Psychologischer Spannungsroman mit dem Fokus auf der Psychologie
Dark Memories - Nichts ist je vergessenDie 16-Jährige Jenny wird während einer Party brutal vergewaltigt. Im Krankenhaus entschließen sich ihre Eltern, Jennys Erinnerungen an das Ereignis löschen zu lassen. Doch ohne Erinnerungen kann Jenny ...
Die 16-Jährige Jenny wird während einer Party brutal vergewaltigt. Im Krankenhaus entschließen sich ihre Eltern, Jennys Erinnerungen an das Ereignis löschen zu lassen. Doch ohne Erinnerungen kann Jenny weder bei den Ermittlungen helfen, noch wirklich mit dem Erlebten abschließen, denn ihr Körper erinnert sich schon, auch wenn es ihr Kopf nicht tut. Schließlich geht sie bei Alan Forrester in Therapie, der ihre Erinnerungen reaktivieren will und gleichzeitig auch die anderen Familienmitglieder therapiert, damit sie mit dem Verbrechen umgehen können. Und nicht zuletzt wollen alle den Täter finden ...
Das Etikett "Der Thriller des Jahres" weckt leider völlig falsche Erwartungen und wird etliche Leser enttäuscht zurücklassen. "Dark Memories" ist ein psychologischer Spannungsroman im Stile von "Girl on the Train" und anderen aktuellen Büchern dieser Art. Die Ähnlichkeiten reichen vom Schreibstil bis hin zum unzuverlässigen Erzähler. "Dark Memories" bietet allerdings noch etwas darüber hinaus, denn es gewährt einen intensiven Einblick in die Arbeit eines Psychotherapeuten, der gut fundiert ist und seine tägliche Arbeit nachvollziehen lässt. Die Phänomene werden fachlich glaubhaft und umfangreich erläutert, was für Personen ohne psychologisches Interesse mitunter langatmig werden kann. Mich haben aber gerade diese Abschnitte sehr gefesselt und die Fachkenntnis der Autorin hat mich positiv überrascht. Die gesamte Geschichte wird eher im Stil eines Fallbeispiels oder eines sehr subjektiven Berichts des Therapeuten geschildert. Eingestreut sind Aussagen der verschiedenen Figuren, die die unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründe beleuchten und die Emotionen der Beteiligten einfließen lassen.
Das Buch beginnt direkt mit Jennys Vergewaltigung und ist allein dadurch schon sehr heftig. Allerdings fand ich es von der Autorin angemessen und einfühlsam dargestellt, aber gleichzeitig mit der nötigen Härte, um den Albtraum nachfühlbar zu machen und Voyeurismus keinen Raum zu bieten. Später in der Geschichte erfährt man immer mehr Details. Diese Schilderungen sind sehr intensiv und nichts für schwache Nerven.
Obwohl mich das Buch direkt gepackt hatte und ich die Schilderungen mit großem Interesse verfolgte, habe auch ich ein Abflachen der Spannungskurve festgestellt und hätte gern ein wenig mehr Spannung gehabt. Als dann der erste Verdächtige ins Spiel kam, zog die Handlung wieder an. Zudem wächst das Misstrauen dem Erzähler gegenüber und sein therapeutisches Verhalten löst zunehmend Beklemmung aus, denn es wird deutlich, wie viel Macht ein Psychotherapeut eigentlich über seine Klienten hat. Einen Großteil des "Psychothrillers" oder der psychologischen Spannung macht tatsächlich das Verhalten des Therapeuten aus.
Insgesamt hat mich dieses Buch über große Strecken sehr gepackt, was aber weniger an einer Thrillerhandlung mit Höchstgeschwindigkeit lag als vielmehr am interessanten Therapeutenalltag und der Entwicklung der Figuren. Mein einziger Kritikpunkt ist das Ende dieses Buches. Es ist zwar überraschend und wenig vorhersehbar, aber genau dadurch wirkt es sehr konstruiert. Und es fügte sich logisch auch nicht so problemlos ein, sodass es mich nicht "vom Hocker gerissen" hat. Hinzu kommt der zwischenzeitliche Mangel an Spannung, sodass ich einen Punkt abziehe. Die psychologischen Aspekte und das Behandlungssetting haben mich jedoch sehr begeistert. Wenn ich das Etikett "Thriller" ignoriere, konnte mich dieses Buch über große Strecken begeistern. Meine Leseempfehlung gilt für alle Psychologie-Interessierten und Fans psychologischer Spannungsromane. Man sollte in diesem Buch jedoch keinen Psychothriller erwarten.