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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.10.2019

Ein sehr gefühliges Jugendbuch verpackt als Erwachsenenliteratur

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
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1987 verliert die 14jährige June ihren geliebten Onkel Finn an die Krankheit Aids. Sie ist voller Trauer, mit der sie allein klarkommen muss. Denn mit ihrer 16jährigen Schwester verbindet sie eine Hassliebe ...

1987 verliert die 14jährige June ihren geliebten Onkel Finn an die Krankheit Aids. Sie ist voller Trauer, mit der sie allein klarkommen muss. Denn mit ihrer 16jährigen Schwester verbindet sie eine Hassliebe und ihre Eltern gehen eher rational mit Finns Tod um. Doch da gibt es noch den geheimnisvollen Toby, Finns Freund, dem ihre Mutter die Schuld an dem Tod ihres Bruders gibt. Sie verbietet June den Kontakt zu Toby, doch deren gemeinsame Trauer um den unermesslich geliebten Menschen verbindet sie.
Ganz schön ambitioniert, was die Autorin alles in diese Geschichte packt. Verlust der ersten großen Liebe, Erwachsenwerden, Geschwisterliebe, Eifersucht - ein bisschen viel selbst für die über 430 Seiten. Denn leider gelingt es ihr nicht, sich zumindest auf einen dieser Punkte richtig zu konzentrieren. Stattdessen wird von einem zum nächsten Thema gewechselt, ohne dass eines davon ernsthafter vermittelt wird. Die fünfzehnjährige June, die von ihrem zurückliegenden Jahr erzählt, verliert sich in teilweise endlosen Gefühlsbeschreibungen und wiederkehrenden Phantasiewelten, die spätestens ab der Mitte des Buches langweilig zu werden beginnen.
Die letzten knapp 80 Seiten gipfeln schlussendlich in einem dramatischen Finale, das sich in einem amerikanischem Spielfilm sicherlich gut machen würde, in dieser Geschichte jedoch übertrieben wirkt.
Schade drum, denn der eigentliche Ansatz ist nicht schlecht. Mehr Konzentration auf ein Thema (oder auch zwei) hätten dem Buch gut getan. Und es wäre vermutlich eine bessere Geschichte (nicht nur für Jugendliche) geworden.

Veröffentlicht am 06.10.2019

Ein Drama als Krimi verpackt

Hotel Cartagena
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Eine spektakuläre Geiselnahme mitten in St. Pauli: Ein Dutzend Bewaffneter hat sämtliche BesucherInnen einer Bar als Geisel genommen. Mittendrin Staatsanwältin Chastity Riley gemeinsam mit mehreren KollegInnen, ...

Eine spektakuläre Geiselnahme mitten in St. Pauli: Ein Dutzend Bewaffneter hat sämtliche BesucherInnen einer Bar als Geisel genommen. Mittendrin Staatsanwältin Chastity Riley gemeinsam mit mehreren KollegInnen, die dort zusammen einen Geburtstag feiern wollten. Forderungen scheint es keine zu geben, die Polizei kann nur warten.
Der Großteil des Buches besteht aus einer Rückschau, die erklärt, wie es zu dieser Geiselnahme gekommen ist. Ein junger Mann, der angesichts seiner miserablen Zukunftsaussichten Hamburg verließ, kehrt nach Jahrzehnten zurück um sich zu rächen. Chastity Riley, die eigentliche Hauptfigur, ist hier ein Opfer, das sich angesichts der ausweglosen Lage im Stillen mit seiner eigenen Situation auseinandersetzt.
Es ist das erste Buch von Simone Buchholz, das ich gelesen habe, aber sicherlich nicht das letzte. Der Schreibstil ist ungewohnt knapp, wirkt stellenweise fast stakkatohaft: "Dann vertrauensbildende Maßnahmen. Mehr Drinks. Im Stehen. Kokain." Um an anderer Stelle einen beinahe poetischen Eindruck zu hinterlassen: "... in ihrem Gesicht spiegelt sich die Art von Leben, die man lebt, wenn man nicht immer überall dazugehören will." Diese Widersprüchlichkeit zeichnet auch einige der Figuren dieses Romans aus, von dem ich mich scheue, ihn Krimi zu nennen. Denn es gibt keine richtige Auflösung durch Polizeiarbeit und die Verfolgung durch die Polizei ist auch eher ein Nebenschauplatz.
Doch das eigentliche Hauptthema, die Geschichte des Anführers, ist spannend und für mich überraschend erzählt, denn ich habe es mir bis fast zum Ende nicht klarmachen können, wie Alles zusammenhängt. Ein Kriminalroman der etwas anderen Art - aber gut!

