßigkeit abgetreten. Wir hätten Könige sein können."


Auch wenn Matty im Klapptext als Hauptcharakter angezeigt wird, würde ich sagen, dass hier die ganze Familie im Vordergrund steht. Neben dem jungen Matty, der auf seine Stiefcousine Mary Alice alias Malice steht und sich mitten in einer schwierigen Phase der Pubertät befindet, sind da noch seine Mutter Irene, seine Onkel Frankie und Buddy und der alte Opa Teddy, die aus ihren Perspektiven von ihren Problemen, Ängsten und Hoffnungen erzählen. Opa Teddy ist ein in die Jahre gekommener Taschenspieler, der sein Leben lang vortäuschte, hellseherische Fähigkeiten zu haben. Im Gegensatz zu seiner entzückenden wie mächtigen Frau Maureen ist er jedoch auf seine raffinierten Tricks und flinke Finger angewiesen, wenn er sein Publikum erstaunen will. Nach ihrem frühen Tod musste er seine drei Kinder Irene, Frankie und Buddy alleine großziehen, was ihm mehr schlecht als recht gelungen ist. Nun im Alter liebt er es immer noch, Publikum zu haben und hegt eine Passion für diamantbesetzte Rolex und karierte Anzüge.


„Wie hatte er so die Kontrolle über sein Haus verlieren können? My home is my castle am Arsch. Eher eine Art Flüchtlingslager.“


Auch wenn der Vater anscheinend aus irgendwelchen unbekannten Geschäften reich wurde, leben seine Kinder, die von Maureen alle ein anderes ungewöhnliches Talent geerbt haben, am Existenzminimum. Alle leiden noch immer unter dem Tod Maureens, hadern mit ihrem Schicksal und können ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht sinnvoll oder gar gewinnbringend einsetzen. Als die gescheiterten Persönlichkeiten mit ihrer Familie schließlich alle wieder in ihrem Elternhaus landen, scheint die Situation zu eskalieren.


"Wenn man nicht Teil der Nummer ist, ist man Teil des Publikums."


Das Heft in der Hand hat die geschiedene Irene, die aus Geldsorgen zusammen mit ihrem Sohn Matty wieder in ihr Elternhaus gezogen ist und in einem Chatroom ihre große Liebe zu finden versucht. Als lebender Lügendetektor ist sie nicht nur für Matty eine strenge Mutter, sie hat es auch schwer, eine Beziehung zu ertragen.


"Alles wird gut", sagte das Mächtigste Medium der Welt zu sich selbst. Er muss einfach nur weiter seine Aufgabe erledigen - bis es nicht mehr seine Aufgabe ist."


Buddy wohnt immer noch zu Hause und könnte mit seiner zurückgezogenen, ruhigen Art und den scheinbar sinnlosen Renovierungsprojekten für einen verrückten Nerd gehalten werden, was seine Familie jedoch nicht weiß ist, dass er nach Maureens Tod das neue mächtigste Medium der Welt mit einer unfassbaren Gabe ist: die Zukunft vorherzusehen. Seine Geschichte ist jedoch mehr tragisch als glorreich, seine Gabe mehr ein Fluch. Schon mit fünf Jahren den Tod seiner Mutter voraussehend, macht er sich ständig Vorwürfe, den Lauf der Geschichte nicht genügend geändert zu haben und folgt strikt dem Diktat seiner Erinnerungen. Wenn er sich daran erinnert, dass er am nächsten Tag den Rasen mähen wird, dann tut er das und zwar um genau die Uhrzeit, die er vorausgesehen hat, denn aus Erfahrung weiß er, dass nur ein Detail das ganze Schicksal eines Menschen verändern kann und das kann er absolut nicht gebrauchen, wo doch der ominöse Zap-Day immer näher kommt, der Tag an dem seine vorgezogenen Erinnerungen enden...


"4. September 1995, 12:06 Uhr. Der Moment, in dem die Zukunft endet. Der Tag an dem alles schwarz wird.
Zap."


