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Veröffentlicht am 23.10.2021

Schockiert und berührt!

Vollendet - Die Rache
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Nachdem mich "Vollendet - Die Flucht" und "Vollendet - Der Aufstand" schockiert, tief berührt und für immer für Neal Shusterman begeistert haben, stand es für mich nicht zur Debatte, auch diese Fortsetzung ...

Nachdem mich "Vollendet - Die Flucht" und "Vollendet - Der Aufstand" schockiert, tief berührt und für immer für Neal Shusterman begeistert haben, stand es für mich nicht zur Debatte, auch diese Fortsetzung zu lesen. Und statt uns mit einem gemächlichen Mittelteil einer Reihe zu enttäuschen fährt der Autor auch hier wieder alle Geschütze auf: drastische Wendungen, schockierende Grausamkeit, ehrliches Mitgefühl, tiefer Schmerz, leidenschaftliche Liebe - diese Geschichte ist genau wie ihre Vorgänger der blanke Wahnsinn!

Die Gestaltung ist mal wieder sehr an die Vorgänger angelehnt. Zusehen ist das Gesicht eines anderen Teenagers in zerstückelter Pixel-Form, die auf die Umwandlung hinweist. Wer die dargestellte Person sein soll und wer die Teenager auf den anderen Cover sind weiß ich zwar nicht, mir gefällt die neue Gestaltung mit dem dunklen Hintergrund und dem gelben Titel aber besser als das Design der älteren Auflage, die ich ebenfalls gelesen habe.

Erste Sätze: "Sie haben unterschrieben. Der Heartland-Krieg ist vorbei."


Die Geschichte knüpft nach einem kurzen Prolog von der Geburtsstunde der Umwandlung über ihren Erfinder Janson Rheinschild direkt an den Geschehnissen von Band 2 an. Connor konnte dank Levs Hilfe von der Razzia auf dem Flugzeugfriedhof und vor Teilepirat Nelson fliehen und ist nun wieder auf der Flucht. Nur dass sein Weglaufen diesmal ein genaues Ziel hat: Sonias Antiquitätenladen in Ohio, wo er auf Antworten hofft, die ihm in seinem Kampf gegen die Umwandlung helfen könnten. Mit seinem Verstoß gegen die Bewährungsunterlagen wird auch Lev wieder zum Flüchtling und als sich im Indianerreservat eine Chance auf Ruhe bietet, steht er vor der Frage, ob er sein Leben weiter dem schweren, aussichtslosen Kampf gegen die Umwandlung widmen will...
Risa sitzt nach der Enttarnung des Proaktiven Bürgerforums auf der Straße und versucht sich alleine durchzuschlagen. Cam verrät die Organisation, die ihn erschaffen hat und setzt alles daran, Risa zu finden. Und als sie alle aufeinandertreffen ist nichts mehr wie zuvor...


"Das bedeutet, dass es in diesem Krieg jetzt drei Seiten gibt", erwidert Lev. Connor gesteht sich ein, dass er recht hat.
"Wenn also die eine Seite von Hass getrieben wird und die zweite von Furcht, was treibt uns an?"
"Hoffnung?", schlägt Lev vor."


Auch wenn die Geschichte insgesamt ein wenig ruhiger voranschreitet als der schnelle Spurt des ersten Teils, bekommen wir auch hier kaum eine Pause zum Verschnaufen. "Vollendet - Die Rache" leidet wie auch schon "Vollendet - Der Aufstand" keineswegs unter dem typischen Mittelteil-Syndrom sondern wartet mit vielen neuen Entwicklungen auf und schafft es, von der ersten bis zur letzten Seite für Hochspannung zu sorgen. Dabei ist die Handlung zwar nicht so dicht und zielführend gepackt wie Teil 1, wieder geht es aber ums Weglaufen vor dem Regime, den JuPos, verrückten Fans und Teilepiraten, kurz: um nackte Überleben von einem Tag auf den anderen. Im Gegensatz zum ersten Teil hat sich jedoch die Ausgangslage geändert: es geht nicht nur darum, über den Tag zu kommen sondern es gilt auch die Umwandlung zu bekämpfen und tausende Wandler vor ihrem grausamen Schicksal zu retten. Die gewonnene Sicherheit und Struktur des Friedhofs im zweiten Band wird hier wieder aufgelöst und da die AUF (Anti-Umwandlungsfront) praktisch am Boden ist, stehen die Flüchtenden fast alleine da. So haben wir es mit einem bekannten und doch ganz neuen Szenario zu tun. Connor, Lev und Risa sind keine hilflosen Kinder mehr, sie sind bekannte Terroristen, Idole unter den Wandlern und sie haben nur zwei Wünsche: Freiheit und das Ende der Umwandlung!

USA, die nahe Zukunft: Teenager, die zu viel Ärger machen, werden gnadenlos aus der Gesellschaft ausgestoßen und "umgewandelt". Sie werden in Erntecamps ihre Einzelteile zerlegt und an Empfänger verteilt. Dies ist die erschreckende Basis, auf der die Geschichte fußt. Und wie zuvor auch schon geht der Autor wieder an sämtliche Grenzen und schafft es in einem aufregenden Drahtseilakt uns gleichzeitig zu schockieren und zu berühren. Wer sich nach Band 1 und Band 2 vielleicht gefragt hat - was soll da noch kommen? - dem sei versichert, dass Neal Shusterman auch hier wieder etliche Wendungen und Erklärungen bereit hält, um unseren Schock und Ekel vor einer Gesellschaft, die ungeliebte Kinder zum Wohle von geliebten Kindern auslöscht, immer wieder aufs Neue zu entfachen. Wieder ist die Handlung so faszinierend, sind die Protagonisten so authentisch und die philosophischen Fragen so aufwühlend, dass wir glatt vergessen, wie absurd, abstoßen und makaber eigentlich dieses Schreckensszenario ist. Diese Idee wird wieder zu einer schockierenden und gleichzeitig wahnsinnig faszinierenden Geschichte, die Spannung, Gesellschaftskritik, Gruppendynamik und einen Schuss Wahnsinn zu einem komplexen Meisterwerk verarbeitet, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.


"Willst du den wahren Grund dafür wissen, warum das Umwandeln immer noch so erfolgreich ist, Miss Risa Ward? Nicht wegen der Körperteile, die wir für uns selbst wollen - sondern wegen der Dinge, die wir gewillt sind zu tun, um unsere Kinder zu retten."


Besonders hervorgehoben wird die perfide Idee wieder durch den meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein. Das Beste ist jedoch des Autors Fähigkeit, neue Handlungsstränge geschickt mit den schon bekannten zu verweben und die Geschichte immer wieder in eine Richtung zu führen, die der Leser nicht erwartet hätte. Anstatt schon Erzähltes zu wiederholen, drehen schicksalhafte Kreise nur um am Ende wieder genau da anzukommen wo wir losgegangen sind: in Akron. Dabei bekommen wir auch endlich neue Hintergrundinformationen über den Heartland-Krieg, die Beginne der Umwandlung, die Jugend-Revolten und blicken immer mehr in den Abgrund des Proaktiven Bürgerforums, das seine Finger tiefer im Spiel hat, als man jemals geahnt hätte. Durch die Rückblenden aus der Sicht von Janson und Sonia Rheinschild erfahren wir auch interessante Details über die Gründung der AUF, des Proaktiven Bürgerforums und technische Hintergründe zur Umwandlung und die alles entscheidende Frage tritt auf: was wenn es eine Alternative zur Umwandlung gäbe...?

"Leuchte, Cam", sagt Roberta zu ihm. "Leuchte wie der Stern, der du bist."

Die Stimmung der allgemeinen Bevölkerung wird außerdem durch kurze Ausschnitte aus abstrusen Werbekampagnen für die Umwandlung deutlich. Statt nur wie in den Teilen zuvor an das Sicherheitsbestreben der Gesellschaft zu appellieren, werden die Werbeanzeigen immer schockierender und verlieren jegliche Skrupel. So wird bald auch das freiwillige Umwandeln von Erwachsenen gegen Geld ein Thema genau wie ein Gesetz über das Aushülsen von Gewaltverbrechern und die Umwandlung aller Sträflinge, das in einigen Bundesländern diskutiert wird. Außerdem versprechen neue Marken wie ThinkFast, NeuroWeave oder Sculptura mit denen man neue Eigenschaften kaufen, das Gedächtnis aufpeppen oder seinen Körper zum Traumbody werden lassen kann Luxus, Schönheit und Unsterblichkeit. Der Autor wirft immer wieder ein Leserbrief, ein politisches Statement oder eine Werbeanzeige ein, die uns der absolute Wahnsinn der Umwandlung vor Augen führt und stellt gleichzeitig reale Berichte vor einem jeden der sechs Teile gegenüber. Durch das Einfügen von realen Nachrichten und Links, die sich mit dem Thema beschäftigen wird uns auf erschütternde Art und Weise klar gemacht, dass die Reihe trotz ihrer scheinbaren Absurdität viel zu nahe an der Realität ist, um nicht weiter über die Themen nachzudenken. Egal ob boomender Schwarzmarkt für Organhandel, dokumentierte Fälle in denen Organempfänger Erinnerungen ihrer Spender haben, Babyklappen in italienischen Krankenhäusern, die Diskussion über die Todesstrafe für rebellische Kinder oder die neue Gefahr durch Körperbomben - die angesprochenen Themen geben dem Leser ordentlich etwas zu denken!


