Da ich den Inhalt und Ton ihrer Videos in den sozialen Medien gerne mag, war ich gespannt auf das neustes Sachbuch von Tara-Louise Wittwer, die als @wastarasagt bekannt ist. Nachdem sie sich zuvor schon ...
Da ich den Inhalt und Ton ihrer Videos in den sozialen Medien gerne mag, war ich gespannt auf das neustes Sachbuch von Tara-Louise Wittwer, die als @wastarasagt bekannt ist. Nachdem sie sich zuvor schon mit toxischen Beziehungsmustern in "Du bist Gift für mich" und Frauenbildern in "Dramaqueen" beschäftigt hat, schreibt die Autorin und Influencerin nun in "Sorry, aber..." eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen, dem vor allem Frauen immer wieder unterliegen. Dabei geht es nicht nur um die Geschichte und Entwicklung der Entschuldigung sowie deren gesellschaftliche und soziale Bedeutung, sondern auch um damit verbundene Themen wie zwischenmenschlichen Umgang, Geschlechterrollen oder Fehlerkultur.
Die 208 Seiten sind dabei mit vielen verschiedenen Informationen und Perspektiven gefüllt, unterm Strich allerdings etwas autobiografischer als gedacht. Die Autorin erzählt vor allem von ihren eigenen Erfahrungen, reflektiert diese und benutzt persönliche Anekdoten als Aufhänger für weitere Ausführungen zu den einzelnen Punkten. Das ist in diesem Fall auch absolut passend, steht aber im krassen Gegensatz zu dem sehr faktenreichen, wissenschaftlich fundierten Sachbuch "Bi", das ich zuletzt gelesen habe.
Zusätzlich zu persönlichen Erfahrungen aus ihrem Leben analysiert die Autorin auch verschiedene Beispiele der Popkultur sowie das Verhalten von Berühmtheiten wie KünstlerInnen oder PolitikerInnen, um auf Fallstricke der "Nonpology" oder verbreitete, internalisierte Mysogynie hinzuweisen. Damit ist das Sachbuch passend zu Tara-Louise Wittwers thematischen Schwerpunkten kapitalismuskritisch und feministisch ausgerichtet und wird deshalb wohl nicht jedem gefallen. Ich fand allerdings grandios, wie sie locker, authentisch, reflektiert und mit provokantem Witz beschließt, sich in Zukunft weniger zu entschuldigen und mehr Raum einzunehmen. Sehr empfehlen kann ich übrigens auch das von der Autorin selbst eingesprochene Hörbuch, auf dem sie auch mal lacht, wenn sie eine absurde Geschichte erzählt, was wunderbar zu diesem informativen, persönlichen, humorvollen Sachbuch passt!
"Ich ziehe Grenzen, keine Gräben. Und bin bereit, dazuzulernen. Ich bin Bauherrin, kein Bagger. Ich will emotional wachsen, nicht emotional bankrottgehen."
Das Urteil
Tara-Louise Wittwers Sachbuch "Sorry, aber..." bietet eine persönliche und humorvolle Auseinandersetzung mit dem Thema des übermäßigen Entschuldigens, und verbindet ihre eigenen Erfahrungen mit gesellschaftskritischen Analysen. Trotz des weniger wissenschaftlichen Ansatzes überzeugt das Buch durch Wittwers authentischen, reflektierten und humorvollen Schreibstil.
Handlung: Ali Hazelwood hat sich mittlerweile bei mir zur Autobuy-Autorin aufgeschwungen, deren Neuerscheinungen eingekauft werden, ohne auch nur den Klapptext durchzulesen. Denn bei ihren Büchern weiß ...
