Profilbild von Wordworld_Sophia

Wordworld_Sophia

Lesejury Star
offline

Wordworld_Sophia ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wordworld_Sophia über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.01.2022

Zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp...

Der Zopf
0

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.

Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...

Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.



Die Zitate


Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."


Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."


Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."



Das Urteil


"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2022

Zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp...

Der Zopf
0

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.

Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...

Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.



Die Zitate


Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."


Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."


Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."



Das Urteil


"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2022

Zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp...

Der Zopf
0

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.

Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...

Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.



Die Zitate


Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."


Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."


Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."



Das Urteil


"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.01.2022

Überzeugt mit echter Tiefe und Authentizität!

Heart Story
0

"Heart Story" ist eine Neuerscheinung, auf die ich nun schon seit 2020 mit Spannung warte. Nach "Kissing Lessons" und "Love Challenge" der dritte Teil von Helen Hoangs "Kiss, Love & Heart"-Reihe sollte ...

"Heart Story" ist eine Neuerscheinung, auf die ich nun schon seit 2020 mit Spannung warte. Nach "Kissing Lessons" und "Love Challenge" der dritte Teil von Helen Hoangs "Kiss, Love & Heart"-Reihe sollte ursprünglich "Heart Trouble" heißen und im Frühjahr 2021 erscheinen. Da die Autorin aber unter persönlichen Problemen litt, die sie unter anderen auch in diesem Roman verarbeitet hat, wurde der Erscheinungstermin mehrere Male und insgesamt um ein Jahr nach hinten verschoben. Heute, am 25. Januar erscheint die Geschichte nun endlich und da der KYSS Verlag mir netterweise schonmal ein Exemplar zukommen lassen hat, kann ich pünktlich zum Erscheinungstermin von meinen Erfahrungen mit Quan und Anna berichten.


Anna: "Wenn das Ende kommt, will ich es nicht sehen. Aber das Ende kommt nicht. Weder nach einer Minute noch nach zwei, drei, vier oder fünf. Die Sache mit Gefühlen ist, dass sie vorübergehen. Herzen sind nicht dafür gemacht, etwas zu lange zu intensiv zu empfinden, sei es Freude, Kummer oder Wut. Alles vergeht mit der Zeit. Alle Farben verblassen."


Das Cover ist wie Band 1 und 2 ein wirklicher Hingucker! Diesmal ist der Hintergrund statt grau oder apricot bläulich und die kunstvollen Blumen und Ranken heben sich in Weiß-, Orange-, Pink- und warmen Lilatönen ab. Der Titel glänzt in Violett und der Autorentitel ist verschnörkelt. Besonders nett ist auch, dass in den Leselaschen der Broschierten Ausgabe wieder ein Interview mit der Autorin abgedruckt ist und die Blüten der Gestaltung auch innerhalb des Buches die Kapitelanfänge zieren. Schade finde ich aber immer noch, dass die deutsche Übersetzung nicht den Originaltitel übernommen hat. "Heart Story" ist zwar nah dran an "The Heart Principle", ich kann aber einfach nicht nachvollziehen, warum man einer übersetzten Geschichte, wenn nicht den englischen Originaltitel, dann einen anderen englischsprachigen Titel gibt. Mit der Gestaltung passt der dritte Teil der "Kiss, Love & Heart"-Reihe wunderbar zu den Vorgängern, hat aber durch die etwas dunklere Farbgebung eine eigene Note, die gut zu der Geschichte passt.


Erster Satz: "Das ist das letzte Mal, dass ich von vorne anfange."


"Heart Story" ist nämlich deutlich persönlicher, ernsthafter und tiefer als die beiden Vorgänger und setzt trotz ähnlicher Zutaten ganz andere Schwerpunkte als "Kissing Lessons" und "Love Challenge". Zwar mischt Helene Hoang auch hier wieder zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft, Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis zusammen, macht aber definitiv mehr daraus als eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Helen Hoang schreibt hier von künstlerischen Blockaden, der Pflege und dem Verlust eines nahestehenden Angehörigen, der Entdeckung der eigenen Asperger-Diagnose, toxischen Familienkonstellationen sowie Selbstmordgedanken und Depression, die auf einen autistischen Burnout folgen - alles Dinge, die sie in den letzten Jahren ebenfalls miterlebt hat. In einem rührenden Nachwort beschreibt sie, weshalb genau sich die Veröffentlichung von "Heart Story" verzögert hat und dass es sich in gewisser Hinsicht zur Hälfte auch um ihre Memoiren handelt. Die persönliche Natur der Geschichte und die Authentizität der im Roman beschriebenen Probleme, Gefühle und Gedanken merkt man der Geschichte auch auf jeder Seite an und ich bewundere den Mut von Helen Hoang, dass sie den Mut gefunden hat, ihre Erlebnisse und Erfahrungen vor der ganzen Welt auf solch herzzerreißende Art und Weise auszubreiten.