"Die Umwandlung ist die gewinnträchtigste Brache Amerikas, vielleicht der ganzen Welt. So ein Wirtschaftsmotor schützt sich selbst. Wenn wir die zerstören wollen, müssen wir klüger sein als sie." Und dann lächelt Cam. "Aber sie haben einen großen Fehler gemacht."
"Und der wäre?"
"Sie haben jemanden gebaut, der klüger ist als sie."


Um den Leser auf Trab zu halten, bekommen wir hier natürlich wieder neue Handlungsstränge serviert. Es erzählen in personaler Er-Erzähl-Perspektive Connor, Risa, Lev, Cam, Starkey, Bam, Hayden, Nelson, Roberta, die Rheinschilds aus der Vergangenheit und die drei neuen Protagonisten Grace, Argent und Una. Die Geschwister Grace und Argent Skinner leben in Heartsdale ein gewöhnliches, langweiliges Leben, bis der fanatische Connor-Fan Argent sein Idol im Supermarkt trifft und glatt entführt. Während Argent ein absolut berechnender, dumm-dreister Widerling ist, ist seine minderbemittelte, unförmige Schwester Grace harmlos aber liebenswert. Denkt Connor zumindest, denn hinter dem schlichten Gemüt verstecken sich eine unschlagbare Beobachtungsgabe, sanftes Taktgefühl und ein strategisches Genie, sodass sie (bald mein Lieblingscharakter) zu einer wertvollen Verbündeten wird. Auch Unas Leben ist eng mit dem von Lev, Connor, Risa und Cam verbunden, denn ihr Verlobter Wil begab sich in die Hände von Teilepiraten um Lev zu retten. Kein Wunder dass sie wütend ist: auf Lev und Connor die im Reservat auftauchen genau wie auf die Teilepiraten, die Umwandlung und ein gewisser Verbundmensch der die talentierten Gitarren-Hände ihrer großen Liebe erhalten hat...

Ein Rückzugsort im Indianerreservat, ein Unfall auf einer Straußenfarm, die Gefangenschaft eines fanatische Fans, ein Massenlager im Bergwerk, eine Tarnung auf einem Campingplatz, ein Überfall auf ein Ernte Camp, ein Wiedersehen im Antiquitätenladen, eine Therapiesitzung in einer Revival Community, eine Falle von Teilepiraten - wir haben mehr Sichtweisen als je zuvor, reisen mit den Protagonisten durch ganz Amerika und finden uns in den unterschiedlichsten Situationen wieder. Auch Hannah und die kleine Didi aus Teil eins haben nochmal ihren Auftritt und wir erfahren, dass CiFy mit seinen Väter die Tyler-Walker-Stiftung gegründet hat, die WGs fördern, in denen die Empfänger der Teile einer Person zusammenleben und den Umgewandelten somit wieder ganz machen. Dadurch, dass er die Protagonisten immer wieder durchmischt und in anderer Konstellation aufeinander treffen lässt wird bald klar, dass ihre Schicksale enger verknüpft sind, als sie selbst ahnen und. Die ständige Neumischung der Protagonisten sorgt immer wieder für neue Dynamik sodass es trotz etwas entschleunigter Handlung nie langweilig wird.


"Wir sind keine Helden", antwortet Lev. Darüber muss Elina lächeln: "Wahre Helden glauben nie, dass sie welche sind.", sagt sie zum ihm. "mach nur so weiter, Leb, und leugne es mit jeder Faser deines Daseins."


Das Beste ist jedoch, dass Neal Shusterman seine zentralen Figuren Lev, Risa und Connor durch Cam erweitert und liebevoll weiterentwickelt, sodass wir immer wieder ganz neue Seiten an ihnen kennen lernen. Der impulsive, unbesonnene Connor, der auf dem Flugplatz Respekt, Verantwortung und Berechnung gelernt hat, muss mit seinem Versagen leben und sich fragen, was er wirklich erreichen will. Die zielstrebige und mitfühlende Risa hat ihren Kampfgeist an das Proaktive Bürgerforum verloren, sehnt sich einfach nach Frieden, ist das Flüchten so leid und weiß nicht, was sie gegenüber einem Wesen aus Wandlerteilen empfindet. Der verwirrte, orientierungslose Lev, dessen Gang durch die Hölle sein Kämpferherz freigelegt hat, kehrt in das Indianerreservat zurück, das ihn beherbergt hat und kümmert sich mehr um seine verwundete Seele als um die Revolution.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich den "Flüchtling aus Akron", den "Klatscher, der nicht klatschte" und das "Mädchen mit den gebrochenen Flügeln und einem gebrochenen Rückgrat" einmal noch mehr ins Herz schließen könnte, doch das ist hier passiert. Ich wünsche den dreien so von Herzen Glück, dass es mit jedem Satz mehr wehtut, wenn sie alles verlieren, was sie lieben und zusehen müssen, wie das wofür sie gekämpft haben in Flammen aufgeht. Mindestens genauso sehr wünsche ich Mason Michael Starkey das Verderben, der sich hier immer weiter als absolut skrupelloser, machtgeiler Terrorist entpuppt und mit seinen Taten die ganze Welt in Schrecken versetzt.


"Die denken, wir sind gewalttätig und müssten deshalb umgewandelt werden", beschwor er. "Wir müssen der Welt beweisen, dass das nicht stimmt."
Doch es braucht nur Starkey und fünf umgestoßene Stühle, um alles zu zerstören, wofür sich Connor eingesetzt hat."


Das geheime Highlight der Geschichte ist aber Camus Comprix, der erste Verbundmensch der Geschichte. Die sensible Art und Weise, wie der Autor durch ihn philosophische Fragen einfließen lässt und sie dann durch die intensive, einfühlsame Charakterstudie beantwortet, ist einfach hinreißend! Sind wir mehr als die Summe unserer Einzelteile? Was macht einen Menschen, ein Individuum aus? Ist Cam viele Menschen oder ein einzelner? Kann er als Eigentum seiner Erschaffer gelten oder hat er dieselben Rechte wie alle Menschen? Kann man ein fühlendes, denkendes Wesen sein wenn man nicht geboren wurde? Auch wenn der Gedanke an seine Existenz viel zu verschickt ist, um es ganz zu begreifen, muss man den verlorenen Jungen einfach ins Herz schließen, den die Welt für ein Monster hält und der die unfassbare Aufgabe hat, mehrere hundert Einzelteile zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen. Mit seiner wilden Assoziations-Sprache, seinem verzweifelten Ringen um Ich-Gefühl und seiner Sehnsucht nach Liebe hat er mich tief berührt! Auch wenn er hier immer mehr Charakterzüge zeigt, die mir nicht gefallen haben und seine Besessenheit von Risa ins Gruselige tendiert beginnt er von einem harmlosen Ausstellungsobjekt zum ernstzunehmenden Gegner des Proaktiven Bürgerforums zu werden.


“Bin ich wirklich am Leben? Existiere ich überhaupt? Gewiss existiert er als organische Masse, aber als fühlendes Wesen? Eher als jemand denn als etwas? Zu oft in seinem Leben weiß er es einfach nicht. Und wenn am Ende jeder Einzelne vor seinem Richter steht, wird er dann auch dort stehen, oder werden die einzelnen Teile in ihm zu ihren wahren Besitzern zurückkehren und eine Leere hinterlassen, wo er einst war?”


Das Ende lässt uns dann mit einem riesigen Cliffhanger und tausend unbeantworteten Fragen zurück, die es dringend erforderlich machen, den vierten Teil zu lesen (der nun ENDLICH auch auf Deutsch herausgekommen ist). Auch wenn Band 3 nicht ganz an das Niveau von Band 1 und 2 heranreicht stellt er eine wichtige und superspannende Vorbereitung auf das Finale dar und ich habe mit gleichermaßen Faszination und Abscheu beobachtet, wie sich ein blutiger Dreifrontenkrieg anbahnt. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der ich durch das Buch gehetzt und in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, lässt sich zum Abschluss also nur sagen, dass dieser Roman eine mehr als würdige Fortsetzung darstellt!



Fazit:


Wie die ganze Reihe schockiert und berührt uns "Vollendet - Die Rache" durch tiefgründige Charaktere, eine absurde Idee mit einem gruselig hohen Wirklichkeitsgehalt, philosophische Fragen, eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik und ein kleiner Schuss Wahnsinn.
Eine etwas gemächlichere aber umso wichtigere Vorbereitung auf das große Finale, dem ich nun mit Spannung entgegenfiebere.

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  • Handlung
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Veröffentlicht am 23.10.2021

Eine mehr als würdige Fortsetzung!

