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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.11.2016

Bayern 1920 - ein einziger Sumpf

Wintergewitter
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Es sind keine guten Zeiten, die in München (und auch dem Rest Deutschlands) im Jahre 1920 herrschen. Zwar ist der Krieg vorüber, doch Vielen fehlt das Notwendigste zum Leben: Essen, Kleidung, Heizmaterial, ...

Es sind keine guten Zeiten, die in München (und auch dem Rest Deutschlands) im Jahre 1920 herrschen. Zwar ist der Krieg vorüber, doch Vielen fehlt das Notwendigste zum Leben: Essen, Kleidung, Heizmaterial, ein Dach über dem Kopf. Und während die Einen versuchen, mit den Folgen des Krieges klarzukommen, sind Andere schon wieder dabei, Waffen zu horden und zu Mord und Totschlag aufzurufen. Inmitten dieser verworrenen Zustände muss Kommissär Reitmeyer den Mörder zweier Frauen finden, die beide kurz nacheinander ermordet aufgefunden wurden. Nicht ganz einfach für den angeschlagenen Polizeibeamten, dem Panikattacken immer wieder zu schaffen machen und der von seinen Vorgesetzten keine Hilfe erwarten kann - im Gegenteil.
Die Geschichte selbst teilt sich im Gegensatz zum ersten Band in zwei Erzählstränge: Während Kommissär Reitmeyer versucht den Mörder zu finden, ist die junge Doktorandin Gerti aus Berlin auf der Suche nach ihrer jüngeren Schwester. Dabei freundet sie sich mit einem der Mordopfer an und gerät offenbar ins Visier des Täters. Leider finde ich diese Entscheidung eines zweiten Erzählstranges nicht so gelungen, denn für meinen Geschmack beginnt das Ganze damit ziemlich auseinanderzudriften. Da gibt es Missbrauch von Minderjährigen in einem Bordell, Waffenschmuggel, Produktion von Pornos (oder auch nicht ), Überfälle mit schwerer Körperverletzung - doch aufgeklärt wird am Ende nur ein kleiner Teil. Wobei diese Lösung so knapp und nebenbei vermittelt wird, dass ich mir noch immer nicht ganz sicher bin, ob ich sie richtig verstanden habe. Trotzdem, es ist ein gut erzählter historischer Krimi, mit dessen Hilfe ich einiges Neues über Münchens Vergangenheit erfahren habe.
Denn wie bereits im ersten Teil 'Der eiserne Sommer: Reitmeyers erster Fall' ist der historische Hintergrund nicht nur schmückendes Beiwerk eines Kriminalfalles, sondern spielt eine wesentliche Rolle bei der Aufklärung der Morde. Die Autorin, die unter anderem auch Geschichte studiert hat, vermittelt sehr anschaulich und überzeugend die Stimmung, die in der bayrischen Landeshauptstadt damals vermutlich herrschte. Die bittere Armut in weiten Teilen der Bevölkerung ist ebenso erschreckend wie die Darstellung der erstarkenden Einwohnerwehren, die zunehmend ein Sammelbecken von völkischen und rechtsnationalen Extremisten wurden und ihnen missliebige Personen brutal zusammenschlugen, wenn nicht gar umbrachten.

Veröffentlicht am 04.11.2016

Leben im Ausnahmezustand

Die Welt im Rücken
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Wie kann mich ein so ungeheuerlich beklemmend machendes Buch derart begeistern? Obwohl das Thema so entsetzlich ist, dass ich immer wieder innehalten musste, konnte ich es trotzdem kaum aus den Händen ...

Wie kann mich ein so ungeheuerlich beklemmend machendes Buch derart begeistern? Obwohl das Thema so entsetzlich ist, dass ich immer wieder innehalten musste, konnte ich es trotzdem kaum aus den Händen legen. Thomas Melle berichtet von seiner manisch-depressiven Erkrankung derart eindringlich, dass ich fast meinen konnte, eine Ahnung davon zu spüren, was er erlebte und noch immer erlebt.
Schonungslos erzählt er von seinem Leben während der drei Schübe, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Darstellung seiner Person. Wie die Krankheit sein bisheriges Leben praktisch zertrümmert, bis von seinem ursprünglichen Selbst nur noch Bruchstücke vorhanden sind; wie er sich daraus wieder hervorkämpft und wieder zu Boden geht, um danach erneut vor den Trümmern dessen steht, was ihm wichtig war; wie er ganz unten landet und ihm dies erst ins Bewusstsein dringt, als es fast endgültig zu spät ist. Unglaublich, dass daraus ein Buch wie dieses entstanden ist in einer Sprache, die gleichermaßen die Kraft wie auch die Schwäche dieses Leidens so überaus intensiv darstellt.
War Bipolarität bisher eine Krankheit, über die ich gelegentlich in der Zeitung etwas gelesen habe und dann entsetzt den Kopf schüttelte ("schon schlimm"), ist sie durch diese Lektüre etwas sehr Konkretes geworden. Allen die mehr über diese Erkrankung wissen wollen als 'nur' sachliche Informationen, empfehle ich dieses Buch wärmstens.
Ich wünsche Herrn Melle von ganzem Herzen, dass er nie wieder solche Phasen durchleben muss. Und stattdessen den Roman schreibt, 'der das ganze Spektrum abdeckt'. Ich freue mich schon darauf!