Veröffentlicht am 28.09.2019

Sommer 1969 - was für eine Zeit!

Der Sommer meiner Mutter
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Wie wahrscheinlich die meisten Menschen auf der Welt fiebert der 11jährige Tobias 1969 der ersten Mondlandung entgegen. Doch für ihn ist dies nicht das einzig Aufregende in dieser Zeit: Bei ihnen daheim ...

Wie wahrscheinlich die meisten Menschen auf der Welt fiebert der 11jährige Tobias 1969 der ersten Mondlandung entgegen. Doch für ihn ist dies nicht das einzig Aufregende in dieser Zeit: Bei ihnen daheim sind nebenan neue Nachbarn eingezogen, die sich bald gut mit seinen Eltern verstehen. Und Tobias sich mit deren 13jähriger Tochter. Trotz der jeweilig sehr unterschiedlichen Ansichten vertiefen sich die Beziehungen und nicht nur Tobias macht neue Erfahrungen.
Eigentlich sind diese knapp 190 Seiten eine Tragödie, die bereits mit dem ersten Satz dargestellt wird. Doch wie es dazu gekommen ist, schildert der erwachsene Ich-Erzähler im Namen seines elfjährigen Alter Ego so abwechslungsreich und interessant, dass ich immer wieder vergessen habe, welch ein dramatisches Ende das Ganze nimmt. Vielleicht empfinden es jüngere Lesende nicht ganz so, denn vermutlich liegt es daran, dass es für mich auch eine Reise in meine Kindheit war. Ulrich Woelk lässt Tobias diese Zeit so detailgetreu beschreiben, dass ich beinahe auf jeder Seite Aha-Effekte hatte. Die typische Klein-Familie, in der die Frau Hausfrau ist, weil der Mann genug verdient und sie es nicht nötig hat zu arbeiten. Wo das Tragen einer Jeans für eine erwachsene Frau fragwürdig ist. Wo man E605 sorglos in die Obstbäume sprüht. Kaum zu glauben, dass all dies gerade einmal 50 Jahre her ist.
Tobias erzählt in kurzen Sätzen, schnörkellos und geradeheraus, so wie ich mir vorstellen kann, wie ein Junge in diesem Alter erzählen würde. Auch die Eingeengtheit seiner Mutter wird überdeutlich; wie sie gefangen ist durch die Erwartungen, die (nicht nur) ihr Sohn an sie hat und damit ihren eigenen persönlichen Wünschen nur sehr eingeschränkt gerecht werden kann. Es war keine gute Zeit für Menschen, die eine andere Vorstellung vom Leben hatten als die Mehrheit der Gesellschaft.
Insgesamt ein schönes Buch: für die Einen als Erinnerung wie es einmal war (und hoffentlich nie wieder sein wird). Und für die Anderen um zu erfahren, wie ihre Eltern aufgewachsen sind.

Veröffentlicht am 28.09.2019

Guter Plot, aber die Ausführung ...

Der Wanderer
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Zwanzig Jahre, nachdem man Sibylles Mutter tot in einem Bergsee aufgefunden hat, erhält sie ein Foto, dass große Zweifel weckt, dass es sich damals tatsächlich um einen Selbstmord handelte. Gemeinsam mit ...

