Erschreckend, unheimlich, schockierend, einnehmend, lehrend ...
Scythe – Die Hüter des TodesInhaltserzählung:
In den Tagen, als das digitale Netzwerk der Welt noch Cloud genannt wurde, dachten die Menschen, es wäre eine schlechte Idee, einer künstlichen Intelligenz zu viel Macht zu geben. Aber ...
Inhaltserzählung:
In den Tagen, als das digitale Netzwerk der Welt noch Cloud genannt wurde, dachten die Menschen, es wäre eine schlechte Idee, einer künstlichen Intelligenz zu viel Macht zu geben. Aber dann entwickelte sich die Cloud zum Thunderhead und wurde von einem Funken Bewusstsein oder zumindest einem erstaunlichen Faksimile desselben beseelt. Der Thunderhead wusste buchstäblich alles. Er schaffte Jobs, er kleidete die Armen, und er etablierte den Welt-Kodex. Damit war das Gesetz das erste Mal in der Geschichte nicht nur ein Schatten von Gerechtigkeit, es war Gerechtigkeit. Der Thunderhead gab uns eine perfekte Welt. Das Utopia, von dem unsere Vorfahren nur träumen konnten, ist unsere Realität. Nur über eine Sache gab man dem Thunderhead keine Macht. Das Scythetum.
Als entschieden wurde, dass Menschen sterben mussten, um die Welle des Bevölkerungswachstums abzuschwächen, wurde ebenfalls entschieden, dass dies in der Verantwortung der Menschen liegen musste. Brückenreparaturen und Stadtplanung konnten vom Thunderhead geregelt werden, aber ein menschliches Leben zu nehmen war ein Akt des Gewissens und des Bewusstseins. Und da nicht bewiesen werden konnte, dass der Thunderhead über das eine oder andere verfügte, wurde das Scythtum geboren. Ich bedaure diese Entscheidung nicht, doch ich frage mich oft, ob der Thunderhead die Sache besser gemacht hätte.
Wir müssen von Rechts wegen Buch führen über die Unschuldigen, die wir töten. Es beginnt mit dem ersten Tag unserer Lehre - aber offiziell nennen wir das nicht töten. Diese Bezeichnung ist gesellschaftlich und moralisch inkorrekt. Von Anfang an und bis heute heißt es nachlesen, nach der Art, wir die Armen in biblischen Zeiten den Wegen der Weinbauern gefolgt sind, um einzelne Reben aufzulesen. Wir sind angehalten, nicht nur unsere Taten, sondern auch unsere Gefühle aufzuschreiben, weil bekannt sein muss, dass wir Gefühle haben. Bedauern, Reue, Trauer, zu groß, um sie zu ertragen. Denn wir diese Gefühle nicht hätten, was für Monster wären wir?
Aus dem Nachlese-Tagebuch der E. S. Curie
(Seite 9/10 und 69/70/71)
Autor:
In den USA gilt Neil Shusterman längst als einer der Superstars unter den Jugendbuchautoren. Alle Bücher des 1962 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborenen Schriftstellers und Drehbuchautors wurden zu internationalen Bestsellern und sind vielfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt Shusterman den National Book Award for Young People’s Literature. Shusterman studierte an der University of California in Irvine Psychologie und Theaterwissenschaften. Während dieser Zeit schrieb er eine beliebte Humor-Kolumne für die Schulzeitung. Danach arbeitete er als Assistent bei einer Talentagentur in Los Angeles, wo sich ein bekannter Agent seiner annahm. Schon nach kürzester Zeit hatte Shusterman einen ersten Buchvertrag und einen Drehbuchjob.
In Deutschland wurde vor allem seine „Unwind Dystology“ bekannt, eine Sci-Fi-Serie für Jugendliche, die ab 2012 unter dem Titel „Vollendet“ erschien. In dem bedrückend realen Mehrteiler geht es um den 16-jährigen Connor, der „umgewandelt“ werden soll – das heißt, sein Körper wurde von seinen Eltern vollständig zur Organspende freigegeben. Als er Risa trifft, der ein ähnliches Schicksal blüht, müssen sich die beiden entscheiden – Flucht oder Umwandlung? In „Scythe – Die Hüter des Todes“, einer weiteren Sci-Fi-Serie, entwickelt Neil Shusterman die gruselige Vision einer scheinbar perfekten Welt. Aktuell lebt der Autor mit seinen vier Kindern in Südkalifornien.
Übersetzer:
Pauline Kurbasik ist literarische Übersetzerin von Romanen, populärwissenschaftlicher Literatur und Biografien aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche.
Kristian Lutze ist in Düsseldorf aufgewachsen. Studium der Amerikanistik, Anglistik und Germanistik in Düsseldorf, Buffalo, N.Y., und Hamburg. Anschließend Tätigkeit als Pressereferent, Autor, freier Journalist und seit Anfang der 1990er hauptberuflich Literaturübersetzer. Lebt heute in Köln und hat inzwischen mehr als hundert Romane und Sachbücher ins Deutsche übertragen.
