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Veröffentlicht am 12.09.2019

Witzig und unterhaltsam dieser Papst

Halleluja!
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Der Vatikan: kaum ein Ort, kaum ein Staat und kaum ein Museum ist wohl exklusiver. Nur wenige Menschen dürfen sich dort permanent aufhalten, die allerwenigsten wissen um die Geheimnisse, die dort verborgen ...

Der Vatikan: kaum ein Ort, kaum ein Staat und kaum ein Museum ist wohl exklusiver. Nur wenige Menschen dürfen sich dort permanent aufhalten, die allerwenigsten wissen um die Geheimnisse, die dort verborgen sind. Das hat wohl dazu geführt dass sich Schriftsteller seit Ewigkeiten den Kopf darüber zerbrechen wie es dort wohl wirklich zugehen mag: sind alle Kardinäle intrigant? Der Papst nur eine arme Marionette? Und der Kammerdiener ein Fähnchen im Wind? Die Phantasien reichen dann von Weltverschwörungstheorien (Dan Brown etc.) bis hin zu einer Entmystifizierung der Figur des Papstes (z.B. Robert Schneider: „Der Papst und das Mädchen“ etc.). Das vorliegende Buch ist eine Vermischung aus beidem und soll in erster Linie einen unterhaltsamen, wenn auch wahrscheinlich sehr weit an der Realität vorbeigehenden Einblick hinter die Mauern des Zwergenstaates liefern.

In „Halleluja-ein Papst Krimi“ ist Papst Petrus alles andere als ein strenger Wächter über die permanente Einhaltung der katholischen Lehre: er frönt lieber der Lebenslust, sei es nun durch Fußballschauen, Kaffeetrinken oder Schlemmen. Natürlich ist er lieb und fromm, aber von Politik und Strenge hält er herzlich wenig: was soll er sich mit mexikanischen Bischöfen abgeben wenn doch gerade Fußball-WM läuft? Außerdem ist er gerne inkognito in den Gassen Roms unterwegs – natürlich ohne Bodyguards, ja klar… Aber: „willing suspension of disbelief“ – dies hier ist ja auch kein Sachbuch über das Oberhaupt der Katholiken, sondern ein augenzwinkernder Häkelkrimi mit keinem geringeren als dem Papst als schrulligem Ermittler. Zur weiteren Handlung: es gab einen Anschlag. Kardinal Rotondo, Förderer und gewissermaßen „Erschaffer“ des Papstes Petrus, wurde in einer Marienkirche von einem herabstürzenden Engel niedergestreckt. Er hat den Anschlag zwar knapp überlebt, aber eins ist klar: jemand trachtete dem Kardinal nach dem Leben.
Obwohl das Buch ganz radikal alle Vorstellungen darüber aushebelt wie ein Papst zu sein hat, werden dennoch ein paar Klischees verbraten: es gibt den bösen Oberkardinal mit dem sprechenden Namen Oscuro, der gerne Papst geworden wäre und sich wie kein anderer zu diesem Amt berufen fühlt. Dann natürlich den wunderlichen Kunsthistoriker, der beim Aufklären der Symbolik helfen soll und selbst ein schreckliches Geheimnis mit sich rum trägt. Und natürlich auch die obligatorische Geheimgesellschaft mit Mönchen, die halt ein wenig anders sind und sich deshalb vom Vatikan abschotten.
Dass um den Papst herum die strenge Sittenwächterin und Nonne Immaculata (!!!) ihr Unwesen treibt ist schön, auch der Gedanke dass der Papst als Kammerdiener einen von Politik völlig unbeleckten umbrischen Jungmönch beruft, anstatt sich an die Linie des Vatikans zu halten. Außerdem ist seine Pressechefin eine wunderschöne Gräfin, die der Tradition zwar verhaftet ist, aber durch ihre Schönheit doch ein wenig Erotik in die alten Mauern Einzug halten lässt.

Ja, das alles liest sich wirklich gut, ist unterhaltsam und mal was Neues, aber von der Handlung her dennoch vorhersehbar. Der Charme des Buches liegt sicher in der von unorthodox bis klischeehaft einzuordnenden Zeichnung seiner Charaktere. Und: wer hätte gedacht dass einem der Papst sympathisch sein kann?

Man merkt übrigens nur sehr selten, dass das Buch von zwei Autoren verfasst wurde.

Veröffentlicht am 12.09.2019

Sehr metaphorisch..

