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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.07.2020

Toller Plot - aber die Ausführung ...

42 Grad
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Deutschland stöhnt und ächzt unter einer Hitzewelle, wie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie eine registriert wurde. Doch damit nicht genug, es gibt bei der Versorgung von Trinkwasser massive ...

Deutschland stöhnt und ächzt unter einer Hitzewelle, wie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie eine registriert wurde. Doch damit nicht genug, es gibt bei der Versorgung von Trinkwasser massive Probleme - alles nur Auswirkungen des extremen Sommers? Während fieberhaft nach den Ursachen gesucht wird, beginnen die Menschen aus den betroffenen Gebieten in wasserreichere Gegenden zu flüchten. Mit Sack und Pack machen sich Millionen auf den Weg, um daheim nicht zu verdursten und stranden häufig in Aufnahmelagern, wo sie wie Gefangene festgehalten werden.
Ein Szenario, das einem Alptraum gleicht und nach dem letzten Sommer nicht ganz unrealistisch wirkt. Was hätte das für ein nervenzerfetzender Thriller werden können, wenn, ja wenn der Autor sich etwas mehr Mühe mit seinen Figuren und seinem Erzählstil gegeben hätte. Es gibt sechs Erzählstränge mit je ein bis zwei Personen, wobei der Hydrologiestudent Julius und Datenanalystin Elsa im Vordergrund stehen. Während Elsa anhand ihrer Daten entdeckt, dass etwas nicht in Ordnung ist, kann Julius dies direkt vor Ort feststellen. Nach einem beruflichen Treffen versuchen sie gemeinsam den Dingen auf den Grund zu gehen, während andernorts Florian, der THW-Mann gegen Feuer kämpft (ha, wie witzig 😉) und Kerstin, alleinerziehende Mutter, mit ihren Kindern vor dem drohenden Verdursten flüchtet. Und da ist noch Noah, ein Wasserwerkspezialist, der bei seiner Unterstützung diverser Werke in Lebensgefahr gerät, sodass sich das BKA in Person von Sarah Hansen und Titus Belling darum kümmern. Obwohl diese Figuren völlig unterschiedlich sind, bleiben sie aufgrund der oberflächlichen Beschreibungen ziemlich konturlos und sind praktisch austauschbar. Würde man Kerstin und Elsa auswechseln oder Julius und Florian - es würde nicht weiter auffallen.
Auch mit der Sprache hapert es ziemlich: Die Dialoge sind oft derart hölzern, dass man kaum glauben kann, dass sich normale Menschen unterhalten. Zum Beispiel der Innenstaatssekretär (und zwar nicht in einer Rede): "Dann ist die schreckliche jüngste Vergangenheit bald vergessen, dann kommt die Zeit, in der wir unsere Wunden lecken und die vielen Toten betrauern können." Oder erwachsene Menschen klatschen vor Begeisterung in die Hände - ich habe da immer so ein kleines Männchen vor Augen 😉. Ganz schlimm auch der stets aufs Neue verwendete Begriff 'Bahre' anstatt Tragebahre. Ersteres ist für Tote, das sollte einem Journalisten und Schriftsteller doch bekannt sein.
Aber auch die Geschichte hat so ihre Mängel. Während die Figuren bzw. deren Handlungsstränge sich immer weiter annähern, sodass am Ende wirklich alles aufeinander trifft, verschwindet manch Angesprochenes im Nirgendwo oder ist derart überzogen, dass auch die Anreicherung des Buches mit Nachrichtenmeldungen, Interviews oder Staatsverlautbarungen das Ganze nicht glaubwürdiger macht. Was wird beispielsweise mit der schönen These, die Julius während der Fahrt auf der Autobahn entwirft? Der ganze Prolog, wofür?
Ich vermute, dass die Geschichte als Actionfilm recht gut funktionieren wird - die Filmrechte sind ja schon verkauft, wie der Autor im hinten angefügten Kurzinterview mitteilt. Aber als Buch ist '42 Grad' nur mittelmäßig.

