Gewohnt bildgewaltig und originell!
Wie Träume blutenGenau wie in die Raven Boys-Reihe habe ich mich im November 2022 auch in den ersten Teil der brandneuen Sequel-Reihe über meinen Lieblingscharakter Ronan Lynch schockverliebt. Auch in Band 2, "Wie Träume ...
Genau wie in die Raven Boys-Reihe habe ich mich im November 2022 auch in den ersten Teil der brandneuen Sequel-Reihe über meinen Lieblingscharakter Ronan Lynch schockverliebt. Auch in Band 2, "Wie Träume bluten", erzählt die Autorin eine mitreißende und atmosphärisch dichte Geschichte über Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Freundschaft, Hoffnung und Liebe! Ganz so sehr wie Band 1 hat mich dieser Mittelteil allerdings nicht überzeugen können - dafür ist die Handlung einfach eine Kleinigkeit zu verwirrend und dünn. Bevor ich erkläre, weshalb ich die Reihe trotzdem nachdrücklich weiterempfehle noch ein kurzes Shoutout an Sofia, mit der ich das Buch mal wieder im Buddyread gelesen habe!!!
Bevor ich mein erneutes Loblied auf Maggie Stiefvaters Fantasie beginne, wie immer ein paar Worte zum Cover. Anders als die kühlblaue Aquarell-Optik der Hauptreihe hat sich der Verlag dieses Mal für eine rot-orangene Farbgebung entschieden, wodurch das Cover weniger verträumt und deutlich dramatischer wirkt. Auf dem Cover von Band 2 kommen nun noch blaue und schwarze Akzente hinzu. Zu sehen sind genau wie auf dem Originalcover die Silhouette von Ronan und Hennessy, die jeweils mit ihren Traumschwertern bewaffnet im Gegenlicht ihrer Autoscheinwerfer stehen, während im Hintergrund eine orangene Sonne über einem Wald aufgeht. Passend dazu sind die 37 Kapitelanfänge jeweils von einem angedeuteten Wald umgeben. Kurzum: das Gesamtkonzept der Gestaltung ist mal wieder wunderbar passend zur Handlung und einfach ein Eye-Catcher!
Erster Satz: "Es war ein herrlicher Tag, als sie kamen, um den Zed zu töten."
"Wie Träume bluten" beginnt wenige Woche nach dem Ende des ersten Bandes. Hennessy und Ronan wurden von dem mysteriösen Träumer Bryde vor den Regulatoren gerettet und sind nun zusammen mit ihm unterwegs, um die Leyline zu retten. Declan und Matthew sind auf dem Weg zu den Schobern, treffen aber schon bald in Boston wieder auf Jordan und Liliana und Carmen versuchen weiterhin mit den Regulatoren den Weltuntergang zu verhindern. Damit haben wir noch mehr Erzählperspektiven als in Band 1 und springen nach wie vor zwischen mehreren Handlungssträngen hin und her. Wie gewohnt setzt Maggie Stiefvater dabei wieder ein sehr geringes Erzähltempo an und auch ihre Handlungsdichte ist zunächst sehr gering. Wie bei ihren Vorgängern lebt auch "Wie Träume bluten" von den Perspektivwechseln zwischen den Figuren und der Frage, wie alles miteinander verbunden ist. Es passiert viel zwischen den Zeilen, wir erhalten zu den wichtigsten Figuren viele Rückblicke und Andeutungen verführen zum Rätselraten. Auch wenn ich mir an einigen Stellen ein bisschen mehr Klarheit, Struktur und Handlung gewünscht hätte, sorgen das surreale Lesegefühl die vielen offenen Fragen wieder für jede Menge Spannung und eine vielschichtige Atmosphäre.
"Warum musste es so sein? Warum musste sie so sein? Sie sehnte sich nach der Hennessy im Auto, der Hennessy, die glaubte, ihr Herz hinge an nichts auf dieser Welt. Was für eine Lügnerin sie doch war. Ihr Herz hing an allem."