Ferne Tochter
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In diesem Buch lernen wir Judith Velotti kennen, sie ist gebürtige Deutsche, lebt aber schon seit 20 Jahren in Rom und ist dort Restauratorin, Spezialistin für Fresken der Renaissance. Sie ist mit dem ...

In diesem Buch lernen wir Judith Velotti kennen, sie ist gebürtige Deutsche, lebt aber schon seit 20 Jahren in Rom und ist dort Restauratorin, Spezialistin für Fresken der Renaissance. Sie ist mit dem erfolgreichen, aus einer gutsituierten Familie (der Vater Vincenzo ist Kunsthändler) stammenden Anwalt Francesco glücklich verheiratet. Wir erfahren dass sie sich bis jetzt vergeblich bemüht haben ein Kind zu bekommen. Von ihrer deutschen Vergangenheit erfahren wir anfangs nur wenig: warum ist sie aus Deutschland weggegangen? Was hat sie zurückgelassen? Dass diese Fragen die Kernfragen der vor uns sich öffnenden Geschichte sein dürften erfahren wir spätestens dann als sie von Freundin aus ihrem früheren Leben angerufen wird die ihr mitteilt, dass ihr verlassenes Elternhaus in Hamburg zu verkommen droht. Nur widerwillig lässt sie das Fresko des Renaissance-Malers Filippino Lippi mit dem Engel, der Maria ihre Schwangerschaft verkündet, an dem sie gerade arbeitet, hinter sich und bucht einen Flug in die alte Heimat. Dort findet sie das verlassene Haus vor und erfährt, dass ihr Vater verstorben ist und ihre Mutter seit einem Schlaganfall im Krankenhaus vor sich hin vegetiert. Die alten Wunden reißen wieder auf und der ganze Abgrund ihres früheren Lebens liegt vor Judith: ihr Geheimnis will ans Licht.

Erzähltechnisch haben wir eine Geschichte mit Zeitsprüngen vor uns. Im Hauptstrang wird von Judith Velottis Gegenwart aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur erzählt, diese ereignet sich im Sommer und Herbst 2011. Dann werden in Form von Rückblenden bzw. Flashbacks immer wieder Szenen aus ihrer Vergangenheit eingeblendet. Diese erzählerische Monatetechnik führt dazu, dass der Leser stückchenweise Informationen von früher erhält, die für die momentane Problematik der Protagonistin entscheidend sind. Schnell wird so klar dass die Geschichte eines Verlustes ist: Judith hat ihr Kind verloren.

Das Buch ist sehr metaphorisch angelegt, vor allem ihr Beruf dient der Autorin zur Illustration ihrer Geschichte. So wie Judith ihrer Fresko restauriert, so legt sie auch ihre eigene Vergangenheit frei, sie „restauriert“ sie gleichermaßen Schicht für Schicht. Dabei stellt sie sich die Frage ob sie es in altem Glanz erstrahlen lassen soll (diese Meinung hat sie bisher immer vertreten) oder ob sie Beschädigungen, die ihm die Zeit zugefügt haben, offenlegen und für den Betrachter sichtbar machen soll. So ist es natürlich auch mit ihrem eigenen Leben bestellt: war es richtig die schlafenden Hunde ihrer Vergangenheit zu wecken? Wie wird sie noch ihre Gegenwart leben können wenn ihr neues Umfeld weiß, was früher geschehen ist?

Wie Judith an diese Fragen herangeht ist ohne Frage spannend für den Leser. Der Stil von Renate Ahrens hat mich zu Anfangs irritiert: sehr parataktisch und dokumentarisch. Ich denke das soll Unmittelbarkeit erzeugen und dem Leser das Gefühl geben dass er etwas beobachtet.

Die Geschichte ist in sich geschlossen, natürlich auch ein wenig vorhersehbar, an manchen Stellen wirkt sie allzu konstruiert. Dennoch finde ich das Buch recht gelungen, vorausgesetzt man mag Geschichten die ein wenig traurig von der Grundstimmung sind und in denen es um Selbstfindung und Identitätsproblematiken geht.

Veröffentlicht am 12.09.2019

In der Zwischenwelt

Die Flüsse von London
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Das Buch ist für mich wie aus dem Nichts aufgetaucht – so wie der Geist, der in der Handlung von „Die Flüsse von London“ eine wesentliche Rolle spielt. Ich muss sagen es lässt mich auch nach der Lektüre ...