Vollendet – Der Aufstand
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Nachdem mich "Vollendet - Die Flucht" schockiert, tief berührt und für immer für Neal Shusterman begeistert hat, stand es für mich nicht zur Debatte, auch diese Fortsetzung zu lesen. Und statt uns mit ...

Nachdem mich "Vollendet - Die Flucht" schockiert, tief berührt und für immer für Neal Shusterman begeistert hat, stand es für mich nicht zur Debatte, auch diese Fortsetzung zu lesen. Und statt uns mit einem gemächlichen Mittelteil einer Reihe zu enttäuschen fährt der Autor auch hier wieder alle Geschütze auf: drastische Wendungen, schockierende Grausamkeit, ehrliches Mitgefühl, tiefer Schmerz, leidenschaftliche Liebe - diese Geschichte ist genau wie ihr Vorgänger der blanke Wahnsinn!


"Wenn du bis zum Hals in Probleme steckst, kommst du natürlich schnell zu dem Schluss, dass du nichts taugst. Aber wir werden in diesem Leben alle auf die Probe gestellt, Connor. Einen Menschen soll man nicht danach beurteilen, wie viel er leidet, sondern danach, wie viel er erreicht."


Das Cover passt sehr gut zu dem von Band 1 und zeigt einen anderen Jungen in zerstückelter Pixel-Form, die auf die Umwandlung hinweist. Wer der dargestellte Junge sein soll und wer die Teenager auf den anderen Cover weiß ich zwar nicht, mir gefällt die neue Gestaltung mit dem dunklen Hintergrund und dem roten Titel aber besser als das Design der älteren Auflage, die ich ebenfalls gelesen habe.

Erster Satz: "Als sie ihn holen kommen, hat er gerade einen Albtraum."


So beginnen wir nach einem kurzen Quiz, der ein hilfreiches Glossar mit wichtigen Begriffen beinhaltet, den ersten von sieben großen Abschnitten, in die das Buch wieder geteilt ist. Anstatt gleich zu Connor, Risa und Lev zurückzukehren, führt der Autor zuerst drei neue Protagonisten ein, deren Perspektiven uns gemeinsam mit den schon bekannten über die Geschichte hinweg begleiten: Starkey, der gestorchte Unruhestifter, der vor seiner Umwandlung flieht, das Zehntopfer Miracolina, die ihrer Umwandlung voll Zuversicht entgegen blickt und der junge Cam, dessen Existenz auf der Umwandlung beruht. Dabei versteht es Neal Shusterman geschickt, uns in der Sicherheit einer bereits bekannten Situation zu wiegen, nur um dann mit der großen Überraschung aufzuwarten. Wie sich Starkey ganz nach seinem großen Vorbild, dem "Flüchtling aus Akron", gegen die JuPos wehrt und seiner Umwandlung entgeht, kommt uns auf den ersten Blick genauso bekannt vor wie die junge Miracolina, die sich ihrem Opfer so sicher ist, dass sie mit Hass auf die reagiert, die sie vor ihrer Umwandlung retten wollen. Doch dann geschieht das Unglaubliche: wir lernen Cam kennen, den ersten Verbundmenschen, der aus den besten Wandlerteilen der letzten Jahre designt wurde um ein neues Zeitalter der Menschheit einzuläuten. Und wenn das noch nicht Schock genug ist, verweben sich die beiden anderen neuen Handlungssträngen geschickt mit den schon bekannten und führen die Geschichte in eine Richtung, die der Leser nicht erwartet hätte...


"Deine Aufgabe ist es, dieses fantastische Potential zu nutzen, die vielen noch verknüpften Bereiche deines Gehirns zusammenzuführen, deine Körperteile aufeinander abzustimmen, sie zu harmonisieren. Du bist der Dirigent eines lebendigen Orchesters und deine Musik wird überwältigend sein!"


Auch wenn die Geschichte insgesamt ein wenig ruhiger voranschreitet als der schnelle Spurt des ersten Teils, bekommen wir auch hier kaum eine Pause zum Verschnaufen. "Vollendet - Der Aufstand" leidet keineswegs unter dem typischen Mittelteil-Syndrom sondern wartet mit vielen neuen Entwicklungen auf und schafft es, von der ersten bis zur letzten Seite für Hochspannung zu sorgen. Dabei ist die Handlung genauso dicht und zielführend gepackt wie Teil 1 auch wenn die Ausgangslage sich geändert hat und Connor als Leiter des Friedhofs auf einer ganz anderen Ebene des Widerstands agiert. Hier geht es nicht mehr ums Weglaufen, ums nackte Überleben von einem Tag auf den anderen. Für Connor, Risa und Lev geht es jetzt darum, die Wandler, die sie um sich versammelt haben in Richtung einer Zukunft zu führen und das gesamte System zu erschüttern.


"Erleben Sie eine Welt außerhalb Ihrer selbst: Tauchen Sie ein in den geteilten Zustand."
Risa musste eine traurige Wahrheit erkennen: Die Menschen glauben, was ihnen erzählt wird. Vielleicht nicht gleich beim ersten Mal, aber spätestens beim hundertsten Mal wird auch aus der verrücktesten Idee eine unverrückbare Tatsache."


Der Autor geht wieder an sämtliche Grenzen und schafft es in einem aufregenden Drahtseilakt uns gleichzeitig zu schockieren und zu berühren. Wieder ist die Handlung so faszinierend, sind die Protagonisten so authentisch und die philosophischen Fragen so aufwühlend, dass wir glatt vergessen, wie absurd, abstoßen und makaber eigentlich dieses Schreckensszenario ist, in der Problemteenager einfach umgewandelt werden und der Welt als Organbank dienen. Doch diese Idee wird wieder zu einer schockierenden und gleichzeitig wahnsinnig faszinierenden Geschichte, die Spannung, Gesellschaftskritik, Gruppendynamik und einen Schuss Wahnsinn zu einem komplexen Meisterwerk verarbeitet, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.


"Tief in seinem Inneren, in der unvernünftigsten Ecke seines Verstandes - wahrscheinlich dort, wo Kindheitsträume bewahrt werden -, hat er insgeheim gehofft, dass er eines Tages zu Hause willkommen sein würde. Er wirft sich auf das Krankenhausbett, drückt das Gesicht ins Kissen und sein Schluchzen geht in ein lautes Heulen über. Der unterdrückte Schmerz des gesamten letzten Jahres strömt aus seiner Seele wie die Niagarafälle und es ist ihm egal, ob er im tödlichen Strudel des schäumenden Wassers ertrinkt."


Behutsam bekommen wir neue Hintergrundinformationen über den Heartland-Krieg, die Beginne der Umwandlung, die Jugend-Revolten und lernen eine Geheimorganisation kennen, die bei alldem wohl ihre Finger im Spiel hat. Selbst die kurzen Ausschnitte aus abstrusen Werbekampagnen für die Umwandlung, die immer mal wieder an passenden Stellen eingeworfen werden, führen den Leser zu einer höheren Instanz, die wohl der Drahtzieher des ganzen Übels ist. Es bleibt jedoch alles noch sehr kryptisch und die Lösung der angedeuteten Problematiken bleibt den zwei weiteren Bänden vorbehalten.


"Gewöhnte sich eine kranke Gesellschaft so sehr an ihre Krankheit, dass sie irgendwann nicht mehr weiß, wie es ist, gesund zu sein? Und was passiert, wenn die Menschen, denen der heutige Zustand gefällt, die Erinnerung als Gefahr betrachten?"


Besonders hervorgehoben wird die perfide Idee wieder durch den meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein. Ich hatte das Gefühl, das sich sein Stil schon deutlich sicherer und erfahrener liest als bei Band 1, vielleicht ist das aber auch nur ein Eindruck, der aus dem weniger gradlinigen, überraschungslastigen Plot entspringt. Denn anstatt schon Erzähltes zu wiederhole drehen wir schicksalhafte Kreise nur um am Ende wieder genau da anzukommen wo wir losgegangen sind. Dabei treffen wir auf alte Bekannte aus dem ersten Teil: den ehemaligen JuPo, den Connor auf seiner Flucht mit dessen eigener Waffe lahmgelegt hat und der nun als Teilepirat sein Unwesen treibt und auf Rache sinnt, das schmale Mündel Samson Ward, das Risa auf ihrem Weg zur Umwandlung kennengelernt hat und auch die mürrische alte Sonia hat nochmal ihren Auftritt. So werden selbst scheinbar unbedeutende Details nochmal ins Gedächtnis der Leser gerufen und es stellt sich die Frage, welch skurrile Begegnungen uns noch in Teil 3 und 4 erwarten.


"Sie ist wie ein Engel, der sich beim Sturz auf die Erde verletzt hat. Sie macht heilende Musik aber nichts kann ihre gebrochenen Flügel kurieren."