Handlung: Ali Hazelwood hat sich mittlerweile bei mir zur Autobuy-Autorin aufgeschwungen, deren Neuerscheinungen eingekauft werden, ohne auch nur den Klapptext durchzulesen. Denn bei ihren Büchern weiß man einfach genau, womit man rechnen muss: vielschichtige Figuren, ein clever-humorvoller Erzählstil, pointierte STEM-Kommentare und prickelnde Liebesgeschichten. Auch "Not in Love" hat all das zwar, weicht aber ansonsten stärker vom sonstigen Schema ihrer Bücher ab, als ich das erwartet hatte. Denn die Geschichte von Eli und Rue ist düsterer, ernster, erotischer und insgesamt deutlich weniger wholesome als die Vorgängerbände. Außerdem steht die Wissenschaft etwas weniger im Vordergrund als bei ihren anderen Science-Büchern. Es geht zwar um das grobe Feld der Lebensmitteltechnologie, im Fokus steht aber nicht Rues Arbeit als Biotech-Ingenieurin, sondern rechtliche/finanzielle Themen wie Patentrecht, geistiges Eigentum und Unternehmenspolitik. Zusätzlich ist der gesamte Handlungsstrang rund um Kline und die Übernahme durch Harkness recht zurückgeschraubt und lässt sehr viel Raum für die Figuren und die Entwicklung ihrer Beziehung. Dadurch lässt sich auch erklären, dass einige Entwicklungen der Rahmenhandlung ein wenig vorhersehbar waren.
Figuren: Ebenfalls etwas anders als bei ihren Vorgänger-Büchern sind die Hauptfiguren angelegt. Ali Hazelwood erzählt hier abwechselnd aus der Perspektive von Eli und Rue, legt uns LeserInnen aber ein paar Steine in den Weg. Beide Figuren haben in der Vergangenheit schwierige Erfahrungen gemacht und sind deshalb nur eingeschränkt emotional zugänglich. Besonders Rue hält ihre Emotionen aus Selbstschutz stark zurück und beschränkt sich auf wenige enge Freundschaften und auf rein körperliche Beziehungen. Als sie Eli trifft und dieser nicht nur bei dem absoluten ökonomischen Gegner arbeitet, sondern auch eine ihrer Freundschaften auf die Probe stellt und ihre emotionale Festung ins Wanken bringt, tut sie alles dafür, um allen - inklusive sich selbst - klarzumachen, dass sie nicht mehr will als eine Affäre und der Titel des Buches hier Programm ist "Not In Love". Eli hingegen ist vom ersten Moment an hin und weg von Rue und würde sie vom Fleck weg heiraten, wenn er könnte. Da dadurch zwei Extreme aufeinandertreffen und zunächst in keiner der beiden Perspektiven nachvollziehbare und greifbare Emotionen geschildert werden, habe ich zu Beginn erstmal eine Weile gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen und ein Gefühl für die beiden zu bekommen. Dass ihre Beziehung zunächst rein körperlich ist, ergibt vor diesem Hintergrund zwar durchaus Sinn, leider hat mir aber ein langsamer Aufbau der Emotionen und dadurch die wirkliche Spannung zwischen den beiden gefehlt. Dafür ist die Entwicklung der beiden danach aber umso süßer!
Schreibstil: Denn durch die ernsteren Themen wie Armut, Hunger, frühe Verantwortung, schwierige Beziehung zu Geschwistern, verletztes Vertrauen und Ideenklau sowie der größere Fokus auf die Figuren, kann Ali Hazelwood hier eine deutlich mitreißendere, tiefgründigere, emotionalere und verletzlichere Geschichte erzählen. Dennoch schreibt die Autorin auch hier wie immer herrlich nerdig, unterhaltsam frisch und mit großartigem Humor, sodass ich geradezu durch die Seiten geflogen bin. Viel zu sehr gefreut habe ich mich auch über kleine Easter-Eggs aus ihren anderen Büchern (z.B. über die Erwähnung von Mallory und Sawyer aus "Check & Mate").
Die Zitate
"My first impression of him was probably highly similiar to other´s first impressions of me . with the caveat that serious, unsmiling men tended to be considered consummate professionals, while serious, unsmiling women were often written of as haughty shrews.”
"The breeze picked up between us, and he kept looking, looking, looking. Looking. "It´s unsettling when you do that," I sad softly. He turned away, chest heaving. "I´m sorry. I forget to look at other things, when you´re around."
