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anushka

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.10.2016

Toller Künstlerroman auf verschiedenen Zeitebenen

Malcontenta
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Italien, 1530. Battista ist Künstler. Doch im Italien der Renaissance wimmelt es vor aufsteigenden Künstlern und die Aufträge sind heiß begehrt. Auch Battista hangelt sich durch das Leben, immer auf der ...

Italien, 1530. Battista ist Künstler. Doch im Italien der Renaissance wimmelt es vor aufsteigenden Künstlern und die Aufträge sind heiß begehrt. Auch Battista hangelt sich durch das Leben, immer auf der Suche nach einem Geldgeber für Fresken. Dabei genießt er jedoch auch das Leben und lässt kaum etwas anbrennen und besiegelt somit sein Schicksal. Sein Lebenswerk soll schließlich die Villa Foscari, auch La Malcontenta genannt, werden und sein Leben hält er in einem Tagebuch fest.
Paris, London, Venedig, 1913. Bertie Landsberg kommt aus gutem Hause und hat es nicht wirklich nötig, zu arbeiten. Vielmehr verschreibt er sich der Kunst und dem künstlerischen Diskurs. Als er die Villa Foscari entdeckt, entsteht die Vision eines Künstlertreffs in minimalistischer Umgebung. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.
Libyen und Europa, 2012. Said ist Graffiti-Künstler, der sein Geld mit illegalen Geschäften verdient. Als sich die Lage in Lybien zuspitzt, tritt er den langen Weg auf der Fluchtroute nach Europa an um schließlich in der Villa Foscari landen.

"Malcontenta" verbindet das Schicksal dreier Männer über Jahrhunderte hinweg. Wie genau sie zusammenhängen, wird erst ganz am Ende klar und das möchte ich hier nicht spoilern. Im Mittelpunkt stehen letztlich die Lebensumstände verschiedener Künstler. Dazu wechseln sich die Perspektiven in unterschiedlichen Kombinationen ab, wobei pro Teil immer nur zwei Perspektiven kontrastiert werden. Alles andere wäre auch zu viel, da die Geschichten komplex und sehr ausgefeilt sind. Alle Geschichten sind sehr unterschiedlich und lassen auf ihre eigene Weise mitleiden, wobei mir Berties Leben lange Zeit vergleichsweise trivial und wenig zielgerichtet vorkam. Trotzdem haben alle drei Männer meine Sympathien gewinnen können. Der Autor hat jeweils interessante unterschiedliche Aspekte beleuchtet und einen überzeugenden Einblick in die jeweilige Zeit gegeben. Denn nicht nur sind die Lebensgeschichten unterschiedlich, auch der historische Rahmen ist sehr verschieden. Dabei wirkt jeder einzelne Handlungsstrang akribisch recherchiert und man kann nur bewundern, wie sehr sich der Autor in die jeweilige Lebenssituation eindenken und den Leser mit hinein nehmen kann. Beispielsweise haben mich die Details von Saids Flucht sehr überrascht und eine große Realitätsnähe vermittelt.

"Malcontenta" ist ein kluger Roman, der die (Liebe zur) Kunst förmlich spüren lässt und die Fresken der Villa Foscari zum Leben erweckt, aber auch die Höhen und Tiefen von Künstlerleben nachzeichnet. Die Sprache und Handlung sind anspruchsvoll. Für mich ist "Malcontenta" ein absolut überzeugendes Debüt, das mich darüber hinaus auf die Spuren zweier wahrer historischer Persönlichkeiten (Battista und Bertie) geschickt hat.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Packender Roman über eine wissenschaftlich ambitionierte Frau im 18. Jahrhundert

Vom anderen Ende der Welt
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England, 1785: Mary Linley ist allein bei ihrem Vater aufgewachsen, der sie als Arzt und Wissenschaftler in die Arbeiten der Medizin und der Botanik einführt. Mary liebt dieses unkonventionelle Leben und ...

England, 1785: Mary Linley ist allein bei ihrem Vater aufgewachsen, der sie als Arzt und Wissenschaftler in die Arbeiten der Medizin und der Botanik einführt. Mary liebt dieses unkonventionelle Leben und es fällt ihr schwer, in die Rolle der Frau des 18. Jahrhunderts zu schlüpfen als sie unter die Obhut ihrer Tante kommt, nachdem das Schiff, das ihren Vater an Bord hatte, vor Kap Hoorn gesunken ist. Als ihre Tante die Sammlung ihres Vaters auflöst, wird Mary bewusst, dass sie ihren Traum von der Wissenschaft als Ehefrau niemals wird ausleben können. Kurzerhand heuert sie als Mann verkleidet auf der Sailing Queen an, die kurz darauf zu einer Forschungsreise in die Südsee aufbricht ...

"Vom anderen Ende der Welt" ist kein verklärtes, romantisierendes Buch, das eine unglaubhafte starke Frau darstellt, die sich in einer Männerwelt behauptet. Stattdessen zeichnet es den harten Alltag auf einem Schiff zur damaligen Zeit nach, der Mary zunächst erschreckt und einschüchtert. Zu den ungewohnten Eindrücken und dem rauen Umgang unter den Männern gesellt sich immer die Angst vor der Entdeckung hinzu. Doch Mary kann sich mit ihren zeichnerischen und medizinischen Fähigkeiten auch schnell einen guten Ruf aufbauen und so ist sie bei Verletzungen, Epidemien und Vergiftungen hautnah dabei. Aber auch herbe Verluste stehen ihr bevor, denn Liv Winterberg hat mit diesem historischen Roman, der an eine wahre Persönlichkeit angelehnt ist, keine Schnulze vorgelegt, sondern bietet in einem ansprechenden Schreibstil eine spannende und packende Abenteuergeschichte, die den Werdegang der Wissenschaft genauso darstellt, wie die einengende Rolle der Frau in einem zunehmend aufgeklärten Zeitalter. Neben interessanten Begegnungen, liebevoll gezeichneten und dreidimensionalen Figuren bietet der Roman auch überzeugende zwischenmenschliche Beziehungen und vor allem eine Protagonistin, die sich einem ins Herz schleicht. Für mich ein absolut gelungener und empfehlenswerter historischer Roman.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Schönes Jugendbuch mit innovativen Ideen

Gestohlene Vergangenheit
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An ihrem 18. Geburtstag passieren Alisha merkwürdige Dinge. Seit einem Jahr sind ihre Eltern tot und sie muss sich zunehmend verstellen, weil ihr Umfeld ihre andauernde Trauer nicht mehr toleriert. Doch ...

An ihrem 18. Geburtstag passieren Alisha merkwürdige Dinge. Seit einem Jahr sind ihre Eltern tot und sie muss sich zunehmend verstellen, weil ihr Umfeld ihre andauernde Trauer nicht mehr toleriert. Doch nun benimmt sich ihr bester Freund plötzlich merkwürdig und greift sie an, Funken sprühen im wahrsten Sinne des Wortes, ihr Ex-Freund David nähert sich ihr wieder an und erzählt etwas von Geheimnissen und ihr Großvater möchte sie plötzlich sehen. Und zu allem Überfluss scheint Alisha ein Flashback oder eine Vision einer längst vergangenen Zeit zu haben. Was hat das alles zu bedeuten?

Das Buch beginnt sehr mysteriös und man kann sich zunächst keinerlei Reim auf die Ereignisse machen, da man direkt in die Handlung geworfen wird. Der Klappentext suggeriert ein eher historisches Setting, die Geschichte geht jedoch in eine ganz andere, sehr überraschende Richtung (aber durchaus mit historischen Anteilen). Überhaupt gibt es viele überraschende und auch interessante Aspekte, die teils innovativ, teils gewohnt, aber in neuem Kontext dargeboten sind. So hat dieses Buch auf jeden Fall etwas Besonderes. Mal davon abgesehen, dass es einen Cliffhanger gibt, der zusätzlich zum Lesen des Folgebandes animiert.
Der Schreibstil ist flüssig, geradlinig und beschreibt die Umgebung bildhaft. Die romantischen Teile sind ... sehr romantisch. Und auch oft sehr prickelnd. Die Anziehung zwischen Alisha und ihrem Gegenpart ist sehr überzeugend und glaubhaft.
Ein bisschen gehadert habe ich mit den Figuren. Die 18-jährige Alisha ist fast unfehlbar, nimmt sich sofort jeglicher Verantwortung an, fügt sich sofort in ihr Schicksal und glaubt alles ziemlich schnell, ohne die Dinge anzuzweifeln oder zu hinterfragen. Durch die Voraussicht ihrer toten Eltern ist sie perfekt auf jegliche Eventualität vorbereitet; sogar auf den Schwertkampf. An einer Stelle ist dies sehr bezeichnend beschrieben: "Keine Ahnung, warum ich weiß, in welche Richtung wir müssen [...]". Auch die Menge an Figuren war für mich etwas hinderlich, da ich irgendwann ein wenig den Überblick verlor. Aber das hat das Lesevergnügen letztendlich nicht übermäßig getrübt.

Insgesamt war dieses Buch überraschend, fesselnd, spannend, prickelnd und machte definitiv Lust auch auf den nächsten Band. Trotz ein paar kleiner Kritikpunkte für mich persönlich, ist der erste Band der Immergrün-Saga ein gelungenes Debüt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Begeisternder Roman über die Anziehungskraft einer Sekte

The Girls
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Evie Boyd ist 1969 gerade einmal 14 Jahre alt. Wie jeder Teenager fühlt sich sich missverstanden und will sich auflehnen. Seit die Eltern sich ein Jahr zuvor scheiden ließen, fühlt Evie sich allein und ...

Evie Boyd ist 1969 gerade einmal 14 Jahre alt. Wie jeder Teenager fühlt sich sich missverstanden und will sich auflehnen. Seit die Eltern sich ein Jahr zuvor scheiden ließen, fühlt Evie sich allein und ungeliebt von ihrer Mutter, die damit beschäftigt ist sich selbst und einen neuen Mann zu finden. Als Evie im Park der dunkelhaarigen Suzanne begegnet, ist sie von der 19-Jährigen völlig fasziniert. Schließlich geht die Freundschaft zu ihrer einzigen Freundin in die Brüche und Evie ist anfällig für Suzanne, die sie mit auf die Ranch zu einer Gruppe nimmt, die sich um einen gewissen Russell schart. Russell ist charmant und manipulativ und deklariert alles Gutbürgerliche als Spießertum. Schnell findet Evie hier Anschluss und die lang ersehnte Zugehörigkeit und Akzeptanz, doch Russells Einfluss soll sich als verhängnisvoll erweisen.

"The Girls" ist ein beeindruckendes Debüt, das in poetischer Sprache die Welt und Anfälligkeit eines jungen Mädchens darlegt, das durch sein unerfülltes Befürfnis nach Liebe in die Fänge einer Kommune gerät, in der sich alles um Sex, Drogen und Grenzüberschreitung dreht. Sie lässt sich in Dinge mit hineinziehen, die sich nicht tun möchte, aber ihre Ergebenheit Suzanne gegenüber lässt sie ihre Skrupel beiseitewischen und auch in der Kommune lernt sie, dass Regeln für die Gruppe nicht gelten würden. Als Russells erhoffter Durchbruch als Musiker nach einer katastrophalen Demo-Session scheitert, eskaliert die Situation. Spätestens hier dürften die Parallelen zur Manson Family klar sein. In diesem fiktiven Bericht zeichnet die Autorin nach, welche Dynamik in einer abgeschotteten Gruppe entstehen kann, die sie jegliche Regeln und Moral vergessen lässt. Evie selbst ist nicht an den Taten beteiligt, sondern schildert die Geschichte eher aus einer Zuschauer-Perspektive, in der die Erleichterung greifbar ist, nicht im Rampenlicht gelandet zu sein. Und gleichzeitig stellt sie sich die Frage: "hätte ich es verhindert oder mitgemacht? Hätte ich das auch getan, wenn ich dabei gewesen wäre?". Durch die Geschichte wird deutlich, dass es darauf keine klare, moralisch wünschenswerte Antwort für Evie gibt, denn auch sie war der Gruppe verfallen. Wenn man an der Handlung der Protagonistin zweifelt, muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass sie erst 14 ist. Dadurch bleibt bis zum Ende die Frage offen, ob Evie wirklich von ihrer Mutter vernachlässigt wurde oder ob sie, in der Hochphase der Pubertät, nicht auch die Situation übermäßig dramatisch wahrgenommen hat.
Jahrzehnte später sieht sich die erwachsene Evie gespiegelt in der jungen Sasha, die wenige Tage in dem Strandhaus verbringt, das Evie zum Wohnen von einem Freund überlassen wurde. Sie erkennt sich wieder in Sashas Bedürfnis, zu ihrem Freund zu gehören und ihm zu gefallen. Neben den direkten Fragen nach ihrer Vergangenheit, die ihr Name bei den jungen Leuten auslöst, wirft auch Sashas offensichtlich Selbstaufgabe Evie zurück in die Zeit bei der Kommune. Deutlich wird, wie sehr sie dieser eine Sommer im Jahr 1969 noch immer belastet.

Aufgrund des Hypes um dieses Buch bin ich vorsichtig herangegangen und habe versucht, mich uneingenommen in die Geschichte zu begeben, was jedoch kaum geht, da es auf allen Kanälen besprochen und mit den Manson-Morden in Verbindung gebracht wird. Dadurch hatte ich bereits Hintergrundwissen zum wahren Ereignis, das dieses Buch inspiriert hatte und fand die Parallelen durchweg deutlich zu erkennen. Eindringlich und einfühlsam zeichnet die Autorin nach, wie es passieren konnte, dass junge Mädchen im Auftrag eines einzelnen Mannes zu Mörderinnen werden. Dabei entschuldigt sie nichts und lässt die Mädchen auch nicht als unschuldige Opfer dastehen, sondern sie schildert ihren Werdegang in ihr eigenes und das Verderben anderer. Das Buch hat mich sofort in seinen Bann geschlagen und mich durchweg gefesselt. Dabei war es gleichzeitig anspruchsvoll und poetisch. Ich gehöre eindeutig zur begeisterten Fraktion der Leser.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Berührende Familiengeschichte, nicht vordergründig Sportroman

Die Frau, die allen davonrannte
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Aganetha "Aggie" Smart wird 1908 als eines von vielen Kindern der Familie Smart auf einer Farm in Kanada geboren. Inzwischen ist sie 104 Jahre alt und lebt in einem Altenheim und nichts erinnert daran, ...

Aganetha "Aggie" Smart wird 1908 als eines von vielen Kindern der Familie Smart auf einer Farm in Kanada geboren. Inzwischen ist sie 104 Jahre alt und lebt in einem Altenheim und nichts erinnert daran, dass sie einst eine Pionierin des Frauensports war. Nun tauchen zwei junge Leute auf und wollen sie für einen Film interviewen. Dazu bringen sie sie an den Ort ihrer Kindheit zurück und hier entfaltet sich das ganze Leben der Aganetha Smart zwischen historischen Sportereignissen und den Konventionen einer vergangenen Zeit.

Aggie wächst sehr ländlich auf und in einer eher ungewöhnlichen Familienkonstellation. Ihre Mutter ist die zweite Frau des Vaters. Bereits mit der ersten hatte er Kinder, sodass Aggie sehr viele Geschwister hat. Bereits früh entdeckt sie ihren Drang zu laufen. Mit 16 entflieht sie endlich der entlegenen Farm, mit der sie schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen verbindet, und landet bei einer ihrer Schwestern in Toronto. Dort wird sie schließlich ins Trainingsteam eines Pralinenherstellers aufgenommen, mit dem sie schließlich die Olympischen Spiele 1928 erreicht und als eine der ersten Frauen die 800-Meter-Strecke läuft. Doch sie ist weiterhin von den Konventionen dazu eingeschränkt, was eine (alleinstehende) Frau darf und was nicht. Diese werden ihr ganzes Leben bestimmen.

"Die Frau, die allen davon lief" ist vor allem eine berührende Familiengeschichte, in der es um Aggie und ihre Geschwister geht. Den meisten von ihnen ist leider kein langes Leben beschieden, sodass Aggie viele Verluste verkraften muss. Zu Beginn ist der Erzählstil verwirrend. Die 104-jährige Aggie erzählt ihr Leben in Rückblenden, die leider gerade am Anfang nicht chronologisch aufeinander aufbauen, sondern sehr sprunghaft sind, sodass es auf den ersten 100 Seiten schwer fällt, die Bezüge zueinander herzustellen. Einzelne Episoden aus Aggies Kindheit sind schwer verständlich, vor allem, wenn es um das Laufen geht und wo das auf einmal herkommt. Insgesamt steht der Sport eigentlich nicht so im Fokus, wie ich es erwartet hätte. Aggie scheint zwar ein natürliches Laufbedürfnis, dafür aber wenig Ehrgeiz zu besitzen. Ihre Erfolge sind eher zufällig und für die Geschichte ist wichtiger, wie sich diese Erfolge auf ihre Freundschaften und Familienbeziehungen auswirken. Die Sportkarriere an sich ist eher eine kurze Episode in ihrem Leben. Zugegeben, die Autorin kann anhand dieser Karriere und ihren Bedingungen sehr gut darstellen wie stark benachteiligt und eingeschränkt Frauen auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch waren, doch die Dramatik und Tragik der Geschichte liegen eher in den persönlichen Entscheidungen Aggies.

Wenn man sich von den Erwartungen eines Sportromans löst, erlebt man mit diesem Roman eine emotionale Geschichte einer Frau über ein Jahrhundert hinweg, die sich auch entgegen der Konventionen ihren Weg sucht und doch immer wieder an Grenzen stoßen muss. Die Rückblenden fügen sich mit fortlaufender Seitenzahl auch immer besser zusammen und am Ende entsteht noch einmal ein Überraschungsmoment. Trotz kleiner Längen zwischendurch hat mich das Buch sehr berührt und mir gleichzeitig, wenn auch am Rande, noch etwas über den Frauensport beigebracht.