Das Beste an dieser Fortsetzung ist jedoch, dass Neal Shusterman seine zentralen Figuren Lev, Risa und Connor liebevoll weiterentwickelt und wir ganz neue Seiten an ihnen kennen lernen. Der impulsive, unbesonnene Connor muss ein Lager mit fast 2000 Jugendlichen leiten, die zielstrebige und mitfühlende Risa kann im Rollstuhl ihren Platz an seiner Seite nicht mehr finden und kann einem Wesen aus Wandlerteilen nur Verachtung entgegen bringen und der verwirrte, orientierungslose Lev wird zum Guru der Zehntopfer und soll ihnen Halt und Trost schenken. Ich hätte nicht gedacht, dass ich den "Flüchtling aus Akron", den "Klatscher, der nicht klatschte" und das "Mädchen mit den gebrochenen Flügeln und einem gebrochenen Rückgrat" einmal noch mehr ins Herz schließen könnte, doch das ist hier passiert. Ich wünsche den dreien so von Herzen Glück, dass es mit jedem Satz mehr wehtut, wenn sie alles verlieren, was sie lieben und zusehen müssen, wie das wofür sie gekämpft haben in Flammen aufgeht.


"Risa sitzt auf einem weich gepolsterten Sessel im Garten des Anwesens über den Klippen und betrachtet den tropischen Sonnenuntergang. Sie versucht innerlich, alles ins rechte Verhältnis zu setzten und Frieden zu schließen. Etwas brandet mächtig gegen ihre Seele, unerbittlich wie die Wellen, die sich unter ihr brechen, und erinnert sie daran, dass mit der Zeit auch die stärksten Berge abgetragen und ins Meer geschwemmt werden. Sie weiß nicht, wie lange sie noch standhalten kann - oder ob sie das überhaupt soll."



Das geheime Highlight der Geschichte ist aber Camus Comprix, der erste Verbundmensch der Geschichte. Die sensible Art und Weise, wie der Autor durch ihr die philosophische Fragen miteinbringt ob wir mehr sind als nur die Summe unserer Einzelteile und sie dann durch die intensive, einfühlsame Charakterstudie beantwortet, ist einfach hinreißend! Auch wenn der Gedanke an seine Existenz viel zu verschickt ist, um es ganz zu begreifen, muss man den verlorenen Jungen einfach ins Herz schließen, den die Welt für ein Monster hält und der die unfassbare Aufgabe hat, mehrere hundert Einzelteile zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen. Mit seiner wilden Assoziations-Sprache, seinem verzweifelten Ringen um Ich-Gefühl und seiner Sehnsucht nach Liebe hat er mich tief berührt!


"Cam nimmt das Mikrofon noch einmal und presst die Lippen dagegen. Es kreisch. Es kratzt.
"Ich bin mehr als die Teile, aus denen ich bestehe!
Ich bin mehr!
Ich bin...
Ich...
Ich..."
Eine einzelne Stimme stellt ruhig die schlichte Frage: "Und wenn nicht?"


Das fulminante Ende lässt recht viel offen und macht es dringend erforderlich den dritten Teil zu lesen. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der ich durch das Buch gehetzt und in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, lässt sich zum Abschluss nur sagen, dass dieser Roman eine mehr als würdige Fortsetzung darstellt!





Fazit:


Eine erschütternde und gleichzeitig wahnsinnig faszinierende Geschichte, die Spannung, Gesellschaftskritik, Gruppendynamik und einen Schuss Wahnsinn zu einem komplexen Meisterwerk verarbeitet, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.
Drastische Wendungen, schockierende Grausamkeit, ehrliches Mitgefühl, tiefer Schmerz und leidenschaftliche Liebe - diese Geschichte ist eine mehr als würdige Fortsetzung!

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.10.2021

Ein erschütternd reales Zukunftsszenario!

Vollendet – Die Flucht
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"Vollendet" war mein erstes Buch von Neal Shusterman, den heute dank seiner "Scythe"-Reihe die ganze Welt kennt, dessen erste Science-Fiction-Quadrologie vor einigen Jahren aber noch ein absoluter Geheimtipp ...

"Vollendet" war mein erstes Buch von Neal Shusterman, den heute dank seiner "Scythe"-Reihe die ganze Welt kennt, dessen erste Science-Fiction-Quadrologie vor einigen Jahren aber noch ein absoluter Geheimtipp war. Als der Fischer Verlag nach Jahren sehnsuchtsvollen Wartens eine neue Auflage der Reihe herausbrachte und das zum Anlass nahm, endlich den vierten Teil von "Vollendet" auch auf deutsch herauszubringen, habe ich beschlossen, die ganze Reihe nochmals zu lesen und zu rezensieren. Und ich kann euch sagen - beim zweiten Mal hat mich diese Geschichte noch viel mehr erschüttert, berührt, verstört und begeistert!


"Ist sein Geist auf völlig unerklärliche Weise noch vollständig, obwohl sein Körper ausgeteilt worden ist wie ein Kartenspiel? Oder hat man ihn dermaßen zerrupft, dass von Bewusstsein keine Rede mehr sein kann, dass keinerlei Hoffnung besteht auf Himmel, Hölle oder sonst etwas, das ewig währt?"


Das Cover der neuen Auflage ist eine riesige Verbesserung zur alten Gestaltung. Das "alte Cover" war sehr schlicht gehalten mit dem glänzenden Metallic-Grau, den Flecken, Kratzern und Blutspritzern. Das sah ganz nett aus aber umgeworfen hat es mich nicht - ganz anders als sein Inhalt. Das neue Cover jedoch zeigt ein namenloses Gesicht, das mit kalten, wütenden Augen in die Kamera starrt, sodass man sofort in die Geschichte hineingezogen wird. Besonders gut gefällt mir auch der Pixel-Look des Gesichts, das durch die einzelnen Teile an die Umwandlung erinnert. Auch das neue Anhängsel am Titel finde ich passend. Warum der deutsche Titel jedoch "Vollendet" lautet und nicht "Umgewandelt" oder ähnliches haben ich immer noch nicht begriffen. Der Begriff "ein Leben vollenden" kommt nur einmal am Rande vor und ist für einen unwissenden Erstleser sehr nichtssagend. Das englische Original trifft den Kern der Geschichte mit dem Titel "Unwind", was frei übersetzt so viel bedeutet wie "umgewandelt" oder "aufgelöst" bedeutet, schon besser.


"Nach der Charta des Lebens ist das menschliche Leben von der Empfängnis bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Kind dreizehn Jahre alt wird, unantastbar.
Im Alter zwischen dreizehn und achtzehn Jahren können Eltern ein Kind rückwirkend "abtreiben"...
... unter der Bedingung, dass das Leben des Kindes "streng genommen" nicht endet.
Der Vorgang, mit dem das Leben eines Kindes abgeschlossen wird, das Kind aber dennoch am Leben bleibt, wird Umwandlung genannt.
Die Umwandlung ist inzwischen eine gängige Praxis in der Gesellschaft."


Na, habt ihr auch eine Gänsehaut? Diese vorangestellte Charta des Lebens, welche nach dem sogenannten "Heartland-Krieg" als Kompromiss zwischen den beiden Fronten des Krieges, den Abtreibungsgegnern und -befürwortern, verabschiedet wurde, wirft uns gleich in das Schreckensszenario einer Dystopie, in der Problemteenager einfach umgewandelt werden und der Welt als Organbank dienen. Zugegeben, diese Idee ist schon absurd, abstoßend und ein wenig makaber. Doch an alle, die nun die Stirn runzeln und an der Seriosität der Geschichte zweifeln: diese Idee funktioniert innerhalb dieser schockierenden und gleichzeitig wahnsinnig faszinierenden Geschichte, die Spannung, Gesellschaftskritik, Gruppendynamik und einen Schuss Wahnsinn zu einem komplexen Meisterwerk verarbeitet, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.


"Die Charta sollte die Unantastbarkeit des Lebens eigentlich schützen, doch stattdessen machte sie es wertlos."


Direkt nach dem etwas schockierenden Prolog beginnt der erste Teil der sieben geteilten Geschichte mit der Flucht von Connor Lassiter, der bald schon ehrfürchtig von anderen Wandlern der "Flüchtling aus Akron" genannt wird. Denn statt sich seiner Umwandlung tatenlos zu ergeben, flieht er bevor die JuPos ihn abholen kommen. Als er verfolgt von Einsatzkräften über eine Autobahn rennt, trifft er in einer Kurzschlussreaktion eine Entscheidung, die außer seinem auch noch zwei weitere Leben rettet. Er überfällt ein angehaltenes Auto, nimmt den darin sitzenden Jungen als Geisel und rettet ihn somit unwissentlich vor seiner Umwandlung. Denn der Junge in den langen weißen Gewändern ist ein Zehntopfer - das zehnte Kind einer religiösen Familie, die ihr Kind willentlich dem Wohl der Gemeinschaft opfert. Auf seiner Flucht durch den Wald neben der Autobahn trifft er auf ein Mädchen, das im Durcheinander auf der Straße dem Bus entkommen ist, der sie vom Waisenhaus direkt ins Ernte Camp bringen sollte, da das Geld für staatliche Mündel knapp wird. Sie hilft ihm, einen der Polizisten zu überwältigen und so entsteht eine Schicksalsgemeinschaft, die vor den Vollstreckungsbeamten eines Staates fliehen muss, für den sie nicht mehr Wert sind als ihre Organe...


