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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.10.2020

Wenig romantisch, kaum witzig, dafür sehr politisch

Just Like You
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Wenn man einen Roman von Nick Hornby lesen möchte, weiß man in der Regel vorher, was einen in etwa erwartet: Beziehungen/Liebe, Fußball, Musik. Irgendeines dieser Themen - wenn nicht sogar alle drei - ...

Wenn man einen Roman von Nick Hornby lesen möchte, weiß man in der Regel vorher, was einen in etwa erwartet: Beziehungen/Liebe, Fußball, Musik. Irgendeines dieser Themen - wenn nicht sogar alle drei - verarbeitet der britische Erfolgsautor mit Sicherheit, darauf kann man ein Pint in seinem Londoner Lieblingspub trinken, denn dort spielt auch die Handlung des neuesten Hornby-Romans.

Die männliche Hauptfigur von “Just like you”, der 22-jährige Joseph aus dem sozialen Brennpunkt-Bezirk Tottenham, ist Amateur-DJ, der auf die große Karriere als Musikproduzent hofft. Außerdem spielt und konsumiert er gerne den ur-englischen Sport Fußball. Damit hätten wir schon einmal zwei von Hornbys Lieblingsthemen abgedeckt. Joseph, der als Aushilfe in einer Metzgerei bedient, verliebt sich in die 42-jährige Lehrerin Lucy, die dort als Kundin einkauft. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen in der Vorpubertät, von ihrem Exmann, einem Alkoholiker und Dorgenkonsumenten, lebt sie frisch getrennt im Stadtteil Islington, einem familiären Mekka der Gutsituierten. Wer jetzt denkt, die Welten der beiden Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, der irrt, denn neben dem divergierenden soziokulturellen Background und dem eklatanten Altersunterschied, haben die beiden auch noch verschiedene Hautfarben: Joseph ist schwarz, Lucy weiß. Hornby erzählt uns hier also die Liebesgeschichte zweier sehr unterschiedlicher Menschen, wobei das Alter natürlich die allergrößte Rolle spielt. Die Konstellation junger Mann und ältere Frau gibt es zwar gelegentlich in der Literatur, dennoch ist sie selten und gesellschaftlich noch stärker tabuisiert, als die umgekehrte Variante. Dieses Thema hat mich auch verleitet, mich für den Roman zu interessieren sowie natürlich der immer bei Hornby zu erwartende Humor.

Die Handlung spielt sich hauptsächlich vom Frühling bis zum Herbst 2016 ab und damit rund um das “Brexit-Referendum”, bei dem am 23.06.2016 der Austritt Großbritanniens aus der EU vom britischen Volk beschlossen wurde. Hornbys Figuren nehmen auch unterschiedliche Positionen zum Brexit ein, wobei die liberal denkende Lucy natürlich für die EU und damit dagegen ist. Der Twen Joseph kann sich nicht so richtig für eine Seite entscheiden.

Hat mich das Buch mitgerissen, hat es meine Erwartungen erfüllt? Ich muss dazu leider “nein” sagen. Die Liebesgeschichte hat mich nicht wirklich überzeugt, es kommt viel zu wenig “Gefühl” auf. Das Bedingungslose einer Liebe, die gegen jede gesellschaftliche Konvention gelebt wird, ist hier leider nicht zu finden. Stattdessen bleibt vieles vage und in der Schwebe, einiges wird nur erzählt statt erzählerisch dargestellt. Auch Humor und Ironie sind mir in diesem Roman leider zu kurz gekommen, obwohl das Buch im Original als "brutally funny" angepriesen wird. Der Grundton ist doch recht ernst und “mainstreamig”. Zum Teil liegt das meiner Meinung nach auch an der etwas holprigen Übersetzung. Für mich leider kein Highlight, aber durchaus lesbar.

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Veröffentlicht am 06.10.2020

Logbuch einer Ehe & Lyrik als Lebenshilfe

Unter uns das Meer
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"Unter uns das Meer" (Im Original: "Sea Wife") ist die Geschichte der ungewöhnlichen Reise einer jungen amerikanischen Familie auf See, die tragisch endet. Es ist auch die Bestandsaufnahme einer ...