"But I loved my body, even in its flaws. I loved the things it could do on the ice and off, the pleasure it was capable of, the way it looked in the dresses I enjoyed buying. I loved thta it had kept going through my first eighteen years despite the adversities it had faced. And I loved that Eli liked it aas much as I did."
"We tell each other the kinds of stories that we couldn´t tell anyone else, because they´d make people unfomfortable, or sad, or feel like they need to laugh politely, minimize, comfort. We share horrible things that we have done, that have been done to us, and then we wait and see if the other is going to be so appalled that they finally leave - but somehow that never happens. We don´t make small talk. We cut through flesh and show the stories that live in our skeletons."
"Had anything felt better that making her smile when she´d been crying only moments ago? It was fucking intoxicating. Screw science of finance - this could be his craft. He could spend the next few years learning the nooks and crannies of her moods, studying her temperament, cataloging her disposition in all its little idiosyncrasies, and once he´d accrued an adequate body of research, it would be his mission and his pleasure: make Rue Siebert happy."
Das Urteil
"Not in Love" von Ali Hazelwood überzeugt mit einer düstereren, erwachseneren Handlung und komplexen Figuren. Trotz geringerem Wissenschaftsbezug und anfänglichen Zugangsproblemen zu den Figuren bietet die Geschichte tiefgründige Entwicklungen und Hazelwoods gewohnt humorvollen, fesselnden Stil.
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und ...
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil. Kein Wunder also, dass es mir mit diesem Buch so ging wie Kathinka Engels Protagonistin mit dem Haus in der 19 Tolpuddle Street "Zackbumm, Herz dran gehängt". Was das Buch allerdings davon abgehalten hat, für mich zu einem richtigen Highlight zu werden, ist das eher mittelmäßige Pacing der Geschichte. Die Autorin erzählt hier abwechselnd zwei eigenständige Handlungsstränge auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die sich erst auf den letzten Seiten des Romans verbinden. Dafür nutzt sie die Perspektive der jungen Pippa im Jahr 1974 und die von Online-Redakteurin Gilly in der Gegenwart. Dadurch dass zwei Geschichten parallel erzählt werden, braucht der Roman erstmal 150-200 Seiten, um in die Gänge zu kommen, während das Ende mit der Verbindung der Handlungsstränge sehr plötzlich kommt und sich die Ereignisse beinahe überschlagen. Ein wenig mehr Drive zu Beginn und etwas mehr Ruhe im Ende hätte der Erzählung also aus meiner Sicht sehr gut getan. Die Art und Weise, wie die Autorin ihre Geschichte auflöst, ist allerdings sehr gelungen - zwar nicht vollkommen unvorhersehbar, aber rund und emotional mit stimmigen Zwischentönen erzählt.
Schreibstil: Wer schon einmal in einem Altbau gewohnt hat, kennt vermutlich die Spuren, die vorherige Bewohner dort hinterlassen haben und die gelegentliche Frage, welche Geschichten die Gemäuer erzählen würden, wenn sie sprechen können. Um genau diese Frage dreht sich diese ruhige, einfühlsame, lebendige Erzählung über Heimat, den Zusammenhalt einer Hausgemeinschaft, Verlieren, Finden und Gefunden werden. Dabei entführt die Autorin mit ihrer 19 Tolpuddle Street nach Camden mitten in London und erweckt dieses Viertel auf beiden Zeitsträngen auf magische Weise mit allen politischen und historische Feinheiten zum Leben. Während wir in der Vergangenheit die prekären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, die Beginne der Punk-Szene und Hausbesetzungen beobachten, ist der Camden Market in der Gegenwart zu einem Touristenmagneten geworden und der alte Charme muss immer mehr der Gentrifizierung weichen. Dennoch liest sich das Buch von Anfang bis Ende wie eine Liebeserklärung an die Stadt London. Gemeinsam mit Gilly gehen wir für ihr Online-Magazin auf eine Suche nach "Hidden Places" in der Stadt und bekommen dabei (trotz der bösen Mietpreise) sofort Lust, hinzufahren und selbst auf Entdeckungsreise zu gehen!