"Veränderung", schreit Risa auf. "Was meinen sie mit Veränderung? Sterben ist ein bisschen mehr als Veränderung!"


Die rasant erzählte Geschichte über das schwere Schicksal dreier Jugendliche, die unterschiedlicher nicht sein könnten aber in ihrem Hass auf den Staat vereint sind, hat mich von der ersten Seite in ihren Bann gezogen. Die Vorstellung, dass hier Kinder bloß durch Nichtgefallen oder Budgetkürzungen willentlich für das Allgemeinwohl geopfert werden und jedes Recht auf Leben, Selbstbestimmung oder ihren Körper verlieren ist einfach nur beklemmend. So klebte ich beinahe an den Seiten während ich mit Connor, Risa und Lev durch verlassene Straßen, von Versteck zu Versteck, ins Ernte Camp und zu einem Ort, den sie den "Friedhof" nennen reiste und ihnen von Herzen einen Moment Ruhe, Sicherheit und Hoffnung wünschte. Man fiebert mit, während die drei Jugendlichen vor den JuPos fliehen, fast einem Terrorattentat zum Opfer fallen, jeden Menge verrückte Aktionen durchziehen wie zum Beispiel ein Baby zu stehlen, sich streiten, wieder versöhnen und dabei an aller Not und allem Leid wachsen und zu sich finden. Auch einige wirklich berührende Szenen schmücken den Plot, der sonst vor allem auf Action, Gewissensfragen und die starken Charaktere baut. Die Szene einer Umwandlung aus der Sicht des Wandlers geschrieben, hat mich besonders berührt und ich musste einen Moment innehalten bevor ich weiter lesen konnte.


"Die Chirurgen heben etwas heraus. Er will nicht hinsehen, aber er kann nicht anders. Es ist
kein Blut da, sondern nur die sauerstoffreiche Lösung in fluoreszierendem Grün, wie
Frostschutzmittel."


Besonders hervorgehoben wird die perfide Idee durch den meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein. Neal Shusterman versteht es geschickt, uns ein umfassendes Bild der Gesellschaft zu liefern, in dem er Protagonisten aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und Lebenssituationen ihre Sichtweise schildern lässt. Lev kommt aus einer sehr gutsituierten Familie, die der Umwandlung nicht negativ gegenübersteht, Risa ist mit dem absoluten Abschaum des Landes aufgewachsen und als solchen behandelt worden und auch Connor lebte in schwierigen Verhältnissen. Der Druck, der durch die gehetzte Flucht, die immer wieder eingefädelten philosophischen Fragen und schockierende Szenen auf dem Leser wärt, ist heftiger als bei manch einem blutigen Thriller. Dadurch dass und Neal Shusterman uns kaum eine Verschnaufpause gönnt und in ruhigen Momenten geschickt die Erzählperspektive zu einem aufregenderen Schauplatz wechselt, hatte ich die Geschichte an einem Tag durchgelesen und konnte gleich zum zweiten Teil greifen.


"Wir sind keine Täter", sagt Connor." Wir sind abgehauen."
"Wir sind Schwerverbrecher", entgegnet Lev. "Was du tust, ich meine natürlich, was wir tun, ist nach den Bundesgesetzen ein Verbrechen."
"Was, Kleider stehlen?"
"Nein, uns selbst. Mit der Unterschrift unter den Umwandlungsverfügungen sind wir Eigentum des Staates geworden. Dass wir abgehauen sind, macht uns nach dem Bundesgesetz zu Verbrechern."


Erzählt wird die Geschichte immer abwechselnd aus der Sicht von den Hauptprotagonisten Connor, Risa und Lev als personale Erzähler. Das fand ich etwas schade, da ich bei diesen tiefgreifenden Charakteren gerne ihre Geschichte aus der Innensicht zum Beispiel aus der Ich-Perspektive erlebt hätte. Nichtsdestotrotz erhalten wir auf den 480 Seiten einen wundervollen Einblick in die Köpfe und Herzen der drei Wandler, die damit leben müssen, dass die Welt sie nicht wollte und sie bis zu ihrem 18. Geburtstag in Angst und Unruhe verbringen müssen. Mit wenigen Worten charakterisiert der Autor seine Protagonisten als starke Teenager, die vor allem eines sind: Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln, trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an manchen Stellen hart und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie angesiedelt und dieses hat mich wirklich sehr dazu angeregt! Es ist so unendlich schön und bitter mitzuerleben, wie die drei sich zusammen durchkämpfen und alle Seiten der Not kennenlernen. In der Mitte des Buches merkt man, dass sich der Autor sehr wohl auch Gedanken über Gruppendynamik gemacht hat und diese sehr glaubwürdig dargestellt. Wie Lev, Risa und Connor nach kurzer Zeit schon zusammenhalten obwohl sie sich am Anfang gar nicht leiden konnten, ist erstaunlich und auch sehr glaubwürdig dargestellt.


"In einer perfekten Welt wäre alles entweder weiß oder schwarz, richtig oder falsch, und jeder würde den Unterschied erkennen. Aber die Welt ist nicht perfekt. Das Problem sind die Menschen, die denken, sie wäre es."


Besonders beeindruckt hat mich die Figur Connor, der zwar jung und teils so dynamisch ist, dass er über das Ziel hinausschießt, aber der dennoch nicht bereit ist, kampflos sein Leben aufzugeben, so wenig lebenswert es in den Augen seiner Eltern oder der Gesellschaft auch sein mag. Er steht für das ein, an das er glaubt und beweist unendlich viel Mut und Tapferkeit ohne zu heldenhaft zu wirken. Es ist wunderschön mit anzusehen, wie aus dem sturen, rebellischen Problemteenager n verantwortungsvoller, aufrechter... nun ja... Held wird. Natürlich macht er am laufenden Band Fehler, handelt unüberlegt und gibt manchmal Sachen von sich, die andere verletzten, doch genau das macht seine Persönlichkeit aus. Er geht immer genau den Weg, den er für richtig hält und bleibt sich selbst treu, er ist ein aufrechter Anführer, der sich selbst zurücknimmt und seine Stärke nutzt er um anderen die helfende Hand zu reichen anstatt sie zu Boden zu drücken. Außerdem sind seine coolen Sprüche ("Hübsche Socken"), seine sarkastischen Bemerkungen und die lockeren Streitereien, die er anzettelt ein Lichtblick, der die niederschmetternde Stimmung etwas anhebt.


"Zuerst hat sich Risa Sorgen gemacht, aber mittlerweile kennt sie Connor zu gut. Er tut nur das Falsche, wenn es das Richtige ist."


Auch Risa hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Auch wenn man zu Beginn nicht so recht weiß, was man von ihr halten soll da sie nicht so offen, direkt und leicht zu lesen ist wie Connor, ist sie mir schnell ans Herz gewachsen und ich habe ihre Distanziertheit als Besonnenheit erkannt, verstanden, dass ihre Zurückhaltung eigentlich Intelligenz ist und sich ein riesiges Herz hinter ihren stillen Augen verbirgt. Durch sie kommt eine sanftere, mitfühlendere Note in die Geschichte und ihr analysierender Blick auf das Gruppengefüge hat mir den einen oder anderen Aha-Moment beschert.


"Vom Überleben auf der Straße hatte er keine Ahnung, aber Hunger macht jeden zum Überlebenskünstler."


Fast am spannendsten fand ich jedoch Levi Jedediah Calder, der sich als Zehntopfer freiwillig aus religiösen Gründen umwandeln lassen will und der auf genau diese Spende an die Gesellschaft sein ganzes Leben lang vorbereitet wurde. Dass diese Vorbereitung aber nichts anderes als eine Gehirnwäsche war, beginnt er erst zu verstehen als er auf der Flucht dazu gezwungen ist, selber zu denken und einen Überlebenstrieb zu entwickeln. Seine Entwicklung vom naiven, gottgläubigen Zehntopfer, der die Umwandlung als seine Bestimmung ansieht, zum zähen Überlebenskünstler, der vom Hass auf seine Eltern und den Staat zu Gräueltaten angetrieben wird, ist wohl die heftigste der Geschichte. Da er noch so jung ist und viel zerbrechlicher als die anderen wirkt, hat er in jedem Moment das absolute Mitgefühl des Lesers und wir müssen ihm fast alles was er tut verzeihen.


"Risa würde am liebsten aufstehen und gehen. Noch jetzt, am Ende ihres Lebens, gibt es diese eine, unvermeidliche Frage: Was taugst du?"


