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Veröffentlicht am 08.02.2023

Actionthriller im Eis der Antarktis

Der Riss
9

Ein Antarktis-Thriller - Ausgangsort der Handlung ist die deutsche Polarforschungsstation Neymayer III. Hierhin begibt sich die Vulkanologin Antonia Rauwolf, um ihren verschollenen Kollegen Pietro Malatesta ...

Ein Antarktis-Thriller - Ausgangsort der Handlung ist die deutsche Polarforschungsstation Neymayer III. Hierhin begibt sich die Vulkanologin Antonia Rauwolf, um ihren verschollenen Kollegen Pietro Malatesta zu ersetzen. Die Zeit drängt, denn sie soll vor dem Einbruch des antarktischen Winters erforschen, wie aktiv die neu entdeckten Vulkane sind und welche - unter Umständen - globale Gefahr von Ihnen ausgeht. Doch Antonia verfolgt ihr eigenes Ziel. Sie will ihren mit Malatesta ebenfalls verschollenen Bruder Emilio finden und retten. Schnell wird klar, dass es sich bei dem Verschwinden der beiden nicht um einen tragischen Unfall gehandelt hat, sondern dass skrupellose Kriminelle am Werk sind.

Autor des Buches ist ein deutscher Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist, der mit "Der Riss” unter dem Pseudonym Thilo Winter im Genre der Thriller debütiert.

Meine Erwartungshaltung an das Buch war hoch, denn die Antarktis mit ihrer wundervollen und einmaligen Landschaft und eine Polarstation mit einer interdisziplinären Besatzung ließen mich auf einen realitätsnahen und dennoch spannenden Roman hoffen. Leider wurde diese Hoffnung sehr schnell enttäuscht.

So hält sich der Autor nicht lange mit Naturbeschreibungen auf. Die Antarktis ist im Wesentlichen nur eine Kulisse, in der es kalt und lebensbedrohlich zugeht. Man merkt dem Buch durchaus an, dass Thilo Winter sich mit der Antarktis auseinandergesetzt und zu diesem Setting recherchiert hat. An manchen Stellen überfrachtet er das Buch geradezu mit all seinen Erkenntnissen: die neuere Geschichte der Antarktis, die Geologie, die Bedeutung des arktischen Eisschildes für die Weltbevölkerung, die Rohstoffvorkommen, der moderne Tourismus - all das wird thematisch angerissen und miteinander verwoben. Aber Winter bleibt dabei immer an der Oberfläche, kein Thema wird tiefgehender thematisiert. Für einen Wissenschaftsthriller - denn als solcher wird der Roman durch den Verlag beworben - ist mir das nicht genug. Zudem wird im Verlauf der Geschichte weder geforscht noch benehmen sich die Protagonisten so, wie man es im Kontext einer Polarstation erwarten würde.

Thilo Winter schafft es aus meiner Sicht nicht, überzeugende Charaktere zu erschaffen, mit denen ich hätte mitfiebern können. Antonia Rauwolf als Hauptperson der Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür. Sie agiert von Anfang an wie eine einsame Actionheldin, teilt verbal aus, noch bevor jemand die Möglichkeit hat, ihr die Hand zu reichen und liefert sich nervtötende verbale Schlachten anstelle von zielführenden Dialogen. Keine der Figuren reflektiert das eigene Handeln, niemand entwickelt sich. Dadurch ist einiges im Handlungsablauf vorhersehbar. Der Schreibstil ist schnell und für meinen Geschmack zu hektisch. Häufige Perspektivwechsel und immer dramatischere Entwicklungen lassen den Lesenden wenig Spielraum für eigene Vermutungen. Aus dem Wissenschaftsthriller wird zunehmend ein Actionthriller mit Elementen aus SciFi und Fantasy.

Fazit: “Der Riss” ist ein Buch, das alles zugleich sein möchte und mich dadurch sehr enttäuscht hat.

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Veröffentlicht am 18.01.2023

Über das Leben in der Eifel zwischen 1919 und 1949

Ginsterhöhe
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"Es ist so schön hier, so friedlich", sagte Leni leise. "Man kann kaum glauben, dass so schreckliche Dinge passieren."

Wollseifen in der Eifel, 1919 - der Kriegsheimkehrer Albert kommt in sein Heimatdorf ...