Das Buch ist für mich wie aus dem Nichts aufgetaucht – so wie der Geist, der in der Handlung von „Die Flüsse von London“ eine wesentliche Rolle spielt. Ich muss sagen es lässt mich auch nach der Lektüre etwas schwebend, in einer Art Lektüre-Zwischenwelt zurück, in der ich mich vor allem mit der einen wesentlichen Frage beschäftige: hat es mir nun gefallen oder nicht? Dass ich mich mit dieser Frage nach Beendigung einer Lektüre beschäftige ist äußerst selten, meistens merke ich schon im ersten Drittel eines Buches ob es etwas für mich ist oder nicht.
Das Seltsame ist: während des Lesens hatte ich immer wieder Phasen in denen mir das Buch keineswegs gefallen, mich verwirrt oder gelangweilt hat und genau diese Phasen wurden kurz danach wie durch Geisterhand ins Gegenteil verkehrt und ich war dann wieder dabei – so als hätte der Autor gemerkt dass ich mich gerade nicht auf seiner Seite befinde und die Handlung an mich angepasst.
„Weird“ kann man da nur sagen, um mal dieses schöne englische Wort zu benutzen, das man mit „komisch-seltsam-verrückt“ nur annähernd übersetzen kann ohne den Sinn zu treffen.
Allerdings habe ich jetzt nach wie vor das Gefühl dass ich nicht sagen kann ob das Buch jetzt toll war oder nicht. Es war auf jeden Fall „nicht schlecht“, aber was heißt das schon?
Ich kann mir durchaus vorstellen dass es Leser gibt die absolut davon begeistert sind, ebenso aber dass es welche gibt die sich unter der Gabaldon-Aussage „ein erwachsen gewordener Harry Potter“ etwas völlig anderes vorgestellt haben.

Aber genug der Unsicherheiten in der Bewertung und kurz zur Handlung: es geht um den englischen Constable Peter Grant, der seine Polizeiausbildung gerade beendet hat und nun in der Londoner Met (Metropolitan Police) seinen Dienst tut. Dort wird er plötzlich als eine Art Zauberlehrling vom Leiter des Zauberei-Departments der Met angeheuert, einem Detective Chief Inspector Thomas Nightingale. Dieser ist ein Zauberer, der polizeiliche Ermittlungsarbeit leistet und seit einiger Zeit tot. Peter soll von ihm ausgebildet werden und muss sich gleich mal mit einem Fall auseinandersetzen, in dem ein Geist scheinbar andere manipuliert und zum Töten animiert. Nebenbei muss er sich noch mit den beiden verfeindeten Göttern des Flusses Themse herumschlagen und lernt auch deren „Nachwuchs“ kennen.

Ja, die Handlung ist wirklich mal erfrischend anders! Ich fand vor allem die Passagen in denen die historischen Zeiten ineinanderfließen interessant und lesenswert.
Gestört hat mich allerdings dass alles ein wenig inkohärent und teilweise verwirrend daherkommt wodurch ich öfters mal den Faden verloren habe: wer ist jetzt wer? Ist das eine fiktive/mythische/magische oder reale Person, ist sie tot oder lebendig? etc. Dieses „Zuviel“ passt aber auch wieder gut zu dem Chaos, das im Plot des Buches vorherrscht, es wird gewissermaßen auf die Erzählebene heruntergebrochen – Inhalt und Form passen demnach eigentlich perfekt zueinander.

Die Verbrechen waren mir zu brutal und zu detailliert beschrieben – ich mag es ja eher weniger blutig und gewalttätig bei Krimis, mir reicht es zu erfahren dass es eine Leiche gibt und dass kurz erklärt bzw. dazu ermittelt wird woran sie gestorben ist (wie in klassischen Agatha Christie-Krimis üblich). Allerdings konnte man auch das irgendwie abstrahieren zumal die Handlung ja viele fantastische Elemente aufweist und man sich einreden konnte: vielleicht ist das ja alles nicht real (in der Realität des Romans).

Die Mischung einer Fantasyhandlung mit Auswirkungen in der realen „Hier-und-Jetzt“-Welt fand ich ziemlich gelungen. Die Hauptfigur Peter Grant wird von seinen magischen Fähigkeiten überrascht, lernt aber schnell damit umzugehen und sie in seinem normalen (Polizei-)Alltag anzuwenden. Den sozialkritischen Hintergrund und die Tatsache, dass Peter aus einer „Problemfamilie“ stammt finde ich tun wenig für die Handlung (aber anscheinend muss man als Zauberlehrling einen dysfunktionalen Background haben, siehe Harry Potter).