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Veröffentlicht am 02.07.2020

Die (fast vergessenen) 'verrückten' Frauen in der Salprêtrière

Die Tanzenden
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Dass Frauen es in einer männerdominierten Gesellschaft nicht leicht haben, dürfte allgemein bekannt sein. Aber WIE schwer sie es hatten, davon haben vermutlich nur die Wenigsten eine Vorstellung. Wichen ...

Dass Frauen es in einer männerdominierten Gesellschaft nicht leicht haben, dürfte allgemein bekannt sein. Aber WIE schwer sie es hatten, davon haben vermutlich nur die Wenigsten eine Vorstellung. Wichen sie von der Norm ab oder zeigten ungebührliches Verhalten, kam dies für Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts einem Strafurteil gleich. Ihre Angehörigen liessen sie wegsperren, in Paris beispielsweise in die berühmte Salpêtrière, eine der grössten psychiatrischen Anstalten Europas, die Frauen vorbehalten war. Mit ihrem Buch 'Die Tanzenden' erinnert die Autorin Victoria Mas an diese Frauen, die von der Welt vergessen waren - und nur beim gesellschaftlichen Ereignis 'Bal des Folles' ins Bewusstsein der besseren Gesellschaft rückten.
Die wichtigsten Figuren sind Geneviève, die Hauptverantwortliche für die Kranken in ihrem Bereich, eine durch und durch rationale Person; und Eugénie und Louise, die aus sehr unterschiedlichen Gründen in der Salpêtière landeten. Genevièves kühle Rationalität wird durch die Einlieferung Eugénies schwer auf die Probe gestellt und sie beginnt ihre Umgebung mit kritischeren Augen zu betrachten.
Obwohl Männer in dieser Geschichte nur als Randfiguren erscheinen, sind sie es, die das Leben all dieser Frauen bestimmen, ob diese nun in der Salpêtrière arbeiten oder dort Patientinnen sind. Männer geben vor, was normal ist, was richtig oder falsch und eine Frau, die Kritik oder Zweifel äussert, kann nur krank sein. Kaum zu glauben, dass diese Zustände vor gerade einmal etwas mehr als 130 Jahren noch gang und gäbe waren. Victoria Mas beschreibt diese teilweise schauerlichen Verhältnisse in einer geradezu sanften und zarten Sprache, sodass der Wahnwitz dieser Anstalt sich noch deutlicher darstellt.
Ein lesenswertes Buch, das Vergessene wieder in Erinnerung bringt. Den 'Bal des Folles' hat es übrigens tatsächlich gegeben, ein bisschen was ist darüber zu finden im französischen Wiki unter 'Bal des folles à la Salpêtrière'.

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Veröffentlicht am 02.07.2020

Viele kleine Geschichten

HERKUNFT
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Wer bei diesem Buch einen Roman erwartet, eine fortlaufende Geschichte über einen Menschen oder eine Familie, wird gleich zu Beginn irritiert sein. Denn 'Herkunft' erzählt zwar von einem Menschen und seiner ...

Wer bei diesem Buch einen Roman erwartet, eine fortlaufende Geschichte über einen Menschen oder eine Familie, wird gleich zu Beginn irritiert sein. Denn 'Herkunft' erzählt zwar von einem Menschen und seiner Familie, springt dabei jedoch hin und her zwischen Zeiten, Welten, Personen. In vergleichsweise kurzen Kapiteln (meist nur 2, 3 Seiten lang) lernen wir den Herkunftsort der Stanišić' kennen, einen Großteil der Verwandtschaft sowie der Vorfahren, um gleich danach im Jahre 2018 zu landen und wieder zurück im früheren Jugoslawien.
Berichtet wird von Alltäglichem, zum Beispiel der Art des Lebens im früheren Jugoslawien, aber auch von den Schwierigkeiten, die die Familie Stanišić bewältigen musste: Flucht vor dem Bosnienkrieg, Ankunft in einem fremden Land (Deutschland) und das Zurechtfinden dort, der Versuch eines Neuanfangs. Nicht immer wird einfach erzählt, manchmal werden ganz sachlich nur Dinge aufgezählt, beispielsweise um den Großvater zu beschreiben.
Gemeinsam mit dem Autor kommt man mit jeder Seite seiner Herkunft näher, seinem Verständnis von Heimat, was sich nicht nur im früheren Jugoslawien festmachen lässt. Es ist die Verbundenheit zu Menschen und Orten zu verschiedenen Zeiten, wo man sich sicher und willkommen fühlt(e). "Fragt mich jemand, was mir Heimat bedeutet, erzähle ich vom freundlichen Grüßen eines Nachbarn über die Straße hinweg."
Durch die vielen Wechsel von Ort und Zeit lässt sich das Buch nicht so einfach lesen wie zum Beispiel 'Wie der Soldat das Grammofon repariert', aber Saša Stanišić' humorvoller Grundtenor machen es einem auch nicht allzu schwer. "Rike (seine erste Liebe) mochte kein Fleisch (ich leider schon), also wurde ich irgendwann Vegetarier. Mutter hätte mich dafür wahrscheinlich am liebsten mit Frühlingslauch erwürgt."
Es ist ein gutes Buch nicht nur über Herkunft, sondern ebenso darüber was es bedeutet, fremd zu sein, nicht dazuzugehören. Und wie wenig es im Grunde genommen braucht, eine Heimat zu haben.