Frankie hat zwar Arbeit, aufgrund seiner Automatenspiele und einer gescheiterten Geschäftsidee ist er allerdings hoch verschuldet. Als wäre das noch nicht genug schuldet er das Geld auch noch dem übelsten Schurken der ganzen Stadt: Nick Pusateri Senior.


"Mein Sohn, mein Sohn", sagte Teddy. Er packte Frankies Kopf. "Hör auf". Er wusste nicht, was er mit dem Jungen machen sollte. Hatte es nie gewusst. Dies war der Junge, der alles wollte und nicht wusste, wie er es bekam. "Hör einfach auf."


Als wären sie alle noch nicht genug schillernde und grundverschiedenen Charaktere, mischen die elegante Frau von Nick Pusateri Junior, der fast pensionierte Agent Smalls und ein ganzer Haufen verrückter Kinder den laden weiter auf. Eine explosive, abwechslungsreiche und hochinteressante Mischung, bei der jeder Charakter seine eigene, wichtige Rolle in dem Theaterstück spielen darf, ohne besonders gut oder böse, schlecht oder begabt, besonders oder normal sein zu müssen.


"Das Problem beim Älterwerden war, dass jeder Tag sich mit den Tausenden messen musste, die ihm vorausgegangen waren. Wie wunderbar müsste da ein Tag sein, um diesen Schönheitswettbewerb zu gewinnen? Es auch nur in die Finalrunde zu schaffen?"


Wunderbar finde ich auch, dass das Buch nicht davor zurückschreckt, Dinge schonungslos anzusprechen wie sie sind: Gefühle, Gedanken, Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, traurige Tatsachen, all das mischt Daryl Gregory auf den 540 Seiten zu einem wunderbaren Mix zusammen, der durch den humorvollen Schreibstil, der sich auf Kosten der Protagonisten über das Leben lustig macht, gleichzeitig aber versucht, Lebensweisheiten zu geben. Dabei wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, die zu Herzen geht und uns Leser trotz einer Ungereimtheiten immer wieder dazu bringt, den Charakteren bei ihrem schräg-herzlichen Abenteuer treu zur Seite zu stehen.
Auf den letzten Seiten nimmt die Geschichte dann nochmal richtig Fahrt auf, bis alle Handlungsstränge auslaufen.


"Ich liebte das Fliegen. Du auch? Bestimmt!"



Fazit:

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch. Eine schräge Geschichte voller Charme, Herz und Spannung.

Veröffentlicht am 23.02.2018

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch!

Die erstaunliche Familie Telemachus
0

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die erstaunliche Familie Telemachus
Autor: Daryl Gregory
Verlag: Eichborn (23. Februar 2018)
ISBN-10: 3847906380
ISBN-13: 978-3847906384
ASIN: B0774V1GL1
Originaltitel: Spoonbenders
Seitenzahl: 544 Seiten
Preis: 16,99€ (Kindle-Edition)
24€ (gebundene Ausgabe)




Inhalt:

Auf den ersten Blick ist Matty Telemachus ein typischer vierzehnjähriger Junge mit den typischen Problemen eines vierzehnjährigen Jungen. Aber Matty ist alles andere als normal und seine Familie ist es schon gar nicht. Als Matty entdeckt, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, macht er sich auf die Suche nach dem lange gehegten Familiengeheimnis: Sind seine Verwandten wirklich Medien, beherrschen sie Telepathie, Telekinese und vielleicht noch andere Kräfte?


Bewertung:

Dieses Buch ist ganz unverhofft in meinem Briefkasten gelandet, ohne dass ich mich daran erinnern konnte, es angefragt zu haben, doch vom Klapptext neugierig geworden habe ich mich gleich ans Lesen gemacht. Wie dieses Buch zu mir gefunden hat, ist mir genau wie die ganze Geschichte ein Rätsel. Es war nicht zu 100% mein Fall, die schräge, eigenwillige Geschichte hat jedoch überraschenden Charme und entführt zur erstaunlichsten, exzentrischsten und unkonventionellsten Familie, die die Leserwelt jemals gesehen hat: die erstaunliche Familie Telemachus.