Veröffentlicht am 12.09.2019

Gablé ohne Waringhams

Das Haupt der Welt
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Rebecca Gablé hat sich wieder einmal aus ihrer "comfort zone" - den Waringham-Romanen - begeben und sich einem neuen Sujet zugewandt: den Ottonen bzw. Liudolfingern, einem sächsischen Adelsgeschlecht, ...

Rebecca Gablé hat sich wieder einmal aus ihrer "comfort zone" - den Waringham-Romanen - begeben und sich einem neuen Sujet zugewandt: den Ottonen bzw. Liudolfingern, einem sächsischen Adelsgeschlecht, das von 919 bis 1024 deutsch-östfränkische Könige bzw. deutsche Kaiser hervorbrachte. Für mich war diese Dynastie in den Nebel einer sehr fernen Geschichte eingetaucht, ich hatte mich nie wirklich mit dieser Zeit befasst. Umso gespannter war ich natürlich was Frau Gablé daraus machen würde. Ihr gelingt es ja immer hervorragend fiktive Figuren in den Dunstkreis von historischen Persönlichkeiten einzubetten und so die Geschichte erzählerisch aufzupeppen. In diesem Fall sind die rein fiktiven Figuren nur im Bereich der Nebenfiguren zu finden, die Protagonisten haben tatsächlich alle historisch gelebt. Das Fiktive findet sich hier wie so oft bei historischen Figuren vor allem in den Charakterprofilen, die Gablé ihren Figuren zuschreibt. Gerade im Fall von Otto I. gibt es wohl viele unterschiedliche Sichtweisen, Gablé sagt sogar dass über kaum einen anderen Herrscher "so viel Blödsinn" (S. 853) geschrieben wurde wie über ihn.
Sein Antagonist und gleichzeitig Pendant ist der slawische Fürstensohn der Heveller, Tugomir, ebenfalls eine historisch existente Figur, über die allerdings nur sehr wenig bekannt ist. Er ist die Hauptfigur des Romans.
Am Anfang der Geschichte stehen das Massaker an den Daleminzern (den Slawen des ostfränkischen Reiches), die Affäre von Tugomirs Schwester Dragomira mit Otto, die dynastischen Überlegungen Heinrichs I. zu seiner Nachfolge, die Gefangennahme bzw. Geiselnahme Tugmomirs und sein Dasein als Heiler der feindlichen Sachsen - eine bizzare Situation, mit der die Autorin auch wunderbar spielt. Die Figuren entwickeln sich im Laufe des Romans, kommen in Konfliktsituationen, verlieben sich (natürlich vor allem in Personen, in die sich sich eigentlich nicht verlieben dürfen), leben mit Aufstieg und Verlust - ein Schema wie es fast jeden Gablé-Roman auszeichnet. Dabei zentriert sich alles um Tugomir und sein Leben in der Gefangenschaft der Sachsen.
Ich finde das historische Setting gut - es bringt einem die Zeit um 900 n. Chr. nahe, die Glaubenskämpfe zwischen Christen und Heiden, die Sitten und Bräuche und Glaubensansichten der Letzteren. Wo wenige Jahrhunderte später das Christentum sich in seiner Aufspaltung untereinander bekämpft sind, sehen wir hier eben die Auseinandersetzung zwischen denen die an einen christlichen Gott glauben und denen die es eben nicht tun. Die Heiden sind die, die bekehrt werden müssen - was im Buch auch eine ganz große Rolle spielt. Die christlichen Figuren schwanken dabei zwischen intoleranten Glaubenskämpfern und Figuren wie Otto, die zwiegespalten sind wie sie mit dem Heidnischen umgehen. Am Beispiel von Tugomir wird gezeigt wie die Christen und vor allem ihre royalen Vertreter immer wieder von ihm als gelehrtem Heiden und seinen medizinischen Kenntnissen profitieren. Er ist der Heiler schlechthin und als Person sicher am Interessantesten - wie es sich eben für einen Protagonisten gehört. Das Christentum ist für ihn zunächst eine lächerliche Religion, die die heidnischen Stämmen ausrottet. Außerdem sind die biblischen Geschichten für ihn absurd. Tugomir wartet darauf dass ihm der christliche Gott - sofern es ihn denn gibt - beweist, dass er allmächtig ist...
Die Story an sich und die erzählte Handlung im Ganzen - nun ja, ich finde sie sehr durchwachsen. Starke Charaktere, ja, die schafft Frau Gablé auch dieses Mal. Tugomir und Otto sind zwei Figuren, die ihre Stärken und Schwächen haben und dennoch etwas besonderes sind. Auch Personen wie Dragomira und Thankmar, Wilhelm und Editha etc. pp. sind von ihren Persönlichkeiten her spannend - keine Frage!
Die Bösewichte Gero und Henning (einer der Brüder Ottos) sind durch und durch böse - und das kommt in der Handlung auch immer wieder zum Vorschein. Meines Erachtens hat Frau Gablé hier etwas zu viel Gewalt ins Spiel gebracht - aber das ist Geschmacksache.
Im Großen und Ganzen ist die Geschichte an sich meiner Meinung nach etwas zu schwach um die Länge des Buches zu tragen. Ich hatte bei nur wenigen Passen das Gefühl dass die Story mich fesselt. Teilweise ist es mir schwer gefallen dran zu bleiben, obwohl ich wie gesagt das Personal des Romans spannend fand und auch den historischen Hintergrund. Zum Schluss nimmt die Geschichte dann noch einmal etwas an Fahrt auf - aber wie gesagt, es ist schwer über den sehr langen und nur mäßig spannenden Mittelteil zu kommen.
Dass Rebecca Gablé hier wieder mal einen perfekt recherchierten und gut erzählten historischen Roman abgeliefert hat ist ununmstitten, allerdings rechtfertigt sich hier die Länge von 864 Seiten angesichts der nicht richtig ausgewogenen Story nicht wirklich.