Auch alle Nebencharaktere sind authentisch und hinterlassen einen bleibenden Eindruck auch wenn sie nur eine sehr kurze Rolle spielen. In diesem Buch tauchen so viele Leute auf, die alle nur in wenigen Sätzen charakterisiert werden, was aber vollkommen ausreicht. Jeder der irgendwie auftaucht, seine Rolle spielen darf und schließlich wieder verschwindet, scheint sich perfekt in das komplexe Gebilde von Neal Shusterman einzufügen. Roland zum Beispiel fand ich einen super Charakter, da er zwar klar als "Der Böse" hingestellt wurde, andererseits aber auch ein armes Opfer der Regierung war, die ihm genauso an den Kragen wollte wie auch Lev, Risa und Connor. Ein ganz besonderer Nebencharakter ist auch der junge, dunkelhäutige Cy-Fi, den Lev auf seiner Flucht trifft. Der arme Junge hat nach einem Unfall den rechten Schläfenlappen eines Wandlers transplantiert bekommen und trägt jetzt fremde Gefühle und Erinnerungen in sich, die manchmal Überhand nehmen und ihn zu ungewollten Taten zwingen. Es ist einfach nur traurig, wie sehr er darunter leiden muss, dass in seinem Kopf nie Frieden und Ruhe herrscht und das ist noch nicht einmal zu weit hergeholt. Auch heute schon kann es nach einer Transplantation zu Charakterveränderungen kommen.


"Wandler gingen nicht mit einem Knall, nicht einmal mit einem Winseln. Sie verloschen still wie eine Kerzenflamme, die zwischen zwei Fingern ausgedrückt wird."


Und wie in einer jeden guten Dystopie schwingt auch eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik mit. Vor allem geht es hier um die populäre Frage ob eine Abtreibung moralisch, rechtlich und gesellschaftlich gerechtfertigt ist. Diese Problematik, bei der gerade in den USA die Fronten der Befürworter und der Gegner sehr verhärtet sind, wird hier auf äußerst erschreckende und augenöffnende Art und Weise auf die Spitze getrieben. Dabei behält er es sich vor, nicht direkt auf die Frage zu antworten sondern vor allem auf die Brisanz und die Blindheit der Diskussion hinzuweisen. Dabei stellt er auch die Autorität und Legitimation von Gesetzen in Frage. Ist es Unrecht sich gegen ein Gesetz zu wenden, das Eltern und Erziehungsberechtigten erlaubt, unerwünschte und störende Jugendliche zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr nachträglich abzutreiben? Muss man sich an das Gesetzt halten auch wenn es falsch ist? Und woher weiß man, dass nicht man selbst falsch liegt?


"Nichts anderes ist das Gesetz: wohlbegründete Vermutungen darüber, was richtig und was falsch sein könnte"


Aber es bleibt nicht nur die Frage nach der Moral, sondern auch nach dem Sitz der Seele und deren Verbleib beim Umwandeln. Denn wie Hayden mal fragte: "Aber wenn jeder Teil von dir am Leben ist", sagt Hayden, "nur eben in jemand anderem ... lebst du dann, oder bist du tot?" Die Wandler stellen sich immer wieder die Frage, ob sie - das was sie ausmacht oder ihr Bewusstsein - noch da sind, wenn sie umgewandelt werden. Außerdem werden immer wieder Spuren von Diskussionen über Gott und Gerechtigkeit miteingefädelt. Die naive aber doch ernsthafte Art und Weise wie die Protagonisten sich mit ihrem bevorstehenden Tod auseinandersetzen hat mich sehr beeindruckt und ich habe mir selbst folgende Frage gestellt:


"Was ist euch lieber: Sterben oder umgewandelt zu werden?
Jetzt weiß er es endlich. Vielleicht wollte er genau das. Vielleicht hat er Roland deshalb bis aufs Blut gereizt. Weil er lieber von wütender Hand umgebracht als mit kühler Gleichgültigkeit zerlegt werden will."


Doch die Kleinigkeit, die die Geschichte wirklich schlimm macht, ist der wahre Kern. Die Linie zwischen Fiktion und Realität ist gar nicht so klar, wie man nach dem abartigen Klapptext vielleicht annimmt. Einige der Kurzartikel, die dem Beginn eines neuen Textteils unterstehen sind nicht erfunden und erzählen eine grausame Geschichte. Denn ja es gibt einen Schwarzmarkt, auf dem mit Organen gehandelt wird, die durch Entführungen und Bestechung ergaunert wurden, wie es die Teilepiraten in diesem Buch tun und, auch um die Organspende ranken sich düstere Geschichten. Ein Beispiel dafür ist der Fall in Mosambik, in dem Waisenkindern Organe wie Augen, Leber und Herz entnommen wurden. Das im Buch angeführte "Storchen" ist ebenfalls nicht so unrealistisch. Bevor es möglich war abzutreiben, gab es ein sehr großes Problem mit ausgesetzten Kindern. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in manchen europäischen Städten bis zu 30 % der geborenen Kinder in Findelhäusern abgegeben. Und auch, das der Abschaum der Bevölkerung als Organbank dienen soll ist keine komplett abwegige Idee. In China dienten zum Tode Verurteilte als Organspender, ob sie wollten oder nicht. Mehr als die Hälfte aller gespendeten Organe stammten von ehemaligen Häftlingen. Vielleicht weicht unsere Welt also gar nicht so weit von dieser Dystopie ab. Auch der medizinische Fortschritt in Transplantationen und Organspende scheint realistisch. Neal Shusterman selbst meinte in einem Interview, er wäre auf die Idee dieses Buches gekommen nachdem er einen Artikel eines Mediziners gelesen hatte, welcher meinte, dass in Zukunft 100% des Menschen "wieder verwendbar" seien.


"Aus mir wäre ohnehin nicht viel geworden, jetzt habe ich statistisch gesehen eine Chance, dass wenigstens ein Teil von mir irgendwo in der Welt große Bedeutung erlangt. Ich wäre lieber teilweise bedeutend als vollkommen nutzlos"


Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Ich würde das Buch aber erst Lesern ab 16 oder 18 Jahren empfehlen. Alles andere ist meiner Ansicht nach viel zu früh um mit diesem doch sehr schwierigen Thema fertig zu werden oder es wirklich ganz zu verstehen. Das Ende führt alle Stränge geschickt und zufriedenstellend zusammen, sodass man die Geschichte als Einzelband lesen könnte. Wer die Welt aber noch nicht so schnell verlassen und noch mehr von Connor, Lev und Risa lesen will, dem kann ich es dringend ans Herz legen, die drei weiteren Teile zu lesen.


"Bitte...", sagt der Junge.
Bitte was? Bitte verstoßen Sie gegen das Gesetz? Bitte bringen Sie sich selbst und die Schule in Gefahr? Aber nein, das ist es nicht, ganz und gar nicht. Eigentlich sagt er: Bitte seien Sie ein Mensch. Das Leben ist so voller Regeln und Zwänge, dass man das leicht vergisst."




Fazit:

Ein erschütternd reales Zukunftsszenario das einen umwerfenden Auftakt zu der Dystopie des Jahres darstellt. Für Science-Fiction-Liebhaber und jeden anderen Leser und Nichtleser auf dieser Welt auf der Suche nach einer berührenden Message ein absolutes Muss! Erschüttert, berührt, verstört und begeistert!

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Veröffentlicht am 23.10.2021

Ein intelligenter Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen...

Game Changer – Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen
0

Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit ...

Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit "Game Changer" hat er mal wieder eine originelle Grundidee gesellschaftskritisch und intelligent umgesetzt und einen spannenden Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen geschrieben.

Das Cover zeigt verschwommenen Kopf eines Jugendlichen, der sich vor einem knall-orangenen Hintergrund in Staub auflöst. Zusätzlich zum weißen Titel in Großbuchstaben weisen stürzende schwarze Silhouetten darauf hin, auf welche Art und Weise der Protagonist hier zum "Game Changer" wird: durch zum Teil unkontrollierte Sprünge in fremde Dimensionen, die mal mehr und mal weniger von unserer Realität abweichen. Ob blaue Stoppschilder, die zu mehr Unfällen führen oder der Wiedereinführung der Rassentrennung - die Welt, wie Ash sie kennt ist schon bald nicht mehr wiederzuerkennen und wenn er nicht das gesamte Universum in Chaos stürzen will, muss schnell eine Anleitung für die merkwürdige Mittelpunkt-des-Universums-Sache her. Gut, dass Hilfe in Form von geklonten Skatern naht, welche man übrigens auch in einer Comic-artigen Zeichnung in den Innenseiten der Buchdeckel sehen kann. Die Edwards erklären ihm, dass er vorübergehend zum "Subjective Locus" geworden ist, welcher entscheidet, welche ungenutzen Möglichkeiten der Zukunft und der Vergangenheit zur Wirklichkeit werden. Klingt erstmal ganz vielversprechend, denn Ash hätte auch schon einige Ideen, die Welt zu verbessern. Aber wie der Untertitel schon verrät: "Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen"...


Erste Sätze: "Ihr werdet mir nicht glauben. Ihr werdet sagen, ich hätte den Verstand verloren oder zu viele Gehirnerschütterungen erlitten. Vielleicht denkt ihr auch, dass ich Euch hochnehmen will und ihr das Opfer eines ausgefuchsten Streiches seid. Das ist okay. Glaubt, was ihr wollt, wenn es euch beim Einschlafen hilft. Denn so machen wir das doch, oder? Wir bauen uns wie kleine Spinnen ein Netz aus bequemer Realität, an das wir uns klammern, um durch die schlimmsten Tage zu kommen."


Dass Neal Shusterman mit "Game Changer" nicht ganz an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen kann, war mir schon nach wenigen Seiten klar. Anders als bei Büchern wie "Kompass ohne Norden" oder "Vollendet - Die Flucht" hat es einige Kapitel benötigt, bis ich in die Geschichte eintauchen konnte. Der Autor lässt uns als Leser durch seinen Ich-Erzähler Ash zwar immer wieder direkt ansprechen und versucht, durch vorausdeutende Kommentare die Spannung anzuziehen, dabei verstrickt er sich aber in etliche Metaphern, mit denen ich nicht so viel anfangen konnte. Besonders die vielen Football-Verweise konnten mich persönlich nicht so gut abholen, da ich noch nicht einmal die Regeln des Football verstehe, geschweige denn über Positionen und Spielzüge bescheid weiß. Ich kann mir aber vorstellen, dass das bei amerikanischen Jugendlichen besser ankommt und dann die monologähnlichen Zwischensequenzen tatsächlich für einen besseren Einstieg in die Geschichte sorgen.


"Damals dachte ich, weil ich eine diverse Gruppe von Freunden hatte, könnte ich mein Kästchen für soziale Verantwortung abhaken. Als ob es für mich nicht mehr zu tun gäbe, als ein bisschen Braun an meinem Tisch zu haben. "Hautfarbe sollte keine Rolle spielen" – hat man mich immer gelehrt – und ich habe es immer geglaubt. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was sein sollte und dem was ist. Und privilegiert sein heißt, diese Kluft nicht wahrzunehmen."


Das wäre auch unbedingt sinnvoll, da auf der reinen Handlungseben erstmal erstaunlich wenig passiert. In erster Linie sehen wir dem weißen cis-Jugendlichen beim Leben zu, welches trotz der immer wieder überraschend einsetzenden Dimensionsreisen, welche durch unterschiedliche Schriftarten und das wiederkehrende Motiv einer fallenden Silhouette gekennzeichnet sind, weniger spannende Turbulenzen bereithält als erwartet. Streit mit seinem Bruder, Zukunftssorgen, eine unerwiderte Schwärmerei, Meinungsverschiedenheiten mit seinem besten Freund und Mathe-Nachhilfe sind hier statt Weltuntergang und grausamer Dystopie angesagt. Kein Wunder, dass "Game Changer" eine ganz andere Atmosphäre entfaltet als seine sonstigen Werke. Statt düster, schockierend und melancholisch ist Ashs interdimensionales Abenteuer unterhaltsam, humorvoll und mit einem selbstironischen Augenzwinkern geschrieben. Da der Schreibstil gewohnt eingängig, präzise und wunderbar zitierwürdig ist, gehe ich davon aus, dass die überraschende Leichtigkeit eine Auswirkung der Pandemie ist, während dieser der Autor das Buch verfasst hat. Denn wer will schon einen düsteren Thriller schreiben, während man selbst in einem zu leben scheint...?


"Wer sind wir wirklich? Die Wissenschaft würde uns erklären, dass wir nicht mehr sind als die Summe unserer Erfahrungen. Der Glaube würde uns sagen, dass wir ein Funke sind, der jenseits vom Drama unseres Lebens existiert. Ich habe über solche Dinge nie viel nachgedacht. Wenn Freunde in langen Nächten ganz philosophisch wurden und anfingen, darüber zu reden, dass das Universum vielleicht nur ein platt getretenes Insekt auf dem Fußboden eines viel größeren Universums war, habe ich mich nie beteiligt. Ich fand es immer sinnlos über Dinge nachtzudenken, die man eh nicht begreifen kann. Mitten in einer aktuellen metaphysischen Krise war ich mit dieser Haltung allerdings deutlich im Nachteil."


Auch wenn mir diese neue Herangehensweise gut gefällt, kommt "Game Changer" für mich aber wie gesagt lange nicht an seine Dystopien heran, da diese bezüglich Worldbuilding, Charaktertiefe und Handlungsverlauf nochmal auf einem ganz anderen Niveau sind. Beispielsweise hätten Erklärungen zum Science-Fiction-Hintergrund und der Rolle der "Edwards" für meinen Geschmack gerne noch komplexer und ausführlicher erfolgen können. Zwar verknüpft der Autor alle losen Enden sinnvoll miteinander, der etwas wirre Eindruck, verschiedene Geschichte zu lesen, während Ash unterschiedliche Leben lebt, bleibt aber dennoch bestehen. Da sich Neal Shusterman hier jedoch an ein etwas jüngeres Publikum richtet und die Science-Fiction nur als Hintergrund nutzt, um eine Botschaft zu vermitteln, ist die geringe Ausführlichkeit des Worldbuildings aber kein elementarer Mangel.


"Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, die Tür einzutreten, ist man schon erschöpft und hinkt meilenweit hinter denen her, die einfach hindurchgetänzelt sind. Hältst du das wirklich für gerecht?"


Mit der Zeit wird immer nämlich immer offensichtlicher, weshalb es trotz der geringeren Spannung eine gute Entscheidung war, die Geschichte langsamer und charakterzentrierter aufzuziehen: auf diese Art und Weise kann Ashs Entwicklung nachvollziehbar gestaltet und voll ausgekostet werden. Jene ist nämlich der Kern der Geschichte. Die Genialität von "Game Changer" entspringt diesmal nicht dem Worldbuilding, der Atmosphäre oder Zukunftsvisionen, sondern den kleinen Veränderungen in Ash Alltag und den Erkenntnissen, die er aus den unterschiedlichen Realitäten, Dimensionen und Gesellschaften zieht, in denen er zeitweise lebt. Mit jeder Reise verändert sich nämlich seine Perspektive und er muss sich gezwungenermaßen mit Themen auseinanderzusetzen, die er zuvor nur aus privilegierter Ferne beobachtet hat. Was haben Rassismus, Homophobie, Sexismus, toxische Beziehungen und das Drogengeschäft gemeinsam? Man kann erst so richtig darüber urteilen, wenn man mittendrin steckt und die Problematik an der eigenen Haut erfährt. Und so muss Ash mit jedem Perspektivwechsel seine Weltsicht überdenken, sich eigene Vorurteile eingestehen und sich damit auseinandersetzen, was Identität eigentlich ausmacht...


"Frauen wird häufig unterstellt, sie seien eitel. Sprache ist voller subtiler Kränkungen. Als Frauen wird von uns erwartet, dass wir uns anmalen, um einer sozialen Norm zu entsprechen - und dann wird uns genau das als Eitelkeit ausgelegt. Als Typ hatte ich nie darüber nachgedacht. Ich hätte gesagt, das sei lächerlich. Total unwichtig. Aber das ist es nicht. Und wisst ihr was? Es geht nicht nur um Frauen, es geht um jeden Menschen. Sprache stupst und schiebt uns fast unbemerkt in Hunderte Richtungen, die wir nicht erkennen, bis der einzige Ausweg, auf seine Worte zu achten, das Schweigen ist."


Auch wenn der Autor angesichts der vielen Themen nicht die Zeit findet, auf einzelne genauer einzugehen, kommt die Message eindeutig an: die Welt ist wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick scheint und alles hängt von der Perspektive ab, aus der man sie betrachtet. Zusammen mit dem Hauptprotagonisten müssen auch wir Leser uns immer wieder hinterfragen, ob wir uns unserer Privilegen überhaupt bewusst sind und wie tolerant und offen wir der Welt tatsächlich gegenüberstehen. Und was könnte in diesen Zeiten wichtiger sein als dieser Denkanstoß...?



Fazit:


"Game Changer" entpuppte sich überraschenderweise statt als spannendes Science-Fiction-Abenteuer, mehr als intelligenter Sozialthriller, welcher gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Diskriminierung, Privilegien und die Wichtigkeit der eigenen Perspektive in den Fokus nimmt. Um an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen zu können, geht Neal Shusterman aber zu wenig auf das Worldbuilding, die Nebenfiguren und die inhaltlichen Fragen ein.

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Veröffentlicht am 23.10.2021

Ein intelligenter Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen...

Game Changer – Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen
0

Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit ...

Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit "Game Changer" hat er mal wieder eine originelle Grundidee gesellschaftskritisch und intelligent umgesetzt und einen spannenden Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen geschrieben.

Das Cover zeigt verschwommenen Kopf eines Jugendlichen, der sich vor einem knall-orangenen Hintergrund in Staub auflöst. Zusätzlich zum weißen Titel in Großbuchstaben weisen stürzende schwarze Silhouetten darauf hin, auf welche Art und Weise der Protagonist hier zum "Game Changer" wird: durch zum Teil unkontrollierte Sprünge in fremde Dimensionen, die mal mehr und mal weniger von unserer Realität abweichen. Ob blaue Stoppschilder, die zu mehr Unfällen führen oder der Wiedereinführung der Rassentrennung - die Welt, wie Ash sie kennt ist schon bald nicht mehr wiederzuerkennen und wenn er nicht das gesamte Universum in Chaos stürzen will, muss schnell eine Anleitung für die merkwürdige Mittelpunkt-des-Universums-Sache her. Gut, dass Hilfe in Form von geklonten Skatern naht, welche man übrigens auch in einer Comic-artigen Zeichnung in den Innenseiten der Buchdeckel sehen kann. Die Edwards erklären ihm, dass er vorübergehend zum "Subjective Locus" geworden ist, welcher entscheidet, welche ungenutzen Möglichkeiten der Zukunft und der Vergangenheit zur Wirklichkeit werden. Klingt erstmal ganz vielversprechend, denn Ash hätte auch schon einige Ideen, die Welt zu verbessern. Aber wie der Untertitel schon verrät: "Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen"...