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Veröffentlicht am 19.06.2020

Toll - 20 Jahre und kein bisschen altbacken

Sumpffieber
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Ich kann dem Pendragon Verlag gar nicht genug danken, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Robicheaux-Reihe wieder neu aufzulegen. Denn die Serie ist einfach grandios und dieser 10. Band macht ...

Ich kann dem Pendragon Verlag gar nicht genug danken, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Robicheaux-Reihe wieder neu aufzulegen. Denn die Serie ist einfach grandios und dieser 10. Band macht da keine Ausnahme.
In Robicheaux' Bezirk ist mal wieder der Teufel los. Zwei Brüder werden ermordet und es geht das Gerücht um, ein Auftragskiller hätte Einiges zu tun. Zudem ist Megan Flynn gemeinsam mit ihrem Bruder heimgekehrt, deren Vater vor Jahrzehnten lebendig gekreuzigt wurde; die Täter wurden nie gefasst. Der neue Gefängnisverwalter soll die Gefangenen misshandeln und ein enger Freund der Flynns scheint ein brutaler Psychopath zu sein. Selbst das FBI taucht auf ...
James Lee Burke ist bekannt für seine intensiven, bilderreichen Darstellungen des Südens der USA und das zeigt sich auch in 'Sumpffieber': "Die Wolken am östlichen Horizont waren pinkfarben und grau getönt, und der Wind bewegte leicht die Moospolster auf den abgestorbenen Zypressenstümpfen." Oder "Der Tag war blau, golden und warm, und auf dem Damm blühten noch Blumen, doch die Luft roch nach Humus und Wurzeln, die man aus feuchtem Erdreich gezerrt hatte, nach Laub, das im Brackwasser oxidiert und braun geworden war."
Doch in einem Thriller sind selbst die wunderbarsten Landschaftsbeschreibungen kaum der Rede wert, wenn es mit der Spannung hapert. Aber auch hier enttäuscht der Autor nicht. Gleich in den ersten zwei Kapiteln geht es um eine ganze Reihe Verbrechen, sodass man bei der dazugehörigen Vielzahl von Personen etwas den Überblick verlieren kann. Erstaunlicherweise ist man jedoch schnell im Bilde, wer mit wem wie zusammenhängt, auch wenn zwischendurch eventuell das Ganze wieder etwas undurchsichtig wird. Obwohl es nicht gerade wenige Handlungsstränge sind, gelingt es Burke, alle offenen Fäden wieder zu einem Ende zusammenzufügen - wenn auch nicht immer zum Gewünschten.
Der Autor hält zudem nicht mit Gesellschaftskritik hinterm Berg, doch er verpackt sie so geschickt, dass man beim Lesen (fast) ganz von selbst darauf kommt, welch unhaltbaren Zustände dort herrschen. Dass das Buch bereits vor über 20 Jahren geschrieben wurde, bleibt beinahe unbemerkt - lediglich die heutzutage allgegenwärtigen Smartphones fehlen, ansonsten könnte die Handlung ohne Einschränkungen auch im Hier und Heute stattfinden, so wenig hat sich seitdem geändert.
Und zuguterletzt ist es die Sprache, die James Lee Burkes Bücher zu einem Genuss machen. "Der Katalysator ist Angst und die Auswirkungen sind wie Kerzenwachs in einer Flamme. Der geringschätzige Zug um den Mund und die Verachtung und der Ekel in den Augen schmelzen dahin und werden durch ein selbstgefälliges Lächeln ersetzt, Zeichen der eigenen Schwäche ohne Reue, und durch die zuckersüße Affektiertheit guten Willens in der Stimme. Diese Unaufrichtigkeit ist wie das Öl, das aus jeder Pore trieft, und wie Gestank, der in den Kleidern hängenbleibt." Ein großes Lob auch an die Übersetzerin, die die vielen Nuancen im Sprachstil der einzelnen Figuren toll herausarbeitete.
Da bleibt nur noch zu schreiben: LESEN!