"Für sie gab es keine Grenzen. Nichts konnte sie aufhalten, bis auf eines. Die Zeit."


Schon das Cover (rechts) ist alles andere als langweilig und gewöhnlich. Vor einer grauenhaft orangenen Tropfentapete hängen etliche peinliche Bilder der Familienmitglieder Telemachus. Maureen, Metty, Teddy, Frankie, eventuell Irene und ein Junge der vielleicht Buddy sein könnte - durchaus originell wenn auch nach meinem Geschmack nicht wirklich optisch ansprechend. Der Farbverlauf der Tapete, die nach unten immer heller wird, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt auf den Titel, der wunderbar zur Geschichte passt. Im Gegensatz dazu ist das amerikanische Original (links) eher schnörkellos und klar. Ebenfalls zusehen sind Familienbilder und eine blaue, gepunktete Tapete, Matty steht aber klar im Mittelpunkt und die ganze Gestaltung ist farblich weniger aufdringlich. Trotzdass mir die Originalgestaltung besser gefällt, finde ich, dass die deutsche Gestaltung von der Atmosphäre gesehen besser zum Buch passt, da der Fokus auf der ganzen Familie liegt.
Den Klapptext finde ich nicht ganz so gelungen, auch wenn er Lust darauf macht, zum Roman zu greifen. Er legt meiner Meinung nach zu viel Wert auf Matty und seiner "Suche" nach dem Familiengeheimnis, welche nach ungefähr 20 Seiten beendet ist. Die eigentliche Handlung des Buches wird nicht erwähnt. Interessant wenn auch ein wenig verwirrend, fand ich die Zeichen, die den Kapiteln untergeordnet sind und den Wechsel der Erzählperspektive ankündigen. Jeder Charakter hat sein Zeichen, den genauen Grund und Zusammenhang davon habe ich aber nicht ganz verstanden.


Erster Satz: "Zum ersten mal verließ Matty Telemachus seinen Körper im Sommer 1995, als er vierzehn Jahre alt war."


Mit einer recht peinlichen wie verwirrenden Szenen für alle Beteiligten beginnt die Geschichte der erstaunlichsten Familie der Geschichte. Der pubertierende Telemachus-Sohn Matty macht eine äußerst verstörende Erfahrung, über die er zunächst mit niemandem reden will: als er heimlich seine zwei Jahre ältere Cousine Mary Alice beobachtet findet er sich plötzlich schwebend an der Zimmerdecke wieder - er hat seine erste außerkörperliche Erfahrung, eine Astralreise. Inmitten einer Familie voller Potential und Begabungen keine außergewöhnliche Neuigkeit. Aber als seltsame Typen von der Regierung auftauchen und auch Drohungen von dubiosen Mafiosi ausgesprochen werden, muss Matty erfahren, dass hinter der Fassade der erstaunlichen Familie Telemachus noch mehr steckt, als ihre besonderen Gaben, mit denen sie es zu Ruhm und Reichtum hätten bringen können, wenn nicht „der sagenhafte Archibald“ ihren Auftritt in der Mike Douglas Show in den siebziger Jahren ruiniert hätte. Dass in allen Telemachusse (oder Telemachi? ) mehr schlummert, als ein unkontrollierter Haufen an Außenseitern, Versagern, Spieler, Singles und Aufschneidern. Denn für alle, die sich ihnen in den Weg stellen wird Irene einen besonderen Satz bereithalten:


"Wir sind die Erstaunliche Familie Telemachus, du Mistkerl. Und du bist am Arsch."


Bevor die verzwickte Geschichte über Gangster-Nicks in zwei verschiedenen Generationen, habgierigen Regierungsagenten und eiskalte Schlägertypen losgeht, werden wir in einem sehr schleichenden Anfang allen Charakteren vorgestellt. Zuerst habe ich mich ein kleines bisschen gelangweilt, denn auch wenn der Roman von Anfang an eine gewisse Sogwirkung auf mich hatte, habe ich vergeblich die Handlung unter all dem kunterbunten Chaos gesucht, welches später kunstvoll undurchsichtig zu einem Ganzen verwoben wird.