Figuren: Durch den eher gemächlichen Beginn kann sich die Geschichte viel Zeit nehmen, die beiden Hauptfiguren und deren Lebenssituation ausführlich vorzustellen. So bekommen wir ein gutes Gefühl für die jeweiligen Konflikte und können die Entwicklungen der Figuren gespannt mitverfolgen. Im 1974-Handlungsstrang beobachten wir, wie die Tochter aus gutem Hause aus Langweile in die Punkszene gerät und sich in den Sänger Oz verliebt. Dabei steht vor allem Pippas Ausbruch aus ihrem behüteten Leben, das Hinterfragen ihrer politischen Ansichten und ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau im Vordergrund. Während sie es einem gerade zu Beginn sehr schwer macht, sie nicht für ihre Naivität und internalisierte Misogynie schütteln zu wollen, macht sie dabei einen beachtlichen Wandel durch und wächst einem sehr ans Herz.
Dagegen hatte ich zu Gilly von Beginn an einen deutlich besseren Zugang. Sie ist zu Beginn der Handlung an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie nicht genau weiß, wie es bei ihr weitergehen soll - nur dass sich etwas ändern muss. Nach einer gescheiterten Langzeitbeziehung ist sie wieder Single, wohnt alleine und muss sich zum ersten Mal fragen, was eigentlich sie möchte. Ihr Handlungsstrang dreht sich also ganz um Orientierungslosigkeit im Leben, den Druck, den sie als Dreißigjährige von außen spürt und wie sie (mithilfe einer Armada von Basilikum) zu sich selbst findet. Dabei lässt sie ganz schön viele kleine Weisheiten vom Stapel, die auch bei mir ein bisschen etwas bewegt haben...
Da beide Hauptfiguren sehr viel Raum einnehmen, bleibt nur wenig Platz für Nebenfiguren. Zwar haben beide Frauen eine Liebesgeschichte, die schön erzählt sind, sich aber recht schnell entwickeln und eher Randnotizen bleiben. Auch andere Akteure wie beispielsweise die Nachbarin Miss Dewbre hätten noch ein bisschen ausgebaut werden können. Doch das hätte das Pacing vermutlich noch mehr aus der Balance gebracht, also bleibe ich bei meinem Urteil: bis auf Unstimmigkeiten im Erzähltempo erzählt Kathinka Engel hier einen lebendigen, kraftvollen Roman!
Die Zitate
"Bisher war jeder Schritt in meinem Leben immer die logische Fortsetzung des vorher Dagewesenen. Und das vorher Dagewesene war immer schon ein Kompromiss gewesen, weil es nie um mich gegangen war. Immer glaubte ich, den kleinsten gemeinsamen Nenner, die Geschmacksüberschneidung finden zu müssen, sodass mein Leben zu einer Aneinanderreihung aus Geschmacksüberschneidungen wurde. Die Trennung von Luke und mein Auszug sind so etwas wie ein Ausbruch aus diesem Trott. Ein Unterbrechen der Logik. Zeit für eine eigene Playlist.”
"Mein Basilikum lässt die Blätter hängen." "Es ist immer entweder zu viel oder zu wenig Licht oder zu viel oder zu wenig Wasser", sagt sie. "Na, wenn das mal nicht hilfreich ist", erwidere ich. Aber dann fällt mir auf, dass genau das vermutlich auch fürs Leben gilt. Man muss wohl einfach selbst herausfinden, wie viel Licht und wie viel Wasser man braucht. Und auf einmal scheint es immens wichtig, dass ich die Sache mit dem Basilikum hinkriege."
"Ich muss das alles allein machen. Niemand erinnert mich. Niemand macht es, wenn ich zu faul bin. Aber den nächsten Schritt nicht zu kennen macht, dass ich das Jetzt klarer sehe. Dass ich wacher bin im Moment, verstehst du?"
"Ich habe nie gesagt, dass ich lieber allein bin."