Veröffentlicht am 12.09.2019

Galicische „Buddenbrooks“

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
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Warum ich diesen Roman mit dem großen Klassiker von Thomas Mann vergleiche? Nun ja, es ist ein opulentes Familiendrama, das die spanische Autorin Dolores Redondo hier zu Papier gebracht hat und es geht ...

Warum ich diesen Roman mit dem großen Klassiker von Thomas Mann vergleiche? Nun ja, es ist ein opulentes Familiendrama, das die spanische Autorin Dolores Redondo hier zu Papier gebracht hat und es geht wie bei Mann um den neuzeitlichen Verfall einer Familie, die auf eine lange Tradition zurückblickt. Anders als bei dem Lübecker Nobelpreisträger geht es hier aber nicht um einen Kaufmannsclan, der der protestantischen Ethik verpflichtet ist, sondern um eine tief im katholischen Glauben verwurzelte Adelsfamilie, die gräflichen Muniz de Davila. In diese Familie hat der erfolgreiche Madrider Schriftsteller Manuel Ortigosa – ohne sein Wissen – eingeheiratet, sein Mann war der aktuelle Graf Alvaro. Alvaro lernt der Leser aber nur in der Reflektion der anderen Romanfiguren kennen, da er kurz vor Beginn der Handlung bei einem Autounfall ums Leben kommt…

Das Buch ist ein Krimi, der gleichzeitig Familienroman sowie Bildungs- und Entwicklungsroman ist. Es geht gewissermaßen um die Selbstfindung der Hauptfigur Manuel, die auch der fiktive Autor auf der Metaebene ist. In der Welt des Romans schreibt er das Buch, das wir gerade lesen. Die Geschichte um den vermeintlichen Verrat seines Ehemannes, der ein geheimes Doppelleben als Manager seiner Adelsfamilie führte, wird zur Geschichte seines Lebens, zum Roman von dem Alvaro wusste, dass er ihn schreiben könne, ohne natürlich von der Handlung zu wissen, die ohne seinen Tod nicht dieselbe wäre. Das ist die Tragik der Geschichte, denn erst durch die Aufarbeitung des Schicksals und Lebens von Alvaro, findet Manuel zu sich selbst und wieder zum Schreiben.

Die Erzählweise ist flüssig, die Sprache bildlich, die Charaktere geschliffen. Einzig die Handlung ist in mancher Hinsicht etwas überfrachtet und manche Personen, wie z.B. die alte Gräfin, sehr klischeehaft dargestellt. Es passiert bzw. passierte dieser adeligen Familie einfach so viel, dass so manch eine südamerikanische Telenovela vor Neid erblassen würde. Dass dies die Lesbarkeit des Romans aber in keinster Weise beeinträchtigt, spricht für die Qualität der Autorin und ihre Fähigkeiten, den Leser für die Geschichte einzunehmen. Ich habe mich bis zum Schluss unterhalten gefühlt – auch wenn ich manchmal ein Auge ob der Soaphaftigkeit der Handlung zudrücken musste.