Anna: "In einer Art Trancezustand gehe ich nach Hause. Erst als Passanten stutzen und mir komische Blicke zuwerfen, wird mir bewusst, dass ich weine. Ich versuche nicht damit aufzuhören. Ich lasse die Tränen fallen. ich weine um das Mädchen, das ich einmal war. Ich weine um mich. Das ist eine fremdartige Erfahrung. Selbstmitleid ist ein Luxus, den ich mir nicht erlaube. Aber das hier fühlt sich nicht wie Mitleid an. Es fühlt sich eher an wie Mitgefühl, und diese Erkenntnis lässt mich noch heftiger weinen. Niemand sollte eine Diagnose brauchen, um Mitgefühl für sich selbst zu empfinden."


Passend zum eher persönlicheren Leseerlebnis hat die Autorin sich dazu entschieden, nicht abwechselnd aus der personalen Er-Perspektive der beiden Protagonisten zu erzählen, sondern auf einen Ich-Erzähler zurückzugreifen. Auf diese Art und Weise konnten mich die beiden Hauptfiguren noch besser erreichen als die Charaktere ihrer Vorgänger und ich konnte mich für einen intensiven Vormittag komplett in der Handlung und den Gefühlen der Protagonisten verlieren. Trotz der vielen ernsten Themen gelingt es der Autorin über weite Teile der Handlung, die düsterere Atmosphäre durch lustige, sarkastischen Dialoge aufzulockern, sodass ich - ständig schniefend, schmachtend oder grinsend - von meinem Umfeld etwas schräg angesehen wurde (vielen Dank dafür, Helen). Ebenfalls litt ich durch das Suchtpotential der Geschichte leider an einem typischem In-einem-Rutsch-durchlesen-und-danach-ärgern-dass-man-es-so-schnell-gelesen-hat-Dilemma (ebenfalls vielen Dank dafür, Helen ^^).


Anna: "Natürlich", sagt sie, dabei legt sie eine Hand auf ihr Herz, um zu zeigen, wie gerührt sie ist. Ich frage mich, ob sie genauso schauspielert wie ich. Wie viel von dem, was die Leute sagen, ist ehrlich, und wie viel ist Höflichkeit? Lebt irgendjemand wirklich sein Leben, oder lesen wir alle nur Text aus einem gewaltigen Drehbuch ab, das andere Leute geschrieben haben?"


Im Mittelpunkt steht die Violinistin Anna, die unter ihrer toxischen Familie leidet, die sie durch - wie sie es nennt - "liebevolle Strenge" unter Druck setzt, sich anzupassen und sich deshalb aus dem Wunsch heraus, alle um sie herum glücklich zu machen immer hinter Masken versteckt. Da sie nie gelernt hat, nein zu sagen, für sich selbst und ihre besonderen Bedürfnisse einzustehen, befindet sie sich ständig am Rande ihrer Kräfte und schafft es nur mit Mühe und Not, den Schein einer glücklichen, funktionierenden Frau aufrechtzuerhalten. Früher konnte sie sich in ihre Musik flüchten, doch seit sie mit einem YouTube-Video viral gegangen ist und ein berühmter Komponist ihr ein eigenes Stück geschrieben hat, ist auch dieser Teil ihres Lebens mit den erdrückenden Erwartungen anderer Menschen besetzt. Als sie dann bei einer Therapeutin versucht, ihre künstlerische Blockade zu überwinden und diese sie über den Verdacht informiert, dass sie dem autistischen Spektrum angehört, ergeben plötzlich alle ihre Besonderheiten einen Sinn. Sie begibt sich auf den langen steinigen Weg, hin zu Selbstakzeptanz und Selbstliebe, sodass sie irgendwann feststellen kann: "Ich sollte mich nicht schämen. Ich sollte mich nicht entschuldigen müssen. Das hier bin ich." Das Ganze vermittelt Helen Hoang so lebensnah, dass mein Herz an mehreren Stellen für sie gebrochen ist!!!


