Katharsis und Metamorphose auf einer Wanderung entlang der Elbe
Agnes gehtWas wäre, wenn Frau einfach mal aus ihrem Leben ausbricht? Ausbrechen? Bricht man nicht eigentlich aus einem Gefängnis aus?
Agnes, studierte Biologin, und Tom sind schon lange verheiratet. Sie haben sich ...
Was wäre, wenn Frau einfach mal aus ihrem Leben ausbricht? Ausbrechen? Bricht man nicht eigentlich aus einem Gefängnis aus?
Agnes, studierte Biologin, und Tom sind schon lange verheiratet. Sie haben sich während ihrer Studienzeit kennengelernt und sind nun gut situierte Eltern von zwei Teenagern. Tom ist ein erfolgreicher Arzt, Agnes hat ganz klassisch die Rolle der Hausfrau und Mutter übernommen, jobbt aber zudem in einem sozialen Projekt, das ihre Freundin leitet. Als ihr Mann einen beruflichen Erfolg feiert, kommt es zu einem heftigen Streit zwischen den Eheleuten. Und so beginnt es, Agnes geht. Sie geht einfach los, lässt zunächst alles hinter sich und geht.
Nein, es ist keine geplante Pilgerreise und auch kein sportliches Wanderevent. Agnes geht einfach los, bricht aus ihrem Leben aus. Sie hat zunächst nicht einmal ein Ziel. „Weil Gedanken manchmal erst durch Bewegung an die richtige Stelle rutschen.“ Als Leserin habe ich Agnes Weg, der sie schließlich immer entlang der Elbe führt, voller Begeisterung und Mitgefühl begleitet. Ich habe mit ihr mitgelitten, ich habe gelacht, ich hatte manchmal Gänsehaut und ich hatte tatsächlich auch Tränen in den Augen – sei es vor lauter Lachen, denn ich liebe den humorvollen Schreibstil von Katja Keweritsch, sei es aus dem Mitfühlen von Wut und Schmerz.
„Agnes geht“ ist ein Roman, der eine Ehe beschreibt, in der vieles festgefahren ist. In der sich alte Rollenmuster verfestigt haben, und ja, das ist auch heute noch ein Thema! (Dankenswerterweise gibt es am Ende ein kleines Literaturverzeichnis zu den Themen Mental Load, Mutterschaft, Körperwahrnehmung und Gleichberechtigung.) Spannend ist, dass die Autorin das Instrument des Perspektivwechsels nutzt, und nicht nur Agnes, sondern auch Tom in seiner Situation beleuchtet. Meine Sympathie lag aber immer ganz klar parteilich bei Agnes, ihrer Katharsis und ihrer Metamorphose. Interessanterweise war das innerhalb der Leserunde, an der ich teilgenommen habe, nicht überall der Fall. Insbesondere die Tabuthemen der Weiblichkeit wurden heftig diskutiert – ich will hier aber nicht zu viel verraten.
„Agnes geht“ ist ein authentischer und emanzipatorischer Roman, der mich von Anfang an begeistert hat. Es ist eine Roadnovel im ganz klassischen Sinn und die Handlung lebt durch die Begegnungen, die Agnes im Laufe ihrer Wanderung erlebt ebenso wie durch die gelungene und fundierte Beschreibung der Elblandschaften, vor allem Dank der wundervollen Sprache und der bewegenden Formulierungen von Katja Keweritsch. Es ist ein Buch, das zu Reflexion und zu Diskussionen anregt, und zudem noch ist das Cover so wunderschön gestaltet, dass es auch ein sehr schönes Geschenk darstellt. Ich vergebe voller Überzeugung fünf Sterne und werde das Buch sicherlich noch einmal lesen.