"Alles wird großartig." "Für mich muss es gar nicht großartig sein", sagte Loretta. "Für mich musst du nicht großartig sein. Du musst nur da sein."


Vor allem die interessante, wenn auch gewöhnungsbedürftige Erzählweise des Romans hat mir den Einstieg zusätzlich erschwert. Anstatt eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse abzuspulen werden hier des Öfteren Szenen scheinbar ohne weiteren Zusammenhang eingeworfen, als Erzählung der anderen Familienmitglieder an den unwissenden Matty, als schmerzhafte oder glückliche Erinnerungen oder als Ausblick, was am nächsten Tag passieren wird: die richtige Reihenfolge scheint hier eher zweitrangig zu sein während vor allem Buddys Szenen Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft wild durchmischen. Manchmal werden auch ganze Szenen und Geschichten mehrere Male aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichem Fokus erzählt. Bei der Handlungsdarstellung setzt der Autor also genau wie bei seinen Charakteren auf die Summe der Einzelteile. Als sich aus den vielen Bruchstücken endlich ein sinnvolles Bild zusammensetzt, welches viele Fragen aufwirft, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.


"Du kannst nicht aufgeben", sagte Frankie. "Du bist ein Telemachus. Wir geben nicht auf!" "Ich weiß, ich weiß." Doch war das Aufhaben nicht das, wofür sie vor allem anderen bekannt waren? Die Erstaunliche Familie Telemachus war von der Bühne in die Mittelmäßigkeit abgetreten. Wir hätten Könige sein können."


Auch wenn Matty im Klapptext als Hauptcharakter angezeigt wird, würde ich sagen, dass hier die ganze Familie im Vordergrund steht. Neben dem jungen Matty, der auf seine Stiefcousine Mary Alice alias Malice steht und sich mitten in einer schwierigen Phase der Pubertät befindet, sind da noch seine Mutter Irene, seine Onkel Frankie und Buddy und der alte Opa Teddy, die aus ihren Perspektiven von ihren Problemen, Ängsten und Hoffnungen erzählen. Opa Teddy ist ein in die Jahre gekommener Taschenspieler, der sein Leben lang vortäuschte, hellseherische Fähigkeiten zu haben. Im Gegensatz zu seiner entzückenden wie mächtigen Frau Maureen ist er jedoch auf seine raffinierten Tricks und flinke Finger angewiesen, wenn er sein Publikum erstaunen will. Nach ihrem frühen Tod musste er seine drei Kinder Irene, Frankie und Buddy alleine großziehen, was ihm mehr schlecht als recht gelungen ist. Nun im Alter liebt er es immer noch, Publikum zu haben und hegt eine Passion für diamantbesetzte Rolex und karierte Anzüge.


„Wie hatte er so die Kontrolle über sein Haus verlieren können? My home is my castle am Arsch. Eher eine Art Flüchtlingslager.“


Auch wenn der Vater anscheinend aus irgendwelchen unbekannten Geschäften reich wurde, leben seine Kinder, die von Maureen alle ein anderes ungewöhnliches Talent geerbt haben, am Existenzminimum. Alle leiden noch immer unter dem Tod Maureens, hadern mit ihrem Schicksal und können ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht sinnvoll oder gar gewinnbringend einsetzen. Als die gescheiterten Persönlichkeiten mit ihrer Familie schließlich alle wieder in ihrem Elternhaus landen, scheint die Situation zu eskalieren.


"Wenn man nicht Teil der Nummer ist, ist man Teil des Publikums."


Das Heft in der Hand hat die geschiedene Irene, die aus Geldsorgen zusammen mit ihrem Sohn Matty wieder in ihr Elternhaus gezogen ist und in einem Chatroom ihre große Liebe zu finden versucht. Als lebender Lügendetektor ist sie nicht nur für Matty eine strenge Mutter, sie hat es auch schwer, eine Beziehung zu ertragen.