"Aber du hast doch..." Doch Owen lässt mich nicht ausreden. "Es kommt ganz darauf an, wer die Alternative zum Alleinsein ist." Er lächelt mich an, und mein hüpfendes Herz möchte sich wirklich, wirklich an Owen hängen."
"Ist das die erwachsene Version des Verliebens? Mit Luke war es die panische. Die Was-wenn-ich-niemanden-abkriege-Version. Und dann war es die Jetzt-hab-ich-schon-so-viel-investiert-Situation. Bis nicht einmal mehr das reichte. Ist der perfekte Mensch für einen anderen Menschen derjenige, dessen Gegenwart besser ist als Alleinsein, aber in einer Phase, in der man das Alleinsein zu schätzen weiß."
Das Urteil
"Zackbumm, Herz dran gehängt" - "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat (bis auf ein gelungenes Pacing) alles, was eine gute Geschichte braucht: ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil.
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und ...
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil. Kein Wunder also, dass es mir mit diesem Buch so ging wie Kathinka Engels Protagonistin mit dem Haus in der 19 Tolpuddle Street "Zackbumm, Herz dran gehängt". Was das Buch allerdings davon abgehalten hat, für mich zu einem richtigen Highlight zu werden, ist das eher mittelmäßige Pacing der Geschichte. Die Autorin erzählt hier abwechselnd zwei eigenständige Handlungsstränge auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die sich erst auf den letzten Seiten des Romans verbinden. Dafür nutzt sie die Perspektive der jungen Pippa im Jahr 1974 und die von Online-Redakteurin Gilly in der Gegenwart. Dadurch dass zwei Geschichten parallel erzählt werden, braucht der Roman erstmal 150-200 Seiten, um in die Gänge zu kommen, während das Ende mit der Verbindung der Handlungsstränge sehr plötzlich kommt und sich die Ereignisse beinahe überschlagen. Ein wenig mehr Drive zu Beginn und etwas mehr Ruhe im Ende hätte der Erzählung also aus meiner Sicht sehr gut getan. Die Art und Weise, wie die Autorin ihre Geschichte auflöst, ist allerdings sehr gelungen - zwar nicht vollkommen unvorhersehbar, aber rund und emotional mit stimmigen Zwischentönen erzählt.
Schreibstil: Wer schon einmal in einem Altbau gewohnt hat, kennt vermutlich die Spuren, die vorherige Bewohner dort hinterlassen haben und die gelegentliche Frage, welche Geschichten die Gemäuer erzählen würden, wenn sie sprechen können. Um genau diese Frage dreht sich diese ruhige, einfühlsame, lebendige Erzählung über Heimat, den Zusammenhalt einer Hausgemeinschaft, Verlieren, Finden und Gefunden werden. Dabei entführt die Autorin mit ihrer 19 Tolpuddle Street nach Camden mitten in London und erweckt dieses Viertel auf beiden Zeitsträngen auf magische Weise mit allen politischen und historische Feinheiten zum Leben. Während wir in der Vergangenheit die prekären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, die Beginne der Punk-Szene und Hausbesetzungen beobachten, ist der Camden Market in der Gegenwart zu einem Touristenmagneten geworden und der alte Charme muss immer mehr der Gentrifizierung weichen. Dennoch liest sich das Buch von Anfang bis Ende wie eine Liebeserklärung an die Stadt London. Gemeinsam mit Gilly gehen wir für ihr Online-Magazin auf eine Suche nach "Hidden Places" in der Stadt und bekommen dabei (trotz der bösen Mietpreise) sofort Lust, hinzufahren und selbst auf Entdeckungsreise zu gehen!