"Es ist so schön hier, so friedlich", sagte Leni leise. "Man kann kaum glauben, dass so schreckliche Dinge passieren."

Wollseifen in der Eifel, 1919 - der Kriegsheimkehrer Albert kommt in sein Heimatdorf zurück. Nicht nur ihn hat der Krieg schwer gezeichnet. Mit der Kutsche bringt sein Vater ihn zurück auf den Hof, und im Tempo einer Kutschfahrt erzählt Anna Maria Caspari eine beeindruckende Geschichte. Ruhig und unaufgeregt beschreibt sie das dörfliche Leben und die sozialen und politischen Veränderungen in der Zeit zwischen 1919 und 1949. Dabei gelingt es ihr, den realen Schauplatz Wollseifen mit einer fiktiven Bevölkerung zu beleben. Im Mittelpunkt steht eben jener Albert mit seiner Familie, aber nach und nach führt die Autorin auch andere Personen ein.

Das Tempo ist so ereignisreich oder ereignislos, wie das damalige Dorfleben, in dem es vor allem körperlich anstrengende Arbeit gab. Schon die Kinder mussten mit anpacken, und die Jahreszeiten gaben den Rhythmus vor. Es gab weder Elektrizität noch ein Wasserklosett, ein Telefon und ein Auto waren die große Ausnahme. Das Leben in einem Eifeldorf hatte damals noch weniger mit dem Leben in Köln oder Berlin zu tun als heute. Und so ist auch die Erzählung nicht hektisch, sondern unaufgeregt. Erzählt wird, was in Erinnerung bleibt, Geburten, Hochzeiten, Todesfälle. Das Leben ist karg und die Menschen nehmen ihr Schicksal an.

Die große Politik wirkt sich auch auf das Dorfleben aus, Krieg, Inflation, der Versailler Vertrag mit seinen Grenzziehungen, aber es sind eben hier nicht die vielbeschworenen Goldenen Zwanziger. Die Außenwelt begegnet uns durch die Tagebuchaufzeichnungen des Dorflehrers. Sie gefallen mir als stilistisches Mittel sehr gut, da sie noch einmal eine andere Perspektive einfließen lassen. Auch die kleinen Zeitsprünge in der Erzählung finde ich passend.

Unberührt vom aufkommenden Nationalsozialismus bleibt das Dorf nicht. Ein NSDAP-Mitglied der ersten Stunde lässt sich in Wollseifen nieder und trägt - fiktiv - mit dazu bei, dass in unmittelbarer Nähe die sogenannte Ordensburg Vogelsang errichtet wird. Für Wollseifen bringt dies zwar zunächst einen wirtschaftlichen Aufschwung, am Ende aber nur Unheil. Vor allem aber verändert sich der einst gegebene Zusammenhalt der Dörfler. Caspari beschreibt, wie der Nationalsozialismus das Dorf schleichend spaltet, und die Menschen sich immer weniger trauen, offen miteinander zu sprechen. Wie Gewalt und Willkürakte zunehmen, und es dadurch immer gefährlich wird, wie zuvor füreinander einzustehen und miteinander zu leben.

Die persönlichen Schicksale werden erzählt und sie sind bewegend - Krieg, Gewalt, Euthanasie, Rassenwahn. Caspari beschreibt auch hier fast schon sachlich und lässt dadurch der Leserschaft Raum für eigenes Empfinden und eigene Emotionen.

Anna Maria Caspari hat mit ihrem Erstlingswerk “Ginsterhöhe” einen Roman geschaffen, der ganz in der Tradition der Antikriegsliteratur steht. Man merkt dem Buch an, dass sie sich eingehend mit der ungewöhnlichen Geschichte des Dorfes beschäftigt hat. Ergänzt wird der Roman durch sehr schön gestaltete Umschlagklappen mit alten Fotos von Wollseifen und einer Karte der Region.

"Ginsterhöhe" ist der erste Teil einer Trilogie. Band 2 mit dem Titel "Perlenbach" erscheint im Juli 2023 und steht bereits auf meiner Wunschliste. Band 1 erhält von mir eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 18.01.2023

Einfach Liebe - warum kann es nicht einfach sein?

Die Liebe an miesen Tagen
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Ein Roman über die Liebe? Droht da nicht jede Menge Kitsch zwischen zwei Buchdeckeln, seichtes Dahinplätschern auf rosaroten Wolken?