Anna: "Liebevolle Strenge lässt keinen Raum für Schwäche, und liebevolle Strenge ist alles, was ich an Liebe kenne. Vielleicht kann ich jetzt, nur dieses eine Mal, mit einer anderen Art von Liebe experimentieren. Etwas Gütigerem."


Die zweite Hauptfigur ist Quan, welchen wir schon als Michaels besten Freund und Khais großen Bruder in Band 1 und Band 2 kennen- und lieben gelernt haben. Schon seit "Kissing Lessons" war ich gespannt auf die Geschichte des von außen mit seinen Tattoos und dem rasierten Schädel als harter Kerl erscheinenden Mannes, der sich jedoch mit aufopferungsvoller Hingabe und Freundlichkeit um andere kümmert, und konnte es kaum erwarten, die Welt aus seiner Perspektive zu sehen. Leider musste ich dann feststellen, dass trotz dass beide Figuren aus ihrer Sicht erzählen, Anna ganz klar im Vordergrund steht und ihm (mit ihren zweifellos wichtigen und interessanten Entwicklungen, aber dennoch!) die Show stiehlt. Zwar bringt auch er einige Schwierigkeiten in die Beziehung mit ein - so ist sein Selbstbewusstsein nach der Operation seines Hodenkrebses etwas angekratzt und er will sich nun langsam wieder an Beziehungen herantasten um sich selbst zu beweisen, dass er noch "ein ganzer Mann" ist -, es ist jedoch auffallend, dass seine Familie kein einziges Mal vorkommt, wir nur wenig mehr über ihn erfahren als aus den anderen Bänden schon bekannt und er ab dem Mittelteil auf den unterstützenden Partner reduziert wird. Auch wenn ich es sehr stark fand, wie er Anna gestützt hat und die beiden sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit beim jeweils anderen vollkommen geborgen fühlen konnten, hätte ich mir von seiner Charakterisierung noch ein wenig mehr erhofft.


Quan: "Mach dir deswegen keinen Kopf. Geh und kümmere dich um dein Mädchen." Er drückt meine Schulter, und ich nicke ihm kurz zu, bevor ich verschwinde. Als ich allerdings auf meine Ducati steige, trifft mich die Bedeutung dessen, was er gesagt hat. Dein Mädchen. Anna ist nicht mein Mädchen. Aber ich muss zugeben, dass mir gefällt, wie sich das anhört. Sehr sogar."


Auch an anderen Stellen merkt man der Geschichte an, dass die Autorin zugunsten ihrer tiefen Auseinandersetzung mit den Hauptthemen einige Kürzungen vornehmen musste und einfach andere Prioritäten gesetzt hat. Dass die Autorin uns hier nicht nur eine süße Romanze vorsetzen wollte, erkennt man auch schon daran, dass die Aufteilung der insgesamt 46 Kapitel in drei Teile "vorher", "währenddessen" und "danach" nicht mit der Liebesgeschichte, sondern mit einem der prägenden Themen der Geschichte zu tun hat: der Pflege ihres Vaters. Während sich der erste Teil der Handlung, also das "vorher" mit dem langsamem, holprigem aber deshalb umso charmanterem Annähern von Anna und Quan widmet, in deren Leben einführt und auch schon einige Szenen enthält, in denen es ganz schön zur Sache geht, ändert sich der Fokus der Geschichte im zweiten Abschnitt sehr dramatisch, als Anna für die Pflege ihres Vaters wieder ins Elternhaus zurückkehrt. Da sich die Figuren in diesem Abschnitt mehrere Wochen nicht sehen, tritt deren Beziehung stark in den Hintergrund und macht Platz für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Gefühlen, Gedanken, Problemen und Belastungen von Pflegenden.