Erste Sätze: "Ihr werdet mir nicht glauben. Ihr werdet sagen, ich hätte den Verstand verloren oder zu viele Gehirnerschütterungen erlitten. Vielleicht denkt ihr auch, dass ich Euch hochnehmen will und ihr das Opfer eines ausgefuchsten Streiches seid. Das ist okay. Glaubt, was ihr wollt, wenn es euch beim Einschlafen hilft. Denn so machen wir das doch, oder? Wir bauen uns wie kleine Spinnen ein Netz aus bequemer Realität, an das wir uns klammern, um durch die schlimmsten Tage zu kommen."


Dass Neal Shusterman mit "Game Changer" nicht ganz an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen kann, war mir schon nach wenigen Seiten klar. Anders als bei Büchern wie "Kompass ohne Norden" oder "Vollendet - Die Flucht" hat es einige Kapitel benötigt, bis ich in die Geschichte eintauchen konnte. Der Autor lässt uns als Leser durch seinen Ich-Erzähler Ash zwar immer wieder direkt ansprechen und versucht, durch vorausdeutende Kommentare die Spannung anzuziehen, dabei verstrickt er sich aber in etliche Metaphern, mit denen ich nicht so viel anfangen konnte. Besonders die vielen Football-Verweise konnten mich persönlich nicht so gut abholen, da ich noch nicht einmal die Regeln des Football verstehe, geschweige denn über Positionen und Spielzüge bescheid weiß. Ich kann mir aber vorstellen, dass das bei amerikanischen Jugendlichen besser ankommt und dann die monologähnlichen Zwischensequenzen tatsächlich für einen besseren Einstieg in die Geschichte sorgen.


"Damals dachte ich, weil ich eine diverse Gruppe von Freunden hatte, könnte ich mein Kästchen für soziale Verantwortung abhaken. Als ob es für mich nicht mehr zu tun gäbe, als ein bisschen Braun an meinem Tisch zu haben. "Hautfarbe sollte keine Rolle spielen" – hat man mich immer gelehrt – und ich habe es immer geglaubt. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was sein sollte und dem was ist. Und privilegiert sein heißt, diese Kluft nicht wahrzunehmen."


Das wäre auch unbedingt sinnvoll, da auf der reinen Handlungseben erstmal erstaunlich wenig passiert. In erster Linie sehen wir dem weißen cis-Jugendlichen beim Leben zu, welches trotz der immer wieder überraschend einsetzenden Dimensionsreisen, welche durch unterschiedliche Schriftarten und das wiederkehrende Motiv einer fallenden Silhouette gekennzeichnet sind, weniger spannende Turbulenzen bereithält als erwartet. Streit mit seinem Bruder, Zukunftssorgen, eine unerwiderte Schwärmerei, Meinungsverschiedenheiten mit seinem besten Freund und Mathe-Nachhilfe sind hier statt Weltuntergang und grausamer Dystopie angesagt. Kein Wunder, dass "Game Changer" eine ganz andere Atmosphäre entfaltet als seine sonstigen Werke. Statt düster, schockierend und melancholisch ist Ashs interdimensionales Abenteuer unterhaltsam, humorvoll und mit einem selbstironischen Augenzwinkern geschrieben. Da der Schreibstil gewohnt eingängig, präzise und wunderbar zitierwürdig ist, gehe ich davon aus, dass die überraschende Leichtigkeit eine Auswirkung der Pandemie ist, während dieser der Autor das Buch verfasst hat. Denn wer will schon einen düsteren Thriller schreiben, während man selbst in einem zu leben scheint...?


"Wer sind wir wirklich? Die Wissenschaft würde uns erklären, dass wir nicht mehr sind als die Summe unserer Erfahrungen. Der Glaube würde uns sagen, dass wir ein Funke sind, der jenseits vom Drama unseres Lebens existiert. Ich habe über solche Dinge nie viel nachgedacht. Wenn Freunde in langen Nächten ganz philosophisch wurden und anfingen, darüber zu reden, dass das Universum vielleicht nur ein platt getretenes Insekt auf dem Fußboden eines viel größeren Universums war, habe ich mich nie beteiligt. Ich fand es immer sinnlos über Dinge nachtzudenken, die man eh nicht begreifen kann. Mitten in einer aktuellen metaphysischen Krise war ich mit dieser Haltung allerdings deutlich im Nachteil."


Auch wenn mir diese neue Herangehensweise gut gefällt, kommt "Game Changer" für mich aber wie gesagt lange nicht an seine Dystopien heran, da diese bezüglich Worldbuilding, Charaktertiefe und Handlungsverlauf nochmal auf einem ganz anderen Niveau sind. Beispielsweise hätten Erklärungen zum Science-Fiction-Hintergrund und der Rolle der "Edwards" für meinen Geschmack gerne noch komplexer und ausführlicher erfolgen können. Zwar verknüpft der Autor alle losen Enden sinnvoll miteinander, der etwas wirre Eindruck, verschiedene Geschichte zu lesen, während Ash unterschiedliche Leben lebt, bleibt aber dennoch bestehen. Da sich Neal Shusterman hier jedoch an ein etwas jüngeres Publikum richtet und die Science-Fiction nur als Hintergrund nutzt, um eine Botschaft zu vermitteln, ist die geringe Ausführlichkeit des Worldbuildings aber kein elementarer Mangel.


"Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, die Tür einzutreten, ist man schon erschöpft und hinkt meilenweit hinter denen her, die einfach hindurchgetänzelt sind. Hältst du das wirklich für gerecht?"


Mit der Zeit wird immer nämlich immer offensichtlicher, weshalb es trotz der geringeren Spannung eine gute Entscheidung war, die Geschichte langsamer und charakterzentrierter aufzuziehen: auf diese Art und Weise kann Ashs Entwicklung nachvollziehbar gestaltet und voll ausgekostet werden. Jene ist nämlich der Kern der Geschichte. Die Genialität von "Game Changer" entspringt diesmal nicht dem Worldbuilding, der Atmosphäre oder Zukunftsvisionen, sondern den kleinen Veränderungen in Ash Alltag und den Erkenntnissen, die er aus den unterschiedlichen Realitäten, Dimensionen und Gesellschaften zieht, in denen er zeitweise lebt. Mit jeder Reise verändert sich nämlich seine Perspektive und er muss sich gezwungenermaßen mit Themen auseinanderzusetzen, die er zuvor nur aus privilegierter Ferne beobachtet hat. Was haben Rassismus, Homophobie, Sexismus, toxische Beziehungen und das Drogengeschäft gemeinsam? Man kann erst so richtig darüber urteilen, wenn man mittendrin steckt und die Problematik an der eigenen Haut erfährt. Und so muss Ash mit jedem Perspektivwechsel seine Weltsicht überdenken, sich eigene Vorurteile eingestehen und sich damit auseinandersetzen, was Identität eigentlich ausmacht...


"Frauen wird häufig unterstellt, sie seien eitel. Sprache ist voller subtiler Kränkungen. Als Frauen wird von uns erwartet, dass wir uns anmalen, um einer sozialen Norm zu entsprechen - und dann wird uns genau das als Eitelkeit ausgelegt. Als Typ hatte ich nie darüber nachgedacht. Ich hätte gesagt, das sei lächerlich. Total unwichtig. Aber das ist es nicht. Und wisst ihr was? Es geht nicht nur um Frauen, es geht um jeden Menschen. Sprache stupst und schiebt uns fast unbemerkt in Hunderte Richtungen, die wir nicht erkennen, bis der einzige Ausweg, auf seine Worte zu achten, das Schweigen ist."


Auch wenn der Autor angesichts der vielen Themen nicht die Zeit findet, auf einzelne genauer einzugehen, kommt die Message eindeutig an: die Welt ist wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick scheint und alles hängt von der Perspektive ab, aus der man sie betrachtet. Zusammen mit dem Hauptprotagonisten müssen auch wir Leser uns immer wieder hinterfragen, ob wir uns unserer Privilegen überhaupt bewusst sind und wie tolerant und offen wir der Welt tatsächlich gegenüberstehen. Und was könnte in diesen Zeiten wichtiger sein als dieser Denkanstoß...?



Fazit:


"Game Changer" entpuppte sich überraschenderweise statt als spannendes Science-Fiction-Abenteuer, mehr als intelligenter Sozialthriller, welcher gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Diskriminierung, Privilegien und die Wichtigkeit der eigenen Perspektive in den Fokus nimmt. Um an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen zu können, geht Neal Shusterman aber zu wenig auf das Worldbuilding, die Nebenfiguren und die inhaltlichen Fragen ein.

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