Die Atmosphäre ist auch hier wieder von einem deutlich düstereren Einschlag geprägt als die Hauptreihe es war. Wo der Raven Cycle noch humorvoll, spritzig und abenteuerlustig war, ist "Wie Träume bluten" nun melancholisch, blutig, zynisch und apokalyptisch. Die Figuren treffen sehr oft moralisch graue Entscheidungen und müssen mit vielen negativen Emotionen umgehen, während die Grenze zwischen Realität und Traum so stark verwischt wie noch nie zuvor. Trotz all der Unterschiede erkennt man in jeder Zeile der unverwechselbare Schreibstil Maggie Stiefvaters wieder. Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen.
Dabei setzt die Autorin Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft. Da sich hier sowohl emotional als auch inhaltlich viele auf der Ebene noch An- und Vorausdeutungen abspielt, kann ich allen zukünftigen LeserInnen dieses Buches nur ans Herz legen, es sehr aufmerksam zu lesen und sich dabei viel Zeit zu lassen, denn es gibt im Laufe der komplexen Erzählung so viele Andeutungen, die später nochmal eine tragende Rolle spielen. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander, das vor allem eines ist: magisch. Dann noch ein paar skurrile Wendungen und überraschende Gedanken und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte.
"Er war die Nacht und die ganze Welt und genauso grenzenlos wie beides. Chainsaw über ihnen stieß erneut einen Schrei aus. Ronan sprang auf und hielt mühelos das Gleichgewicht auf dem Dachfirst. Er erwiderte den Schrei seines geträumten Raben aus voller Kehle, und der Laut hallte von den Dächern dieses traurigen Städtchens wider, sodass es klang wie ein ganzer Schwarm von Raben, ein ganzer Schwarm von Ronans. "Sie ist so stark", flüsterte Hennessy, während die Energie bereits wieder abebbte. Die Welt veränderte sich. Sie wurde langsam, aber sich zu einem Ort, für den jemand wie er, Ronan, gemacht war. "Und das ist erst der Anfang", sagte Bryde."
Teil dieses Gesamtkunstwerks ist hier natürlich wieder das unglaublich magische Setting, welches die kleine Stadt Henrietta im Herzen des ländlichen Virginias mit all seinen magischen Traumorten durch die Großstädte Washington und Boston ergänzt. Der Autorin gelingt es, uns im Laufe der Zeit an verschiedene Handlungsorte innerhalb ihres Settings mitzunehmen, die sich so gegensätzlich gegenüberstehen, dass sie beinahe wie unterschiedliche Dimensionen wirken: Der magische Wald Lindenmere, welcher hier als Nachfolger Cabeswaters eingeführt wird, die träumerischen Schobern der Familie Lynch, in denen sich Ronans und Nialls Traumwesen tummeln, Declans ordentliches Stadthaus in New York, die prunkvolle Künstlervilla von Jordan Hennessy und ihren Mitbewohnerinnen sowie nicht zuletzt eine Vielzahl an Fantasie- und Traumwelten.
Auch die Grundidee von Träumern, die Dinge aus ihren Träumen mitnehmen können, muss ich hier nochmal positiv hervorheben. In Zeiten von überdimensioniert häufig verwendeten Vampirmythen und Zaubermotiven sind eine Ley-Linie, durch deren Magie erwachende magische Kraftorte, eine Riege von Träumern und eine Gesellschaft, welche diese jagt um den Weltuntergang zu verhindern eine herrlich originelle und unverbrauchte Idee. Im Fokus der Geschichte steht jedoch nicht die Grundidee oder etwa ein Abenteuer, sondern die Dynamiken zwischen den Figuren. Am meisten gefreut hat mich, dass wir hier Einblicke in das Familienleben der drei Lynch-Brüder Ronan, Declan und Matthew erhalten. Ronan, welcher mit seinem kultivierten Walls aus Aggressivität und Wut, der das starke Bedürfnis nach Zuneigung und Bestätigung nur schlecht verbergen kann, auf mich in der Hauptreihe wie ein Kind gewirkt hat, ist in Band 1 schon deutlich reifer und erwachsener geworden. Hier wird er allerdings immer wieder von Bryde auf die Probe gestellt und muss schwerwiegende Entscheidungen treffen, die ihn von seiner Familie und seinen Freunden wegdriften lässt. Demnach gibt es nur sehr wenig gemeinsame Szenen von Adam und Ronan und auch von den anderen Mitglieder der Gangsey hätte ich gerne mehr gelesen.