"Unter uns das Meer" (Im Original: "Sea Wife") ist die Geschichte der ungewöhnlichen Reise einer jungen amerikanischen Familie auf See, die tragisch endet. Es ist auch die Bestandsaufnahme einer Ehe aus der Sicht der beiden Eheleute - Juliet und Michael, beide um die vierzig, Eltern von Sybil (7) und George (2 ½).

Die Geschichte, die sich streckenweise spannend wie ein Krimi liest, wird aus der Ich-Perspektive von Juliet erzählt, durchbrochen von den Eintragungen ihres Mannes in sein "Logbuch", eine Art Schiffsreise-Tagebuch. Nach ihrer Rückkehr liest Juliet dieses so persönliche Buch, um ihren Mann und seine Beweggründe im Nachhinein besser zu verstehen.

Der Roman ist für mich am ehesten mit einem intimen Kammerspiel zu vergleichen. Wie das Meer und die Gezeiten verändert sich im Lauf der Reise die Dynamik unter den Familienmitgliedern wie in einem natürlichen Zyklus. Glückliche und traurige Erinnerungen, Träume und Versäumnisse suchen die beiden erwachsenen Reisenden heim, aber auch die siebenjährige Tochter des Ehepaars spürt schon die Herausforderungen des Lebens, die in ihren Eltern gespiegelt werden. Diese Eltern, die so verschieden sind und doch ein Ehepaar. Er Republikaner, Versicherungsmensch, spontan, sie Demokratin, Literaturwissenschaftlerin, vorsichtig. Es ist das Drama zweier Menschen, die eigentlich nicht zusammenpassen und sich doch fast symbiotisch ergänzen.

Michael, der anfangs sehr sympathisch auf mich wirkte, wurde mir im Lauf der Handlung mit seinem Fatalismus immer unheimlicher, ging mir mit seiner Selbstgerechtigkeit und seinem falschen Ehrgefühl auf die Nerven. Ich konnte Juliet zunehmend sehr gut verstehen, dass sie sich emotional von ihm abwendet. Auch die Autorin ergreift indirekt die Partei der Frau, so kam es mir zumindest vor.

Juliet ist die Hauptfigur des Romans, der auch zu großen Teilen davon handelt, wie eine Frau in der Mitte des Lebens die Tragödie ihres so “normalen” Daseins verarbeitet. Sie hat Literaturwissenschaft mit Fachrichtung Lyrik studiert und infolgedessen helfen ihr Gedichte bei der Aufarbeitung ihrer Trauer. Juliet leidet seit der Geburt ihrer Kinder an Depressionen und hat im Zuge dessen die Arbeit an ihrer Dissertation über die Lyrik von Anne Sexton, die ebenfalls an dieser Krankheit litt, abgebrochen. Dennoch kehrt sie immer wieder zur Poesie zurück. Es ist somit also auch ein Roman darüber, was Literatur zu leisten vermag - Gedichte als Weg aus der Depression, Lyrik als Lebenshilfe gewissermaßen.

Im Roman und vor allem im Logbuch findet sich allerlei Segel-Jargon ("Luv", "Fock", "Beidrehen", "Krängung", "Winsch", "Verklicker", etc.), mit dem ich als Nicht-Seglerin nicht viel anfangen konnte. Es hat mich zwar manchmal irritiert, wenn ich ein Wort nicht kannte, andererseits gehören diese Fachbegriffe aber auch dazu, um die Geschichte einer Seglerfamilie authentisch zu erzählen. Vielleicht wäre ein Glossar am Ende hilfreich gewesen.

Amity Gaige, die mir als Autorin vor der Lektüre unbekannt war, hat einen sehr ansprechenden Roman darüber geschrieben, wie schwierig es in dieser modernen und differenzierten Welt voller Möglichkeiten ist, seinen eigenen Weg zu finden. Das ist gnadenlos ehrlich, oftmals traurig, aber irgendwie auch kathartisch und heilsam.