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Veröffentlicht am 10.06.2020

Musiker, bleib bei Deinen Noten

flüchtig
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Hubert Achleitner, der Vielen vermutlich eher unter dem Namen Hubert von Goisern bekannt sein dürfte, hat sein erstes Buch veröffentlicht, dessen Inhalt schnell erzählt ist. Maria, die Frau eines Paares, ...

Hubert Achleitner, der Vielen vermutlich eher unter dem Namen Hubert von Goisern bekannt sein dürfte, hat sein erstes Buch veröffentlicht, dessen Inhalt schnell erzählt ist. Maria, die Frau eines Paares, das die letzten 30 Jahre seiner Ehe mehr neben- als miteinander gelebt hat, verschwindet plötzlich von einem Tag auf den andern. Ihr Mann Herwig kommt vor Sorge fast um, auch als ihm klar wird, dass Maria offenbar eine bewusste Entscheidung getroffen hat: sämtliche Ersparnisse fehlen und seinen Volvo hat sie ebenfalls mitgenommen.
Wir Lesenden begleiten sowohl Maria auf ihrer Reise (die ich nicht als Flucht empfand) wie auch Herwig, der mit seinem verlassenen Dasein im doppelten Sinne nicht so gut zurecht kommt. Beim Erzählen kommt der Autor immer wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen und schiebt Themen ein, die mit der eigentlichen Geschichte zwar überhaupt nichts zu tun haben, ihm aber offenbar am Herzen liegen. Da wird der 2. Weltkrieg angesprochen, ein im Krieg verschwundener Großvater, Religion, Glaube, Musik (natürlich) und noch Einiges mehr, was für sich durchaus interessant ist. Aber mir fehlte der rote Faden, der all dies miteinander verbindet.
Maria und Herwig selbst blieben mir weitestgehend fremd, ich konnte nur wenig von dem nachvollziehen, was sie taten. Maria betrügt Herwig über Jahre hinweg und als sie von seinem Betrug erfährt, ist da "Nichts außer Schmerz." Oder weshalb die Beiden nach dem für Maria so einschneidenden Erlebnis weitere 30 Jahre zusammenblieben - ohne Druck oder Zwang, dies zu müssen - für mich überhaupt nicht nachvollziehbar und ein Rätsel.
Zuguterletzt habe ich so meine Schwierigkeiten mit dem Sprachstil Achleitners. Dass er als Österreicher die Eigenheiten seiner Sprache pflegt, ist nachvollziehbar wenn auch gelegentlich ärgerlich, wenn man nichts versteht. Ein Glossar wäre da schon schön gewesen. Wesentlich unangenehmer fand ich hingegen viele Formulierungen, die vermutlich von Poesie zeugen sollen, für mich aber nur schwülstig und kitschig rüberkamen. Ein paar Beispiele: "... einen alten ... Pritschenwagen, der, bevor ihn die raue Zunge der Witterung blass geleckt hatte, ..." oder "Es war ein Toben losgebundener Mächte, aber das Federkleid ihrer Liebe trug sie über die Wolken hinaus." oder "Die Angst fuhr ihm von der Körpermitte aus wie eine Ameisenstraße in seinen Schritt ...". Leider sind dies nicht die einzigen sprachlichen Patzer.
Fazit: Hubert von Goiserns Musik finde ich weiterhin klasse, aber von Hubert Achleitners schriftstellerischem Werk lasse ich künftig lieber die Finger.

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