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GalateaGalatea war einst eine lebensecht wirkende Statue. Der Bildhauer Pygmalion erschuf sie als perfekte Verkörperung seiner Vorstellungen davon, wie eine sittsame Frau sein sollte. Denn die lebendigen Frauen ...
Galatea war einst eine lebensecht wirkende Statue. Der Bildhauer Pygmalion erschuf sie als perfekte Verkörperung seiner Vorstellungen davon, wie eine sittsame Frau sein sollte. Denn die lebendigen Frauen in seiner Umgebung sind in seinen Augen nur ordinäre Flittchen. Die Verehrung der Statue wird für Pygmalion zur Besessenheit, er bringt ihr Geschenke, legt sie neben sich ins Bett und nennt sie seine «Gemahlin». Als die Göttin Venus seine Verzweiflung sieht, lässt sie Galatea lebendig werden. Pygmalion ist ausser sich vor Freude, denn Galatea ist auch lebendig ebenso sittsam und freundlich, wie er es sich gewünscht hat. Die bald darauf zur Welt kommende Tochter Paphos krönt die gegenseitige Liebe.
Soweit die Vorgeschichte zu Madeline Millers Kurzgeschichte «Galatea», so wie sie der antike römische Dichter Ovid in seinen «Metamorphosen» im ersten Jahrhundert vor Christus vorgelegt hat. Sein Text ist übrigens ebenfalls in Millers Buch auf zwei Seiten abgedruckt.
Was nun folgt, ist Madeline Millers freie Erfindung. Sie erzählt die Geschichte aus Galateas Sicht, einsetzend zehn Jahre nach der Geburt der Tochter. Wie bereits in «Ich bin Circe» nimmt sie dabei einen feministischen Blickwinkel ein. Ist ihr dies bei «Ich bin Circe» meiner Meinung nach sehr gut und glaubwürdig gelungen, schiesst sie in «Galatea» weit über das Ziel hinaus. Zunächst aber zum Inhalt von «Galatea», der sich gerade einmal auf 25 kleinformatigen Seiten des Buches verteilt.
Galatea hat es satt, immer nur das sittsame und fügsame Geschöpf ihres Mannes zu sein, mit dem er nach Belieben verfahren kann. Als sie bemerkt, dass Pygmalion auch die Freiheiten und intellektuellen Fähigkeiten der gemeinsamen Tochter einzuschränken versucht, flieht sie mit dem Kind. Die Flucht misslingt, und Galatea wird fortan in einer Klinik hoch auf den Klippen über dem Meer gefangen gehalten. Eine unheimliche Schwester und ein perverser Arzt zwingen sie dazu, Tag und Nacht im Bett zu liegen und flössen ihr Tee ein, der ihre Sinne benebelt und sie ständig in ihr Bett machen lässt. Gesäubert wird sie nur, wenn Pygmalion zu Besuch kommt, um seine Frau zum Geschlechtsverkehr zu zwingen und ihr dabei auch Gewalt anzutun. Um ihrem Gefängnis zu entkommen, erfindet Galatea eine erneute Schwangerschaft. Der entsetzte Ehemann lässt den Arzt ein Abtreibungsgetränk brauen, welches die Schwester seiner Frau verabreicht. Als Galatea sich daraufhin vor Schmerzen windet, holt die Schwester den Arzt. Diesen Moment nutzt Galatea zur Flucht aus der Klinik. Noch einmal sieht sie zu Hause vorbei, um sich von ihrer Tochter zu verabschieden. Absichtlich weckt sie auch Pygmalion auf, der ihr sofort hinterherjagt in Richtung Meer. Beim gemeinsamen Kampf im Wasser wird Galatea wieder zu der schweren Statue, die sie einst war. Pygmalion kann sich nicht mehr aus ihren starren Armen befreien, und gemeinsam finden die Eheleute ihr Grab auf dem Meeresboden.
Meine Meinung:
Ich habe lange mit mir gehadert, aber «Galatea» ist für mich letztendlich kein empfehlenswertes Büchlein. Das ist sehr schade gerade angesichts der beiden wunderbaren Romane «Ich bin Circe» und «Das Lied des Achill», welche ich beide sehr liebe. Der ganze Band in Kleinformat umfasst 75 Seiten. Davon sind 25 Seiten Originalerzählung von Miller. Der Rest besteht aus einem vierseitigen Vorwort der Autorin, zwei Seiten Originaltext Ovid, Illustrationen und einem neunseitigen Nachwort eines Philologen, das sich so liest, als wolle er retten, was noch zu retten ist. Er schreibt eine Rezension des Textes von Miller, rühmt immerhin (zu Recht) die Schönheit der Dichtungen des Ovid und lässt den Leserinnen und Lesern noch einiges an Informationen über die «Metamorphosen» und die damalige römische Umwelt zuteilwerden. Das liest sich ganz nett, ist aber meines Erachtens auch fehl am Platz im Buch selber.
Während der Lektüre von Millers Erzählung habe ich mir fortwährend zwei Fragen gestellt: 1) Was soll das (etwa das Urinieren ins Bett oder die Beschreibung einer behaarten Warze)? 2) Wie kann man als Altphilologin etwas erfinden, das so völlig über Ovid und seine Dichtung hinwegholzt? Wenn man meint, im Nachhinein feministische Ansätze an eine Dichtung anlegen zu müssen, die, in ihrer Zeit entstanden, an Schönheit ihresgleichen sucht, hinterlässt das bei mir einige Fragezeichen. Vor allem dann, wenn man eigentlich wissen sollte, dass die Geschichte von Pygmalion und Galatea bei Ovid eingebettet ist in die Erzählung von Orpheus und Eurydike. Jenem Orpheus, der alles darum gibt, seine Geliebte aus der Unterwelt herauszuholen. Wohl kann, darf und soll man kritisieren, welches Frauenbild in der Antike vorherrschte. Aber das innerhalb einer Geschichte zu tun, die dermassen eindimensional gestaltet ist, finde ich unerfreulich: Männer waren und sind perverse Schweine, die Frauen unterdrücken, quälen, sie kleinhalten und nur ans «Vögeln» denken (ein Ausdruck, den Galatea im Übrigen auch immer so benutzt). Miller möchte laut eigenen Angaben mit ihrer Geschichte «Jahrhunderte verbinden» und zeigen, wie Männer damals wie heute Frauen zu Objekten machen und sowohl Pygmalion als auch viele Männer heute als «Incel» leben. Ein bisschen mehr Differenzierung wäre da vielleicht noch ganz schön gewesen. Deswegen wirkt «Galatea» auf mich insgesamt eher befremdlich.
Ein Lichtblick im Buch sind für mich die sehr schönen Illustrationen von Thomke Meyer.
Fazit:
«Galatea» kann man lesen, muss man aber meines Erachtens nicht. Das Geld gibt man besser für die beiden hervorragenden ersten Bücher der Autorin aus.