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Veröffentlicht am 29.09.2020

Lachkrämpfe + Hochspannung = Kluftinger!

Funkenmord (Kluftinger-Krimis 11)
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Endlich: Der neue Kluftinger “Funkenmord” ist da! Über zwei Jahre mussten Fans des schrulligen, aber genialen Allgäuer Kommissars auf den Nachfolger des sehr anderen zehnten Bandes “Kluftinger” ...

Endlich: Der neue Kluftinger “Funkenmord” ist da! Über zwei Jahre mussten Fans des schrulligen, aber genialen Allgäuer Kommissars auf den Nachfolger des sehr anderen zehnten Bandes “Kluftinger” warten, der mit einem fiesen Cliffhanger endete. Während in “Kluftinger” am Ende klar ist, dass der sogenannte “Funkenmord” aus dem Jahr 1985 nicht von demjenigen begangen wurde, den Klufti als junger Polizist für 30 Jahre unschuldig ins Gefängnis brachte, beginnt der neue Band dort, wo der andere aufhörte: Kluftinger will endlich seinen größten Fehler bereinigen und den wahren Mörder der jungen Lehrerin Karin Kruse finden, die 1985 bei einem alternativen “Funken” verbrannt wurde.

Der elfte Kluftinger liefert ab und zwar in allen Belangen. Der “Cold case”, der ja offiziell keiner ist, da damals ein vermeintlicher Mörder verurteilt wurde, bringt Spannung ohne Ende. Nach und nach werden Verdächtige präsentiert, die ihre Finger beim “Funkenmord” im Spiel gehabt haben könnten und der Leser darf miträtseln. Die Autoren schaffen diesmal wieder mit Bravour den Spagat zwischen dem sehr ernsten Mordfall und dem unfreiwillig komischen Privatleben Kluftingers. Da Kluftingers Frau Erika im Zuge der Ereignisse rund um die Angriffe gegen ihren Mann von Migräneanfällen heimgesucht wird, muss der Kommissar temporär die Haushaltsführung übernehmen. Und da bleibt wirklich kein Auge trocken. Ich habe zeitweise so laut und anhaltend gelacht, dass meine Tochter aus dem Nebenzimmer fragte: “Papa, warum lacht die Mama so?”. Vielen Dank an Klüpfl/Kobr, ich habe echt lange nicht mehr so viel beim Lesen gelacht.

Auch der Schlagabtausch mit Kluftis Erzfeind Dr. Langhammer (“Kurpfuscher ruft an”), ist so amüsant wie eh und je. Diesmal muss er einen Ersatz für den Ungarischen Wischler des Dorfarztes finden, der von seinen Angreifern im Wald erschossen wurde. Auch ein bekanntes Küchengerät, das im Dunstkreise des Doktors auftaucht, bringt Kluftinger ungeahnte Probleme.
Aber ich will nicht zu viel verraten: Die humorvollen Szenen sind einfach super witzig und im schwierigen Jahr 2020 sind solche Lacher mehr als willkommen!

Dann ist der elfte Kluftinger auch noch wie gewohnt gespickt mit aktuellen gesellschaftspolitischen Brennpunkten und Themen: Ob es die moderne Ehe von Markus und Yumiko ist, Taufe ja oder nein, die Stellung von Frauen/Ausländern/Homosexuellen in der katholischen Kirche, die Aufnahme des “Dritten Geschlechts” in die deutsche Beamtensprache, latenter Sexismus gegenüber der neuen jungen KollegIN, die den verstorbenen Eugen Strobl ersetzen soll oder die schwierige Lage von Geflüchteten in der neuen Heimat sowie Mobbing ganz allgemein: Klüpfl/Kobr nennen die Dinge beim Namen, halten der Gesellschaft einen Spiegel vor und räumen anhand der Kultfigur Kluftinger und seiner Umwelt mit Vorurteilen auf - und das ist auch gut so!

Ganz zum Schluss erfahren wir als Schmankerl dann auch noch das Geschlecht von Kluftingers Enkelkind, wobei: eigentlich ist es ja egal, welches Geschlecht man hat, heutzutage, Hauptsache man ist ein anständiger Menschn - gell, Butzele?



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Veröffentlicht am 27.09.2020

Das Ende der Geschichte(n)

Das Buch der gelöschten Wörter - Die letzten Zeilen
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Bei Fantasy-Reihen ist der letzte, finale Band oft von großer Bedeutung: Hier werden meist die großen Geheimnisse aufgelöst, die sich durch die Handlung gezogen haben, hier wird zwischen Gut und Böse "abgerechnet" ...

Bei Fantasy-Reihen ist der letzte, finale Band oft von großer Bedeutung: Hier werden meist die großen Geheimnisse aufgelöst, die sich durch die Handlung gezogen haben, hier wird zwischen Gut und Böse "abgerechnet" und - in der Regel - ein für den Leser zufriedenstellendes Happy End erzeugt. Außerdem lässt sich mit Beendigung der Lektüre des letzten Bandes die ganze Reihe im Nachhinein besser bewerten: War das "Worldbuildung" in sich stimmig? Sind die Handlungsstränge bis zum Ende geführt und schließlich aufgelöst worden? Waren die Figuren plausibel und ihre Beweggründe nachvollziehbar?
Wenn ich mir nach diesen Kriterien Mary E. Garners “Das Buch der gelöschten Wörter - Die letzten Zeilen” sowie zusätzlich die ganze Reihe anschaue, kann ich für mich persönlich behaupten, dass in diesem letzten Band der Trilogie alles nach den obigen Kriterien zu meiner Zufriedenheit aufgelöst und erfüllt wurde. Noch einmal ist mir in diesem letzten Teil aufgefallen, wie raffiniert die Autorin die geschilderten Buchwelten - sowohl die Klassiker als auch die “erfundene” um den Bösewicht Quan Surt - ausgewählt und in ihr persönliches Fantasy-Setting integriert hat. Selbst in diesem letzten Band kommen noch neue Buchwelten dazu, die Hope und ihre Kollegen besuchen. Allen voran natürlich “Sturmhöhe” von Emily Brontë. Dass wir ein “Eye-to-eye” mit Heathcliff bekommen, ist für mich persönlich das Highlight dieses Bandes. Wer möchte ihn nicht einmal “außerhalb seiner Geschichte” kennenlernen, den berühmt-berüchtigten Liebhaber von “Wuthering Heights”? Attraktiv-dramatisch-dunkel-impulsiv - der Prototyp des “tall, dark, stranger” - ja, so hab ich mir ihn vorgestellt und so passt er auch zur klassischen Vorlage.
Auch einige Überraschungen und Wendungen hält die Autorin in diesem Band für uns parat und es wird zudem - passend zum Auftauchen von Heathcliff - ziemlich dramatisch. Aber so gehört es sich ja schließlich auch für den letzten Band einer Fantasy-Reihe. Da bleibt kein Auge trocken und am Ende können wir uns auch auf ein richtiges Happy End freuen, mit ein paar Wermutstropfen - auch das bleibt natürlich nicht aus. Schließlich ist mit diesem Band alles vorbei: Schluss, Aus, Ende der Geschichte(n).
Wir alle wissen noch (also die wir es gelesen haben), mit welchem Gefühl wir den letzten “Harry Potter”-Band zugeschlagen haben. Obwohl es mir mit “Das Buch der gelöschten Wörter” nicht ganz so erging, denn an die Geschichte des Jungen Harry reicht ja kaum eine andere Fantasy-Geschichte heran [auch wenn die Äußerungen der Autorin von “HP” zu gewissen Themen natürlich nicht zu billigen sind], war ich doch etwas traurig, als ich Hope, Rufus und Co. ziehen lassen musste. Fünf Monate haben mich die Protagonisten, Neben- und Buchfiguren der Fantasy-Geschichte von Mary E. Garner nun begleitet. Nochmal ein Lob an die Verlagspolitik, alle drei Bände innerhalb kürzester Zeit auf den Markt zu bringen. Danke Mary E. Garner für diese schöne Geschichte, ich hoffe es werden noch weitere folgen.

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Veröffentlicht am 22.09.2020

Spannender "True-Crime-Histo"

Das Verschwinden des Dr. Mühe
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Es ist der Juni des Jahres 1932, als der angesehene und gut situierte 34-jährige Berliner Allgemeinarzt Dr. Erich Mühe nach einem nächtlichen Ausflug an den Sacrower See in Potsdam spurlos verschwindet. ...

Es ist der Juni des Jahres 1932, als der angesehene und gut situierte 34-jährige Berliner Allgemeinarzt Dr. Erich Mühe nach einem nächtlichen Ausflug an den Sacrower See in Potsdam spurlos verschwindet. Er hinterlässt seine Ehefrau Charlotte und viele Fragen. Zahlreiche Merkwürdigkeiten und widersprüchliche Zeugenaussagen ranken sich um sein Verschwinden. Was das für Dinge sind, kann ich hier nicht näher ausführen, denn von diesen "Enthüllungen", die im Laufe der Zeit ans Licht kommen, lebt das Buch. Dennoch sollte der geneigte Leser wissen, dass sich das Verschwinden des Dr. Mühe bis dato nicht aufgeklärt hat. Ein "Cold Case" par excellence also, den wir hier vor uns haben.

Hilmes erzählt seine "Kriminalgeschichte", wie es im Untertitel heißt, im Dokumentarstil. Wie ein reiner Beobachter des Geschehens beschreibt der Erzähler jedes Detail der Spurensuche rund um das Verschwinden Mühes. Die Ermittlungen leiten Kommissar Ernst Keller und sein Assistent Schneider. Sie bewerten das Geschehen durch ihre Sicht und tappen wie der Leser dieser fiktiven Dokumentation zunehmend im Dunkeln. Hilmes hat die "Akte Mühe", die vornehmlich aus Verhörprotokollen und Notizen besteht, ausgewertet und in eine erzählerische Form gebracht. Wer mehr über das Verhältnis zwischen fiktionalen und historisch belegten Elementen sowie den realen Figuren im Buch wissen möchte, dem sei die Website www.doktormuehe.de ans Herz gelegt.

Immer wieder streut der Erzähler tagesaktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse sowie Schlagzeilen ins Geschehen ein, auf die auch die Figuren Bezug nehmen oder sie über die Presse rezipieren. Der Berliner Sommer 1932 war von politischen Umwälzungen geprägt, die in der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und dem Ende der Weimarer Republik ihren ersten traurigen Höhepunkt fanden. Das Verschwinden Mühes wird aber nicht im ersten Jahr aufgeklärt, sondern zieht weite Kreise. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NSDAP über das zerbombte Berlin bis ins Jahr 1950 wird der "Cold-Case-Mühe" erzählerisch beleuchtet.

Auch am Detailreichtum, was die Beschreibung des Settings Berlin im Jahr 1932 und darüber hinaus betrifft, merkt man, dass Oliver Hilmes promovierter Historiker ist. Das Studium zeitgenössischer Quellen schlägt sich im Text nieder. Wir erfahren beispielsweise historisch genau, was die einzelnen Gerichte auf der Speisekarte von "Aschinger" gekostet haben und was das jährliche Einkommen eines Arztes in den 1930er Jahren war.

Hilmes erzählerischer "True-Crime-Report" aus den Endtagen der Weimarer Republik ist zu Beginn ein Pageturner, der leider, das liegt in der Natur der Sache, mehr Fragen stellt als er auflöst. Da kann aber der Autor nichts dafür, der uns einen spannenden, hervorragend recherchierten "Cold Case" geliefert hat, der leider ein solcher bleiben wird.


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