"Alles wird gut", sagte das Mächtigste Medium der Welt zu sich selbst. Er muss einfach nur weiter seine Aufgabe erledigen - bis es nicht mehr seine Aufgabe ist."


Buddy wohnt immer noch zu Hause und könnte mit seiner zurückgezogenen, ruhigen Art und den scheinbar sinnlosen Renovierungsprojekten für einen verrückten Nerd gehalten werden, was seine Familie jedoch nicht weiß ist, dass er nach Maureens Tod das neue mächtigste Medium der Welt mit einer unfassbaren Gabe ist: die Zukunft vorherzusehen. Seine Geschichte ist jedoch mehr tragisch als glorreich, seine Gabe mehr ein Fluch. Schon mit fünf Jahren den Tod seiner Mutter voraussehend, macht er sich ständig Vorwürfe, den Lauf der Geschichte nicht genügend geändert zu haben und folgt strikt dem Diktat seiner Erinnerungen. Wenn er sich daran erinnert, dass er am nächsten Tag den Rasen mähen wird, dann tut er das und zwar um genau die Uhrzeit, die er vorausgesehen hat, denn aus Erfahrung weiß er, dass nur ein Detail das ganze Schicksal eines Menschen verändern kann und das kann er absolut nicht gebrauchen, wo doch der ominöse Zap-Day immer näher kommt, der Tag an dem seine vorgezogenen Erinnerungen enden...


"4. September 1995, 12:06 Uhr. Der Moment, in dem die Zukunft endet. Der Tag an dem alles schwarz wird.
Zap."


Frankie hat zwar Arbeit, aufgrund seiner Automatenspiele und einer gescheiterten Geschäftsidee ist er allerdings hoch verschuldet. Als wäre das noch nicht genug schuldet er das Geld auch noch dem übelsten Schurken der ganzen Stadt: Nick Pusateri Senior.


"Mein Sohn, mein Sohn", sagte Teddy. Er packte Frankies Kopf. "Hör auf". Er wusste nicht, was er mit dem Jungen machen sollte. Hatte es nie gewusst. Dies war der Junge, der alles wollte und nicht wusste, wie er es bekam. "Hör einfach auf."


Als wären sie alle noch nicht genug schillernde und grundverschiedenen Charaktere, mischen die elegante Frau von Nick Pusateri Junior, der fast pensionierte Agent Smalls und ein ganzer Haufen verrückter Kinder den laden weiter auf. Eine explosive, abwechslungsreiche und hochinteressante Mischung, bei der jeder Charakter seine eigene, wichtige Rolle in dem Theaterstück spielen darf, ohne besonders gut oder böse, schlecht oder begabt, besonders oder normal sein zu müssen.


"Das Problem beim Älterwerden war, dass jeder Tag sich mit den Tausenden messen musste, die ihm vorausgegangen waren. Wie wunderbar müsste da ein Tag sein, um diesen Schönheitswettbewerb zu gewinnen? Es auch nur in die Finalrunde zu schaffen?"


Wunderbar finde ich auch, dass das Buch nicht davor zurückschreckt, Dinge schonungslos anzusprechen wie sie sind: Gefühle, Gedanken, Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, traurige Tatsachen, all das mischt Daryl Gregory auf den 540 Seiten zu einem wunderbaren Mix zusammen, der durch den humorvollen Schreibstil, der sich auf Kosten der Protagonisten über das Leben lustig macht, gleichzeitig aber versucht, Lebensweisheiten zu geben. Dabei wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, die zu Herzen geht und uns Leser trotz einer Ungereimtheiten immer wieder dazu bringt, den Charakteren bei ihrem schräg-herzlichen Abenteuer treu zur Seite zu stehen.
Auf den letzten Seiten nimmt die Geschichte dann nochmal richtig Fahrt auf, bis alle Handlungsstränge auslaufen.


"Ich liebte das Fliegen. Du auch? Bestimmt!"



Fazit:

Exzentrisch, kunterbunt, ein wenig melancholisch und einfach saukomisch. Eine schräge Geschichte voller Charme, Herz und Spannung.