"Es ist erschreckend, wie schnell alles dahinsiecht", sagte Bryde. "Vor ein paar Jahren wirkte es, als hätten wir noch Jahrzehnte. Vor ein paar Monaten wirkte es, als hätten wir noch Jahre. Vor ein paar Tagen wirkte es, als hätten wir noch Monate. Und jetzt wird es mit jeder Stunde, jeder Minute, jeder Sekunde schwerer, ein Träumer zu sein. Überall dieser Lärm. Selbst hier oben in den Bergen- Als würde man von allen Seiten angeschrien. Bald wird es keinen Platz mehr geben für die leisen Dinge, die Dinge, die daran zerbrechen, wenn sie schreien müssen. Bald wird es keinen Platz mehr für Geheimnisse geben, die Geheimnisse, die ihren Reiz verlieren, sobald sie enthüllt werden. Bald wird es keinen Platz mehr für alles Fremde, alles Unbekannte geben, weil die ganze Welt bereits katalogisiert und asphaltiert und synchronisiert ist."
Dafür bekommt hier Declan wieder mehr Raum und ist mittlerweile ein gleichberechtigter Hauptcharakter. Schon in Band 1 ist er mir viel mehr ans Herz gewachsen, da wir zu verstehen lernen, dass er seine Empfindsamkeit genau wie sein Bruder Ronan hinter einer Maske versteckt. Während Ronan auf Krawall gebürstet scheint, hat sich Declan einen Schutzmantel aus Kälte, Professionalität und Langweile angelegt, um sich und seine Brüder zu schützen. Dass er hier die Chance bekommt, sich endlich sein eigenes Leben aufzubauen und mit Jordan eine eigene Liebesgeschichte erhält, hat mich sehr gefreut. Der dritte im Lynch-Bunde, der Sonnenschein Matthew, bringt ebenfalls einen äußerst spannenden Konflikt mit sich, da er immer noch mit den Auswirkungen der Tatsache kämpft, dass er nicht echt, sondern von Ronan geträumt ist...
Neben den Lynch Brüdern spielen noch vier weitere Figuren eine große Rolle. Nach wie vor am spannendsten fand ich Hennessy und Jordan. Als Träumerin und Traum sind die beiden in vielerlei Hinsicht dieselbe Person, wie die Autorin es allerdings doch geschafft hat, zwei unabhängige Figuren aus den beiden zu machen, die einem gleichermaßen ans Herz wachsen, ist wirklich spannend. Während Hennessy mit Ronan und Bryde versucht, das Gespinst in ihren Träumen zu kontrollieren, taucht Jordan in die Kunstwelt von Boston ein und versucht mehr über sogenannte Süßmetalle zu erfahren - Kunstwerke, die es Träumen erlauben, wach zu bleiben, auch wenn ihren Träumern etwas zustößt. Etwas weniger ausführlich widmet sich die Autorin dem dritten Handlungsstrang um die Träumerjägerin Carmen Farooq-Lane und die Visionärin Liliana. Auch wenn die beiden strenggenommen Antagonistinnen sind, macht es uns die Autorin alles andere als leicht, sie nicht zu mögen und spinnt ein kompliziertes Netz aus Gut und Böse zwischen den Figuren auf.
Gegen Ende wird eine der großen Fragen der Reihe aufgelöst: Wer ist Bryde? Die anderen Rätsel - Was ist das Gespinst? Und: Wer wird den Weltuntergang herbeiführen? bleiben allerdings nach wie vor ungewiss, auch wenn ich natürlich jede Menge Theorien habe. Genau wie in Band 1 wirft der Showdown dann mehr Fragen auf, als er beantwortet, aber wir müssen ja zum Glück "nur" noch bis Dezember auf den finalen Band warten.
"Was willst du, Ronan Lynch? (...) Ich will die Welt verändern."
Fazit:
Auch in Band 2 ihres Raven-Cycle-Spinn-Offs erzählt Maggie Stiefvater gewohnt bildgewaltig und originell von Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Freundschaft, Hoffnung und Liebe. In ihre schrägen Figuren, das abwechslungsreiche und magische Setting, den unverwechselbaren Schreibstil und die interessante Grundidee musste ich mich einfach wieder verlieben! Dennoch ist "Wie Träume bluten" ein wenig handlungsärmer und verwirrender als ihre Vorgänger, wofür ich einen Stern abziehe.