Quan: "Ich höre so viel Schmerz in ihren Worten, dass mir selbst die Augen brennen. Ich kann es nicht ganz nachempfinden. Wenn unsere Plätze vertauscht wären, glaube ich nicht, dass ich genauso fühlen würde. Ich kümmere mich gern um andere. Ich mag es, gebraucht zu werden. Aber Annas Schmerz ist echt. Ich kann ihn nicht einfach beiseiteschieben, nur weil ich ihn nicht verstehe. Ich kann ihn nicht verurteilen. Schmerz ist Schmerz. Ich weiß, wie es ist, zu leiden und von anderen nicht verstanden zu werden."


Das finde ich auf der einen Seite wahnsinnig stark, auf der anderen hat es das Gesamtkonzept der Geschichte ein wenig ins Ungleichgewicht gebracht. Denn für eine Romanze war der Mittelteil definitiv zu lang und zu schwermütig, während die sexy Szenen im Mittelteil zwischen die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen auch nicht ganz hineingepasst haben. Es erschien mir irgendwann, als hätte die Autorin diese Szenen dazu genutzt, um gezwungenermaßen gegen die Düsterness der restlichen Storyline anzukämpfen. Sie haben sich aber nicht als natürliche Konsequenz der Lovestory ergeben. Ich hätte mir für "Heart Story" gewünscht, dass die Autorin sich genau wie in "Love Challenge" mehr auf die Dynamik der Figuren außerhalb des Bettes konzentriert.


Anna: "Denn das ist der einzige Ort, wo wahre Perfektion existiert - die leere Seite. Nicht von dem, was ich tatsächlich tue, kann mit dem grenzenlosen Potential dessen konkurrieren, was ich tun könnte. Aber wenn ich mich durch die Angst vor Imperfektion in unaufhörlichen Anfängen gefangen halten lasse, werde ich nie wieder irgendetwas erschaffen."


Auch zum Ende habe ich eine gespaltene Meinung. Auf der einen Seite finde ich das Ende realistischer als die üblichen New Adult Enden, in denen alle Probleme schnell und zielsicher mit einem klärenden Gespräch und einem Heiratsantrag gelöst werden und sich am Ende alle glücklich in den Armen liegen. Es GIBT zwar ein Happy End, aber dieses ist hart erarbeitet und lange nicht so hochglanz-poliert und unbeschwert, wie viele andere Buchenden des Genres. Schade finde ich jedoch, dass im letzten Abschnitt alles recht schnell geht. Es werden viele ernste Themen angerissen, diese werden aber nicht vertieft und schwupp die wupp ist ein Jahr vorbei. Auffallend ist auch die Abwesenheit von Quans Perspektive in diesem letzten Abschnitt. Ich komme also zu dem Schluss, dass es besser zur Reihe gepasst hätte, wenn sich die Autorin entweder für eine heiße Liebesgeschichte ODER die persönliche Auseinandersetzung mit den Themen entscheiden hätte.
Auch wenn ich gerne sagen würde, dass die Mischung aus heiß, süß, traurig und persönlich gut funktioniert hat, ist das leider nicht ganz der Fall. Dennoch halte ich "Heart Story" auf seine spezielle Art und Weise für den besten Band der Reihe. Auch wenn mir die Handlung und die Atmosphäre in Band 2 besser gefallen haben und ich den Gesamtmix nicht ganz stimmig finde, kann "Heart Story" mit echter Tiefe und Authentizität punkten - und das ist etwas, was ich am meisten schätze im New Adult Genre!

Und ganz in diesem Sinne will ich zum Abschluss noch ein paar Worte aus Helen Hoangs Nachwort mit Euch teilen:


"Als Gesellschaft müssen wir Mitgefühl für alle Menschen haben, die von Krankheit und Behinderung betroffen sind - jene, die Pflege erhalten, ebenso wie jene, die Pflege leisten. Wir alle zählen, und niemand sollte das Gefühl haben, nicht um Hilfe bitten zu können, wenn er sie braucht. Wenn jemand sagt, dass er leidet, bitte hört ihm zu. Bitte nehmt ihn ernst. Bitte seid gütig. Wenn ihr selbst leidet, bitte seid gütig zu euch selbst!"





Fazit:

Helen Hoang mischt hier eine emotionale Liebesgeschichte mit ernsten Themen wie die Pflege und der Verlust eines nahestehenden Angehörigen, die Entdeckung der eigenen Asperger-Diagnose, toxischen Familienkonstellationen sowie Selbstmordgedanken und Depression, die auf einen autistischen Burnout - Themen, die auch ihr eigenes Leben geprägt haben. Auch wenn sie im Grunde dieselben Zutaten verwendet wie ihre beiden Vorgänger-Romane, setzt "Heart Story" andere Schwerpunkte und überzeugt mit echter Tiefe und Authentizität!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.01.2022

Überzeugt mit echter Tiefe und Authentizität!