Veröffentlicht am 02.11.2016

Verwirrend und grausam

Adler und Engel
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Was für eine chaotische Geschichte, die da aus einer Teenagerliebe erwächst. Es geht um Drogenhandel und -schmuggel, geschickt vermischt mit den Kriegswirren auf dem Balkan und der danach folgenden Osterweiterung ...

Was für eine chaotische Geschichte, die da aus einer Teenagerliebe erwächst. Es geht um Drogenhandel und -schmuggel, geschickt vermischt mit den Kriegswirren auf dem Balkan und der danach folgenden Osterweiterung - das sind die unschönen Beigaben einer Liebesgeschichte die keine ist. Max ist verliebt in Jessy, die aber in Scherscha - der wiederum nur an viel Geld interessiert ist, an das er über Jessy heranzukommen glaubt, deren Vater ein Drogenhändlier im großen Stil ist. Max zieht sich zurück, wird ein erfolgreicher Anwalt im Völkerrecht und begegnet Jessy wieder. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als sich der Kontakt zu seiner alten Liebe intensiviert...
Grundsätzlich keine schlechte Geschichte, wie hier das Grauen des Drogenhandels wie auch des Balkankrieges einem vor Augen geführt wird wie auf übelste Weise beides zusammengeführt wird. Doch irgendwie empfand ich die Art in der Alles zusammenhing, ziemlich konstruiert. Nichts, aber auch überhaupt nichts wurde hier dem Zufall überlassen, alles war geplant und von bösen Hintermännern in die Wege geleitet worden. Es löst sich am Ende (wenn auch nicht in Wohlgefallen) zwar alles auf und die Zusammenhänge sind klar erkennbar, doch etwas weniger Konstruktion hätte für meinen Geschmack dem Roman sehr gut getan. So bleibt es im Rückblick für mich eine recht chaotische Geschichte mit noch chaotischeren Hauptfiguren.
Sehr gut gefallen hat mir aber Anna Thalbach als Vorleserin, die Jessy für mich überdeutlich darstellte mit ihrer feinen, manchmal leicht abwesend klingenden Stimme. Auch der Part von Max gefiel mir - recht neutral, schwer zu entscheiden ob Mann oder Frau, genau richtig für diese Figur.
Alles in allem also ok - wenn man Anna Thalbach mag

Veröffentlicht am 02.11.2016

Verlorene Träume...,

Das bessere Leben
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Himmel, hatte ich Probleme mit diesem Buch! Dreimal habe ich angefangen und war kurz davor, es endgültig zur Seite zu legen. Doch beim letzten Versuch begann ich, es mir selbst laut vorzulesen. Über 50 ...