Figuren: Durch den eher gemächlichen Beginn kann sich die Geschichte viel Zeit nehmen, die beiden Hauptfiguren und deren Lebenssituation ausführlich vorzustellen. So bekommen wir ein gutes Gefühl für die jeweiligen Konflikte und können die Entwicklungen der Figuren gespannt mitverfolgen. Im 1974-Handlungsstrang beobachten wir, wie die Tochter aus gutem Hause aus Langweile in die Punkszene gerät und sich in den Sänger Oz verliebt. Dabei steht vor allem Pippas Ausbruch aus ihrem behüteten Leben, das Hinterfragen ihrer politischen Ansichten und ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau im Vordergrund. Während sie es einem gerade zu Beginn sehr schwer macht, sie nicht für ihre Naivität und internalisierte Misogynie schütteln zu wollen, macht sie dabei einen beachtlichen Wandel durch und wächst einem sehr ans Herz.
Dagegen hatte ich zu Gilly von Beginn an einen deutlich besseren Zugang. Sie ist zu Beginn der Handlung an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie nicht genau weiß, wie es bei ihr weitergehen soll - nur dass sich etwas ändern muss. Nach einer gescheiterten Langzeitbeziehung ist sie wieder Single, wohnt alleine und muss sich zum ersten Mal fragen, was eigentlich sie möchte. Ihr Handlungsstrang dreht sich also ganz um Orientierungslosigkeit im Leben, den Druck, den sie als Dreißigjährige von außen spürt und wie sie (mithilfe einer Armada von Basilikum) zu sich selbst findet. Dabei lässt sie ganz schön viele kleine Weisheiten vom Stapel, die auch bei mir ein bisschen etwas bewegt haben...
Da beide Hauptfiguren sehr viel Raum einnehmen, bleibt nur wenig Platz für Nebenfiguren. Zwar haben beide Frauen eine Liebesgeschichte, die schön erzählt sind, sich aber recht schnell entwickeln und eher Randnotizen bleiben. Auch andere Akteure wie beispielsweise die Nachbarin Miss Dewbre hätten noch ein bisschen ausgebaut werden können. Doch das hätte das Pacing vermutlich noch mehr aus der Balance gebracht, also bleibe ich bei meinem Urteil: bis auf Unstimmigkeiten im Erzähltempo erzählt Kathinka Engel hier einen lebendigen, kraftvollen Roman!
Die Zitate
"Bisher war jeder Schritt in meinem Leben immer die logische Fortsetzung des vorher Dagewesenen. Und das vorher Dagewesene war immer schon ein Kompromiss gewesen, weil es nie um mich gegangen war. Immer glaubte ich, den kleinsten gemeinsamen Nenner, die Geschmacksüberschneidung finden zu müssen, sodass mein Leben zu einer Aneinanderreihung aus Geschmacksüberschneidungen wurde. Die Trennung von Luke und mein Auszug sind so etwas wie ein Ausbruch aus diesem Trott. Ein Unterbrechen der Logik. Zeit für eine eigene Playlist.”
"Mein Basilikum lässt die Blätter hängen." "Es ist immer entweder zu viel oder zu wenig Licht oder zu viel oder zu wenig Wasser", sagt sie. "Na, wenn das mal nicht hilfreich ist", erwidere ich. Aber dann fällt mir auf, dass genau das vermutlich auch fürs Leben gilt. Man muss wohl einfach selbst herausfinden, wie viel Licht und wie viel Wasser man braucht. Und auf einmal scheint es immens wichtig, dass ich die Sache mit dem Basilikum hinkriege."
"Ich muss das alles allein machen. Niemand erinnert mich. Niemand macht es, wenn ich zu faul bin. Aber den nächsten Schritt nicht zu kennen macht, dass ich das Jetzt klarer sehe. Dass ich wacher bin im Moment, verstehst du?"
"Ich habe nie gesagt, dass ich lieber allein bin."
"Aber du hast doch..." Doch Owen lässt mich nicht ausreden. "Es kommt ganz darauf an, wer die Alternative zum Alleinsein ist." Er lächelt mich an, und mein hüpfendes Herz möchte sich wirklich, wirklich an Owen hängen."
"Ist das die erwachsene Version des Verliebens? Mit Luke war es die panische. Die Was-wenn-ich-niemanden-abkriege-Version. Und dann war es die Jetzt-hab-ich-schon-so-viel-investiert-Situation. Bis nicht einmal mehr das reichte. Ist der perfekte Mensch für einen anderen Menschen derjenige, dessen Gegenwart besser ist als Alleinsein, aber in einer Phase, in der man das Alleinsein zu schätzen weiß."
