Homo homini lupus est
Stranded - Die InselAus dem deutschen Fernsehen sind wir Reality-Shows auf außergewöhnlichen Schauplätzen gewohnt, in denen mehr oder minder prominente Zeitgenossen an ihre Grenzen geführt werden. In ihrem Buch "Stranded ...
Aus dem deutschen Fernsehen sind wir Reality-Shows auf außergewöhnlichen Schauplätzen gewohnt, in denen mehr oder minder prominente Zeitgenossen an ihre Grenzen geführt werden. In ihrem Buch "Stranded - Die Insel: Acht Fremde. Ein Mörder. Kein Ausweg. Thriller" erzählt die englische Schriftstellerin Sarah Goodwin von einem auf ein ganzes Jahr angelegtem Low Budget Projekt mit charakterlich konträren, auf Konfrontation gecasteten Teilnehmerinnen auf einer von der Außenwelt abgeschotteten, unwirtlichen schottischen Insel, das im Laufe der Zeit völlig aus dem Ruder gerät und zu einem wahren Trip in die Hölle entwickelt:
Auf dieser Insel ist nicht nur die Natur mörderisch. Für Maddy wird ein Traum wahr: Sie nimmt an einem neuartigen Fernsehexperiment teil, in dem acht Fremde auf einer einsamen schottischen Insel überleben müssen, ein Jahr lang, mit nur minimaler Ausrüstung und ohne Kontakt zur Außenwelt. 18 Monate später ist Maddys Traum zum Albtraum geworden. Die Behörden greifen die junge Frau in einem Fischerdorf auf dem Festland auf. Verzweifelt berichtet sie, wie das Boot, das die Teilnehmer nach einem Jahr abholen sollte, nicht kam. Und davon, wie in den folgenden Wochen einer nach dem anderen starb, nicht durch Hunger oder Krankheit, sondern durch menschliche Hand. Doch was verschweigt Maddy? Und wie schaffte sie es, die Insel lebend zu verlassen?
Das Cover überzeugt durch seine schlichte Gestaltung. Man blickt auf eine unbewohnt wirkende Insel, irgendwo im Nirgendwo, von der eine schwer zu deutende, düster und gespenstisch anmutende Wirkung ausgeht. Der Titel ist auf das Wesentliche reduziert; die Interpretation liegt im Auge des Betrachters.
Das Geschehen wird aus der Ich-Perspektive von Maddy, einer an einer starken sozialen Phobie leidenden jungen Frau geschildert, einer klassischen Außenseiterin, die sich schlecht in eine Gruppe einfügen kann und ihren Ängsten im Rahmen dieses TV-Experimentes stellen will. Ihre Gedanken- und Gefühlswelt steht im Mittelpunkt der Handlung, während die anderen literarischen Figuren in den Hintergrund rücken, grob skizziert werden, alle gängigen Stereotypen abdecken und relativ blass bleiben. Die Handlung lässt sich in mehrere Erzählstränge differenzieren, die kunstvoll miteinander verwoben werden. Durchbrochen von einzelnen Rückblenden, welche die Vergangenheit von Maddy näher beleuchten, und öffentlichen Interviews, die Maddy nach ihrer Flucht von der Insel gibt, werden die dramatischen Ereignisse auf der Insel vermittelt. Die einzelnen Kapitel sind relativ kurz gehalten; sie umfassen wenige Seiten, sind in einer leicht verständlichen Sprache geschrieben und enden mit dramatischen Cliffhangern, welche zur Aufrechterhaltung und Steigerung der Spannung dienen und zum atemlosen Weiterlesen bewegen.
Für mich ist dieses literarische Debüt ein absolutes Highlight, das mich gleich in seinen Bann geschlagen hat. Die detaillierte Schilderung der gruppendynamischen Prozesse auf der verlassenen Insel hat mir mehr als eine Gänsehaut über den Rücken gejagt. Bei der Lektüre fühlte ich mich tief mit Maddy verbunden, die von den anderen Teilnehmerinnen bewusst ausgegrenzt und zur persona non grata erklärt worden war. Angesichts der begrenzten Ressourcen entwickelte sich das Survival-Experiment im Handumdrehen zum Kampf ums nackte Überleben. Im Laufe des Jahres musste Maddy physische und psychische Gewalt erleiden; sie musste die gemeinsame komfortable Unterkunft verlassen und ein eigenes notdürftiges Lager am Strand aufschlagen, ausgeschlossen von allen gemeinsamen Vorräten und der relativen Sicherheit in einer Gemeinschaft. Auf sich allein gestellt, wurden ihr lebensnotwendige Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände gestohlen oder vernichtet; die anderen Teilnehmer*innen des TV-Experimentes haben den Tod von Maddy billigend in Kauf genommen, wenn nicht gar ihr nach dem Leben getrachtet. Bei der Lektüre habe ich mehr als einmal um Maddy gebangt; der unerwartete Ausgang hat mich mit den eskalierenden, grenzwertigen Geschehnissen auf der von der Außenwelt abgeschnittenen Insel versöhnt und befriedigt zurückgelassen.
Homo homini lupus est... Für diese erschütternde Lektion gibt es von mir eine klare Lese-Empfehlung!