Himmel, hatte ich Probleme mit diesem Buch! Dreimal habe ich angefangen und war kurz davor, es endgültig zur Seite zu legen. Doch beim letzten Versuch begann ich, es mir selbst laut vorzulesen. Über 50 Seiten - und dann war ich drin. Endlose Sätze, die kein Ende haben und immer weiter führen. Keine echte Handlung, vielmehr Gedanken, Erinnerungen und Ortsbeschreibungen der jeweiligen Personen, die (zahlreich) immer wieder wechseln, wobei zwei Männer sich als Hauptfiguren herausbilden. Durch das laute Lesen entwickelte ich ein Gefühl für diesen Stil, der sich mir in den meisten Fällen als Selbstgespräche darstellte, die doch meist auch so ablaufen: sprunghaft, unvollständig, selten stringend an einem roten Faden entlang. Als leicht zu lesen empfand ich es zwar noch immer nicht, doch ich konnte diesen 'Gedankenflüssen' nun wesentlich besser folgen als zuvor.
Was die Personen in diesem Buch verbindet, ist der Rückblick in ihre jeweilige Vergangenheit, die geprägt waren von Idealen, Utopien, revolutionären Ideen und dem Blick auf ihr Leben jetzt: Was ist geblieben von damals? Warum? Oder besser: Warum nicht? Auch die beiden Hauptfiguren, Jochen und Sylvester, erfolgreiche Geschäftsmänner, beschäftigen sich damit auf ihre jeweils eigene Weise. Sylvester ist der abgebrühtere der Beiden, der der Vergangenheit nur wenig Aufmerksamkeit schenkt und stets nur das beste Geschäft sucht. Für ihr folgt das Leben einem vorgegebenen Plan. Doch immer wieder träumt er von der Studentin Allison, der er als junger Mann begegnete und die ihn mit ihren politischen Aktionen nachhaltig beeindruckte. Jochen hingegen, der sich in einer Umbruchphase befindet, beschleichen dagegen wiederholt Zweifel an seinem Tun ("Wer weiß, wo man angekommen wäre, hätte man vor allen Entscheidungen eine Münze geworfen und sich ohne Überlegung jedes Mal der Wilkür von Kopf oder Zahl unterworfen,..."). Mit sich im Reinen sind lediglich die, die ihren Vorstellungen und Träumen mehr oder weniger treu geblieben sind, auch wenn Geld in deren Leben keine unwichtige Rolle spielt.
Auch wenn es sehr gewöhnungsbedürftig und anstrengend zu lesen ist, vermittelt dieser besondere Schreibstil einen glaubwürdigen Einblick in die Gedankenwelt des 'Romanpersonals'. Dass Karriere und Erfolg allein einem Leben nicht unbedingt Sinn verleihen, wusste man vermutlich schon vor dem Lesen, doch wird es einem hier nochmals überzeugend vor Augen geführt.

Veröffentlicht am 02.11.2016

Georgien - wo der Mensch an erster Stelle steht

Im Himmel gibt es Coca-Cola
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Dieses Buch ist nicht ganz einfach zu beschreiben, denn so richtig viel Handlung gibt es nicht. Der Ich-Erzähler Slims, der in der georgischen Hafenstadt Batumi lebt und als Anwalt im Seerechtsministerium ...

Dieses Buch ist nicht ganz einfach zu beschreiben, denn so richtig viel Handlung gibt es nicht. Der Ich-Erzähler Slims, der in der georgischen Hafenstadt Batumi lebt und als Anwalt im Seerechtsministerium arbeitet (und seit Monaten kein Gehalt mehr erhalten hat), träumt davon, seinem geliebten Heimatland zum Aufschwung zu verhelfen: keine Korruption mehr, ständig verfügbare Elektrizität, regelmäßige Gehaltszahlungen usw. Er schreibt Briefe an Hillary Clinton und erhält daraufhin eines Tages tatsächlich eine Einladung in die USA, um sich in puncto Wirtschaft weiterbilden zu können. Doch alles läuft anders als geträumt...
Der überwiegende Teil des Buches beschreibt mehr die Gesellschaft Georgiens und seiner Bewohner als dass er einer wirklichen Handlung folgt: Es ist wirr, chaotisch, liebenswert Die genannte Handlung hangelt sich eher an einem dünnen sogenannten roten Faden entlang, der als Anlass genommen wird, weitere Beschreibungen einfließen zu lassen. Obwohl die Autorin Amerikanerin ist, gelingt es ihr meiner Meinung (ich kenne das Land nicht - leider, muss ich nach der Lektüre schreiben) sehr überzeugend, die Atmosphäre Georgiens wie auch das Besondere seiner Bewohner darzustellen. Sie lieben ihr Land - aber die Menschen noch viel mehr. Alle versuchen sich auf irgendeine Art und Weise durchzumogeln, meist mit nicht ganz legalen Mitteln, doch immer wird auch an die Anderen gedacht. Es ist ein stetes WIR, das in Georgien existiert - das ICH des Westens kennt man nicht. Für Gäste wird einfach Alles aufgefahren, sodass diese denken müssen, die Georgier leben im Überfluss.
Der Tonfall ist durchweg vergnüglich, wobei dieses Wort vermutlich falsche Erwartungen erweckt. Es ist ein unglaublich trockener Humor, mit dem beispielsweise auf Missstände hingewiesen wird und die Pointe dann schon fast wie ein Lamento klingt, ohne dass dieses wirklich ernst gemeint ist. Oder er kommt sehr unterschwellig oder auch völlig absurd daher - diejenigen, die das Offensichtliche lieben, werden mit diesem Buch nicht ganz so viel zu lachen haben.
Ich habe mich hingegen gut amüsiert, auch wenn Vieles in der Realität bestimmt nicht zum Lachen ist. In jedem Fall hat es mich sehr sehr neugierig auf Georgien bzw. auf seine Menschen gemacht. Denn wie ich in einem Reiseführer nachlesen konnte, wurden deren Beschreibungen nicht übertrieben. Unglaublich - aber ich denke, davon muss ich mich selbst überzeugen. Georgien, ich komme!