Das Urteil
"Zackbumm, Herz dran gehängt" - "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat (bis auf ein gelungenes Pacing) alles, was eine gute Geschichte braucht: ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil.
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und ...
Handlung: "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat eigentlich alles, was eine gute Geschichte braucht - ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil. Kein Wunder also, dass es mir mit diesem Buch so ging wie Kathinka Engels Protagonistin mit dem Haus in der 19 Tolpuddle Street "Zackbumm, Herz dran gehängt". Was das Buch allerdings davon abgehalten hat, für mich zu einem richtigen Highlight zu werden, ist das eher mittelmäßige Pacing der Geschichte. Die Autorin erzählt hier abwechselnd zwei eigenständige Handlungsstränge auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die sich erst auf den letzten Seiten des Romans verbinden. Dafür nutzt sie die Perspektive der jungen Pippa im Jahr 1974 und die von Online-Redakteurin Gilly in der Gegenwart. Dadurch dass zwei Geschichten parallel erzählt werden, braucht der Roman erstmal 150-200 Seiten, um in die Gänge zu kommen, während das Ende mit der Verbindung der Handlungsstränge sehr plötzlich kommt und sich die Ereignisse beinahe überschlagen. Ein wenig mehr Drive zu Beginn und etwas mehr Ruhe im Ende hätte der Erzählung also aus meiner Sicht sehr gut getan. Die Art und Weise, wie die Autorin ihre Geschichte auflöst, ist allerdings sehr gelungen - zwar nicht vollkommen unvorhersehbar, aber rund und emotional mit stimmigen Zwischentönen erzählt.
Schreibstil: Wer schon einmal in einem Altbau gewohnt hat, kennt vermutlich die Spuren, die vorherige Bewohner dort hinterlassen haben und die gelegentliche Frage, welche Geschichten die Gemäuer erzählen würden, wenn sie sprechen können. Um genau diese Frage dreht sich diese ruhige, einfühlsame, lebendige Erzählung über Heimat, den Zusammenhalt einer Hausgemeinschaft, Verlieren, Finden und Gefunden werden. Dabei entführt die Autorin mit ihrer 19 Tolpuddle Street nach Camden mitten in London und erweckt dieses Viertel auf beiden Zeitsträngen auf magische Weise mit allen politischen und historische Feinheiten zum Leben. Während wir in der Vergangenheit die prekären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, die Beginne der Punk-Szene und Hausbesetzungen beobachten, ist der Camden Market in der Gegenwart zu einem Touristenmagneten geworden und der alte Charme muss immer mehr der Gentrifizierung weichen. Dennoch liest sich das Buch von Anfang bis Ende wie eine Liebeserklärung an die Stadt London. Gemeinsam mit Gilly gehen wir für ihr Online-Magazin auf eine Suche nach "Hidden Places" in der Stadt und bekommen dabei (trotz der bösen Mietpreise) sofort Lust, hinzufahren und selbst auf Entdeckungsreise zu gehen!
Figuren: Durch den eher gemächlichen Beginn kann sich die Geschichte viel Zeit nehmen, die beiden Hauptfiguren und deren Lebenssituation ausführlich vorzustellen. So bekommen wir ein gutes Gefühl für die jeweiligen Konflikte und können die Entwicklungen der Figuren gespannt mitverfolgen. Im 1974-Handlungsstrang beobachten wir, wie die Tochter aus gutem Hause aus Langweile in die Punkszene gerät und sich in den Sänger Oz verliebt. Dabei steht vor allem Pippas Ausbruch aus ihrem behüteten Leben, das Hinterfragen ihrer politischen Ansichten und ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau im Vordergrund. Während sie es einem gerade zu Beginn sehr schwer macht, sie nicht für ihre Naivität und internalisierte Misogynie schütteln zu wollen, macht sie dabei einen beachtlichen Wandel durch und wächst einem sehr ans Herz.