Heart Story
0

"Heart Story" ist eine Neuerscheinung, auf die ich nun schon seit 2020 mit Spannung warte. Nach "Kissing Lessons" und "Love Challenge" der dritte Teil von Helen Hoangs "Kiss, Love & Heart"-Reihe sollte ...

"Heart Story" ist eine Neuerscheinung, auf die ich nun schon seit 2020 mit Spannung warte. Nach "Kissing Lessons" und "Love Challenge" der dritte Teil von Helen Hoangs "Kiss, Love & Heart"-Reihe sollte ursprünglich "Heart Trouble" heißen und im Frühjahr 2021 erscheinen. Da die Autorin aber unter persönlichen Problemen litt, die sie unter anderen auch in diesem Roman verarbeitet hat, wurde der Erscheinungstermin mehrere Male und insgesamt um ein Jahr nach hinten verschoben. Heute, am 25. Januar erscheint die Geschichte nun endlich und da der KYSS Verlag mir netterweise schonmal ein Exemplar zukommen lassen hat, kann ich pünktlich zum Erscheinungstermin von meinen Erfahrungen mit Quan und Anna berichten.


Anna: "Wenn das Ende kommt, will ich es nicht sehen. Aber das Ende kommt nicht. Weder nach einer Minute noch nach zwei, drei, vier oder fünf. Die Sache mit Gefühlen ist, dass sie vorübergehen. Herzen sind nicht dafür gemacht, etwas zu lange zu intensiv zu empfinden, sei es Freude, Kummer oder Wut. Alles vergeht mit der Zeit. Alle Farben verblassen."


Das Cover ist wie Band 1 und 2 ein wirklicher Hingucker! Diesmal ist der Hintergrund statt grau oder apricot bläulich und die kunstvollen Blumen und Ranken heben sich in Weiß-, Orange-, Pink- und warmen Lilatönen ab. Der Titel glänzt in Violett und der Autorentitel ist verschnörkelt. Besonders nett ist auch, dass in den Leselaschen der Broschierten Ausgabe wieder ein Interview mit der Autorin abgedruckt ist und die Blüten der Gestaltung auch innerhalb des Buches die Kapitelanfänge zieren. Schade finde ich aber immer noch, dass die deutsche Übersetzung nicht den Originaltitel übernommen hat. "Heart Story" ist zwar nah dran an "The Heart Principle", ich kann aber einfach nicht nachvollziehen, warum man einer übersetzten Geschichte, wenn nicht den englischen Originaltitel, dann einen anderen englischsprachigen Titel gibt. Mit der Gestaltung passt der dritte Teil der "Kiss, Love & Heart"-Reihe wunderbar zu den Vorgängern, hat aber durch die etwas dunklere Farbgebung eine eigene Note, die gut zu der Geschichte passt.


Erster Satz: "Das ist das letzte Mal, dass ich von vorne anfange."


"Heart Story" ist nämlich deutlich persönlicher, ernsthafter und tiefer als die beiden Vorgänger und setzt trotz ähnlicher Zutaten ganz andere Schwerpunkte als "Kissing Lessons" und "Love Challenge". Zwar mischt Helene Hoang auch hier wieder zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft, Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis zusammen, macht aber definitiv mehr daraus als eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Helen Hoang schreibt hier von künstlerischen Blockaden, der Pflege und dem Verlust eines nahestehenden Angehörigen, der Entdeckung der eigenen Asperger-Diagnose, toxischen Familienkonstellationen sowie Selbstmordgedanken und Depression, die auf einen autistischen Burnout folgen - alles Dinge, die sie in den letzten Jahren ebenfalls miterlebt hat. In einem rührenden Nachwort beschreibt sie, weshalb genau sich die Veröffentlichung von "Heart Story" verzögert hat und dass es sich in gewisser Hinsicht zur Hälfte auch um ihre Memoiren handelt. Die persönliche Natur der Geschichte und die Authentizität der im Roman beschriebenen Probleme, Gefühle und Gedanken merkt man der Geschichte auch auf jeder Seite an und ich bewundere den Mut von Helen Hoang, dass sie den Mut gefunden hat, ihre Erlebnisse und Erfahrungen vor der ganzen Welt auf solch herzzerreißende Art und Weise auszubreiten.