Zwanzig Jahre, nachdem man Sibylles Mutter tot in einem Bergsee aufgefunden hat, erhält sie ein Foto, dass große Zweifel weckt, dass es sich damals tatsächlich um einen Selbstmord handelte. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Tony, der damals über den Fall berichtete, beginnt sie nachzuforschen, doch beide müssen feststellen, dass man sie mit allen, wirklich allen Mitteln davon abhalten möchte.
Die Geschichte hat wirklich alle Zutaten, um daraus einen spannenden Thriller zu gestalten: traumhafte Szenerie (die Südtiroler Berge), ein abgelegenes Bergdorf, mysteriöse BewohnerInnen, schlagfertige ProtagonistInnen. Doch leider verheddert sich das Ganze in einem Gestrüpp aus Mystik, Horror, Familiendrama und nicht zuletzt auch noch einer Liebesgeschichte. Dazu ist die Sprache stellenweise unpassend oder sogar sinnwidrig wie beispielsweise hier: "..., aber trotzdem die ausdrückliche Einladung beinhalteten, sich ganz unverzüglich vom Acker zu machen." Oder Tony zu Sibylle: "Geh an einen sicheren Ort, an dem du deine Wunden lecken kannst." Leider kann ich nicht beurteilen, ob dies tatsächlich dem Original entspricht oder dem ÜbersetzerInnenteam, in jedem Fall ist es nicht gelungen.
Auch Unlogiken gibt es eine Reihe, beispielsweise wie sich jemand aus einem verschlossenen Zimmer mit einer massiven Tür befreien kann. Oder "... empfahl ihm, den Schaden bei der Versicherung und der Polizei zu melden (Tony hatte es nicht getan, es wäre sinnlos gewesen) ...". Warum? Hat er seine Beiträge nicht bezahlt?
Die Auflösung bzw. ein Teil davon wirkt zudem wie das berühmte aus dem Hut gezogene Kaninchen. Nichts, aber wirklich überhaupt nichts hat auch nur in Ansätzen darauf hingewiesen und in keiner Weise mit dem bisher Geschehenen etwas zu tun.
Schade drum, da hätte wirklich was draus werden können.

Veröffentlicht am 23.09.2019

Viel zu viel für diese knapp 400 Seiten

Maschinen wie ich
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1982 - eine Welt, in der Alan Turing noch lebt und die Gesellschaft mit seiner Kreativität und Intelligenz um viele Erfindungen bereichert bzw. ihnen zum Durchbruch verholfen hat wie beispielsweise autonome ...

1982 - eine Welt, in der Alan Turing noch lebt und die Gesellschaft mit seiner Kreativität und Intelligenz um viele Erfindungen bereichert bzw. ihnen zum Durchbruch verholfen hat wie beispielsweise autonome Fahrzeuge oder lebensechte Androiden. Einen solchen 'Adam' kauft sich der 32jährige Charlie ohne zu ahnen, wie sehr sich Adam in sein Leben drängen wird.
Eine tolle Thematik, die angesichts der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) hochaktuell ist. Ausgangspunkt ist eine Liebesgeschichte, in die der Autor geschickt die Fragen nach Moral, Ethik, Gefühlen und sonstige relevante Problematiken für den Bereich der KI hineinpackt. Zwar hat auch McEwan keine endgültigen Antworten zu bieten (das wäre auch zu viel erwartet), aber er zeigt in beinahe unterhaltender Art und Weise die Schwierigkeiten auf, die sich aus dem Zusammenleben zwischen Mensch und Androiden ergeben können. Doch damit nicht genug: Aus der Liebesgeschichte heraus entwickelt sich eine Rachegeschichte, die die Frage nach Recht und Wahrheit stellt, nach Gerechtigkeit und Gesetz, was sich durch die 'Augen' einer KI völlig anders darstellt als für einen Menschen.
Fast beiläufig, dennoch stets präsent, sind die Zeitläufte in denen dieses Buch spielt. Zeitläufte, die durch die Veränderung einer 'Kleinigkeit' wie beispielsweise dem Weiterleben von Alan Turing, völlig anders ablaufen als wir sie erlebt haben. Zwar entspricht Vieles dem, was wir kennen und teilweise selbst erlebt bzw. mitbekommen haben. Aber Anderes, auch Wesentliches, hat sich in eine völlig andere Richtung entwickelt. Ein Gedankenexperiment, das deutlich macht, wie wenig es bedarf, dass das Leben eine gänzlich andere Bahn nimmt.
Und damit sich auch wirklich niemand langweilt, gibt es noch kleine und größere Exkurse in die unterschiedlichsten Themengebiete: Medizin, IT, Kunst ... Ja, der Autor verfügt über ein profundes Wissen, aus dem er für dieses Buch aus dem Vollen schöpft. Und besitzt zudem die Fähigkeit, kluge Sätze zu schreiben wie "Aber war das nicht Natur? Und zudem ein alter Hut? Männer, die Frauen für eine Naturgewalt hielten? Glich sie also eher einem kontraintuitiven euklidischen Beweis?"
So toll das Thema, so intelligent auch die Ausarbeitung - mir ist das insgesamt von Allem zu viel. Vielleicht bin ich auch nur nicht schlau genug.