Ewald Arenz mach bereits mit dem Titel "Die Liebe an miesen Tagen" ...

Ein Roman über die Liebe? Droht da nicht jede Menge Kitsch zwischen zwei Buchdeckeln, seichtes Dahinplätschern auf rosaroten Wolken?

Ewald Arenz mach bereits mit dem Titel "Die Liebe an miesen Tagen" klar, dass seine Erzählung nicht diesem Klischee folgt. Das hätte man bei Arenz aber auch nicht erwartet. Der Autor ist spätestens seit " Alte Sorten" bekannt für seine sensible und poetische Sprache, für authentische Figuren mit all ihren Ecken und Kanten, und dafür, dass die Realität vor seinen Büchern nicht halt macht.

"Die Liebe an miesen Tagen" ist ein Beziehungsroman über Menschen, die mitten im Leben stehen, und dennoch das Wagnis einer neuen Liebe eingehen. Wie tief kann man sich fallen lassen, wenn man bereits Beziehungen durchlebt hat, kein Neuling mehr in Liebesdingen ist?

Es geht um Clara und Elias, die sich begegnen und ineinander verlieben. Clara ist Ende 40, Fotografin, verwitwet und Elias, Schauspieler und ein Jahrzehnt jünger, und voller Lebensgier. Ewald Arenz erzählt eine wunderschöne Liebesgeschichte, beschreibt zwei Menschen, die sich fallen lassen, und doch immer wieder reflektieren. Beiden ist gemein, dass sie mit der Sprache jonglieren, sich selbst offenbaren, ihre Ängste und Hoffnungen zum Ausdruck bringen.

Doch es wäre nicht Arenz, wenn das alles wäre. Seine Protagonisten sind authentisch, Menschen mittleren Alters, die einem Beruf nachgehen, die familiär gebunden sind , die Probleme bewältigen müssen wie Arbeitslosigkeit oder Erkrankungen naher Angehöriger - und noch viel mehr.

Man denkt immer, es trifft einen nicht. Tut es aber. Und dann denkt man, dass man dem Schicksal seine Schuld doch bezahlt hat und es einen dann nicht mehr trifft. Weil das erste Mal schon so unfair war. Aber es trifft einen doch. Ein zweites Mal und dann vielleicht auch ein drittes Mal, und es hört überhaupt niemals auf, weil es dem Schicksal oder Gott oder dem Leben einfach scheißegal ist, wie oft es dich trifft. " (S. 338)

Und das alles in einem Buch von 378 Seiten? Hier zeigt sich die Erzählkunst von Ewald Arenz, der spielerisch und dennoch feinfühlig auch die dramatischen und unvorhergesehenen Ereignis beschreibt, manchmal detailreich, dann wieder mit herbem, fast sarkastischen Humor, aber immer berührend, intensiv und lebensnah.

Ich habe mich wohlgefühlt bei der Lektüre. Abgerundet wird das Leseerlebnis durch das sehr schön gestaltete Cover, einen Buchdeckel mit einem haptisch erfahrbaren Stillleben, und - zu meiner Freude - einem Lesebändchen.

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Veröffentlicht am 14.12.2022

Verschachtelte Hommage an irischen Whiskey und die Literatur der Grünen Insel

Ein Schuss Whiskey
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Nun also der Whiskey, und nicht irgendein Whiskey sondern der irische, denn:

1297 - Robert Savage of Bushmills kredenzt seinen Truppen >> a mighty draught of uisce beatha

Nun also der Whiskey, und nicht irgendein Whiskey sondern der irische, denn:

1297 - Robert Savage of Bushmills kredenzt seinen Truppen >> a mighty draught of uisce beatha<<, um die Kampfmoral zu heben. Die erste schriftliche Erwähnung von Whiskey - in Irland!"
Carsten Sebastian Henn hat seine schreibende Tätigkeit als Weinjournalist begonnen. Und er möchte sein Wissen teilen. Dies ist ihm bereits mit der kulinarisch-vinophilen Serie um den Spitzenkoch und Hobbydetektiv Julius Eichendorff hervorragend gelungen. Henn hat dabei ein ganz eigenen Stil entwickelt, der sich nicht an die üblichen Grenzen der Realität hält, und zum Teil bizarre, aber immer wieder unterhaltsame Geschichten zu Papier gebracht, an deren Ende ein nicht ganz ernstzunehmender Kriminalfall gelöst, vor allem aber die Leserschaft wieder sehr viel über Weinbau und Kulinarik gelernt hat.

In dieser Tradition steht nun auch die Trilogie um das Hochprozentige, Nach "Der Gin des Lebens" und "Rum oder Ehre" wird dieses Projekt nun abgeschlossen durch "Ein Schuss Whiskey". Wir begleiten den jungen Krimiautor Janus Rosner auf einer skurrilen Mörderjagd durch Dublin. Dabei begegnen wir der irischen Literatur, der irischen Mentalität und natürlich dem irischen Whiskey. Dass der fast eine größere Rolle spielt als der eigentliche Fall muss man mögen. Die Handlung ist verschachtelt und ich gebe zu: es hat etwas gedauert, bis ich mit dem Buch warm geworden bin. Augenzwinkernd könnte man meinen, dass das Buch ein bisschen unleserlich sein möchte wie die Ulysses von James Joyce. Kleine Parallelen tauchen immer wieder auf zur großen Literatur. Ein wenig Böll, der darf ja nicht fehlen, wenn es um Irland geht. Und natürlich der großartige Beckett. Ein wenig Wissen um die irische Literatur kann nicht schaden, wenn man das Buch verkosten möchte.

Fazit: Ich habe mich gut amüsiert, viel über den irischen Whiskey gelernt, und mich gedanklich auf eine kleine Irlandreise begeben.

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Veröffentlicht am 28.11.2022

Mörderische Spannung im Sauerland

Katz und Mord
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Bereits 2017 erschien mit “Katz und Mord” der erste Sauerland-Krimi um Hauptkommissarin Anne Kirsch. Damals der Debütroman der Autorin Mareike Albracht, gibt es mittlerweile drei Folgebände, die (leider) ...

Bereits 2017 erschien mit “Katz und Mord” der erste Sauerland-Krimi um Hauptkommissarin Anne Kirsch. Damals der Debütroman der Autorin Mareike Albracht, gibt es mittlerweile drei Folgebände, die (leider) 2022 allesamt neue Cover erhalten haben. Zumindest für den ersten Band fand ich das ursprüngliche Cover absolut gelungen und passend zum Inhalt.

Doch worum geht es? Im sauerländischen Örtchen Bontkirchen an der Grenze zwischen NRW und Hessen gibt es kurz hintereinander zwei Todesfälle. Zuerst stirbt eine alte Dame an einer Pilzvergiftung, dann wird ein unbeliebter Junggeselle erschossen. Während der Dortmunder Kommissar Thorsten Seidel mit Unterstützung des jungen Briloner Kollegen Anton Hellmann ganz offiziell ermittelt, begibt sich seine Kollegin Anne Kirsch ganz eigenmächtig nach Bontkirchen. Sie mietet sich vor Ort in eine Pension ein, um fern der Großstadt den Trennungsschmerz einer frisch zerbrochenen Liebe zu überwinden und dabei undercover zu ermitteln. Verwicklungen sind dabei vorprogrammiert.

Mareike Albracht beschreibt kundig das Sauerland und seine Bewohner mit all ihren Eigenarten - den herben Charakter, die Nachbarn, die sich sehr für das Privatleben ihrer Mitmenschen interessieren, eine gewisse Konfliktfreudigkeit, aber auch das Gesellige, Schützenfest, Kirmes, Jagdgenossen und Canasterclub, sowie eine orientierungslose Jugend, die dem Rausch ebensowenig abgeneigt ist, wie die älteren Semester. Die Grenze zum Klischee ist da, aber wer einmal im Sauerland gefeiert hat, weiß um die Realität. Landschaft und Personen werden gut beschrieben, der Stil ist eingängig und lebendig.

Insgesamt hat mir dieser Krimi sehr gut gefallen und mich neugierig auf die Folgebände gemacht. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt und die Spannung war durchweg gegeben. Einen kleinen Abzug muss ich aber aufgrund der zeitlichen Sprünge machen, die leicht für Verwirrung sorgen, und aufgrund eines kleinen inhaltlichen Fehlers. Dennoch vergebe ich gerne 4 Sterne für diesen schönen Regionalkrimi.

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