Anna: "In einer Art Trancezustand gehe ich nach Hause. Erst als Passanten stutzen und mir komische Blicke zuwerfen, wird mir bewusst, dass ich weine. Ich versuche nicht damit aufzuhören. Ich lasse die Tränen fallen. ich weine um das Mädchen, das ich einmal war. Ich weine um mich. Das ist eine fremdartige Erfahrung. Selbstmitleid ist ein Luxus, den ich mir nicht erlaube. Aber das hier fühlt sich nicht wie Mitleid an. Es fühlt sich eher an wie Mitgefühl, und diese Erkenntnis lässt mich noch heftiger weinen. Niemand sollte eine Diagnose brauchen, um Mitgefühl für sich selbst zu empfinden."


Passend zum eher persönlicheren Leseerlebnis hat die Autorin sich dazu entschieden, nicht abwechselnd aus der personalen Er-Perspektive der beiden Protagonisten zu erzählen, sondern auf einen Ich-Erzähler zurückzugreifen. Auf diese Art und Weise konnten mich die beiden Hauptfiguren noch besser erreichen als die Charaktere ihrer Vorgänger und ich konnte mich für einen intensiven Vormittag komplett in der Handlung und den Gefühlen der Protagonisten verlieren. Trotz der vielen ernsten Themen gelingt es der Autorin über weite Teile der Handlung, die düsterere Atmosphäre durch lustige, sarkastischen Dialoge aufzulockern, sodass ich - ständig schniefend, schmachtend oder grinsend - von meinem Umfeld etwas schräg angesehen wurde (vielen Dank dafür, Helen). Ebenfalls litt ich durch das Suchtpotential der Geschichte leider an einem typischem In-einem-Rutsch-durchlesen-und-danach-ärgern-dass-man-es-so-schnell-gelesen-hat-Dilemma (ebenfalls vielen Dank dafür, Helen ^^).


Anna: "Natürlich", sagt sie, dabei legt sie eine Hand auf ihr Herz, um zu zeigen, wie gerührt sie ist. Ich frage mich, ob sie genauso schauspielert wie ich. Wie viel von dem, was die Leute sagen, ist ehrlich, und wie viel ist Höflichkeit? Lebt irgendjemand wirklich sein Leben, oder lesen wir alle nur Text aus einem gewaltigen Drehbuch ab, das andere Leute geschrieben haben?"


Im Mittelpunkt steht die Violinistin Anna, die unter ihrer toxischen Familie leidet, die sie durch - wie sie es nennt - "liebevolle Strenge" unter Druck setzt, sich anzupassen und sich deshalb aus dem Wunsch heraus, alle um sie herum glücklich zu machen immer hinter Masken versteckt. Da sie nie gelernt hat, nein zu sagen, für sich selbst und ihre besonderen Bedürfnisse einzustehen, befindet sie sich ständig am Rande ihrer Kräfte und schafft es nur mit Mühe und Not, den Schein einer glücklichen, funktionierenden Frau aufrechtzuerhalten. Früher konnte sie sich in ihre Musik flüchten, doch seit sie mit einem YouTube-Video viral gegangen ist und ein berühmter Komponist ihr ein eigenes Stück geschrieben hat, ist auch dieser Teil ihres Lebens mit den erdrückenden Erwartungen anderer Menschen besetzt. Als sie dann bei einer Therapeutin versucht, ihre künstlerische Blockade zu überwinden und diese sie über den Verdacht informiert, dass sie dem autistischen Spektrum angehört, ergeben plötzlich alle ihre Besonderheiten einen Sinn. Sie begibt sich auf den langen steinigen Weg, hin zu Selbstakzeptanz und Selbstliebe, sodass sie irgendwann feststellen kann: "Ich sollte mich nicht schämen. Ich sollte mich nicht entschuldigen müssen. Das hier bin ich." Das Ganze vermittelt Helen Hoang so lebensnah, dass mein Herz an mehreren Stellen für sie gebrochen ist!!!