Dagegen hatte ich zu Gilly von Beginn an einen deutlich besseren Zugang. Sie ist zu Beginn der Handlung an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie nicht genau weiß, wie es bei ihr weitergehen soll - nur dass sich etwas ändern muss. Nach einer gescheiterten Langzeitbeziehung ist sie wieder Single, wohnt alleine und muss sich zum ersten Mal fragen, was eigentlich sie möchte. Ihr Handlungsstrang dreht sich also ganz um Orientierungslosigkeit im Leben, den Druck, den sie als Dreißigjährige von außen spürt und wie sie (mithilfe einer Armada von Basilikum) zu sich selbst findet. Dabei lässt sie ganz schön viele kleine Weisheiten vom Stapel, die auch bei mir ein bisschen etwas bewegt haben...
Da beide Hauptfiguren sehr viel Raum einnehmen, bleibt nur wenig Platz für Nebenfiguren. Zwar haben beide Frauen eine Liebesgeschichte, die schön erzählt sind, sich aber recht schnell entwickeln und eher Randnotizen bleiben. Auch andere Akteure wie beispielsweise die Nachbarin Miss Dewbre hätten noch ein bisschen ausgebaut werden können. Doch das hätte das Pacing vermutlich noch mehr aus der Balance gebracht, also bleibe ich bei meinem Urteil: bis auf Unstimmigkeiten im Erzähltempo erzählt Kathinka Engel hier einen lebendigen, kraftvollen Roman!
Die Zitate
"Bisher war jeder Schritt in meinem Leben immer die logische Fortsetzung des vorher Dagewesenen. Und das vorher Dagewesene war immer schon ein Kompromiss gewesen, weil es nie um mich gegangen war. Immer glaubte ich, den kleinsten gemeinsamen Nenner, die Geschmacksüberschneidung finden zu müssen, sodass mein Leben zu einer Aneinanderreihung aus Geschmacksüberschneidungen wurde. Die Trennung von Luke und mein Auszug sind so etwas wie ein Ausbruch aus diesem Trott. Ein Unterbrechen der Logik. Zeit für eine eigene Playlist.”
"Mein Basilikum lässt die Blätter hängen." "Es ist immer entweder zu viel oder zu wenig Licht oder zu viel oder zu wenig Wasser", sagt sie. "Na, wenn das mal nicht hilfreich ist", erwidere ich. Aber dann fällt mir auf, dass genau das vermutlich auch fürs Leben gilt. Man muss wohl einfach selbst herausfinden, wie viel Licht und wie viel Wasser man braucht. Und auf einmal scheint es immens wichtig, dass ich die Sache mit dem Basilikum hinkriege."
"Ich muss das alles allein machen. Niemand erinnert mich. Niemand macht es, wenn ich zu faul bin. Aber den nächsten Schritt nicht zu kennen macht, dass ich das Jetzt klarer sehe. Dass ich wacher bin im Moment, verstehst du?"
"Ich habe nie gesagt, dass ich lieber allein bin."
"Aber du hast doch..." Doch Owen lässt mich nicht ausreden. "Es kommt ganz darauf an, wer die Alternative zum Alleinsein ist." Er lächelt mich an, und mein hüpfendes Herz möchte sich wirklich, wirklich an Owen hängen."
"Ist das die erwachsene Version des Verliebens? Mit Luke war es die panische. Die Was-wenn-ich-niemanden-abkriege-Version. Und dann war es die Jetzt-hab-ich-schon-so-viel-investiert-Situation. Bis nicht einmal mehr das reichte. Ist der perfekte Mensch für einen anderen Menschen derjenige, dessen Gegenwart besser ist als Alleinsein, aber in einer Phase, in der man das Alleinsein zu schätzen weiß."
Das Urteil
"Zackbumm, Herz dran gehängt" - "Das Ende von gestern ist der Anfang von morgen" hat (bis auf ein gelungenes Pacing) alles, was eine gute Geschichte braucht: ein lebendiges Setting, einen interessanten Erzählaufhänger, authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil.