Nicht in 54 Minuten lesbar, dennoch fesselnd trotz Schwächen!
54 MinutenInhalt:
Ein Tag wie jeder andere an der Opportunity in Alabama. Alle Schüler befinden sich in der Aula, zum Start des neuen Halbjahres. Plötzlich geht die Tür auf und schließt sich wieder. Niemand kommt ...
Inhalt:
Ein Tag wie jeder andere an der Opportunity in Alabama. Alle Schüler befinden sich in der Aula, zum Start des neuen Halbjahres. Plötzlich geht die Tür auf und schließt sich wieder. Niemand kommt mehr raus. Und Tyler beginnt zu schießen ...
Es gibt mehr im Leben als diese Wände hier, und Tyler kann nicht alles zerstören.
(Sylv, Seite 154)
Autorin:
Marieke Nijkamp, geboren 1986 in den Niederlanden, ist ihr ganzes Leben lang fasziniert von Geschichten, Sprachen und Ideen. Sie studierte Geschichte und Philosophie und spricht mehr als zehn Sprachen. 2016 veröffentlicht Nijkamp ihren Debütroman, „54 Minuten“. Dieser handelt von einem Amoklauf und spielt an einer High School in den USA. Dort erscheint das Buch unter dem Titel „This Is Where It Endes“ und wird ein Mega-Erfolg, der über ein Jahr lang auf den Bestsellerlisten steht. Ein großes Anliegen der Autorin ist die Diversität in Büchern und sie selbst trägt aktiv dazu bei, dass es mehr diverse Charaktere in Jugendliteratur gibt. Marieke Nijkamp lebt und schreibt weiterhin in den Niederlanden.
Übersetzerin:
Mo Zuber
Bewertung:
Das Cover ist ein Eyecatcher und unheimlich zugleich. Passender geht es nicht, wäre da nicht der unnötige Untertitel. Warum müssen die deutschen Verlage immer übertreiben? Alleine der Titel mit dem Foto lässt Gänsehaut aufkommen.
Schreibstil ist meistens flüssig, hat aber auch was verschleiertes. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Autorin Gedichte schreibt. Manchmal wirkt ihr Stil unterschwellig schwer fassbar. Das Buch las sich aber sehr schnell, innerhalb von zwei Tagen.
Die Handlungen sind recht gemischt; von logisch bis unrealistisch ist einiges dabei. Für ein so wichtiges und sensibles Thema hat die Autorin leider nicht tiefgreifend erzählt. Im Grunde stimmt auch der Titel nicht ganz, denn der Amoklauf dauert keine 54 Minuten. Die Befreiung und was dann kommt, wird in die Zeit miteingerechnet. ja, Popelzählerei, aber dennoch faktisch falsch. Die Perspektiven von vier Schülern werden vorgestellt, die sich in ihrer Erzählung abwechseln. Hier wird es auch etwas unklar, wer manchmal wen meint. Auch über unrealistische Handlungen musste ich den Kopf schütteln. Da fällt eine besonders ins Auge; die Kinder haben eine Chance hinter Tylers Rücken minutenlang zu fliehen, ohne dass er was mitbekommt??? Sorry, aber das ist Blödsinn! Kein Täter stellt sich minutenlang mit dem Rücken vor einer Masse, die ihn ja überwältigen könnte ... kopschüttel
Diese Charaktere sind alle ineinander verworren; der eine ist der Bruder der anderen, der wiederum war mal mit der besten Freundin der Schwester liiert ... usw. Dabei werden gerne einfach Namen eingeworfen, die erst später für uns Leser sichtbar werden. Besonders hat mich eine Erzählung irritiert, die von jemanden stammen sollte, was gar keinen Sinn ergab! Da habe ich dann gemerkt, dass das ein Druckfehler ist. Statt dem Schüler Thomás müsste die Schülerin Autumn stehen. Das hat mich etwas aus dem Lesefluss geworfen.
Zusätzlich fand ich die Tweeds aus den sozialen Medien wirr und willkürlich reingesetzt. Fragezeichen, Fragezeichen ... Was soll das? Erstens sind sie irgendwie gar nicht zusammenhängend. Zweitens sind sie schlecht erstellt; man weiß gar nicht, in welcher Plattform sie stehen und wer da immer wieder schreibt, da sind zum Teil keine Namen angegeben oder bruchhaftes kommentiert. Sehr kontraproduktiv für die Geschichte. Die Idee ist sehr gut, denn soziale Medien gehören ja nun zu unserem Leben, da wäre es unrealistisch, wenn die Autorin diese nicht beachtet hätte. Aber in dieser Art und Weise ergeben sie keinen Sinn! Dann hätte sie diese Tweeds gleich rauslassen sollen.
Die Charaktere bleiben etwas blass, besonders Tyler, der Schütze. Es werden überwiegend die typischen Klischees bedient; Einsamkeit, depressive Verstimmungen des Täters, Verlust der Mutter etc. Ist ja auch nicht falsch, die Realität bestätigt das ja oft genug. Aber hier hätte die Autorin mehr daraus machen können und mehr in die Tiefe von Tyler eindringen müssen, um sein Motiv verständlich zu transportieren. Was genau ist sein Motiv? Immer wieder werden Gründe eingestreut, aber nicht richtig auseinandergenommen. Und genau das müsste eigentlich getan werden, um eine Verbindung zum Täter und zur Tat aufzubauen. Die Autorin geht nicht tiefer in die Beweggründe ein.
Die anderen Hauptcharaktere, die im Mittelpunkt der Geschehnisse stehen, hätten besser ausgereift werden können, sind aber besser gestellt worden als Tyler. Sehr schlecht finde ich die überspitzen Handlungen mancher dieser Charaktere. Die Autorin hat die meisten Schüler sehr heroisch und altruistisch dargestellt. Wenn dem in der Realität wirklich so wäre, dann hätten wir eine ganz andere Gesellschaft - eine viel bessere. Da werden so manche Handlungen unrealistisch und bescheuert unnötig. Vor allem das Ende ist künstlich dramatisiert.
Fazit:
Oft verwechseln wir Menschen das Tatverständnis mit Billigung, weil wir unsere Gefühle über die Logik stellen. Aber es ist nun mal sehr wichtig, auch bei solch sensiblen Taten einen kühlen Kopf zu behalten und die Sachlage faktisch auszuwerten. Wir wollen verstehen, wieso jemand so etwas tut, ertragen aber gleichzeitig die Beweggründe nicht. Ziemlich konträr, oder? Ich selbst gerate oft zwischen solchen Fronten, weil ich sehr mit dem Kopf denke und eine Lage sachlich beurteilen möchte. Wenn wir nur nach unseren Gefühlen leben und handeln, dann können wir auch nicht solchen Taten entgegenwirken. Nur wer versteht, kann wirken. Dies ist hier leider nicht richtig gelungen, sehr schade!
Insgesamt liest sich das Buch sehr schnell und wartet auch mit Spannung auf durch den Perspektivwechsel, aber die Charaktere und die Handlungen sind die größten Schwächen hier, und die wichtigsten Punkte in einer Geschichte. Daher vergebe gute ich 3,5 Sterne, da das Thema trotz allem aufgegriffen wird und nachwirkt. Das ist ebenfalls wichtig in einer Geschichte.