Anna: "Liebevolle Strenge lässt keinen Raum für Schwäche, und liebevolle Strenge ist alles, was ich an Liebe kenne. Vielleicht kann ich jetzt, nur dieses eine Mal, mit einer anderen Art von Liebe experimentieren. Etwas Gütigerem."


Die zweite Hauptfigur ist Quan, welchen wir schon als Michaels besten Freund und Khais großen Bruder in Band 1 und Band 2 kennen- und lieben gelernt haben. Schon seit "Kissing Lessons" war ich gespannt auf die Geschichte des von außen mit seinen Tattoos und dem rasierten Schädel als harter Kerl erscheinenden Mannes, der sich jedoch mit aufopferungsvoller Hingabe und Freundlichkeit um andere kümmert, und konnte es kaum erwarten, die Welt aus seiner Perspektive zu sehen. Leider musste ich dann feststellen, dass trotz dass beide Figuren aus ihrer Sicht erzählen, Anna ganz klar im Vordergrund steht und ihm (mit ihren zweifellos wichtigen und interessanten Entwicklungen, aber dennoch!) die Show stiehlt. Zwar bringt auch er einige Schwierigkeiten in die Beziehung mit ein - so ist sein Selbstbewusstsein nach der Operation seines Hodenkrebses etwas angekratzt und er will sich nun langsam wieder an Beziehungen herantasten um sich selbst zu beweisen, dass er noch "ein ganzer Mann" ist -, es ist jedoch auffallend, dass seine Familie kein einziges Mal vorkommt, wir nur wenig mehr über ihn erfahren als aus den anderen Bänden schon bekannt und er ab dem Mittelteil auf den unterstützenden Partner reduziert wird. Auch wenn ich es sehr stark fand, wie er Anna gestützt hat und die beiden sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit beim jeweils anderen vollkommen geborgen fühlen konnten, hätte ich mir von seiner Charakterisierung noch ein wenig mehr erhofft.


Quan: "Mach dir deswegen keinen Kopf. Geh und kümmere dich um dein Mädchen." Er drückt meine Schulter, und ich nicke ihm kurz zu, bevor ich verschwinde. Als ich allerdings auf meine Ducati steige, trifft mich die Bedeutung dessen, was er gesagt hat. Dein Mädchen. Anna ist nicht mein Mädchen. Aber ich muss zugeben, dass mir gefällt, wie sich das anhört. Sehr sogar."


Auch an anderen Stellen merkt man der Geschichte an, dass die Autorin zugunsten ihrer tiefen Auseinandersetzung mit den Hauptthemen einige Kürzungen vornehmen musste und einfach andere Prioritäten gesetzt hat. Dass die Autorin uns hier nicht nur eine süße Romanze vorsetzen wollte, erkennt man auch schon daran, dass die Aufteilung der insgesamt 46 Kapitel in drei Teile "vorher", "währenddessen" und "danach" nicht mit der Liebesgeschichte, sondern mit einem der prägenden Themen der Geschichte zu tun hat: der Pflege ihres Vaters. Während sich der erste Teil der Handlung, also das "vorher" mit dem langsamem, holprigem aber deshalb umso charmanterem Annähern von Anna und Quan widmet, in deren Leben einführt und auch schon einige Szenen enthält, in denen es ganz schön zur Sache geht, ändert sich der Fokus der Geschichte im zweiten Abschnitt sehr dramatisch, als Anna für die Pflege ihres Vaters wieder ins Elternhaus zurückkehrt. Da sich die Figuren in diesem Abschnitt mehrere Wochen nicht sehen, tritt deren Beziehung stark in den Hintergrund und macht Platz für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Gefühlen, Gedanken, Problemen und Belastungen von Pflegenden.


Quan: "Ich höre so viel Schmerz in ihren Worten, dass mir selbst die Augen brennen. Ich kann es nicht ganz nachempfinden. Wenn unsere Plätze vertauscht wären, glaube ich nicht, dass ich genauso fühlen würde. Ich kümmere mich gern um andere. Ich mag es, gebraucht zu werden. Aber Annas Schmerz ist echt. Ich kann ihn nicht einfach beiseiteschieben, nur weil ich ihn nicht verstehe. Ich kann ihn nicht verurteilen. Schmerz ist Schmerz. Ich weiß, wie es ist, zu leiden und von anderen nicht verstanden zu werden."


Das finde ich auf der einen Seite wahnsinnig stark, auf der anderen hat es das Gesamtkonzept der Geschichte ein wenig ins Ungleichgewicht gebracht. Denn für eine Romanze war der Mittelteil definitiv zu lang und zu schwermütig, während die sexy Szenen im Mittelteil zwischen die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen auch nicht ganz hineingepasst haben. Es erschien mir irgendwann, als hätte die Autorin diese Szenen dazu genutzt, um gezwungenermaßen gegen die Düsterness der restlichen Storyline anzukämpfen. Sie haben sich aber nicht als natürliche Konsequenz der Lovestory ergeben. Ich hätte mir für "Heart Story" gewünscht, dass die Autorin sich genau wie in "Love Challenge" mehr auf die Dynamik der Figuren außerhalb des Bettes konzentriert.


Anna: "Denn das ist der einzige Ort, wo wahre Perfektion existiert - die leere Seite. Nicht von dem, was ich tatsächlich tue, kann mit dem grenzenlosen Potential dessen konkurrieren, was ich tun könnte. Aber wenn ich mich durch die Angst vor Imperfektion in unaufhörlichen Anfängen gefangen halten lasse, werde ich nie wieder irgendetwas erschaffen."


Auch zum Ende habe ich eine gespaltene Meinung. Auf der einen Seite finde ich das Ende realistischer als die üblichen New Adult Enden, in denen alle Probleme schnell und zielsicher mit einem klärenden Gespräch und einem Heiratsantrag gelöst werden und sich am Ende alle glücklich in den Armen liegen. Es GIBT zwar ein Happy End, aber dieses ist hart erarbeitet und lange nicht so hochglanz-poliert und unbeschwert, wie viele andere Buchenden des Genres. Schade finde ich jedoch, dass im letzten Abschnitt alles recht schnell geht. Es werden viele ernste Themen angerissen, diese werden aber nicht vertieft und schwupp die wupp ist ein Jahr vorbei. Auffallend ist auch die Abwesenheit von Quans Perspektive in diesem letzten Abschnitt. Ich komme also zu dem Schluss, dass es besser zur Reihe gepasst hätte, wenn sich die Autorin entweder für eine heiße Liebesgeschichte ODER die persönliche Auseinandersetzung mit den Themen entscheiden hätte.
Auch wenn ich gerne sagen würde, dass die Mischung aus heiß, süß, traurig und persönlich gut funktioniert hat, ist das leider nicht ganz der Fall. Dennoch halte ich "Heart Story" auf seine spezielle Art und Weise für den besten Band der Reihe. Auch wenn mir die Handlung und die Atmosphäre in Band 2 besser gefallen haben und ich den Gesamtmix nicht ganz stimmig finde, kann "Heart Story" mit echter Tiefe und Authentizität punkten - und das ist etwas, was ich am meisten schätze im New Adult Genre!

Und ganz in diesem Sinne will ich zum Abschluss noch ein paar Worte aus Helen Hoangs Nachwort mit Euch teilen:


"Als Gesellschaft müssen wir Mitgefühl für alle Menschen haben, die von Krankheit und Behinderung betroffen sind - jene, die Pflege erhalten, ebenso wie jene, die Pflege leisten. Wir alle zählen, und niemand sollte das Gefühl haben, nicht um Hilfe bitten zu können, wenn er sie braucht. Wenn jemand sagt, dass er leidet, bitte hört ihm zu. Bitte nehmt ihn ernst. Bitte seid gütig. Wenn ihr selbst leidet, bitte seid gütig zu euch selbst!"





Fazit:

Helen Hoang mischt hier eine emotionale Liebesgeschichte mit ernsten Themen wie die Pflege und der Verlust eines nahestehenden Angehörigen, die Entdeckung der eigenen Asperger-Diagnose, toxischen Familienkonstellationen sowie Selbstmordgedanken und Depression, die auf einen autistischen Burnout - Themen, die auch ihr eigenes Leben geprägt haben. Auch wenn sie im Grunde dieselben Zutaten verwendet wie ihre beiden Vorgänger-Romane, setzt "Heart Story" andere Schwerpunkte und überzeugt mit echter Tiefe und Authentizität!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere