Sutcliffs tiefgründigstes Buch
Die LaternenträgerINHALT:
Britannien um das Jahr 440 nach Christus: 400 Jahre lang haben die Römer das Land besetzt und sich im Lauf der Zeit mit den meisten Bewohnern verbunden. Die Hauptfigur des Buches, der 18jährige ...
INHALT:
Britannien um das Jahr 440 nach Christus: 400 Jahre lang haben die Römer das Land besetzt und sich im Lauf der Zeit mit den meisten Bewohnern verbunden. Die Hauptfigur des Buches, der 18jährige Legionär Aquila, ist keltischer Christ und dient in der römischen Armee. Zu Beginn des Romans lernen wir ihn, seine Schwester Flavia und den Vater Flavian, die er beide sehr liebt, auf ihrem Hofgut kennen. Der alte, erblindete Vater ahnt bereits, dass der innere Friede im Land enden wird, denn sächsische Angreifer, Picten und Sklavenaufstände sorgen für Unruhe. Seine Hoffnung ruht auf dem britannischen Prinzen Ambrosius, der im Untergrund lebt. Dem römischen Konsul Aetius lässt er heimlich durch einen Boten Nachrichten zukommen und bittet um Hilfe gegen die Sachsen und den brutalen Briten Vortigern.
Da jedoch auch Rom selbst durch Barbarenangriffe bedroht ist, werden die römischen Truppen auch dort gebraucht und aus Britannien nach Rom zurückbeordert.
Aquila kann es nicht ertragen, seinen alten Vater und seine jüngere Schwester zu verlassen, und so desertiert er von den «Adlern» und schleicht sich heimlich zum Gut seiner Familie, wobei er sich der Schuld gegenüber seinen Kameraden schmerzlich bewusst ist.
Nur zwei Tage nach seiner Rückkehr wird die Familie von einer sächsischen Truppe im Auftrag des Sachsenführers Hengest brutal angegriffen. Der Vater und alle Bediensteten werden ermordet, die Farm wird niedergebrannt und Aquilas Schwester verschleppt. Er selber kann einen Anführer töten, wird jedoch überwältigt und an einen Baum gebunden zurückgelassen, damit die Wölfe ihn fressen sollen.
Ehe es dazu kommt, taucht eine Gruppe jütländischer Angreifer auf Beutezug auf. Sie befreien Aquila und nehmen ihn als Sklaven mit nach Jütland, wo er drei Jahre lang dienen muss. Missernten zwingen die Jütländer schliesslich dazu, nach Britannien auszuwandern. So kehrt Aquila als Gefangener in seine Heimat zurück und erkennt, dass der Sachse Hengest dem britannischen Vortigern an Brutalität und Cleverness weit überlegen ist und mittlerweile die ganze Macht im Land hat.
Das Schicksal führt Aquila noch einmal mit seiner Schwester Flavia, die tatsächlich noch am Leben ist, zusammen. Sie lebt nun als Frau eines Sachsen im Dorf und hat mit ihm ein Kind. Aquila drängt sie, mit ihm in die Wälder zu fliehen, doch Flavia kann und will ihr Kind und ihren Mann nicht verlassen. Sie verhilft jedoch ihrem zutiefst von ihr enttäuschten und verbitterten Bruder zur Flucht.
Aquila irrt tagelang durch die Wälder, ehe er dem gutmütigen Einsiedlermönch Ninnias begegnet. Dieser befreit ihn von seinem Sklavenhalsring und versucht gleichzeitig, den Hass und die Rachegedanken aus seinem Herzen zu vertreiben. Denn Aquila ist auf der Suche nach dem Boten, der seinen Vater (und dessen Botschaften an Aetius) feige und geldgierig dem Sachsen Hengest verraten haben soll. Ihn will er bestrafen und töten. Ninnias zeigt ihm das Grab des Gesuchten, den er vor drei Jahren selber beerdigt hat. Er erlag den körperlichen und seelischen Wunden, die ihm unter der Folter von den Sachsen zugefügt wurden, als sie die Namen seiner Auftraggeber aus ihm herauspressten.
Auf Ninnias’ Rat hin begibt sich Aquila in die walisischen Berge, um Ambrosius seinen Dienst anzubieten. Schon bald verbindet die beiden Männer eine gute Freundschaft, auch wenn Aquila ansonsten verschlossen und verbittert bleibt. Die von seinem Herrn für ihn arrangierte Hochzeit mit der Keltin Ness ist für ihn daher mehr Last als Grund zur Freude. Erst die Geburt des gemeinsamen Sohnes lässt Aquila ein wenig warmherziger werden. Als es zum Aufstand der Kelten gegen Aquila kommt, ist es Ness, die sich ebenso wie einst Aquilas Schwester Flavia gegen ihr Volk und für ihr Kind und ihren Mann entscheidet, und damit zum ersten Mal so etwas wie Verständnis in Aquila wecken kann.
Die weiteren Jahre sind geprägt vom Wechsel zwischen Kämpfen gegen die Sachsen und unruhigen Zeiten des Waffenstillstands. Erst mit Hilfe seines Neffen Artos gelingt es Ambrosius schliesslich, die Sachsen vorläufig für längere Zeit zu besiegen. Aquila begegnet derweil seinem eigenen Neffen, der auf Seiten der Sachsen kämpft und schwer verwundet wird. Es gelingt Aquila, den Jungen zu versorgen, zu verstecken und schliesslich mit einer Botschaft zu Flavia zurückzuschicken. Als er diese Tat schliesslich seinem neuen britannischen Hochkönig Ambrosius beichtet, vergibt dieser ihm und verhilft ihm so endlich zu innerer Freiheit und Zufriedenheit.
MEINE MEINUNG:
Als ich diesen Roman vom Verlag als Rezensionsexemplar bekam, war ich sehr glücklich. Einmal deswegen, weil es eines der wenigen Bücher von Rosemary Sutcliff ist, welches ich weder gelesen hatte noch besass. Zum anderen, weil für mich wirklich jedes Buch der englischen Autorin ein Lesegenuss und eine wahre Freude ist. Und so dachte ich, dass ich auch dieses verschlingen würde.
Auf den ersten Blick und thematisch ist es ein Buch, wie man es von Rosemary Sutcliff gewohnt ist: eine gut recherchierte Geschichte, die im nachrömischen Britannien spielt und sich auf reale Quellen stützt.
Es geht um die Zeit unmittelbar vor Artus, und der Roman handelt unter anderem von Hengest, Vortigern und Ambrosius. Die Geschichte beginnt just zu dem Zeitpunkt, als die Römer Britannien zum letzten Mal verlassen, und umfasst die sich anschliessende Zeitspanne des Zurückdrängens der Sachsen und ihrer Verbündeten.
Die beiden Vorgängerbände «Der Adler der neunten Legion» und «Der silberne Zweig» lassen bereits etwas davon erahnen, dass eine wichtige Epoche im Schwinden begriffen ist.
Aber dieser dritte Band ist durchzogen von einer grossen Traurigkeit und Melancholie. Und darum war «Die Laternenträger» für mich nicht rasch zu lesen und auch nicht schnell zu rezensieren.
Dies ist kein fröhliches Buch. Und trotzdem ist es zugleich ein sehr hoffnungsvolles.
Die wenigen wirklich unbeschwert fröhlichen Kapitel befinden sich ganz am Anfang des Buches. Doch schnell werden wir Zeugen der Zerstörung von Aquilas Freude und allem, was er liebt, und wir erleben hautnah mit, wie dieser Verlust ihn immer mehr verändert. Aus jugendlicher Unschuld wird Verständnislosigkeit und Verzweiflung, dann kommt der Hass und schliesslich die Leere.
«So übernahm Aquila den Dienst seines Vaters. Es war nicht so gut wie Liebe, es war nicht so gut wie Hass; aber es war etwas, womit er die Leere in sich füllen konnte; besser als gar nichts.»
Rosemary Sutcliff wäre nicht die grossartige Schriftstellerin, als die ich sie schätze und verehre, wenn sie Aquila einfach seinem Schicksal überlassen würde. Es gelingt ihr, dass die Leser sich einfühlen in seinen Schmerz. Wir können seinen persönlichen Verlust spüren – und die Zerrissenheit der Menschen und Völker um ihn herum, deren Welt sich im Wandel und Untergang befindet.
Doch Sutcliff bleibt dabei nicht stehen. Mehr als in jedem anderen Buch von ihr sind bei «Die Laternenträger» der Titel, die verschiedenen Charaktere, welche uns begegnen, die Themen und Symbole, die sich durch das ganze Buch ziehen, tief bedeutsam und verweisen auf etwas Höheres, Gutes. Sie illustrieren, was es bedeutet, inmitten der Dunkelheit ein Licht hochzuhalten. Und so ist dieser Roman gerade und besonders auch eine Geschichte darüber, wie man inmitten von Unterdrückung an der Menschlichkeit festhalten kann. Es ist eine Geschichte darüber, wie jedes Mal, wenn die Welt unterzugehen scheint und alles Leben und allen Lebenssinn mit sich zieht, das Leben und das Licht immer noch weiterleuchten kann.
Dreimal begegnet Aquila dem Imkermönch Ninnias. Er ist jedes Mal der ruhende Pol und die moralische Instanz in einer unruhigen, unmoralischen Zeit des Kämpfens und Tötens. Seine handwerklichen Heilerfähigkeiten korrelieren mit seiner Fähigkeit, Zuversicht und Hoffnung zu vermitteln.
Aquilas unstete Reisen gleichen hingegen seiner inneren Zerrissenheit und bilden den Gegenpol zu Ninnias. Aquila ist äusserlich gefangen als Sklave, und er ist es innerlich in seiner Leere und seiner Unfähigkeit, sich nach dem Verlust seiner Schwester um die Menschen zu kümmern, die ihm nahe sein wollen.
Ein weiterer Heiler ist der Arzt Eugenus. Auch er weiss um die Bedeutsamkeit von Hoffnung und Licht für die Seele des Menschen. Ihn lässt Sutcliff am Ende des Romans die bedeutsamen Worte sprechen:
«Es mag sein, dass es am Ende Nacht um uns wird, aber ich glaube, dass wieder ein Morgen kommt. Der Morgen wächst immer wieder aus der Nacht, wenn auch vielleicht nicht für die Menschen, die die Sonne untergehen sahen. Wir sind die Laternenträger, mein Freund; es ist an uns, danach zu sehen, dass das Feuer nicht erlischt, dass wir das Licht, möge es auch noch so klein sein, in die Dunkelheit und den Sturm hineintragen.»
Es sind die Schönheit der Sprache, für die Rosemary Sutcliff bekannt ist, die ergreifenden Naturbeschreibungen und die vielfältigen symbolischen Anspielungen, welche dieses Buch für mich zu etwas ganz Besonderem machen.
Die vorliegende Ausgabe wurde illustriert von Daniel Seex und übersetzt von Astrid von dem Borne.
Ältere, inzwischen vergriffene deutsche Übersetzungen trugen den Titel «Die Fackelträger» und «Drachenschiffe drohen am Horizont».
Es sei noch angemerkt, dass Rosemary Sutcliff in der Figur des «Artos» bereits auf König Artus hinweist. Seine Geschichte wird dann in «Sword at sunset» weitererzählt, und entspricht mehr der tatsächlichen historischen Vorlage für den grossen König Britanniens.
Wer gerne etwas über den legendären Artus und seine Ritter liest, dem kann ich von der Autorin die Artus-Trilogie «Die Abenteuer der Ritter von der Tafelrunde» sehr empfehlen. Diese erscheinen Ende August ebenfalls in einer Neuausgabe im Verlag Freies Geistesleben.
FAZIT:
«Die Laternenträger» ist die fesselnde Geschichte eines jungen Mannes, der durch plötzliche und lange dauernde Dunkelheit, persönliche Tragödien und Verluste geht. Es ist die Erzählung, wie er Stück für Stück beginnt, wieder Leben, Licht und Heilung zu finden. Und es ist eine Geschichte darüber, wie Vergebung und Frieden ein halbes Leben andauernden Hass und Bitterkeit besiegen können.
«Die Laternenträger» hat für mich noch mehr Substanz und Poesie als Sutcliffs vielen anderen wunderbaren Werke. Die Dunkelheit und der Schmerz, die darin beschrieben sind, lassen das Licht der Hoffnung und den Wert eines jeden Lebens umso strahlender und kostbarer hervortreten.
Obwohl das Buch bereits 1959 zum ersten Mal erschien, hat es bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Aufgrund der Thematik finde ich es für Jugendliche (und natürlich auch für Erwachsene) sehr empfehlenswert.