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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.07.2018

Europas Hauptstadt

Die Hauptstadt
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Nach dem Lesen dieses Romans ist eines jedenfalls klar: Brüssel ist Europas Hauptstadt, hier findet man die VertreterInnen aller Nationen, die gegen- und miteinander versuchen, die Gegenwart und Zukunft ...

Nach dem Lesen dieses Romans ist eines jedenfalls klar: Brüssel ist Europas Hauptstadt, hier findet man die VertreterInnen aller Nationen, die gegen- und miteinander versuchen, die Gegenwart und Zukunft unseres Kontinents zu gestalten. Doch so unterschiedlich die Menschen dort auch sind, auf irgendeine Weise sind sie miteinander verbunden, jetzt oder durch ihre Vorfahren in der Vergangenheit. Davon handelt dieses Buch, vom Leben in dieser Hauptstadt und den zumeist unsichtbaren Fäden, die die BewohnerInnen untereinander verknüpfen.
Viele Geschichten werden hier erzählt: die des Kommissars Brunfaut, dem die Untersuchung eines Mordfalles entzogen wird; die des ehemaligen Auschwitzgefangenen David de Vriend, der in ein Altenheim umzieht; die der EU-Beamtin Fenia, die sich strafversetzt fühlt und zum ersten Mal ein Gefühl verspürt, an das sie nie glaubte; und sechs, sieben weitere Personen, die alle auf ihre Art ihre Nationen vertreten, gleichzeitig aber so europäisch sind, wie man es nur sein kann.
Robert Menasse erzählt in einem locker-leichten Plauderton mit viel (auch schwarzem) Humor und serviert einem praktisch so nebenbei viele der Probleme unserer Zeit mit teilweise umfangreichen Analysen: Flüchtlingskrise, Vergangenheitsbewältigung, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, zunehmende Medialisierung, Werteverlust usw. Das Ganze meist mit jeder Menge feiner Ironie und leichter Spöttelei, sodass ich mich trotz der ernsten Themen häufig gut amüsierte.
Einen kleinen Haken hat das Buch jedoch, wie ich finde. Durch die vielen ProtagonistInnen wechseln die Erzählstränge zwangsweise häufig und auch schnell. Liest man den Roman zügig durch, dürfte das kein Problem sein. Zieht es sich jedoch etwas hin (wie es bei mir der Fall war), kommt kein richtiger Erzählfluss auf. Die Figuren wurden mir nicht vertraut genug, sodass ich nahtlos wieder einsteigen konnte - häufig musste ich zurückblättern, wer wer war. Trotzdem war es eine unterhaltsame und stellenweise auch erhellende Lektüre.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Auf der Suche nach einem Zuhause

Blanca
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Blanca ist 15 Jahre jung und bereits einiges gewohnt in ihrem Leben. Seit sie sich erinnern kann, ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter Anna auf der Flucht - vor zu viel Nähe, Vertrautheit, Geborgenheit. ...

Blanca ist 15 Jahre jung und bereits einiges gewohnt in ihrem Leben. Seit sie sich erinnern kann, ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter Anna auf der Flucht - vor zu viel Nähe, Vertrautheit, Geborgenheit. Denn Anna will frei und ungebunden sein, keinen Pflichten und Konventionen unterworfen; was manchmal etwas schwierig ist, wenn man eine kleine Tochter hat. So lässt sie die kleine Blanca immer wieder mutterseelenallein, nur mit dem Satz: Warte hier, ich komme wieder. Mit zunehmendem Alter wird Blancas Bedürfnis nach Beständigkeit und einem Ort, an dem sie zuhause ist, immer größer und die Zusammenstöße mit ihrer Mutter immer heftiger. Nach einem besonders erbitterten Streit packt Blanca ihre Sachen und macht sich auf die Reise zu dem einzigen Ort, wo sie sich jemals geborgen und sicher gefühlt hat: eine kleine Insel in Italien.
Es ist ein Roadmovie der ganz eigenen Art. Als 15jährige allein unterwegs, irgendwann dazu ohne Geld, gelangt sie in schwierige und zeitweise auch aussichtslos wirkende Situationen. Doch das Glück scheint auf ihrer Seite zu sein, im richtigen Moment trifft sie Menschen, die es gut mit ihr meinen. Was die Geschichte jedoch so besonders macht, ist Blanca selbst, in deren Kopf die unterschiedlichsten Gedanken ohne Pause ständig kursieren. Sie stellt sich Fragen über Fragen, meist ohne Antworten, um die Welt und sich selbst zu verstehen.
Ihre Sprache wie auch ihre Handlungen wechseln zwischen kindlich unbedarft und erwachsen und mündig, sodass man manchmal fast vergessen kann, dass es sich hier um ein 15jähriges Mädchen handelt. Der Autorin gelingt es wirklich meisterhaft, den Lesenden die Gedankenwelt eines jungen Menschen nahezubringen, dem viel zu früh zu viel Verantwortung auf die jungen Schultern geladen wurde.
Blancas Schicksal wird mir sicherlich noch eine geraume Zeit im Gedächtnis bleiben, ebenso wie die Frage: Wie viele solcher Kinder gibt es noch da draußen?

Veröffentlicht am 20.07.2018

Starker Beginn, schwaches Ende

Der Sommer der Pinguine
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Fantastisch und märchenhaft beginnt dieses kleine Büchlein, dessen äußere und innere Bebilderung etwas an Sempé erinnert. Die mittelalte Mrs. Robington, Geographielehrerin im öffentlichen Dienst des Vereinigten ...

Fantastisch und märchenhaft beginnt dieses kleine Büchlein, dessen äußere und innere Bebilderung etwas an Sempé erinnert. Die mittelalte Mrs. Robington, Geographielehrerin im öffentlichen Dienst des Vereinigten Königreiches, stellt bei ihrem Besuch in London überrascht fest, dass Pinguine unbemerkt die britische Bevölkerung bereichern. Der Pinguin-Buchhändler Basil Snow offenbart ihr, wenn auch etwas widerstrebend, sein Geheimnis und bittet sie, darüber zu schweigen. Wer weiß, ob ihm und seinesgleichen sonst weiterhin ein ruhiges Dasein beschert sein wird. Mit ihrem nunmehr geschärften Blick entdeckt Mrs. Robington zu ihrer Freude auf ihrem weiteren Ausflug durch die Hauptstadt immer mehr Artverwandte von Basil Snow. Als sie kurz darauf erkennen muss, dass das Geheimnis der Pinguine in Gefahr ist, aufgedeckt zu werden, fasst sie einen Plan.
Bezaubernd und liebenswert mit einer anmutig altmodischen Sprache ist das erste Drittel des gerade einmal knapp 140 Seiten umfassenden Büchleins. Auch die schwarzweiß Illustrationen von Isabel Pin passen (meist) gut dazu - überaus entzückend beispielsweise das Bild von Basil Snow in seiner Buchhandlung. Doch leider hält der Rest der Geschichte nicht, was der Anfang erhoffen lässt. Es wird eine Reihe von weiteren Handlungssträngen aufgebaut, die für den Fortgang des Ganzen völlig unerheblich sind und einfach so im Sande verlaufen. Dazu kommen Geschehnisse, die derart unlogisch und nicht nachvollziehbar sind, dass ich beim Lesen nur noch den Kopf schüttelte. Ebenfalls betrüblich fand ich die Wesensveränderung der zu Beginn so zauberhaften Mrs. Robington, die unverständlicherweise plötzlich eine solch arrogante und hochnäsige Haltung an den Tag legt, dass mir fast die Lust am Weiterlesen verging. Und dass die titelgebenden Pinguine praktisch bloß noch am Rande auftauchen, so dass sie letztendlich nur noch den Hintergrund für die Aktivitäten der Geographielehrerin darstellen, ist ebenfalls enttäuschend.
Schade schade, es hätte eine so schöne Geschichte werden können.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Samiras grausamer Start ins Leben

Kukolka
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Es gibt Bücher, die verschlagen einem die Sprache, machen einen atemlos. Aus Begeisterung, Faszination und/oder Entsetzen. Letzteres trifft auf Kukolka zu, denn die Geschichte, die hier erzählt wird, ist ...

Es gibt Bücher, die verschlagen einem die Sprache, machen einen atemlos. Aus Begeisterung, Faszination und/oder Entsetzen. Letzteres trifft auf Kukolka zu, denn die Geschichte, die hier erzählt wird, ist so grausam, dass ich mir immer wieder wünschte, sie sei reine Phantasie. Vermutlich bleibt es bei einem frommmen Wunsch.
Die siebenjährige Samira flieht aus dem Waisenhaus, in dem sie (wie auch die anderen Kinder) eher als lästige Objekte wie als zu umsorgende Lebewesen behandelt werden. Schikanen und Schläge sind an der Tagesordnung, und als ihre beste Freundin Marina von deutschen Eltern adoptiert wird, beschließt Samira, ihr nachzureisen. Sie gerät an Rocky, der sie unter seine Fittiche nimmt, und sie, wie auch andere Kinder und Jugendliche, betteln, stehlen und arbeiten lässt, um damit sein Leben zu finanzieren. Doch Samira ist glücklich, denn endlich scheint sie frei zu sein und mit Rocky einen Menschen zu haben, der sich wirklich um sie kümmert. Mit dreizehn trifft sie Dima, einen jungen Mann, der von ihr ebenso fasziniert ist wie sie von ihm und sie tatsächlich nach Deutschland bringt. Samira scheint fast am Ziel, doch ihr Glück währt nicht lange.
Es ist eine Geschichte, wie man sie vermutlich schon unzählige Male in der Kurzversion im Fernsehen gesehen oder in irgendwelchen Zeitschriften gelesen hat. Doch hier wird das Erlebte aus der Perspektive eines betroffenen Kindes geschildert, das einen scheinbar unverrückbaren Glauben an das Gute im Leben hat - und im Menschen. Sie wird ausgebeutet, verraten und missbraucht - und dennoch bleibt sie im Grunde ihres Wesens eine Optimistin.
Bei einer derartigen Geschichte und einer solchen Heldin besteht die Gefahr, dass das Ganze schnell kippt: in eine allzu mitleidsvolle, vielleicht schon kitschige Gefühlslage. Doch der Autorin gelingt das Kunststück, die Sprache dieser Heldin so natürlich wiederzugeben, als stünde sie neben einem und würde alles direkt erzählen, ohne Bitterkeit, einfach grausam-sachlich: "Ich sollte ihn mit beiden Händen reiben. Rocky sagte, er braucht das. Das wäre das Mindeste, was ich für ihn tun kann, um ihm Schmerzen zu nehmen und damit er sich erholen kann. Er sagte, es wäre gut, wenn ich früh lerne, wie ein männlicher Körper funktioniert und wie man einem Mann Freude bereitet. Denn irgendwann würde ich einen Freund haben, und er würde enttäuscht sein von mir, wenn ich keine Erfahrung habe. Er sagte, dass er mir einen Gefallen tut, indem er mir das alles beibringt."
Keine Gute-Laune-Literatur, aber eine äußerst intensive und berührende Lektüre!

Veröffentlicht am 14.06.2018

Noch verwirrender geht es kaum - schade

Stille Feinde
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Den ersten Teil um den Privatdetektiv I.Q. habe ich mit Genuss gelesen und so freute ich mich auf die Fortsetzung. Auch dieses Mal spielt sich das Geschehen im Bandenmilieu in L.A. ab: I.Q. gerät zwischen ...

Den ersten Teil um den Privatdetektiv I.Q. habe ich mit Genuss gelesen und so freute ich mich auf die Fortsetzung. Auch dieses Mal spielt sich das Geschehen im Bandenmilieu in L.A. ab: I.Q. gerät zwischen die Fronten der asiatischen Triaden und der mexikanischen Locos Surenos 13, die beide auf der Suche nach Janine sind, einer Tochter eines hochrangigen Triadenmitgliedes, und ihrem Freund. Die Einen werden von ihnen mit gestohlenen Dokumenten erpresst, den Anderen schuldet das Pärchen Geld. Mittendrin I.Q., der gemeinsam mit seinem Partner versucht, die Beiden aus diesem Schlamassel zu befreien und so ganz nebenbei den Tod seines Bruders Marcus vor acht Jahren aufzuklären.
Es ist ein bisschen viel, was sich der geniale Isaiah da aufbürdet - und nicht nur er Auch beim Lesen wird man ganz schön gefordert: Jeder und jede ist irgendwie mit jedem und jeder verbandelt, sodass die rasanten Perspektivwechsel bei geringerer Aufmerksamkeit oder einer längeren Unterbrechung dazu führen können, schnell den Überblick zu verlieren. Die Geschichte selbst wird dadurch zu einem relativ komplexen Gebilde, das sich zwar am Ende widerspruchsfrei auflöst, doch insgesamt recht konstruiert wirkt - insbesondere das Ende.
Gefehlt hat mir zudem dieses Mal der Humor, der im ersten Teil einen bemerkenswerten Kontrast zu dem düsteren Milieu darstellte, in dem sich das Ganze abspielte.
Fazit: Nach meinem Empfinden konnte diese Fortsetzung leider nicht das Niveau des ersten Teils halten - schade.