Bewertung:
Das Cover ist mystisch und unheimlich gehalten - sehr passend zur Geschichte. Der Titel ist allein schon aussagekräftig und muss nciht erklärt werden. Sehr schön finde ich die Tagebuch-Einträge der verschiedenen Scythe, die über ihren Alltag des Nachlesens berichten. Sie bauen auch Spannung auf und machen neugierig auf den weiteren Verlauf der Geschichte.
Die Charaktere finde ich sehr gut dargestellt und ausgeschrieben. Nur einige Nebencharaktere bleiben etwas blass, was hier aber keinen Abbruch leistet. Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig bei den Hauptcharakteren wie Scythe Curie, Faraday, Goddard, sowie Anwärter Rowan und Citra. Hier sieht man die Entwicklung sehr schön und kann sich gut reinversetzen.
Die Gebote der Scythe
1. Du sollst töten.
2. Du sollst unvoreingenommen, besonnen und ohne böswillige
Absichten töten.
3. Du sollst der Familie derjenigen, die dein Kommen akzeptieren, ein Jahr Immunität gewähren sowie auch allen anderen, die du als
würdig erachtest.
4. Du sollst die Familien derjenigen töten, die sich widersetzen.
5. Du sollst zeit deines Lebens der Menschheit dienen, und deine Familie soll als Entschädigung zeit deines Lebens Immunität
genießen.
6. Du sollst in Worten und Taten ein vorbildliches Leben führen.
7. Du sollst keine Scythe außer dir selbst töten.
8. Ring und Robe sollen deine einzigen weltlichen Besitztümer sein.
9. Du sollst weder heiraten noch dich fortpflanzen.
10. Du sollst dich allein an diese Gebote halten.
(Seite 85)
Die Geschichtsidee ist richtig spannend und bringt mich zum Nachdenken. Denn so utopisch ist dieser Gedanke ja nicht, dass das Netzwerk alle Aufgaben bis auf das Töten übernimmt und übermächtig wird. Der Autor versteht es hier auch, Zweifel an das Scythesystem zu streuen, das es erlaubt, selbstständig zu entscheiden, wer nachgelesen werden soll. Richtig unheimlich, wenn ich daran denke, dass wir Menschen Gott spielen dürfen. Dass da Probleme mit dem ein oder anderen Menschen aufkommt, versteht sich ja von selbst. Dieses Problem wird hier sehr gut vermittelt, sodass ich wirklich mehrmals den Atem anhalten und den Kopf schütteln musste. Sehr irrwitzig in meinen Augen, erzählt der Autor über das alltägliche Nachlesen, als ob das so natürlich wäre wie Zähne putzen. In der Welt des Scythetums ist dies auch so. Aber ich möchte mich da nicht wiederfinden. Ich musste Alltagsaufgaben wie das Aussuchen der passenden Waffe und die Durchsetzung teilweise unfairer Regeln wie Regel 4 lesen ... geschickt erschafft der Autor eine Welt, die auf absolute Fairness und Gerechtigkeit zielt, aber alles andere als das ist.
Für mich waren an einigen Stellen viel mehr Länge als ich gebraucht hätte, jedoch konnte ich diese ruckig überlesen, da der Schreibstil die Längen gut lesbar macht. Es ist einiges vorhersehbar wie auch unvorhersehbar. Ebenso sind mir einige Passagen zu eng beschrieben, da hätte ich mir mehr Ausschweifung gewünscht. Das Ende ist geschlossen und offen zugleich - mit einem Tagebucheintrag. Es lässt sehr neugierig zurück und neue Fragen aufkommen. Die Fragen aus diesem Band werden bis zum Ende hin so gut wie alle gelöst, sodass ich nicht mit Frustration gepackten Kopf an das nächste Band gehen muss.
Fazit:
Eine unheimlich erschreckende Geschichte über ein System, dass den Menschen über den Kopf zu wachsen droht. Es schockiert, regt zum Nachdenken an und unterhält. Da es für mich nicht durchgehend hervorragend war und mir auch das gewisse Etwas noch fehlt, bekommt das Buch keine fünf, sondern vier Sterne. Empfehlen kann ich es aber alle male! Ich bin ja kein Science-Fiction-Fan, aber mir gefällt es hier, dass es nicht völlig abgedreht und auch nicht abwegig fern jeglicher Zukunft ist.
Ich finde auch, dass es eine gute Lehre über unsere Wertvorstellungen ist, daher sollte jeder über 16 Jahre es einmal gelesen haben. Wer genauer zwischen den Zeilen liest, erkennt, dass die Geschichte uns einiges lehren kann. Es ist ein Buch, das positiv für unsere Gesellschaft genutzt werden kann und sollte!
"Du schaust hinter die Fassaden der Welt, Citra Terranova. Du würdest eine gute Scythe abgeben." Citra wich entsetzt zurück. "Das würde ich nie sein wollen." "Das", sagte er, "ist die wichtigste Voraussetzung." (Seite 21)